Bluntschli, Johann Caspar: Allgemeine Statslehre. Stuttgart, 1875.Zweites Capitel. Die menschliche Statsidee. Das Weltreich. weise wieder selbständigen Ländern zusammengesetzt sind, ähnlich demromanischen Worte imperium, empire, in welchem zugleich auf die kai- serliche Herrschaft angespielt wird. Enger ist der Sinn des Wortes Land, welches zunächst das äuszere, und zwar ein zusammenhängendes Statsgebiet, dann aber auch den auf diesem Gebiete ruhenden Stat be- zeichnet. Es bildet übrigens dieser Ausdruck den natürlichen Gegensatz zu der griechischen polis, indem er auf die Landschaft zunächst den Stat gründet, wie dieses ihn aus der Stadt erwachsen läszt. Noch enger -- um der Beziehung auf das Individuum willen -- aber zugleich durch die persönliche Hinweisung auf den Zusammenhang und die Vererbung der Blutsverwandtschaft im Lande gehobener und vergeistigter ist das schöne Wort Vaterland, in welchem die ganze volle Liebe und Pietät des einzelnen Statsbürgers zu dem groszen und lebendigen Ganzen, dem er mit seinem Leibe angehört, mit dessen Dasein auch sein Dasein ver- wachsen ist, dem sich zu opfern die höchste Ehre des Mannes ist, sich so verständlich und gemüthlich ausprägt. 1 2. Ich habe in den psychologischen Studien über Stat und Kirche Zweites Capitel. Die menschliche Statsidee. Das Weltreich. Genügt der Statsbegriff, wie ihn die historische Betrach- 1
Euripides in den Phönicierinnen: Zum Vaterland fühlt Jeder sich gezogen. Wer anders redet, Mutter, spielt mit Worten, Und nach der Heimat stehen die Gedanken. Schiller im Wilhelm Tell: Ans Vaterland, ans theure, schliesz' dich an, Das halte fest, mit deinem ganzen Herzen. Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft; Dort in der fremden Welt stehst du allein. Zweites Capitel. Die menschliche Statsidee. Das Weltreich. weise wieder selbständigen Ländern zusammengesetzt sind, ähnlich demromanischen Worte imperium, empire, in welchem zugleich auf die kai- serliche Herrschaft angespielt wird. Enger ist der Sinn des Wortes Land, welches zunächst das äuszere, und zwar ein zusammenhängendes Statsgebiet, dann aber auch den auf diesem Gebiete ruhenden Stat be- zeichnet. Es bildet übrigens dieser Ausdruck den natürlichen Gegensatz zu der griechischen πόλις, indem er auf die Landschaft zunächst den Stat gründet, wie dieses ihn aus der Stadt erwachsen läszt. Noch enger — um der Beziehung auf das Individuum willen — aber zugleich durch die persönliche Hinweisung auf den Zusammenhang und die Vererbung der Blutsverwandtschaft im Lande gehobener und vergeistigter ist das schöne Wort Vaterland, in welchem die ganze volle Liebe und Pietät des einzelnen Statsbürgers zu dem groszen und lebendigen Ganzen, dem er mit seinem Leibe angehört, mit dessen Dasein auch sein Dasein ver- wachsen ist, dem sich zu opfern die höchste Ehre des Mannes ist, sich so verständlich und gemüthlich ausprägt. 1 2. Ich habe in den psychologischen Studien über Stat und Kirche Zweites Capitel. Die menschliche Statsidee. Das Weltreich. Genügt der Statsbegriff, wie ihn die historische Betrach- 1
Euripides in den Phönicierinnen: Zum Vaterland fühlt Jeder sich gezogen. Wer anders redet, Mutter, spielt mit Worten, Und nach der Heimat stehen die Gedanken. Schiller im Wilhelm Tell: Ans Vaterland, ans theure, schliesz' dich an, Das halte fest, mit deinem ganzen Herzen. Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft; Dort in der fremden Welt stehst du allein. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0043" n="25"/><fw place="top" type="header">Zweites Capitel. Die menschliche Statsidee. Das Weltreich.</fw><lb/> weise wieder selbständigen Ländern zusammengesetzt sind, ähnlich dem<lb/> romanischen Worte <hi rendition="#i">imperium</hi>, <hi rendition="#i">empire</hi>, in welchem zugleich auf die <hi rendition="#g">kai-<lb/> serliche</hi> Herrschaft angespielt wird. Enger ist der Sinn des Wortes<lb/><hi rendition="#g">Land</hi>, welches zunächst das äuszere, und zwar ein zusammenhängendes<lb/> Statsgebiet, dann aber auch den auf diesem Gebiete ruhenden Stat be-<lb/> zeichnet. Es bildet übrigens dieser Ausdruck den natürlichen Gegensatz<lb/> zu der griechischen πόλις, indem er auf die Landschaft zunächst den<lb/> Stat gründet, wie dieses ihn aus der Stadt erwachsen läszt. Noch enger<lb/> — um der Beziehung auf das Individuum willen — aber zugleich durch<lb/> die persönliche Hinweisung auf den Zusammenhang und die Vererbung<lb/> der Blutsverwandtschaft im Lande gehobener und vergeistigter ist das<lb/> schöne Wort <hi rendition="#g">Vaterland</hi>, in welchem die ganze volle Liebe und Pietät<lb/> des einzelnen Statsbürgers zu dem groszen und lebendigen Ganzen, dem<lb/> er mit seinem Leibe angehört, mit dessen Dasein auch sein Dasein ver-<lb/> wachsen ist, dem sich zu opfern die höchste Ehre des Mannes ist, sich<lb/> so verständlich und gemüthlich ausprägt. <note place="foot" n="1"><lg type="poem"><l><hi rendition="#g">Euripides</hi> in den</l><lb/><l><hi rendition="#g">Phönicierinnen:</hi></l><lb/><l><hi rendition="#g">Zum Vaterland fühlt Jeder sich gezogen.</hi></l><lb/><l><hi rendition="#g">Wer anders redet, Mutter, spielt mit Worten,</hi></l><lb/><l>Und nach der Heimat stehen die Gedanken.</l></lg><lb/><lg type="poem"><l><hi rendition="#g">Schiller</hi> im Wilhelm Tell:</l><lb/><l>Ans Vaterland, ans theure, schliesz' dich an,</l><lb/><l>Das halte fest, mit deinem ganzen Herzen.</l><lb/><l>Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft;</l><lb/><l>Dort in der fremden Welt stehst du allein.</l></lg></note></p><lb/> <p>2. Ich habe in den psychologischen Studien über Stat und Kirche<lb/> (Zürich 1845) die Männlichkeit des States näher erörtert. Der französische<lb/> Ausdruck: <hi rendition="#i">L'état c'est l'homme</hi> bedeutet nicht blos: Der Stat ist der Mensch<lb/> im Groszen, sondern zugleich: Der Stat ist der Mann im Groszen, wie<lb/> die Kirche die weibliche Natur im Groszen, die Frau darstellt.</p> </div><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>Zweites Capitel.<lb/><hi rendition="#b">Die menschliche Statsidee. Das Weltreich.</hi></head><lb/> <p>Genügt der Statsbegriff, wie ihn die historische Betrach-<lb/> tung der verschiedenen Staten nachzuweisen vermag, dem<lb/> menschlichen Geiste? Die historische Schule fühlt sich wohl<lb/> befriedigt in der Annahme, dasz der Stat der <hi rendition="#g">Körper</hi> sei<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [25/0043]
Zweites Capitel. Die menschliche Statsidee. Das Weltreich.
weise wieder selbständigen Ländern zusammengesetzt sind, ähnlich dem
romanischen Worte imperium, empire, in welchem zugleich auf die kai-
serliche Herrschaft angespielt wird. Enger ist der Sinn des Wortes
Land, welches zunächst das äuszere, und zwar ein zusammenhängendes
Statsgebiet, dann aber auch den auf diesem Gebiete ruhenden Stat be-
zeichnet. Es bildet übrigens dieser Ausdruck den natürlichen Gegensatz
zu der griechischen πόλις, indem er auf die Landschaft zunächst den
Stat gründet, wie dieses ihn aus der Stadt erwachsen läszt. Noch enger
— um der Beziehung auf das Individuum willen — aber zugleich durch
die persönliche Hinweisung auf den Zusammenhang und die Vererbung
der Blutsverwandtschaft im Lande gehobener und vergeistigter ist das
schöne Wort Vaterland, in welchem die ganze volle Liebe und Pietät
des einzelnen Statsbürgers zu dem groszen und lebendigen Ganzen, dem
er mit seinem Leibe angehört, mit dessen Dasein auch sein Dasein ver-
wachsen ist, dem sich zu opfern die höchste Ehre des Mannes ist, sich
so verständlich und gemüthlich ausprägt. 1
2. Ich habe in den psychologischen Studien über Stat und Kirche
(Zürich 1845) die Männlichkeit des States näher erörtert. Der französische
Ausdruck: L'état c'est l'homme bedeutet nicht blos: Der Stat ist der Mensch
im Groszen, sondern zugleich: Der Stat ist der Mann im Groszen, wie
die Kirche die weibliche Natur im Groszen, die Frau darstellt.
Zweites Capitel.
Die menschliche Statsidee. Das Weltreich.
Genügt der Statsbegriff, wie ihn die historische Betrach-
tung der verschiedenen Staten nachzuweisen vermag, dem
menschlichen Geiste? Die historische Schule fühlt sich wohl
befriedigt in der Annahme, dasz der Stat der Körper sei
1 Euripides in den
Phönicierinnen:
Zum Vaterland fühlt Jeder sich gezogen.
Wer anders redet, Mutter, spielt mit Worten,
Und nach der Heimat stehen die Gedanken.
Schiller im Wilhelm Tell:
Ans Vaterland, ans theure, schliesz' dich an,
Das halte fest, mit deinem ganzen Herzen.
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft;
Dort in der fremden Welt stehst du allein.
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