behaltlos für den Reichsrath wählte. Damals hatte ich zu Graf Goluchowski gesagt: ,Si cela se fait, les Slaves sont mis au pied du mur' -- eine von der obigen sehr verschiedene Aeußerung."
Ich habe unter meinen Argumenten für Auflösung besonders geltend gemacht, daß dem Reichstage ohne Verletzung seines An¬ sehns die Zurücknahme seines Beschlusses nur durch vorgängige Auf¬ lösung möglich gemacht werden könne. Ob hervorragende National¬ liberale damals die Absicht hatten, nur meine Collegen oder meine Nachfolger zu werden, kann unentschieden bleiben, da erstres immer den Uebergang zu der andern Alternative bilden konnte; den zweifels¬ freien Eindruck aber hatte ich, daß zwischen einigen meiner Collegen, einigen Nationalliberalen und einigen Leuten von Einfluß am Hofe und im Centrum über die Theilung meiner politischen Erbschaft die Verhandlungen bis zur Verständigung oder nahezu so weit gediehn waren. Diese Verständigung bedingte ein ähnliches Aggregat wie in dem Ministerium Gladstone zwischen Liberalismus und Katholicis¬ mus. Der Letztre reichte durch die nächsten Umgebungen der Kaiserin Augusta, einschließlich des Einflusses der "Reichsglocke", des Haus¬ ministers von Schleinitz bis in das Palais des alten Kaisers; und bei ihm fand der Gesammtangriff gegen mich einen thätigen Bundes¬ genossen in dem General von Stosch. Derselbe hatte auch am kron¬ prinzlichen Hofe eine gute Stellung, theils direct durch eignes Talent, theils mit Hülfe des Herrn von Normann und seiner Frau, mit denen er schon von Magdeburg her vertraut war und deren Ueber¬ siedlung nach Berlin er vermittelt hatte.
IV.
Bei dem Plane, mich durch ein Cabinet Gladstone zu ersetzen, war auf den Grafen Botho Eulenburg gerechnet, seit dem 31. März 1878 Minister des Innern, welchem seine Verwandschaft den traditio¬ nellen Hofeinfluß seiner und der Dönhoffschen Familie sicherte. Er
Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.
behaltlos für den Reichsrath wählte. Damals hatte ich zu Graf Goluchowſki geſagt: ,Si cela se fait, les Slaves sont mis au pied du mur‘ — eine von der obigen ſehr verſchiedene Aeußerung.“
Ich habe unter meinen Argumenten für Auflöſung beſonders geltend gemacht, daß dem Reichstage ohne Verletzung ſeines An¬ ſehns die Zurücknahme ſeines Beſchluſſes nur durch vorgängige Auf¬ löſung möglich gemacht werden könne. Ob hervorragende National¬ liberale damals die Abſicht hatten, nur meine Collegen oder meine Nachfolger zu werden, kann unentſchieden bleiben, da erſtres immer den Uebergang zu der andern Alternative bilden konnte; den zweifels¬ freien Eindruck aber hatte ich, daß zwiſchen einigen meiner Collegen, einigen Nationalliberalen und einigen Leuten von Einfluß am Hofe und im Centrum über die Theilung meiner politiſchen Erbſchaft die Verhandlungen bis zur Verſtändigung oder nahezu ſo weit gediehn waren. Dieſe Verſtändigung bedingte ein ähnliches Aggregat wie in dem Miniſterium Gladſtone zwiſchen Liberalismus und Katholicis¬ mus. Der Letztre reichte durch die nächſten Umgebungen der Kaiſerin Auguſta, einſchließlich des Einfluſſes der „Reichsglocke“, des Haus¬ miniſters von Schleinitz bis in das Palais des alten Kaiſers; und bei ihm fand der Geſammtangriff gegen mich einen thätigen Bundes¬ genoſſen in dem General von Stoſch. Derſelbe hatte auch am kron¬ prinzlichen Hofe eine gute Stellung, theils direct durch eignes Talent, theils mit Hülfe des Herrn von Normann und ſeiner Frau, mit denen er ſchon von Magdeburg her vertraut war und deren Ueber¬ ſiedlung nach Berlin er vermittelt hatte.
IV.
Bei dem Plane, mich durch ein Cabinet Gladſtone zu erſetzen, war auf den Grafen Botho Eulenburg gerechnet, ſeit dem 31. März 1878 Miniſter des Innern, welchem ſeine Verwandſchaft den traditio¬ nellen Hofeinfluß ſeiner und der Dönhoffſchen Familie ſicherte. Er
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0212"n="188"/><fwplace="top"type="header">Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.<lb/></fw>behaltlos für den Reichsrath wählte. Damals hatte ich zu Graf<lb/>
Goluchowſki geſagt: <hirendition="#aq">,Si cela se fait, les Slaves sont mis au pied<lb/>
du mur‘</hi>— eine von der obigen ſehr verſchiedene Aeußerung.“</p><lb/><p>Ich habe unter meinen Argumenten für Auflöſung beſonders<lb/>
geltend gemacht, daß dem Reichstage ohne Verletzung ſeines An¬<lb/>ſehns die Zurücknahme ſeines Beſchluſſes nur durch vorgängige Auf¬<lb/>
löſung möglich gemacht werden könne. Ob hervorragende National¬<lb/>
liberale damals die Abſicht hatten, nur meine Collegen oder meine<lb/>
Nachfolger zu werden, kann unentſchieden bleiben, da erſtres immer<lb/>
den Uebergang zu der andern Alternative bilden konnte; den zweifels¬<lb/>
freien Eindruck aber hatte ich, daß zwiſchen einigen meiner Collegen,<lb/>
einigen Nationalliberalen und einigen Leuten von Einfluß am Hofe<lb/>
und im Centrum über die Theilung meiner politiſchen Erbſchaft die<lb/>
Verhandlungen bis zur Verſtändigung oder nahezu ſo weit gediehn<lb/>
waren. Dieſe Verſtändigung bedingte ein ähnliches Aggregat wie in<lb/>
dem Miniſterium Gladſtone zwiſchen Liberalismus und Katholicis¬<lb/>
mus. Der Letztre reichte durch die nächſten Umgebungen der Kaiſerin<lb/>
Auguſta, einſchließlich des Einfluſſes der „Reichsglocke“, des Haus¬<lb/>
miniſters von Schleinitz bis in das Palais des alten Kaiſers; und bei<lb/>
ihm fand der Geſammtangriff gegen mich einen thätigen Bundes¬<lb/>
genoſſen in dem General von Stoſch. Derſelbe hatte auch am kron¬<lb/>
prinzlichen Hofe eine gute Stellung, theils direct durch eignes Talent,<lb/>
theils mit Hülfe des Herrn von Normann und ſeiner Frau, mit<lb/>
denen er ſchon von Magdeburg her vertraut war und deren Ueber¬<lb/>ſiedlung nach Berlin er vermittelt hatte.</p><lb/></div><divn="2"><head><hirendition="#aq">IV.</hi><lb/></head><p>Bei dem Plane, mich durch ein Cabinet Gladſtone zu erſetzen,<lb/>
war auf den Grafen Botho Eulenburg gerechnet, ſeit dem 31. März<lb/>
1878 Miniſter des Innern, welchem ſeine Verwandſchaft den traditio¬<lb/>
nellen Hofeinfluß ſeiner und der Dönhoffſchen Familie ſicherte. Er<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[188/0212]
Sechsundzwanzigſtes Kapitel: Intrigen.
behaltlos für den Reichsrath wählte. Damals hatte ich zu Graf
Goluchowſki geſagt: ,Si cela se fait, les Slaves sont mis au pied
du mur‘ — eine von der obigen ſehr verſchiedene Aeußerung.“
Ich habe unter meinen Argumenten für Auflöſung beſonders
geltend gemacht, daß dem Reichstage ohne Verletzung ſeines An¬
ſehns die Zurücknahme ſeines Beſchluſſes nur durch vorgängige Auf¬
löſung möglich gemacht werden könne. Ob hervorragende National¬
liberale damals die Abſicht hatten, nur meine Collegen oder meine
Nachfolger zu werden, kann unentſchieden bleiben, da erſtres immer
den Uebergang zu der andern Alternative bilden konnte; den zweifels¬
freien Eindruck aber hatte ich, daß zwiſchen einigen meiner Collegen,
einigen Nationalliberalen und einigen Leuten von Einfluß am Hofe
und im Centrum über die Theilung meiner politiſchen Erbſchaft die
Verhandlungen bis zur Verſtändigung oder nahezu ſo weit gediehn
waren. Dieſe Verſtändigung bedingte ein ähnliches Aggregat wie in
dem Miniſterium Gladſtone zwiſchen Liberalismus und Katholicis¬
mus. Der Letztre reichte durch die nächſten Umgebungen der Kaiſerin
Auguſta, einſchließlich des Einfluſſes der „Reichsglocke“, des Haus¬
miniſters von Schleinitz bis in das Palais des alten Kaiſers; und bei
ihm fand der Geſammtangriff gegen mich einen thätigen Bundes¬
genoſſen in dem General von Stoſch. Derſelbe hatte auch am kron¬
prinzlichen Hofe eine gute Stellung, theils direct durch eignes Talent,
theils mit Hülfe des Herrn von Normann und ſeiner Frau, mit
denen er ſchon von Magdeburg her vertraut war und deren Ueber¬
ſiedlung nach Berlin er vermittelt hatte.
IV.
Bei dem Plane, mich durch ein Cabinet Gladſtone zu erſetzen,
war auf den Grafen Botho Eulenburg gerechnet, ſeit dem 31. März
1878 Miniſter des Innern, welchem ſeine Verwandſchaft den traditio¬
nellen Hofeinfluß ſeiner und der Dönhoffſchen Familie ſicherte. Er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/212>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.