Beantwortung der Frage. Reichstadter Convention. Türkenkrieg.
uns geheim zu halten. Diese Convention1), nicht der Berliner Congreß, ist die Grundlage des östreichischen Besitzes an Bosnien und der Herzegowina und hat den Russen während ihres Krieges mit den Türken die Neutralität Oestreichs gesichert.
II.
Daß das russische Cabinet in den Abmachungen von Reich¬ stadt den Oestreichern für ihre Neutralität die Erwerbung Bosniens zugestanden hat, läßt annehmen, daß Herr von Oubril uns nicht die Wahrheit sagte, indem er versicherte, es werde sich in dem Balkankriege nur um eine promenade militaire, um Beschäftigung des trop plein des Heeres und um Roßschweife und Georgenkreuze handeln; dafür wäre Bosnien ein zu hoher Preis gewesen. Wahr¬ scheinlich hatte man in Petersburg darauf gerechnet, daß Bulgarien, wenn von der Türkei losgelöst, dauernd in Abhängigkeit von Rußland bleiben werde. Diese Berechnung würde wahrscheinlich auch dann nicht zugetroffen sein, wenn der Friede von San Stefano ungeschmälert zur Ausführung gekommen wäre. Um nicht vor dem eignen Volke für diesen Irrthum verantwortlich zu sein, hat man sich mit Erfolg be¬ müht, der deutschen Politik, der "Untreue" des deutschen Freundes die Schuld für den unbefriedigenden Ausgang des Krieges aufzubürden. Es war das eine unehrliche Fiction; wir hatten niemals etwas Andres in Aussicht gestellt als wohlwollende Neutralität, und wie ehrlich wir es damit gemeint haben, ergibt sich schon daraus, daß wir uns durch die von Rußland verlangte Geheimhaltung der Reichstadter Abmachungen vor uns in unserm Vertrauen und Wohlwollen für Rußland nicht irre machen ließen, sondern bereitwillig dem Wunsche, den der Graf Peter Schuwalow mir nach Friedrichsruh überbrachte, entgegen kamen, einen Congreß nach Berlin zu berufen. Der Wunsch
1) Abgeschlossen am 15. Januar 1877.
Beantwortung der Frage. Reichſtadter Convention. Türkenkrieg.
uns geheim zu halten. Dieſe Convention1), nicht der Berliner Congreß, iſt die Grundlage des öſtreichiſchen Beſitzes an Bosnien und der Herzegowina und hat den Ruſſen während ihres Krieges mit den Türken die Neutralität Oeſtreichs geſichert.
II.
Daß das ruſſiſche Cabinet in den Abmachungen von Reich¬ ſtadt den Oeſtreichern für ihre Neutralität die Erwerbung Bosniens zugeſtanden hat, läßt annehmen, daß Herr von Oubril uns nicht die Wahrheit ſagte, indem er verſicherte, es werde ſich in dem Balkankriege nur um eine promenade militaire, um Beſchäftigung des trop plein des Heeres und um Roßſchweife und Georgenkreuze handeln; dafür wäre Bosnien ein zu hoher Preis geweſen. Wahr¬ ſcheinlich hatte man in Petersburg darauf gerechnet, daß Bulgarien, wenn von der Türkei losgelöſt, dauernd in Abhängigkeit von Rußland bleiben werde. Dieſe Berechnung würde wahrſcheinlich auch dann nicht zugetroffen ſein, wenn der Friede von San Stefano ungeſchmälert zur Ausführung gekommen wäre. Um nicht vor dem eignen Volke für dieſen Irrthum verantwortlich zu ſein, hat man ſich mit Erfolg be¬ müht, der deutſchen Politik, der „Untreue“ des deutſchen Freundes die Schuld für den unbefriedigenden Ausgang des Krieges aufzubürden. Es war das eine unehrliche Fiction; wir hatten niemals etwas Andres in Ausſicht geſtellt als wohlwollende Neutralität, und wie ehrlich wir es damit gemeint haben, ergibt ſich ſchon daraus, daß wir uns durch die von Rußland verlangte Geheimhaltung der Reichſtadter Abmachungen vor uns in unſerm Vertrauen und Wohlwollen für Rußland nicht irre machen ließen, ſondern bereitwillig dem Wunſche, den der Graf Peter Schuwalow mir nach Friedrichsruh überbrachte, entgegen kamen, einen Congreß nach Berlin zu berufen. Der Wunſch
1) Abgeſchloſſen am 15. Januar 1877.
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Beantwortung der Frage. Reichſtadter Convention. Türkenkrieg.
uns geheim zu halten. Dieſe Convention 1), nicht der Berliner
Congreß, iſt die Grundlage des öſtreichiſchen Beſitzes an Bosnien
und der Herzegowina und hat den Ruſſen während ihres Krieges
mit den Türken die Neutralität Oeſtreichs geſichert.
II.
Daß das ruſſiſche Cabinet in den Abmachungen von Reich¬
ſtadt den Oeſtreichern für ihre Neutralität die Erwerbung Bosniens
zugeſtanden hat, läßt annehmen, daß Herr von Oubril uns nicht
die Wahrheit ſagte, indem er verſicherte, es werde ſich in dem
Balkankriege nur um eine promenade militaire, um Beſchäftigung
des trop plein des Heeres und um Roßſchweife und Georgenkreuze
handeln; dafür wäre Bosnien ein zu hoher Preis geweſen. Wahr¬
ſcheinlich hatte man in Petersburg darauf gerechnet, daß Bulgarien,
wenn von der Türkei losgelöſt, dauernd in Abhängigkeit von Rußland
bleiben werde. Dieſe Berechnung würde wahrſcheinlich auch dann nicht
zugetroffen ſein, wenn der Friede von San Stefano ungeſchmälert zur
Ausführung gekommen wäre. Um nicht vor dem eignen Volke für
dieſen Irrthum verantwortlich zu ſein, hat man ſich mit Erfolg be¬
müht, der deutſchen Politik, der „Untreue“ des deutſchen Freundes die
Schuld für den unbefriedigenden Ausgang des Krieges aufzubürden.
Es war das eine unehrliche Fiction; wir hatten niemals etwas Andres
in Ausſicht geſtellt als wohlwollende Neutralität, und wie ehrlich
wir es damit gemeint haben, ergibt ſich ſchon daraus, daß wir uns
durch die von Rußland verlangte Geheimhaltung der Reichſtadter
Abmachungen vor uns in unſerm Vertrauen und Wohlwollen für
Rußland nicht irre machen ließen, ſondern bereitwillig dem Wunſche,
den der Graf Peter Schuwalow mir nach Friedrichsruh überbrachte,
entgegen kamen, einen Congreß nach Berlin zu berufen. Der Wunſch
1) Abgeſchloſſen am 15. Januar 1877.
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/239>, abgerufen am 22.02.2025.
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