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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Einleitende Bestimmungen.
rathen können. Mit Recht hat man daher diesen im Entwurf von 1843.
festgehaltenen Standpunkt später verlassen. y)

Allein der Grundsatz, daß Verbrechen und Vergehen, die im Aus-
lande begangen sind, in Preußen nicht verfolgt und bestraft werden
sollen, kann nicht unbedingt zur Anwendung gebracht werden; es können
Fälle eintreten, die eine Ausnahme nothwendig machen. "Diese Aus-
nahmen," heißt es in den Motiven, z) "sind entweder durch die Rücksicht
auf die Sicherheit des Preußischen Staates geboten, der, gewissermaaßen
im Stande der Nothwehr, sich gegen Angriffe vertheidigen und schützen
muß, oder sie werden durch die Principien des Völkerrechts und der
Gerechtigkeitspflege im Allgemeinen bedingt, nämlich wenn ein Preuße,
der als solcher an den fremden Staat nicht ausgeliefert werden kann,
im Auslande eine sowohl nach den ausländischen, wie den Preußischen
Gesetzen strafbare Handlung begangen hat."

In den Fällen aber, wo eine solche Ausnahme statt findet, gelten
folgende Regeln:

I. Es ist im Strafgesetzbuch nur die rechtliche Möglichkeit der
Verfolgung und Bestrafung ausgesprochen, nicht aber ihre Nothwendig-
keit vorgeschrieben. "Jedoch kann in Preußen" u. s. w. lautet die
Vorschrift des Gesetzes. Es wird daher immer von der Erwägung der
Umstände abhängen, ob die Behörden von der ihnen ertheilten Befugniß
Gebrauch machen wollen, und zu diesem Behuf hat die Staatsanwalt-
schaft ihre Entschließungen zu fassen. a)

II. Wenn eine Verfolgung und Bestrafung stattfindet, so geschieht
es nach Preußischen Strafgesetzen. In Beziehung auf die Inländer
haben wegen dieser Vorschrift keine Bedenken stattgefunden; aber wegen
der Ausländer enthalten die früheren Entwürfe zum Theil abweichende
Bestimmungen. Der Entwurf von 1833. nämlich nahm die Bestim-
mungen des Allgemeinen Landrechts b) insoweit auf, daß das Gesetz
des Ortes, wo die Handlung verübt worden, auf Ausländer zur An-
wendung kommen solle, wenn es milder sei wie das Preußische Gesetz,
und das Verbrechen nicht gegen den Preußischen Staat oder einen
Preußischen Unterthan gerichtet gewesen. c) Diese Vorschrift ging auch

y) S. das. §. 1-3. und Revision von 1845. I. S. 10 ff.
z) S. Motive zum Entwurf von 1850. §. 4.
a) Die früher lebhaft erörterten Bedenken gegen die Einwirkung des Justizmi-
nisters auf die Verfolgung der im Auslande begangenen Verbrechen und Vergehen
haben mit der Umänderung des gerichtlichen Verfahrens ihre Bedeutung verloren.
b) A. L. R. Th. II. Tit. 20. §. 14. 15.
c) Entwurf von 1833. §. 4. und v. Kamptz, Motive (Berlin 1833.) S. 7. ff.

Einleitende Beſtimmungen.
rathen können. Mit Recht hat man daher dieſen im Entwurf von 1843.
feſtgehaltenen Standpunkt ſpäter verlaſſen. y)

Allein der Grundſatz, daß Verbrechen und Vergehen, die im Aus-
lande begangen ſind, in Preußen nicht verfolgt und beſtraft werden
ſollen, kann nicht unbedingt zur Anwendung gebracht werden; es können
Fälle eintreten, die eine Ausnahme nothwendig machen. „Dieſe Aus-
nahmen,“ heißt es in den Motiven, z) „ſind entweder durch die Rückſicht
auf die Sicherheit des Preußiſchen Staates geboten, der, gewiſſermaaßen
im Stande der Nothwehr, ſich gegen Angriffe vertheidigen und ſchützen
muß, oder ſie werden durch die Principien des Völkerrechts und der
Gerechtigkeitspflege im Allgemeinen bedingt, nämlich wenn ein Preuße,
der als ſolcher an den fremden Staat nicht ausgeliefert werden kann,
im Auslande eine ſowohl nach den ausländiſchen, wie den Preußiſchen
Geſetzen ſtrafbare Handlung begangen hat.“

In den Fällen aber, wo eine ſolche Ausnahme ſtatt findet, gelten
folgende Regeln:

I. Es iſt im Strafgeſetzbuch nur die rechtliche Möglichkeit der
Verfolgung und Beſtrafung ausgeſprochen, nicht aber ihre Nothwendig-
keit vorgeſchrieben. „Jedoch kann in Preußen“ u. ſ. w. lautet die
Vorſchrift des Geſetzes. Es wird daher immer von der Erwägung der
Umſtände abhängen, ob die Behörden von der ihnen ertheilten Befugniß
Gebrauch machen wollen, und zu dieſem Behuf hat die Staatsanwalt-
ſchaft ihre Entſchließungen zu faſſen. a)

II. Wenn eine Verfolgung und Beſtrafung ſtattfindet, ſo geſchieht
es nach Preußiſchen Strafgeſetzen. In Beziehung auf die Inländer
haben wegen dieſer Vorſchrift keine Bedenken ſtattgefunden; aber wegen
der Ausländer enthalten die früheren Entwürfe zum Theil abweichende
Beſtimmungen. Der Entwurf von 1833. nämlich nahm die Beſtim-
mungen des Allgemeinen Landrechts b) inſoweit auf, daß das Geſetz
des Ortes, wo die Handlung verübt worden, auf Ausländer zur An-
wendung kommen ſolle, wenn es milder ſei wie das Preußiſche Geſetz,
und das Verbrechen nicht gegen den Preußiſchen Staat oder einen
Preußiſchen Unterthan gerichtet geweſen. c) Dieſe Vorſchrift ging auch

y) S. daſ. §. 1-3. und Reviſion von 1845. I. S. 10 ff.
z) S. Motive zum Entwurf von 1850. §. 4.
a) Die früher lebhaft erörterten Bedenken gegen die Einwirkung des Juſtizmi-
niſters auf die Verfolgung der im Auslande begangenen Verbrechen und Vergehen
haben mit der Umänderung des gerichtlichen Verfahrens ihre Bedeutung verloren.
b) A. L. R. Th. II. Tit. 20. §. 14. 15.
c) Entwurf von 1833. §. 4. und v. Kamptz, Motive (Berlin 1833.) S. 7. ff.
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[74/0084] Einleitende Beſtimmungen. rathen können. Mit Recht hat man daher dieſen im Entwurf von 1843. feſtgehaltenen Standpunkt ſpäter verlaſſen. y) Allein der Grundſatz, daß Verbrechen und Vergehen, die im Aus- lande begangen ſind, in Preußen nicht verfolgt und beſtraft werden ſollen, kann nicht unbedingt zur Anwendung gebracht werden; es können Fälle eintreten, die eine Ausnahme nothwendig machen. „Dieſe Aus- nahmen,“ heißt es in den Motiven, z) „ſind entweder durch die Rückſicht auf die Sicherheit des Preußiſchen Staates geboten, der, gewiſſermaaßen im Stande der Nothwehr, ſich gegen Angriffe vertheidigen und ſchützen muß, oder ſie werden durch die Principien des Völkerrechts und der Gerechtigkeitspflege im Allgemeinen bedingt, nämlich wenn ein Preuße, der als ſolcher an den fremden Staat nicht ausgeliefert werden kann, im Auslande eine ſowohl nach den ausländiſchen, wie den Preußiſchen Geſetzen ſtrafbare Handlung begangen hat.“ In den Fällen aber, wo eine ſolche Ausnahme ſtatt findet, gelten folgende Regeln: I. Es iſt im Strafgeſetzbuch nur die rechtliche Möglichkeit der Verfolgung und Beſtrafung ausgeſprochen, nicht aber ihre Nothwendig- keit vorgeſchrieben. „Jedoch kann in Preußen“ u. ſ. w. lautet die Vorſchrift des Geſetzes. Es wird daher immer von der Erwägung der Umſtände abhängen, ob die Behörden von der ihnen ertheilten Befugniß Gebrauch machen wollen, und zu dieſem Behuf hat die Staatsanwalt- ſchaft ihre Entſchließungen zu faſſen. a) II. Wenn eine Verfolgung und Beſtrafung ſtattfindet, ſo geſchieht es nach Preußiſchen Strafgeſetzen. In Beziehung auf die Inländer haben wegen dieſer Vorſchrift keine Bedenken ſtattgefunden; aber wegen der Ausländer enthalten die früheren Entwürfe zum Theil abweichende Beſtimmungen. Der Entwurf von 1833. nämlich nahm die Beſtim- mungen des Allgemeinen Landrechts b) inſoweit auf, daß das Geſetz des Ortes, wo die Handlung verübt worden, auf Ausländer zur An- wendung kommen ſolle, wenn es milder ſei wie das Preußiſche Geſetz, und das Verbrechen nicht gegen den Preußiſchen Staat oder einen Preußiſchen Unterthan gerichtet geweſen. c) Dieſe Vorſchrift ging auch y) S. daſ. §. 1-3. und Reviſion von 1845. I. S. 10 ff. z) S. Motive zum Entwurf von 1850. §. 4. a) Die früher lebhaft erörterten Bedenken gegen die Einwirkung des Juſtizmi- niſters auf die Verfolgung der im Auslande begangenen Verbrechen und Vergehen haben mit der Umänderung des gerichtlichen Verfahrens ihre Bedeutung verloren. b) A. L. R. Th. II. Tit. 20. §. 14. 15. c) Entwurf von 1833. §. 4. und v. Kamptz, Motive (Berlin 1833.) S. 7. ff.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/84>, abgerufen am 26.04.2024.