Der besondere Schutz und die Exemtion von der einheimischen Stats- gewalt, welche den fremden Gesanten gewährt werden, beziehen sich vor- züglich auf ihre Papiere, Acten und Correspondenzen.
198.
Demgemäß sind auch die Curiere, welche mit amtlichen Depeschen von Gesanten und an Gesante geschickt werden, vor policeilicher oder poli- tischer Wegnahme ihrer Depeschen gesichert.
199.
Die Verletzung des Briefgeheimnisses bezüglich der amtlich bezeich- neten Gesantencorrespondenz ist auch als Verletzung des Völkerrechts zu mißbilligen.
Obwohl diese Anwendung des Grundsatzes selbstverständlich ist, so hat sich doch die Praxis mancher Staten so wenig darnach gerichtet, und sich so oft durch das politische Interesse verlocken lassen, die Briefe zu durchspähen, daß eben dieser Mißbrauch dahin geführt hat, wichtige Depeschen in Chiffern zu schreiben und da- durch unleserlich für Dritte zu machen und überdem Depeschen, die man besser sichern will, gar nicht mehr der Post auzuvertrauen, sondern mit besondern Curieren zu versenden.
200.
Mit der Wohnung des Gesanten ist kein Asylrecht verbunden. Viel- mehr ist der Gesante verpflichtet, wenn ein von der einheimischen Gerichts- oder Policeigewalt Verfolgter sich dahin geflüchtet hat, entweder den Flücht- ling an die zuständige Behörde auszuliefern oder die Nachforschung nach demselben auch in seiner Wohnung zu gestatten.
Vgl. oben 77. Als ein englischer Botschafter 1726 in Madrid sich weigerte, den in sein Hotel geflüchteten Spanischen Minister, Herzog von Ripperda, auszu- liefern, wurde derselbe gewaltsam herausgeholt. Ueber die Form des Verfahrens hatte England Grund zur Beschwerde, aber in der Hauptsache war Spanien im Recht (PhillimoreII. 204). In Martens Erzählungen (I. 217) findet sich ein Bericht über den vergeblichen Versuch des englischen Gesanten in Stockholm, den in sein Hotel geflüchteten, wegen eines Statsverbrechens verfolgten Kaufmann Sprin- ger zu retten (1747). Das Hotel wurde von schwedischen Truppen umstellt und der Flüchtling mußte ausgeliefert werden. Der Gesante aber wurde abberufen, weil er zu weit gegangen war in der Ausdehnung seines Schutzes.
Völkerrechtliche Organe.
197.
Der beſondere Schutz und die Exemtion von der einheimiſchen Stats- gewalt, welche den fremden Geſanten gewährt werden, beziehen ſich vor- züglich auf ihre Papiere, Acten und Correſpondenzen.
198.
Demgemäß ſind auch die Curiere, welche mit amtlichen Depeſchen von Geſanten und an Geſante geſchickt werden, vor policeilicher oder poli- tiſcher Wegnahme ihrer Depeſchen geſichert.
199.
Die Verletzung des Briefgeheimniſſes bezüglich der amtlich bezeich- neten Geſantencorreſpondenz iſt auch als Verletzung des Völkerrechts zu mißbilligen.
Obwohl dieſe Anwendung des Grundſatzes ſelbſtverſtändlich iſt, ſo hat ſich doch die Praxis mancher Staten ſo wenig darnach gerichtet, und ſich ſo oft durch das politiſche Intereſſe verlocken laſſen, die Briefe zu durchſpähen, daß eben dieſer Mißbrauch dahin geführt hat, wichtige Depeſchen in Chiffern zu ſchreiben und da- durch unleſerlich für Dritte zu machen und überdem Depeſchen, die man beſſer ſichern will, gar nicht mehr der Poſt auzuvertrauen, ſondern mit beſondern Curieren zu verſenden.
200.
Mit der Wohnung des Geſanten iſt kein Aſylrecht verbunden. Viel- mehr iſt der Geſante verpflichtet, wenn ein von der einheimiſchen Gerichts- oder Policeigewalt Verfolgter ſich dahin geflüchtet hat, entweder den Flücht- ling an die zuſtändige Behörde auszuliefern oder die Nachforſchung nach demſelben auch in ſeiner Wohnung zu geſtatten.
Vgl. oben 77. Als ein engliſcher Botſchafter 1726 in Madrid ſich weigerte, den in ſein Hotel geflüchteten Spaniſchen Miniſter, Herzog von Ripperda, auszu- liefern, wurde derſelbe gewaltſam herausgeholt. Ueber die Form des Verfahrens hatte England Grund zur Beſchwerde, aber in der Hauptſache war Spanien im Recht (PhillimoreII. 204). In Martens Erzählungen (I. 217) findet ſich ein Bericht über den vergeblichen Verſuch des engliſchen Geſanten in Stockholm, den in ſein Hotel geflüchteten, wegen eines Statsverbrechens verfolgten Kaufmann Sprin- ger zu retten (1747). Das Hotel wurde von ſchwediſchen Truppen umſtellt und der Flüchtling mußte ausgeliefert werden. Der Geſante aber wurde abberufen, weil er zu weit gegangen war in der Ausdehnung ſeines Schutzes.
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Völkerrechtliche Organe.
197.
Der beſondere Schutz und die Exemtion von der einheimiſchen Stats-
gewalt, welche den fremden Geſanten gewährt werden, beziehen ſich vor-
züglich auf ihre Papiere, Acten und Correſpondenzen.
198.
Demgemäß ſind auch die Curiere, welche mit amtlichen Depeſchen
von Geſanten und an Geſante geſchickt werden, vor policeilicher oder poli-
tiſcher Wegnahme ihrer Depeſchen geſichert.
199.
Die Verletzung des Briefgeheimniſſes bezüglich der amtlich bezeich-
neten Geſantencorreſpondenz iſt auch als Verletzung des Völkerrechts zu
mißbilligen.
Obwohl dieſe Anwendung des Grundſatzes ſelbſtverſtändlich iſt, ſo hat ſich
doch die Praxis mancher Staten ſo wenig darnach gerichtet, und ſich ſo oft durch
das politiſche Intereſſe verlocken laſſen, die Briefe zu durchſpähen, daß eben dieſer
Mißbrauch dahin geführt hat, wichtige Depeſchen in Chiffern zu ſchreiben und da-
durch unleſerlich für Dritte zu machen und überdem Depeſchen, die man beſſer
ſichern will, gar nicht mehr der Poſt auzuvertrauen, ſondern mit beſondern Curieren
zu verſenden.
200.
Mit der Wohnung des Geſanten iſt kein Aſylrecht verbunden. Viel-
mehr iſt der Geſante verpflichtet, wenn ein von der einheimiſchen Gerichts-
oder Policeigewalt Verfolgter ſich dahin geflüchtet hat, entweder den Flücht-
ling an die zuſtändige Behörde auszuliefern oder die Nachforſchung nach
demſelben auch in ſeiner Wohnung zu geſtatten.
Vgl. oben 77. Als ein engliſcher Botſchafter 1726 in Madrid ſich weigerte,
den in ſein Hotel geflüchteten Spaniſchen Miniſter, Herzog von Ripperda, auszu-
liefern, wurde derſelbe gewaltſam herausgeholt. Ueber die Form des Verfahrens
hatte England Grund zur Beſchwerde, aber in der Hauptſache war Spanien im
Recht (Phillimore II. 204). In Martens Erzählungen (I. 217) findet ſich
ein Bericht über den vergeblichen Verſuch des engliſchen Geſanten in Stockholm, den
in ſein Hotel geflüchteten, wegen eines Statsverbrechens verfolgten Kaufmann Sprin-
ger zu retten (1747). Das Hotel wurde von ſchwediſchen Truppen umſtellt und der
Flüchtling mußte ausgeliefert werden. Der Geſante aber wurde abberufen, weil er
zu weit gegangen war in der Ausdehnung ſeines Schutzes.
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Bluntschli, Johann Caspar: Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Nördlingen, 1868, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bluntschli_voelkerrecht_1868/159>, abgerufen am 21.11.2024.
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