Sorgen und Erwägungen. Bedrohte Stellung vor Paris.
III.
Es ist nicht anzunehmen, daß die übrigen Generale von rein militärischem Standpunkte andrer Meinung als Roon sein konnten; unsre Stellung zwischen der uns an Zahl überlegnen ein¬ geschlossenen Armee und den französischen Streitkräften in den Pro¬ vinzen war strategisch eine bedrohte und ihr Festhalten nicht er¬ folgversprechend, wenn man sie nicht als Basis angriffsweisen Fort¬ schreitens benutzte. Das Bedürfniß, ihr bald ein Ende zu machen, war in militärischen Kreisen in Versailles ebenso lebhaft wie die Beunruhigung in der Heimath über die Stagnation. Man brauchte noch garnicht mit der Möglichkeit von Krankheiten und unvor¬ hergesehnen Rückschlägen infolge von Unglück oder Ungeschick zu rechnen, um von selbst auf den Gedankengang zu gerathen, der mich beunruhigte, und sich zu fragen, ob das Ansehn und der politische Eindruck, die das Ergebniß unsrer ersten raschen und großen Siege an den neutralen Höfen gewesen waren, nicht vor der scheinbaren Thatlosigkeit und Schwäche unsrer Haltung vor Paris verblassen würden und ob die Begeisterung anhalten würde, in deren Feuer sich eine haltbare Einheit schmieden ließ.
Die Kämpfe in den Provinzen bei Orleans und Dijon blieben Dank der heldenmüthigen Tapferkeit der Truppen, wie sie in dem Maße nicht immer als Unterlage strategischer Berechnung voraus¬ gesetzt werden kann, für uns siegreich. In dem Gedanken, daß der geistige Schwung, mit dem unsre Minderheiten dort trotz Frost, Schnee und Mangel an Lebensmitteln und Kriegsmaterial die numerisch stärkern französischen Massen überwunden hatten, durch irgend welche Zufälligkeiten gelähmt werden könnte, mußte jeder Heerführer, der nicht ausschließlich mit optimistischen Con¬ jecturen rechnete, zu der Ueberzeugung kommen, daß wir bestrebt sein müßten, durch Förderung unsres Angriffs auf Paris unsrer ungewissen Situation so bald als möglich ein Ende zu machen.
Sorgen und Erwägungen. Bedrohte Stellung vor Paris.
III.
Es iſt nicht anzunehmen, daß die übrigen Generale von rein militäriſchem Standpunkte andrer Meinung als Roon ſein konnten; unſre Stellung zwiſchen der uns an Zahl überlegnen ein¬ geſchloſſenen Armee und den franzöſiſchen Streitkräften in den Pro¬ vinzen war ſtrategiſch eine bedrohte und ihr Feſthalten nicht er¬ folgverſprechend, wenn man ſie nicht als Baſis angriffsweiſen Fort¬ ſchreitens benutzte. Das Bedürfniß, ihr bald ein Ende zu machen, war in militäriſchen Kreiſen in Verſailles ebenſo lebhaft wie die Beunruhigung in der Heimath über die Stagnation. Man brauchte noch garnicht mit der Möglichkeit von Krankheiten und unvor¬ hergeſehnen Rückſchlägen infolge von Unglück oder Ungeſchick zu rechnen, um von ſelbſt auf den Gedankengang zu gerathen, der mich beunruhigte, und ſich zu fragen, ob das Anſehn und der politiſche Eindruck, die das Ergebniß unſrer erſten raſchen und großen Siege an den neutralen Höfen geweſen waren, nicht vor der ſcheinbaren Thatloſigkeit und Schwäche unſrer Haltung vor Paris verblaſſen würden und ob die Begeiſterung anhalten würde, in deren Feuer ſich eine haltbare Einheit ſchmieden ließ.
Die Kämpfe in den Provinzen bei Orleans und Dijon blieben Dank der heldenmüthigen Tapferkeit der Truppen, wie ſie in dem Maße nicht immer als Unterlage ſtrategiſcher Berechnung voraus¬ geſetzt werden kann, für uns ſiegreich. In dem Gedanken, daß der geiſtige Schwung, mit dem unſre Minderheiten dort trotz Froſt, Schnee und Mangel an Lebensmitteln und Kriegsmaterial die numeriſch ſtärkern franzöſiſchen Maſſen überwunden hatten, durch irgend welche Zufälligkeiten gelähmt werden könnte, mußte jeder Heerführer, der nicht ausſchließlich mit optimiſtiſchen Con¬ jecturen rechnete, zu der Ueberzeugung kommen, daß wir beſtrebt ſein müßten, durch Förderung unſres Angriffs auf Paris unſrer ungewiſſen Situation ſo bald als möglich ein Ende zu machen.
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Sorgen und Erwägungen. Bedrohte Stellung vor Paris.
III.
Es iſt nicht anzunehmen, daß die übrigen Generale von rein
militäriſchem Standpunkte andrer Meinung als Roon ſein
konnten; unſre Stellung zwiſchen der uns an Zahl überlegnen ein¬
geſchloſſenen Armee und den franzöſiſchen Streitkräften in den Pro¬
vinzen war ſtrategiſch eine bedrohte und ihr Feſthalten nicht er¬
folgverſprechend, wenn man ſie nicht als Baſis angriffsweiſen Fort¬
ſchreitens benutzte. Das Bedürfniß, ihr bald ein Ende zu machen,
war in militäriſchen Kreiſen in Verſailles ebenſo lebhaft wie die
Beunruhigung in der Heimath über die Stagnation. Man brauchte
noch garnicht mit der Möglichkeit von Krankheiten und unvor¬
hergeſehnen Rückſchlägen infolge von Unglück oder Ungeſchick zu
rechnen, um von ſelbſt auf den Gedankengang zu gerathen, der
mich beunruhigte, und ſich zu fragen, ob das Anſehn und der
politiſche Eindruck, die das Ergebniß unſrer erſten raſchen und
großen Siege an den neutralen Höfen geweſen waren, nicht vor
der ſcheinbaren Thatloſigkeit und Schwäche unſrer Haltung vor
Paris verblaſſen würden und ob die Begeiſterung anhalten würde,
in deren Feuer ſich eine haltbare Einheit ſchmieden ließ.
Die Kämpfe in den Provinzen bei Orleans und Dijon blieben
Dank der heldenmüthigen Tapferkeit der Truppen, wie ſie in dem
Maße nicht immer als Unterlage ſtrategiſcher Berechnung voraus¬
geſetzt werden kann, für uns ſiegreich. In dem Gedanken, daß
der geiſtige Schwung, mit dem unſre Minderheiten dort trotz
Froſt, Schnee und Mangel an Lebensmitteln und Kriegsmaterial
die numeriſch ſtärkern franzöſiſchen Maſſen überwunden hatten,
durch irgend welche Zufälligkeiten gelähmt werden könnte, mußte
jeder Heerführer, der nicht ausſchließlich mit optimiſtiſchen Con¬
jecturen rechnete, zu der Ueberzeugung kommen, daß wir beſtrebt
ſein müßten, durch Förderung unſres Angriffs auf Paris unſrer
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Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 2. Stuttgart, 1898, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen02_1898/135>, abgerufen am 22.02.2025.
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