Das Mißvergnügen über meinen Verkehr mit Napoleon ent¬ sprang aus dem Begriffe oder genauer gesprochen dem Worte Legitimität, das in dem modernen Sinne von Talleyrand ge¬ prägt und 1814 und 1815 mit großem Erfolge und zum Vortheil der Bourbonen als eine täuschende Zauberformel benutzt worden ist.
Ich schalte hier einige Stücke aus meiner Correspondenz mit Gerlach ein, die etwas später fallen, deren Anlaß aber schon in den oben mitgetheilten Bruchstücken seiner Briefe zu erkennen ist.
"Frankfurt, den 2. Mai 18571).
... So einstimmig wir in Betreff der innern Politik sind, so wenig kann ich mich in Ihre Auffassung der äußern hineinleben, der ich im Allgemeinen den Vorwurf mache, daß sie die Reali¬ täten ignorirt. Sie gehn davon aus, daß ich einem vereinzelten Manne, der mir imponire, das Prinzip opfre. Ich lehne mich gegen Vorder- und Nachsatz auf. Der Mann imponirt mir durchaus nicht. Die Fähigkeit, Menschen zu bewundern, ist in mir nur mäßig ausgebildet, und [es ist] vielmehr ein Fehler meines Auges, daß es schärfer für Schwächen als für Vorzüge ist. Wenn mein letzter Brief etwa ein lebhafteres Colorit hat, so bitte ich das mehr als rhetorisches Hülfsmittel zu betrachten, mit dem ich auf Sie habe wirken wollen. Was aber das von mir geopferte Prinzip betrifft, so kann ich mir das, was Sie damit meinen, concret nicht recht formuliren und bitte Sie, diesen Punkt in einer Antwort wieder aufzunehmen, da ich das Bedürfniß habe, mit Ihnen prin¬ zipiell nicht auseinander zu gehn. Meinen Sie damit ein auf Frankreich und seine Legitimität anzuwendendes Prinzip, so gestehe ich allerdings, daß ich dieses meinem specifisch Preußi¬ schen Patriotismus vollständig unterordne; Frankreich inter¬
1) Briefe Bismarck's an Gerlach, S. 314 ff.
Achtes Kapitel: Beſuch in Paris.
II.
Das Mißvergnügen über meinen Verkehr mit Napoleon ent¬ ſprang aus dem Begriffe oder genauer geſprochen dem Worte Legitimität, das in dem modernen Sinne von Talleyrand ge¬ prägt und 1814 und 1815 mit großem Erfolge und zum Vortheil der Bourbonen als eine täuſchende Zauberformel benutzt worden iſt.
Ich ſchalte hier einige Stücke aus meiner Correſpondenz mit Gerlach ein, die etwas ſpäter fallen, deren Anlaß aber ſchon in den oben mitgetheilten Bruchſtücken ſeiner Briefe zu erkennen iſt.
„Frankfurt, den 2. Mai 18571).
... So einſtimmig wir in Betreff der innern Politik ſind, ſo wenig kann ich mich in Ihre Auffaſſung der äußern hineinleben, der ich im Allgemeinen den Vorwurf mache, daß ſie die Reali¬ täten ignorirt. Sie gehn davon aus, daß ich einem vereinzelten Manne, der mir imponire, das Prinzip opfre. Ich lehne mich gegen Vorder- und Nachſatz auf. Der Mann imponirt mir durchaus nicht. Die Fähigkeit, Menſchen zu bewundern, iſt in mir nur mäßig ausgebildet, und [es iſt] vielmehr ein Fehler meines Auges, daß es ſchärfer für Schwächen als für Vorzüge iſt. Wenn mein letzter Brief etwa ein lebhafteres Colorit hat, ſo bitte ich das mehr als rhetoriſches Hülfsmittel zu betrachten, mit dem ich auf Sie habe wirken wollen. Was aber das von mir geopferte Prinzip betrifft, ſo kann ich mir das, was Sie damit meinen, concret nicht recht formuliren und bitte Sie, dieſen Punkt in einer Antwort wieder aufzunehmen, da ich das Bedürfniß habe, mit Ihnen prin¬ zipiell nicht auseinander zu gehn. Meinen Sie damit ein auf Frankreich und ſeine Legitimität anzuwendendes Prinzip, ſo geſtehe ich allerdings, daß ich dieſes meinem ſpecifiſch Preußi¬ ſchen Patriotismus vollſtändig unterordne; Frankreich inter¬
1) Briefe Bismarck's an Gerlach, S. 314 ff.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0183"n="156"/><fwplace="top"type="header">Achtes Kapitel: Beſuch in Paris.<lb/></fw></div><divn="2"><head><hirendition="#aq">II.</hi><lb/></head><p>Das Mißvergnügen über meinen Verkehr mit Napoleon ent¬<lb/>ſprang aus dem Begriffe oder genauer geſprochen dem Worte<lb/><hirendition="#g">Legitimität</hi>, das in dem modernen Sinne von Talleyrand ge¬<lb/>
prägt und 1814 und 1815 mit großem Erfolge und zum Vortheil<lb/>
der Bourbonen als eine täuſchende Zauberformel benutzt worden iſt.</p><lb/><p>Ich ſchalte hier einige Stücke aus meiner Correſpondenz mit<lb/>
Gerlach ein, die etwas ſpäter fallen, deren Anlaß aber ſchon in<lb/>
den oben mitgetheilten Bruchſtücken ſeiner Briefe zu erkennen iſt.</p><lb/><p><hirendition="#right">„Frankfurt, den 2. Mai 1857</hi><noteplace="foot"n="1)"><lb/>
Briefe Bismarck's an Gerlach, S. 314 ff.</note>.</p><lb/><p>... So einſtimmig wir in Betreff der innern Politik ſind, ſo<lb/>
wenig kann ich mich in Ihre Auffaſſung der äußern hineinleben,<lb/>
der ich im Allgemeinen den Vorwurf mache, daß ſie <hirendition="#g">die Reali¬<lb/>
täten ignorirt</hi>. Sie gehn davon aus, daß ich einem vereinzelten<lb/>
Manne, der mir imponire, das Prinzip opfre. Ich lehne mich gegen<lb/>
Vorder- und Nachſatz auf. Der Mann imponirt mir durchaus<lb/>
nicht. Die Fähigkeit, Menſchen zu bewundern, iſt in mir nur<lb/>
mäßig ausgebildet, und [es iſt] vielmehr ein Fehler meines Auges,<lb/>
daß es ſchärfer für Schwächen als für Vorzüge iſt. Wenn mein<lb/>
letzter Brief etwa ein lebhafteres Colorit hat, ſo bitte ich das mehr<lb/>
als rhetoriſches Hülfsmittel zu betrachten, mit dem ich auf Sie<lb/>
habe wirken wollen. Was aber das von mir geopferte Prinzip<lb/>
betrifft, ſo kann ich mir das, was Sie damit meinen, concret nicht<lb/>
recht formuliren und bitte Sie, dieſen Punkt in einer Antwort<lb/>
wieder aufzunehmen, da ich das Bedürfniß habe, mit Ihnen prin¬<lb/>
zipiell nicht auseinander zu gehn. Meinen Sie damit ein auf<lb/><hirendition="#g">Frankreich und ſeine Legitimität</hi> anzuwendendes Prinzip, ſo<lb/>
geſtehe ich allerdings, daß ich dieſes meinem <hirendition="#g">ſpecifiſch Preußi¬<lb/>ſchen Patriotismus vollſtändig</hi> unterordne; Frankreich inter¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[156/0183]
Achtes Kapitel: Beſuch in Paris.
II.
Das Mißvergnügen über meinen Verkehr mit Napoleon ent¬
ſprang aus dem Begriffe oder genauer geſprochen dem Worte
Legitimität, das in dem modernen Sinne von Talleyrand ge¬
prägt und 1814 und 1815 mit großem Erfolge und zum Vortheil
der Bourbonen als eine täuſchende Zauberformel benutzt worden iſt.
Ich ſchalte hier einige Stücke aus meiner Correſpondenz mit
Gerlach ein, die etwas ſpäter fallen, deren Anlaß aber ſchon in
den oben mitgetheilten Bruchſtücken ſeiner Briefe zu erkennen iſt.
„Frankfurt, den 2. Mai 1857 1).
... So einſtimmig wir in Betreff der innern Politik ſind, ſo
wenig kann ich mich in Ihre Auffaſſung der äußern hineinleben,
der ich im Allgemeinen den Vorwurf mache, daß ſie die Reali¬
täten ignorirt. Sie gehn davon aus, daß ich einem vereinzelten
Manne, der mir imponire, das Prinzip opfre. Ich lehne mich gegen
Vorder- und Nachſatz auf. Der Mann imponirt mir durchaus
nicht. Die Fähigkeit, Menſchen zu bewundern, iſt in mir nur
mäßig ausgebildet, und [es iſt] vielmehr ein Fehler meines Auges,
daß es ſchärfer für Schwächen als für Vorzüge iſt. Wenn mein
letzter Brief etwa ein lebhafteres Colorit hat, ſo bitte ich das mehr
als rhetoriſches Hülfsmittel zu betrachten, mit dem ich auf Sie
habe wirken wollen. Was aber das von mir geopferte Prinzip
betrifft, ſo kann ich mir das, was Sie damit meinen, concret nicht
recht formuliren und bitte Sie, dieſen Punkt in einer Antwort
wieder aufzunehmen, da ich das Bedürfniß habe, mit Ihnen prin¬
zipiell nicht auseinander zu gehn. Meinen Sie damit ein auf
Frankreich und ſeine Legitimität anzuwendendes Prinzip, ſo
geſtehe ich allerdings, daß ich dieſes meinem ſpecifiſch Preußi¬
ſchen Patriotismus vollſtändig unterordne; Frankreich inter¬
1)
Briefe Bismarck's an Gerlach, S. 314 ff.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Bismarck, Otto von: Gedanken und Erinnerungen. Bd. 1. Stuttgart, 1898, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bismarck_erinnerungen01_1898/183>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.