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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868.

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Sechstes Buch.
Freiheit einen so hohen Werth, daß sie allgemeine Glaubensverfolgungen nicht mehr
als rechtsverbindlich betrachtet, selbst wenn sie durch Statsverträge verabredet wären.
Die Zeit der Kreuzzüge ist vorbei. Anders freilich ist's, wenn eine Sekte, wie z. B.
die Mormonen, die bürgerliche Rechtsordnung, wenn auch aus scheinbaren oder wirk-
lichen religiösen Motiven ernstlich verletzt.

412.

Völkerrechtswidrig und deßhalb ungültig sind z. B. Verträge

a) welche die Universalherrschaft eines Einzelstats über die Welt
oder
b) die gewaltsame Unterdrückung eines friedlichen und lebensfähigen
States bezwecken.

Vgl. oben § 98 f.

413.

Statenverträge, deren Inhalt das bestehende Verfassungs- und Ge-
setzesrecht eines States außer Wirksamkeit setzt oder abändert, sind, wenn
sie von der repräsentativen Statsautorität abgeschlossen worden sind, nicht
von Anfang an als völkerrechtlich ungültig zu betrachten, aber sie sind
nach Umständen nicht vollziehbar und insofern wird ihre Wirkung gehemmt.

Die Schwierigkeit ist in diesen Fällen nicht eine völkerrechtliche, denn das
Völkerrecht behaftet den Stat, dessen Vertreter den Vertrag abschließt und nimmt
an, es sei Aufgabe der Statsgewalt, durch die nöthigen Aenderungen des Statsrechts
die völkerrechtlichen Zusagen zu verwirklichen. Aber es ist denkbar, daß innerhalb
des Landes
eine solche Bestimmung Widerstand findet und da gilt keineswegs
ein absolutes Vorzugsrecht des Völkerrechts vor dem Statsrecht

in jedem Conflictfall. Sonst könnte in der Form völkerrechtlicher Verträge alles
Verfassungsrecht des Landes entkräftet, und könnten alle gesetzlichen Freiheiten der Bür-
ger beseitigt werden. Der statsrechtlich begründete Widerspruch gegen die Ausführung
solcher verfassungswidriger Vertragsbestimmungen muß also als ein rechtliches Hinderniß
ihrer Ausführung anerkannt und kann nicht durch bloße Gewalt durchbrochen, son-
dern muß in Rechtsform gelöst werden. Eine Ausnahme machen die Friedens-
verträge, mit Rücksicht auf die zwingende Nothwendigkeit, welche in ihnen zur An-
erkennung gelangt. Vgl. unten Buch VIII.

414.

Verträge, deren Inhalt älteren Verträgen mit andern Staten wider-

Sechstes Buch.
Freiheit einen ſo hohen Werth, daß ſie allgemeine Glaubensverfolgungen nicht mehr
als rechtsverbindlich betrachtet, ſelbſt wenn ſie durch Statsverträge verabredet wären.
Die Zeit der Kreuzzüge iſt vorbei. Anders freilich iſt’s, wenn eine Sekte, wie z. B.
die Mormonen, die bürgerliche Rechtsordnung, wenn auch aus ſcheinbaren oder wirk-
lichen religiöſen Motiven ernſtlich verletzt.

412.

Völkerrechtswidrig und deßhalb ungültig ſind z. B. Verträge

a) welche die Univerſalherrſchaft eines Einzelſtats über die Welt
oder
b) die gewaltſame Unterdrückung eines friedlichen und lebensfähigen
States bezwecken.

Vgl. oben § 98 f.

413.

Statenverträge, deren Inhalt das beſtehende Verfaſſungs- und Ge-
ſetzesrecht eines States außer Wirkſamkeit ſetzt oder abändert, ſind, wenn
ſie von der repräſentativen Statsautorität abgeſchloſſen worden ſind, nicht
von Anfang an als völkerrechtlich ungültig zu betrachten, aber ſie ſind
nach Umſtänden nicht vollziehbar und inſofern wird ihre Wirkung gehemmt.

Die Schwierigkeit iſt in dieſen Fällen nicht eine völkerrechtliche, denn das
Völkerrecht behaftet den Stat, deſſen Vertreter den Vertrag abſchließt und nimmt
an, es ſei Aufgabe der Statsgewalt, durch die nöthigen Aenderungen des Statsrechts
die völkerrechtlichen Zuſagen zu verwirklichen. Aber es iſt denkbar, daß innerhalb
des Landes
eine ſolche Beſtimmung Widerſtand findet und da gilt keineswegs
ein abſolutes Vorzugsrecht des Völkerrechts vor dem Statsrecht

in jedem Conflictfall. Sonſt könnte in der Form völkerrechtlicher Verträge alles
Verfaſſungsrecht des Landes entkräftet, und könnten alle geſetzlichen Freiheiten der Bür-
ger beſeitigt werden. Der ſtatsrechtlich begründete Widerſpruch gegen die Ausführung
ſolcher verfaſſungswidriger Vertragsbeſtimmungen muß alſo als ein rechtliches Hinderniß
ihrer Ausführung anerkannt und kann nicht durch bloße Gewalt durchbrochen, ſon-
dern muß in Rechtsform gelöst werden. Eine Ausnahme machen die Friedens-
verträge, mit Rückſicht auf die zwingende Nothwendigkeit, welche in ihnen zur An-
erkennung gelangt. Vgl. unten Buch VIII.

414.

Verträge, deren Inhalt älteren Verträgen mit andern Staten wider-

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[236/0258] Sechstes Buch. Freiheit einen ſo hohen Werth, daß ſie allgemeine Glaubensverfolgungen nicht mehr als rechtsverbindlich betrachtet, ſelbſt wenn ſie durch Statsverträge verabredet wären. Die Zeit der Kreuzzüge iſt vorbei. Anders freilich iſt’s, wenn eine Sekte, wie z. B. die Mormonen, die bürgerliche Rechtsordnung, wenn auch aus ſcheinbaren oder wirk- lichen religiöſen Motiven ernſtlich verletzt. 412. Völkerrechtswidrig und deßhalb ungültig ſind z. B. Verträge a) welche die Univerſalherrſchaft eines Einzelſtats über die Welt oder b) die gewaltſame Unterdrückung eines friedlichen und lebensfähigen States bezwecken. Vgl. oben § 98 f. 413. Statenverträge, deren Inhalt das beſtehende Verfaſſungs- und Ge- ſetzesrecht eines States außer Wirkſamkeit ſetzt oder abändert, ſind, wenn ſie von der repräſentativen Statsautorität abgeſchloſſen worden ſind, nicht von Anfang an als völkerrechtlich ungültig zu betrachten, aber ſie ſind nach Umſtänden nicht vollziehbar und inſofern wird ihre Wirkung gehemmt. Die Schwierigkeit iſt in dieſen Fällen nicht eine völkerrechtliche, denn das Völkerrecht behaftet den Stat, deſſen Vertreter den Vertrag abſchließt und nimmt an, es ſei Aufgabe der Statsgewalt, durch die nöthigen Aenderungen des Statsrechts die völkerrechtlichen Zuſagen zu verwirklichen. Aber es iſt denkbar, daß innerhalb des Landes eine ſolche Beſtimmung Widerſtand findet und da gilt keineswegs ein abſolutes Vorzugsrecht des Völkerrechts vor dem Statsrecht in jedem Conflictfall. Sonſt könnte in der Form völkerrechtlicher Verträge alles Verfaſſungsrecht des Landes entkräftet, und könnten alle geſetzlichen Freiheiten der Bür- ger beſeitigt werden. Der ſtatsrechtlich begründete Widerſpruch gegen die Ausführung ſolcher verfaſſungswidriger Vertragsbeſtimmungen muß alſo als ein rechtliches Hinderniß ihrer Ausführung anerkannt und kann nicht durch bloße Gewalt durchbrochen, ſon- dern muß in Rechtsform gelöst werden. Eine Ausnahme machen die Friedens- verträge, mit Rückſicht auf die zwingende Nothwendigkeit, welche in ihnen zur An- erkennung gelangt. Vgl. unten Buch VIII. 414. Verträge, deren Inhalt älteren Verträgen mit andern Staten wider-

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Zitationshilfe: Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/258>, abgerufen am 21.11.2024.