Als völkerrechtliche Verträge im eigentlichen Sinne gelten
a) voraus die sogenannten Statenverträge, d. h. die Verträge zwi- schen zwei oder mehreren Staten von öffentlich-rechtlichem Inhalt;
b) sodann die zwischen untergeordneten Aemtern oder Gliedern ver- schiedener Staten innerhalb ihrer Amts- oder Rechtssphäre ab- geschlossenen Verträge über öffentliche Verhältnisse.
1. In der ersten Classe erscheinen die Staten selber als handelnde Ver- tragspersonen, in der zweiten Classe untergeordnete Gewalten oder Körperschaften im State, aber mit statlicher Ermächtigung. Beiderlei Verträge haben einen öffent- lich-rechtlichen Inhalt. Es ist das selbst dann der Fall, wenn etwa ein Statenvertrag für die privatrechtlichen Verhältnisse der eigenen Landesangehörigen in fremdem Lande sorgt, denn er ordnet und schützt hier das Privatrecht mit stat- licher Autorität, ähnlich wie in der Landesgesetzgebung oder durch die ordentliche Rechtspflege. Dagegen sind Verträge von bloß privatrechtlichem Inhalt, wenn gleich von zwei Staten abgeschlossen, nicht völkerrechtlich, weil insofern die Staten nicht als Staten, sondern gleich Privatpersonen contrahiren. Von der Art sind z. B. Darlehns-, Kauf- und Miethverträge, wobei es ganz gleichgültig erscheint, ob Staten oder ob Privaten dieselben contrahiren. -- Aus solchen privatrechtlichen Verträgen entsteht nur eine privatrechtliche Forderung oder Schuld, welche dem Fiscus, als dem personificirten Privatvermögen des States zugehört. Nur wenn ausnahmsweise solche Verträge unter den Schutz des Völkerrechts gestellt worden sind, so daß sie einen Bestandtheil wirklicher Statenverträge bilden, oder eine statliche Garantie erhalten haben, dann fallen sie insofern in das Gebiet des Völkerrechts.
2. Bloß partielle völkerrechtliche Verträge der zweiten Classe sind z. B. Verträge über Grenzregulirung, welche den Provinzialregierungen überlassen sind, gerichtliche Requisitionen, denen Folge gegeben wird, ohne die Intervention der höch- sten Statsautoritäten, provincielle Flußregulirung, Verträge mit einzelnen Truppen- commando's über die Einquartierung, den Durchmarsch, die Ernährung der Trup- pen, Verträge zwischen Nachbargemeinden verschiedener Staten über Gemeindever- hältnisse u. dgl.
443.
Als uneigentliche völkerrechtliche Verträge, weil nicht beiderseits durch Staten geschützt, gelten:
Sechstes Buch.
4. Arten der völkerrechtlichen Verträge.
442.
Als völkerrechtliche Verträge im eigentlichen Sinne gelten
a) voraus die ſogenannten Statenverträge, d. h. die Verträge zwi- ſchen zwei oder mehreren Staten von öffentlich-rechtlichem Inhalt;
b) ſodann die zwiſchen untergeordneten Aemtern oder Gliedern ver- ſchiedener Staten innerhalb ihrer Amts- oder Rechtsſphäre ab- geſchloſſenen Verträge über öffentliche Verhältniſſe.
1. In der erſten Claſſe erſcheinen die Staten ſelber als handelnde Ver- tragsperſonen, in der zweiten Claſſe untergeordnete Gewalten oder Körperſchaften im State, aber mit ſtatlicher Ermächtigung. Beiderlei Verträge haben einen öffent- lich-rechtlichen Inhalt. Es iſt das ſelbſt dann der Fall, wenn etwa ein Statenvertrag für die privatrechtlichen Verhältniſſe der eigenen Landesangehörigen in fremdem Lande ſorgt, denn er ordnet und ſchützt hier das Privatrecht mit ſtat- licher Autorität, ähnlich wie in der Landesgeſetzgebung oder durch die ordentliche Rechtspflege. Dagegen ſind Verträge von bloß privatrechtlichem Inhalt, wenn gleich von zwei Staten abgeſchloſſen, nicht völkerrechtlich, weil inſofern die Staten nicht als Staten, ſondern gleich Privatperſonen contrahiren. Von der Art ſind z. B. Darlehns-, Kauf- und Miethverträge, wobei es ganz gleichgültig erſcheint, ob Staten oder ob Privaten dieſelben contrahiren. — Aus ſolchen privatrechtlichen Verträgen entſteht nur eine privatrechtliche Forderung oder Schuld, welche dem Fiscus, als dem perſonificirten Privatvermögen des States zugehört. Nur wenn ausnahmsweiſe ſolche Verträge unter den Schutz des Völkerrechts geſtellt worden ſind, ſo daß ſie einen Beſtandtheil wirklicher Statenverträge bilden, oder eine ſtatliche Garantie erhalten haben, dann fallen ſie inſofern in das Gebiet des Völkerrechts.
2. Bloß partielle völkerrechtliche Verträge der zweiten Claſſe ſind z. B. Verträge über Grenzregulirung, welche den Provinzialregierungen überlaſſen ſind, gerichtliche Requiſitionen, denen Folge gegeben wird, ohne die Intervention der höch- ſten Statsautoritäten, provincielle Flußregulirung, Verträge mit einzelnen Truppen- commando’s über die Einquartierung, den Durchmarſch, die Ernährung der Trup- pen, Verträge zwiſchen Nachbargemeinden verſchiedener Staten über Gemeindever- hältniſſe u. dgl.
443.
Als uneigentliche völkerrechtliche Verträge, weil nicht beiderſeits durch Staten geſchützt, gelten:
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Sechstes Buch.
4. Arten der völkerrechtlichen Verträge.
442.
Als völkerrechtliche Verträge im eigentlichen Sinne gelten
a) voraus die ſogenannten Statenverträge, d. h. die Verträge zwi-
ſchen zwei oder mehreren Staten von öffentlich-rechtlichem Inhalt;
b) ſodann die zwiſchen untergeordneten Aemtern oder Gliedern ver-
ſchiedener Staten innerhalb ihrer Amts- oder Rechtsſphäre ab-
geſchloſſenen Verträge über öffentliche Verhältniſſe.
1. In der erſten Claſſe erſcheinen die Staten ſelber als handelnde Ver-
tragsperſonen, in der zweiten Claſſe untergeordnete Gewalten oder Körperſchaften
im State, aber mit ſtatlicher Ermächtigung. Beiderlei Verträge haben einen öffent-
lich-rechtlichen Inhalt. Es iſt das ſelbſt dann der Fall, wenn etwa ein
Statenvertrag für die privatrechtlichen Verhältniſſe der eigenen Landesangehörigen
in fremdem Lande ſorgt, denn er ordnet und ſchützt hier das Privatrecht mit ſtat-
licher Autorität, ähnlich wie in der Landesgeſetzgebung oder durch die ordentliche
Rechtspflege. Dagegen ſind Verträge von bloß privatrechtlichem Inhalt,
wenn gleich von zwei Staten abgeſchloſſen, nicht völkerrechtlich, weil inſofern die
Staten nicht als Staten, ſondern gleich Privatperſonen contrahiren. Von der Art
ſind z. B. Darlehns-, Kauf- und Miethverträge, wobei es ganz gleichgültig erſcheint,
ob Staten oder ob Privaten dieſelben contrahiren. — Aus ſolchen privatrechtlichen
Verträgen entſteht nur eine privatrechtliche Forderung oder Schuld, welche dem
Fiscus, als dem perſonificirten Privatvermögen des States zugehört.
Nur wenn ausnahmsweiſe ſolche Verträge unter den Schutz des Völkerrechts geſtellt
worden ſind, ſo daß ſie einen Beſtandtheil wirklicher Statenverträge bilden, oder
eine ſtatliche Garantie erhalten haben, dann fallen ſie inſofern in das Gebiet des
Völkerrechts.
2. Bloß partielle völkerrechtliche Verträge der zweiten Claſſe ſind z. B.
Verträge über Grenzregulirung, welche den Provinzialregierungen überlaſſen ſind,
gerichtliche Requiſitionen, denen Folge gegeben wird, ohne die Intervention der höch-
ſten Statsautoritäten, provincielle Flußregulirung, Verträge mit einzelnen Truppen-
commando’s über die Einquartierung, den Durchmarſch, die Ernährung der Trup-
pen, Verträge zwiſchen Nachbargemeinden verſchiedener Staten über Gemeindever-
hältniſſe u. dgl.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/270>, abgerufen am 22.02.2025.
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