Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743.

Bild:
<< vorherige Seite
des vierzehnten Jahrhunderts.
XIV.
Die zween Gesellen und der Bär.
ZWeen Spießgesellen waren gut
Von Worten, aber nicht von Muth.
Sie giengen izt durch einen Wald,
Gefahr war nah und mannigfalt. (a)
Da sagten beyde auf den Eid,
Sie wollten mit Aufrichtigkeit
Zusammenhalten, bis zum Tod.
Der eine Freund war braun, der andre roth.
Weil sie in dieser Rede sind,
Kömmt träges Schritts ein Bär gegangen.
Der Rothe wartet nicht, ihn zu empfangen,
Er klimmt auf einen Baum geschwind.
Der Braune kam in grosse Noth;
Er stellt sich an, als wär er todt.
Er rührt sich weder hin noch her.
Bedachtsam kam zu ihm der Bär,
Wo er am Boden lag, der Länge nach gestreckt,
Er hält ihn für ein Aas, das längst verreckt.
Er wirfft ihn um, und riecht ihn an.
Zulezt gieng er davon, und ließ den todten Mann.
Dieß alles sah der rothe Spießgeselle;
Er gieng vom Baum herab zur Stelle,
Und sprach zu seinem Freund: Ey mein!
Was mogte das Geraune seyn? (b)
Was raunte dir der kluge Bär?
Jch sah wohl auf dem Baum daß er
Zu deinen Ohren hielt den Mund;
Hat er dich was gelehrt, so thu mirs kund.
Der Braune sprach; Ja freylich raunt er mir,
Und was er mir geraunt, das raun ich dir,
Er sagte: Meide den, (das ist mein Rath,)
Der auf den Baum geflüchtet hat:
Denn geht es ernstlich an die Noth,
So läßt er dich, denn er ist roth.
XV. Die
(a) Ir beder Red was manigfalt.
(b) Was mocht das gerune sin?
E 4
des vierzehnten Jahrhunderts.
XIV.
Die zween Geſellen und der Baͤr.
ZWeen Spießgeſellen waren gut
Von Worten, aber nicht von Muth.
Sie giengen izt durch einen Wald,
Gefahr war nah und mannigfalt. (a)
Da ſagten beyde auf den Eid,
Sie wollten mit Aufrichtigkeit
Zuſammenhalten, bis zum Tod.
Der eine Freund war braun, der andre roth.
Weil ſie in dieſer Rede ſind,
Koͤmmt traͤges Schritts ein Baͤr gegangen.
Der Rothe wartet nicht, ihn zu empfangen,
Er klimmt auf einen Baum geſchwind.
Der Braune kam in groſſe Noth;
Er ſtellt ſich an, als waͤr er todt.
Er ruͤhrt ſich weder hin noch her.
Bedachtſam kam zu ihm der Baͤr,
Wo er am Boden lag, der Laͤnge nach geſtreckt,
Er haͤlt ihn fuͤr ein Aas, das laͤngſt verreckt.
Er wirfft ihn um, und riecht ihn an.
Zulezt gieng er davon, und ließ den todten Mann.
Dieß alles ſah der rothe Spießgeſelle;
Er gieng vom Baum herab zur Stelle,
Und ſprach zu ſeinem Freund: Ey mein!
Was mogte das Geraune ſeyn? (b)
Was raunte dir der kluge Baͤr?
Jch ſah wohl auf dem Baum daß er
Zu deinen Ohren hielt den Mund;
Hat er dich was gelehrt, ſo thu mirs kund.
Der Braune ſprach; Ja freylich raunt er mir,
Und was er mir geraunt, das raun ich dir,
Er ſagte: Meide den, (das iſt mein Rath,)
Der auf den Baum gefluͤchtet hat:
Denn geht es ernſtlich an die Noth,
So laͤßt er dich, denn er iſt roth.
XV. Die
(a) Ir beder Red was manigfalt.
(b) Was mocht das gerune ſin?
E 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0071" n="71"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">des vierzehnten Jahrhunderts.</hi> </fw><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#aq"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">XIV.</hi> </hi> </hi> </head><lb/>
            <head> <hi rendition="#b">Die zween Ge&#x017F;ellen und der Ba&#x0364;r.</hi> </head><lb/>
            <lg type="poem">
              <l><hi rendition="#in">Z</hi>Ween Spießge&#x017F;ellen waren gut</l><lb/>
              <l>Von Worten, aber nicht von Muth.</l><lb/>
              <l>Sie giengen izt durch einen Wald,</l><lb/>
              <l>Gefahr war nah und <hi rendition="#fr">mannigfalt.</hi> <note place="foot" n="(a)"><hi rendition="#aq">Ir beder Red was manigfalt.</hi></note></l><lb/>
              <l>Da &#x017F;agten beyde auf den Eid,</l><lb/>
              <l>Sie wollten mit Aufrichtigkeit</l><lb/>
              <l>Zu&#x017F;ammenhalten, bis zum Tod.</l><lb/>
              <l>Der eine Freund war braun, der andre roth.</l><lb/>
              <l>Weil &#x017F;ie in die&#x017F;er Rede &#x017F;ind,</l><lb/>
              <l>Ko&#x0364;mmt tra&#x0364;ges Schritts ein Ba&#x0364;r gegangen.</l><lb/>
              <l>Der Rothe wartet nicht, ihn zu empfangen,</l><lb/>
              <l>Er klimmt auf einen Baum ge&#x017F;chwind.</l><lb/>
              <l>Der Braune kam in gro&#x017F;&#x017F;e Noth;</l><lb/>
              <l>Er &#x017F;tellt &#x017F;ich an, als wa&#x0364;r er todt.</l><lb/>
              <l>Er ru&#x0364;hrt &#x017F;ich weder hin noch her.</l><lb/>
              <l>Bedacht&#x017F;am kam zu ihm der Ba&#x0364;r,</l><lb/>
              <l>Wo er am Boden lag, der La&#x0364;nge nach ge&#x017F;treckt,</l><lb/>
              <l>Er ha&#x0364;lt ihn fu&#x0364;r ein Aas, das la&#x0364;ng&#x017F;t verreckt.</l><lb/>
              <l>Er wirfft ihn um, und riecht ihn an.</l><lb/>
              <l>Zulezt gieng er davon, und ließ den todten Mann.</l><lb/>
              <l>Dieß alles &#x017F;ah der rothe Spießge&#x017F;elle;</l><lb/>
              <l>Er gieng vom Baum herab zur Stelle,</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;prach zu &#x017F;einem Freund: Ey mein!</l><lb/>
              <l>Was mogte das Geraune &#x017F;eyn? <note place="foot" n="(b)"><hi rendition="#aq">Was mocht das gerune &#x017F;in?</hi></note></l><lb/>
              <l>Was raunte dir der kluge Ba&#x0364;r?</l><lb/>
              <l>Jch &#x017F;ah wohl auf dem Baum daß er</l><lb/>
              <l>Zu deinen Ohren hielt den Mund;</l><lb/>
              <l>Hat er dich was gelehrt, &#x017F;o thu mirs kund.</l><lb/>
              <l>Der Braune &#x017F;prach; Ja freylich raunt er mir,</l><lb/>
              <l>Und was er mir geraunt, das raun ich dir,</l><lb/>
              <l>Er &#x017F;agte: Meide den, (das i&#x017F;t mein Rath,)</l><lb/>
              <l>Der auf den Baum geflu&#x0364;chtet hat:</l><lb/>
              <l>Denn geht es ern&#x017F;tlich an die Noth,</l><lb/>
              <l>So la&#x0364;ßt er dich, denn er i&#x017F;t roth.</l>
            </lg>
          </div><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">E 4</fw>
          <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">XV.</hi> Die</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0071] des vierzehnten Jahrhunderts. XIV. Die zween Geſellen und der Baͤr. ZWeen Spießgeſellen waren gut Von Worten, aber nicht von Muth. Sie giengen izt durch einen Wald, Gefahr war nah und mannigfalt. (a) Da ſagten beyde auf den Eid, Sie wollten mit Aufrichtigkeit Zuſammenhalten, bis zum Tod. Der eine Freund war braun, der andre roth. Weil ſie in dieſer Rede ſind, Koͤmmt traͤges Schritts ein Baͤr gegangen. Der Rothe wartet nicht, ihn zu empfangen, Er klimmt auf einen Baum geſchwind. Der Braune kam in groſſe Noth; Er ſtellt ſich an, als waͤr er todt. Er ruͤhrt ſich weder hin noch her. Bedachtſam kam zu ihm der Baͤr, Wo er am Boden lag, der Laͤnge nach geſtreckt, Er haͤlt ihn fuͤr ein Aas, das laͤngſt verreckt. Er wirfft ihn um, und riecht ihn an. Zulezt gieng er davon, und ließ den todten Mann. Dieß alles ſah der rothe Spießgeſelle; Er gieng vom Baum herab zur Stelle, Und ſprach zu ſeinem Freund: Ey mein! Was mogte das Geraune ſeyn? (b) Was raunte dir der kluge Baͤr? Jch ſah wohl auf dem Baum daß er Zu deinen Ohren hielt den Mund; Hat er dich was gelehrt, ſo thu mirs kund. Der Braune ſprach; Ja freylich raunt er mir, Und was er mir geraunt, das raun ich dir, Er ſagte: Meide den, (das iſt mein Rath,) Der auf den Baum gefluͤchtet hat: Denn geht es ernſtlich an die Noth, So laͤßt er dich, denn er iſt roth. XV. Die (a) Ir beder Red was manigfalt. (b) Was mocht das gerune ſin? E 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/71
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und anderer geistvollen Schriften. Bd. 8. Zürich, 1743, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung08_1743/71>, abgerufen am 03.12.2024.