Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 2. Aufl. Göttingen, 1782.

Bild:
<< vorherige Seite

die vermeintlichen Patagonischen Rie-
sen z. B. sind, von Magalhaens Zeiten
bis auf die unsrigen, in den Erzälungen
der Reisenden, von zwölf Fus zu sechs
bis siebenthalb eigekrochen, und bleiben
also nicht größer und nicht kleiner als jeder
andre Mensch von guter Statur. Und daß
Commersons Quimos und andre Zwerg-
nationen auch nichts als abgeschmakte
Erdichtungen nach abentheuren haschender
Landfahrer waren, ist jetzt nun allgemein
bekannt. Die Kackerlacken, Blafards,
Albinos oder weiße Mohren sind nicht
einmal eine Spielart, geschweige eine be-
sondre Gattung, sondern Patienten, deren
Geschichte mehr in die Pathologie als in die
Naturhistorie gehört. Linne's Homo tro-
glodytes
ist ein unbegreifliches Gemische
aus der Geschichte dieser preßhaften kränk-
lichen Menschen, und des Orangutangs:
sein Homo lar hingegen ein wahrer Affe.
Die in Wildnis unter Thieren erwachsenen
Kinder sind klägliche sittliche Monstra, die
man eben so wenig, als andre durch Krank-
heit oder Zufall entstellte Menschen, zum
Muster des Meisterstücks der Schöpfung
anführen darf. Geschwänzte Völker, von
Natur geschürzte Hottentottinnen, Sy-
renen, Centauren, und alle Fabeln von
gleichem Schrot und Korn, verzeihn wir
der gutherzigen Leichtgläubigkeit unsrer lie-
ben Alten.



die vermeintlichen Patagonischen Rie-
sen z. B. sind, von Magalhaens Zeiten
bis auf die unsrigen, in den Erzälungen
der Reisenden, von zwölf Fus zu sechs
bis siebenthalb eigekrochen, und bleiben
also nicht größer und nicht kleiner als jeder
andre Mensch von guter Statur. Und daß
Commersons Quimos und andre Zwerg-
nationen auch nichts als abgeschmakte
Erdichtungen nach abentheuren haschender
Landfahrer waren, ist jetzt nun allgemein
bekannt. Die Kackerlacken, Blafards,
Albinos oder weiße Mohren sind nicht
einmal eine Spielart, geschweige eine be-
sondre Gattung, sondern Patienten, deren
Geschichte mehr in die Pathologie als in die
Naturhistorie gehört. Linne's Homo tro-
glodytes
ist ein unbegreifliches Gemische
aus der Geschichte dieser preßhaften kränk-
lichen Menschen, und des Orangutangs:
sein Homo lar hingegen ein wahrer Affe.
Die in Wildnis unter Thieren erwachsenen
Kinder sind klägliche sittliche Monstra, die
man eben so wenig, als andre durch Krank-
heit oder Zufall entstellte Menschen, zum
Muster des Meisterstücks der Schöpfung
anführen darf. Geschwänzte Völker, von
Natur geschürzte Hottentottinnen, Sy-
renen, Centauren, und alle Fabeln von
gleichem Schrot und Korn, verzeihn wir
der gutherzigen Leichtgläubigkeit unsrer lie-
ben Alten.



<TEI>
  <text xml:id="blume_hbnatur_000023">
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p rendition="#indent-2"><pb facs="#f0073" xml:id="pb061_0001" n="61"/>
die vermeintlichen Patagonischen Rie-<lb/>
sen z. B. sind, von Magalhaens Zeiten<lb/>
bis auf die unsrigen, in den Erzälungen<lb/>
der Reisenden, von zwölf Fus zu sechs<lb/>
bis siebenthalb eigekrochen, und bleiben<lb/>
also nicht größer und nicht kleiner als jeder<lb/>
andre Mensch von guter Statur. Und daß<lb/>
Commersons Quimos und andre Zwerg-<lb/>
nationen auch nichts als abgeschmakte<lb/>
Erdichtungen nach abentheuren haschender<lb/>
Landfahrer waren, ist jetzt nun allgemein<lb/>
bekannt. Die Kackerlacken, Blafards,<lb/>
Albinos oder weiße Mohren sind nicht<lb/>
einmal eine Spielart, geschweige eine be-<lb/>
sondre Gattung, sondern Patienten, deren<lb/>
Geschichte mehr in die Pathologie als in die<lb/>
Naturhistorie gehört. Linne's <hi rendition="#aq">Homo tro-<lb/>
glodytes</hi> ist ein unbegreifliches Gemische<lb/>
aus der Geschichte dieser preßhaften kränk-<lb/>
lichen Menschen, und des Orangutangs:<lb/>
sein <hi rendition="#aq">Homo lar</hi> hingegen ein wahrer Affe.<lb/>
Die in Wildnis unter Thieren erwachsenen<lb/>
Kinder sind klägliche sittliche Monstra, die<lb/>
man eben so wenig, als andre durch Krank-<lb/>
heit oder Zufall entstellte Menschen, zum<lb/>
Muster des Meisterstücks der Schöpfung<lb/>
anführen darf. Geschwänzte Völker, von<lb/>
Natur geschürzte Hottentottinnen, Sy-<lb/>
renen, Centauren, und alle Fabeln von<lb/>
gleichem Schrot und Korn, verzeihn wir<lb/>
der gutherzigen Leichtgläubigkeit unsrer lie-<lb/>
ben Alten.</p>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
          <div n="3">
</div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0073] die vermeintlichen Patagonischen Rie- sen z. B. sind, von Magalhaens Zeiten bis auf die unsrigen, in den Erzälungen der Reisenden, von zwölf Fus zu sechs bis siebenthalb eigekrochen, und bleiben also nicht größer und nicht kleiner als jeder andre Mensch von guter Statur. Und daß Commersons Quimos und andre Zwerg- nationen auch nichts als abgeschmakte Erdichtungen nach abentheuren haschender Landfahrer waren, ist jetzt nun allgemein bekannt. Die Kackerlacken, Blafards, Albinos oder weiße Mohren sind nicht einmal eine Spielart, geschweige eine be- sondre Gattung, sondern Patienten, deren Geschichte mehr in die Pathologie als in die Naturhistorie gehört. Linne's Homo tro- glodytes ist ein unbegreifliches Gemische aus der Geschichte dieser preßhaften kränk- lichen Menschen, und des Orangutangs: sein Homo lar hingegen ein wahrer Affe. Die in Wildnis unter Thieren erwachsenen Kinder sind klägliche sittliche Monstra, die man eben so wenig, als andre durch Krank- heit oder Zufall entstellte Menschen, zum Muster des Meisterstücks der Schöpfung anführen darf. Geschwänzte Völker, von Natur geschürzte Hottentottinnen, Sy- renen, Centauren, und alle Fabeln von gleichem Schrot und Korn, verzeihn wir der gutherzigen Leichtgläubigkeit unsrer lie- ben Alten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Editura GmbH & Co.KG, Berlin: Volltexterstellung und Basis-TEI-Auszeichung
Johann Friedrich Blumenbach – online: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-08-26T09:00:15Z)
Frank Wiegand: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2013-08-26T09:00:15Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Nicht erfasst: Bogensignaturen und Kustoden, Kolumnentitel.
  • Auf Titelblättern wurde auf die Auszeichnung der Schriftgrößenunterschiede zugunsten der Identifizierung von <titlePart>s verzichtet.
  • Keine Auszeichnung der Initialbuchstaben am Kapitelanfang.
  • Langes ſ: als s transkribiert.
  • Hochgestellte e über Vokalen: in moderner Schreibweise erfasst.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1782
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1782/73
Zitationshilfe: Blumenbach, Johann Friedrich: Handbuch der Naturgeschichte. 2. Aufl. Göttingen, 1782, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/blumenbach_naturgeschichte_1782/73>, abgerufen am 21.11.2024.