Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741.

Bild:
<< vorherige Seite
Stücke der Schutzvorrede
Dieß bringt der Wissenschaft gewiß den grösten Schaden,
Den ihre Meister selbst durch Grobheit auf sich laden,
Dadurch wird sie hernach vernünftigen verhaßt,
Und ein Gelehrter ist so viel als ein Fantast.

Man lese hiervon weiter unsers Verfassers
Gedichte auf den seel. Hrn. Fabricius, von der
unanständigen Schmähsucht der Gelehrten,
nebst denen Anmerckungen, und bessere sich.
Man weiß nicht, ob man den bösartigen
Schriftrichter mehr belachen, oder beklagen
soll, welcher andern Leuten die Fehler in
Schriften zeigen will, und doch selbst einer
viel wichtigern Verbesserung
seiner rauhen
und störrischen Sitten u. unhöflichen Schreib-
art nöthig hat, wie der Leser mit Erstaunen


wahr-
nen
Der selbst einer viel wichtigern Verbesserung nöthig)
Ein bekanntes Schul-Dictum lautet: Turpe est Do-
ctori, quem culpa redarguit ipsum.
Wer andre mit
Recht tadeln will, der muß selbst ohne Fehler und Ge-
brechen seyn: Da nun keiner vollkommen und Engel-
rein ist, so wäre es ja weit besser, und für die gemei-
ne Ruhe weit vorträglicher, daß man das Tadeln und
Richten, als ein friedenstörendes Handwerck, gäntzlich
einstellete, und einander hälfe, die gemeine Unvoll-
kommenheit mit dem Mantel der Liebe zudecken. Sol-
cher läßt sich schon aus einander ziehen, daß er weit
genug wird, die Blösse so vieler Leute zu bedecken.
Mit Erstaunen) Der Verfasser kennet das Hertz
der Menschen, insbesondere seiner deutschen Leser, so
wohl, daß er mit Gewißheit voraus sagen kan, was
diese oder jene Vorstellung vor einen Eindruck auf das-
selbe machen werde. Hier verkündiget er ein Erstau-
Stuͤcke der Schutzvorrede
Dieß bringt der Wiſſenſchaft gewiß den groͤſten Schaden,
Den ihre Meiſter ſelbſt durch Grobheit auf ſich laden,
Dadurch wird ſie hernach vernuͤnftigen verhaßt,
Und ein Gelehrter iſt ſo viel als ein Fantaſt.

Man leſe hiervon weiter unſers Verfaſſers
Gedichte auf den ſeel. Hrn. Fabricius, von der
unanſtaͤndigen Schmaͤhſucht der Gelehrten,
nebſt denen Anmerckungen, und beſſere ſich.
Man weiß nicht, ob man den boͤsartigen
Schriftrichter mehr belachen, oder beklagen
ſoll, welcher andern Leuten die Fehler in
Schriften zeigen will, und doch ſelbſt einer
viel wichtigern Verbeſſerung
ſeiner rauhen
und ſtoͤrriſchen Sitten u. unhoͤflichen Schreib-
art noͤthig hat, wie der Leſer mit Erſtaunen


wahr-
nen
Der ſelbſt einer viel wichtigern Verbeſſerung noͤthig)
Ein bekanntes Schul-Dictum lautet: Turpe eſt Do-
ctori, quem culpa redarguit ipſum.
Wer andre mit
Recht tadeln will, der muß ſelbſt ohne Fehler und Ge-
brechen ſeyn: Da nun keiner vollkommen und Engel-
rein iſt, ſo waͤre es ja weit beſſer, und fuͤr die gemei-
ne Ruhe weit vortraͤglicher, daß man das Tadeln und
Richten, als ein friedenſtoͤrendes Handwerck, gaͤntzlich
einſtellete, und einander haͤlfe, die gemeine Unvoll-
kommenheit mit dem Mantel der Liebe zudecken. Sol-
cher laͤßt ſich ſchon aus einander ziehen, daß er weit
genug wird, die Bloͤſſe ſo vieler Leute zu bedecken.
Mit Erſtaunen) Der Verfaſſer kennet das Hertz
der Menſchen, insbeſondere ſeiner deutſchen Leſer, ſo
wohl, daß er mit Gewißheit voraus ſagen kan, was
dieſe oder jene Vorſtellung vor einen Eindruck auf das-
ſelbe machen werde. Hier verkuͤndiget er ein Erſtau-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0036" n="34"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Stu&#x0364;cke der Schutzvorrede</hi> </fw><lb/>
          <l>Dieß bringt der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft gewiß den gro&#x0364;&#x017F;ten Schaden,</l><lb/>
          <l>Den ihre Mei&#x017F;ter &#x017F;elb&#x017F;t durch Grobheit auf &#x017F;ich laden,</l><lb/>
          <l>Dadurch wird &#x017F;ie hernach vernu&#x0364;nftigen verhaßt,</l><lb/>
          <l>Und ein Gelehrter i&#x017F;t &#x017F;o viel als ein Fanta&#x017F;t.</l>
        </lg><lb/>
        <p>Man le&#x017F;e hiervon weiter un&#x017F;ers Verfa&#x017F;&#x017F;ers<lb/>
Gedichte auf den &#x017F;eel. Hrn. Fabricius, von der<lb/>
unan&#x017F;ta&#x0364;ndigen Schma&#x0364;h&#x017F;ucht der Gelehrten,<lb/>
neb&#x017F;t denen Anmerckungen, und be&#x017F;&#x017F;ere &#x017F;ich.<lb/>
Man weiß nicht, ob man den bo&#x0364;sartigen<lb/>
Schriftrichter mehr belachen, oder beklagen<lb/>
&#x017F;oll, welcher andern Leuten die Fehler in<lb/>
Schriften zeigen will, und doch <hi rendition="#fr">&#x017F;elb&#x017F;t einer<lb/>
viel wichtigern Verbe&#x017F;&#x017F;erung</hi> &#x017F;einer rauhen<lb/>
und &#x017F;to&#x0364;rri&#x017F;chen Sitten u. unho&#x0364;flichen Schreib-<lb/>
art <hi rendition="#fr">no&#x0364;thig hat,</hi> wie der Le&#x017F;er <hi rendition="#fr">mit Er&#x017F;taunen</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wahr-</fw><lb/><note place="foot"><hi rendition="#fr">Der &#x017F;elb&#x017F;t einer viel wichtigern Verbe&#x017F;&#x017F;erung no&#x0364;thig)</hi><lb/>
Ein bekanntes Schul-<hi rendition="#aq">Dictum</hi> lautet: <hi rendition="#aq">Turpe e&#x017F;t Do-<lb/>
ctori, quem culpa redarguit ip&#x017F;um.</hi> Wer andre mit<lb/>
Recht tadeln will, der muß &#x017F;elb&#x017F;t ohne Fehler und Ge-<lb/>
brechen &#x017F;eyn: Da nun keiner vollkommen und Engel-<lb/>
rein i&#x017F;t, &#x017F;o wa&#x0364;re es ja weit be&#x017F;&#x017F;er, und fu&#x0364;r die gemei-<lb/>
ne Ruhe weit vortra&#x0364;glicher, daß man das Tadeln und<lb/>
Richten, als ein frieden&#x017F;to&#x0364;rendes Handwerck, ga&#x0364;ntzlich<lb/>
ein&#x017F;tellete, und einander ha&#x0364;lfe, die gemeine Unvoll-<lb/>
kommenheit mit dem Mantel der Liebe zudecken. Sol-<lb/>
cher la&#x0364;ßt &#x017F;ich &#x017F;chon aus einander ziehen, daß er weit<lb/>
genug wird, die Blo&#x0364;&#x017F;&#x017F;e &#x017F;o vieler Leute zu bedecken.</note><lb/><note xml:id="f13" place="foot" next="#f14"><hi rendition="#fr">Mit Er&#x017F;taunen)</hi> Der Verfa&#x017F;&#x017F;er kennet das Hertz<lb/>
der Men&#x017F;chen, insbe&#x017F;ondere &#x017F;einer deut&#x017F;chen Le&#x017F;er, &#x017F;o<lb/>
wohl, daß er mit Gewißheit voraus &#x017F;agen kan, was<lb/>
die&#x017F;e oder jene Vor&#x017F;tellung vor einen Eindruck auf das-<lb/>
&#x017F;elbe machen werde. Hier verku&#x0364;ndiget er ein Er&#x017F;tau-</note><lb/>
<fw place="bottom" type="catch">nen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0036] Stuͤcke der Schutzvorrede Dieß bringt der Wiſſenſchaft gewiß den groͤſten Schaden, Den ihre Meiſter ſelbſt durch Grobheit auf ſich laden, Dadurch wird ſie hernach vernuͤnftigen verhaßt, Und ein Gelehrter iſt ſo viel als ein Fantaſt. Man leſe hiervon weiter unſers Verfaſſers Gedichte auf den ſeel. Hrn. Fabricius, von der unanſtaͤndigen Schmaͤhſucht der Gelehrten, nebſt denen Anmerckungen, und beſſere ſich. Man weiß nicht, ob man den boͤsartigen Schriftrichter mehr belachen, oder beklagen ſoll, welcher andern Leuten die Fehler in Schriften zeigen will, und doch ſelbſt einer viel wichtigern Verbeſſerung ſeiner rauhen und ſtoͤrriſchen Sitten u. unhoͤflichen Schreib- art noͤthig hat, wie der Leſer mit Erſtaunen wahr- nen Der ſelbſt einer viel wichtigern Verbeſſerung noͤthig) Ein bekanntes Schul-Dictum lautet: Turpe eſt Do- ctori, quem culpa redarguit ipſum. Wer andre mit Recht tadeln will, der muß ſelbſt ohne Fehler und Ge- brechen ſeyn: Da nun keiner vollkommen und Engel- rein iſt, ſo waͤre es ja weit beſſer, und fuͤr die gemei- ne Ruhe weit vortraͤglicher, daß man das Tadeln und Richten, als ein friedenſtoͤrendes Handwerck, gaͤntzlich einſtellete, und einander haͤlfe, die gemeine Unvoll- kommenheit mit dem Mantel der Liebe zudecken. Sol- cher laͤßt ſich ſchon aus einander ziehen, daß er weit genug wird, die Bloͤſſe ſo vieler Leute zu bedecken. Mit Erſtaunen) Der Verfaſſer kennet das Hertz der Menſchen, insbeſondere ſeiner deutſchen Leſer, ſo wohl, daß er mit Gewißheit voraus ſagen kan, was dieſe oder jene Vorſtellung vor einen Eindruck auf das- ſelbe machen werde. Hier verkuͤndiget er ein Erſtau-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/36
Zitationshilfe: [Bodmer, Johann Jacob]: Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften. Bd. 2. Zürich, 1741, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bodmer_sammlung02_1741/36>, abgerufen am 26.04.2024.