[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.des vierzehnten Jahrhunderts. XVIII. Der Fuchs und das hölzerne Bild. EJn Fuchs lief ehmals über Land, Als er ein Menschenbildniß fand; Aus Holz gehauen, kunstesvoll, Sein Haupt gezieret, als es soll, Die Stirne schön, die Augen klar, Die Wangen roth, ein silbern Haar; Der Mund war klein, die Zähne weiß; Es war gezieret auf den Preis. Als nun der Fuchs das Bild ersah, Erstaunt er sehr, und sagte da: Potz Stern! welch Wunder mag das seyn? Jst das ein Mensch, was vor ein Schein! Jndem er diese Worte sprach: Gieng er hin, wo das Bildniß lag. Er kehrt es hin, er kehrt es her; Betrachtets wohl, da mercket er, Daß seine Augen ohne Licht; Daß es ein Mund ist, der nicht spricht; Die Hände nie zu Wercke gehn, Die Füsse immer stille stehn. Der Fuchs ward dieses ungern innen, Er dacht in seinen Fuchses-Sinnen: Was soll das Auge sonder Licht? Was soll der Mund, so er nicht spricht? Die Hände, die zu Werck nicht gehn? Die Füsse, die nur stille stehn? Wer sie mit reichem Schmuck bekleidt, Der treibet grosse Ueppigkeit. XIX. Der
des vierzehnten Jahrhunderts. XVIII. Der Fuchs und das hoͤlzerne Bild. EJn Fuchs lief ehmals uͤber Land, Als er ein Menſchenbildniß fand; Aus Holz gehauen, kunſtesvoll, Sein Haupt gezieret, als es ſoll, Die Stirne ſchoͤn, die Augen klar, Die Wangen roth, ein ſilbern Haar; Der Mund war klein, die Zaͤhne weiß; Es war gezieret auf den Preis. Als nun der Fuchs das Bild erſah, Erſtaunt er ſehr, und ſagte da: Potz Stern! welch Wunder mag das ſeyn? Jſt das ein Menſch, was vor ein Schein! Jndem er dieſe Worte ſprach: Gieng er hin, wo das Bildniß lag. Er kehrt es hin, er kehrt es her; Betrachtets wohl, da mercket er, Daß ſeine Augen ohne Licht; Daß es ein Mund iſt, der nicht ſpricht; Die Haͤnde nie zu Wercke gehn, Die Fuͤſſe immer ſtille ſtehn. Der Fuchs ward dieſes ungern innen, Er dacht in ſeinen Fuchſes-Sinnen: Was ſoll das Auge ſonder Licht? Was ſoll der Mund, ſo er nicht ſpricht? Die Haͤnde, die zu Werck nicht gehn? Die Fuͤſſe, die nur ſtille ſtehn? Wer ſie mit reichem Schmuck bekleidt, Der treibet groſſe Ueppigkeit. XIX. Der
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des vierzehnten Jahrhunderts.
XVIII.
Der Fuchs und das hoͤlzerne Bild.
EJn Fuchs lief ehmals uͤber Land,
Als er ein Menſchenbildniß fand;
Aus Holz gehauen, kunſtesvoll,
Sein Haupt gezieret, als es ſoll,
Die Stirne ſchoͤn, die Augen klar,
Die Wangen roth, ein ſilbern Haar;
Der Mund war klein, die Zaͤhne weiß;
Es war gezieret auf den Preis.
Als nun der Fuchs das Bild erſah,
Erſtaunt er ſehr, und ſagte da:
Potz Stern! welch Wunder mag das ſeyn?
Jſt das ein Menſch, was vor ein Schein!
Jndem er dieſe Worte ſprach:
Gieng er hin, wo das Bildniß lag.
Er kehrt es hin, er kehrt es her;
Betrachtets wohl, da mercket er,
Daß ſeine Augen ohne Licht;
Daß es ein Mund iſt, der nicht ſpricht;
Die Haͤnde nie zu Wercke gehn,
Die Fuͤſſe immer ſtille ſtehn.
Der Fuchs ward dieſes ungern innen,
Er dacht in ſeinen Fuchſes-Sinnen:
Was ſoll das Auge ſonder Licht?
Was ſoll der Mund, ſo er nicht ſpricht?
Die Haͤnde, die zu Werck nicht gehn?
Die Fuͤſſe, die nur ſtille ſtehn?
Wer ſie mit reichem Schmuck bekleidt,
Der treibet groſſe Ueppigkeit.
XIX. Der
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