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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§. 40. Die Unzurechnungsfähigkeit.
festgestellt worden, die Wirkung derselben genau angegeben wird, so hat
man eine allgemeine Normirung dieses Gegenstandes entbehren zu kön-
nen geglaubt.

Auch in seinem gegenwärtigen Umfange befaßt dieser Titel indessen
noch immer eine Reihe gesetzlicher Bestimmungen, die nur lose mit ein-
ander verbunden sind, und mehr ihrer Wirkung, als ihrer inneren Natur
nach zusammen gehören. Auf die Ausschließung der Zurechnungsfä-
higkeit wegen Geisteskrankheit oder Zwang (§. 40.) folgt die Nothwehr
(§. 41.), dann die Einwirkung des jugendlichen Alters auf die Straf-
barkeit (§. 42. 43.). In dem §. 44. ist eine Vorschrift über den Irr-
thum in Thatsachen eingeschoben; dann kommt die Verjährung (§. 45
-49.) und an diese schließen sich allgemeine Bestimmungen über den
Fall an, wenn bei Verbrechen und Vergehen, deren Bestrafung nur auf
den Antrag einer Privatperson erfolgen kann, dieser Antrag rechtzeitig
nicht gestellt oder wieder zurückgenommen wird (§. 50-54.). Gewöhnlich
wird der Grund der Straflosigkeit in diesem Fall als "Verzeihung"
bezeichnet; aber da die Wirkung des nicht gestellten Antrags als die
Folge einer Fristversäumung erscheint, so ist diese der eigentliche Grund
der Strafausschließung, und gewissermaßen eine besondere Art der Ver-
jährung, der sie wenigstens sehr nahe steht.

In den neueren Deutschen Strafgesetzbüchern findet sich eine ähn-
liche Zusammenstellung der Materien, wie in dem vorstehenden Titel,
wenn auch kleine Abweichungen vorkommen, z. B. hinsichtlich der Stel-
lung der Nothwehr im Braunschweigischen und der Verjährung im
Württembergischen und Hannoverschen Gesetzbuch. Auch das Franzö-
sische Recht hat die Nothwehr bei der Tödtung und Körperverletzung
abgehandelt, und außerdem die Verjährung von dem materiellen Straf-
recht ganz ausgeschlossen, und in die Strafproceßordnung verwiesen.
In der Jurisprudenz ist aber eine Unterscheidung ausgebildet worden,
auf welche ein besonderes Gewicht gelegt wird. Abgesehen nämlich von
den mildernden Umständen im Allgemeinen, welche wegen ihrer zufäl-
ligen Stellung im Code penal zu den im zweiten Buch behandelten
Gegenständen nicht gerechnet werden, hat man die gesetzlichen Entschul-
digungsgründe (excuses legales) in die excuses im engeren Sinne
und in die Rechtfertigungsgründe (faits justificatifs) eingetheilt. Erstere,
zu denen namentlich das jugendliche Alter gehört, sollen die Strafe nur
mildern, letztere aber sie ganz ausschließen. f)

Wenn dieser Eintheilung aber auch ein richtiger Gedanke zum

f) Chauveau et Helie Faustin, Theorie du Code penal. I. chap.
XII. p. 186.

§. 40. Die Unzurechnungsfähigkeit.
feſtgeſtellt worden, die Wirkung derſelben genau angegeben wird, ſo hat
man eine allgemeine Normirung dieſes Gegenſtandes entbehren zu kön-
nen geglaubt.

Auch in ſeinem gegenwärtigen Umfange befaßt dieſer Titel indeſſen
noch immer eine Reihe geſetzlicher Beſtimmungen, die nur loſe mit ein-
ander verbunden ſind, und mehr ihrer Wirkung, als ihrer inneren Natur
nach zuſammen gehören. Auf die Ausſchließung der Zurechnungsfä-
higkeit wegen Geiſteskrankheit oder Zwang (§. 40.) folgt die Nothwehr
(§. 41.), dann die Einwirkung des jugendlichen Alters auf die Straf-
barkeit (§. 42. 43.). In dem §. 44. iſt eine Vorſchrift über den Irr-
thum in Thatſachen eingeſchoben; dann kommt die Verjährung (§. 45
-49.) und an dieſe ſchließen ſich allgemeine Beſtimmungen über den
Fall an, wenn bei Verbrechen und Vergehen, deren Beſtrafung nur auf
den Antrag einer Privatperſon erfolgen kann, dieſer Antrag rechtzeitig
nicht geſtellt oder wieder zurückgenommen wird (§. 50-54.). Gewöhnlich
wird der Grund der Strafloſigkeit in dieſem Fall als „Verzeihung“
bezeichnet; aber da die Wirkung des nicht geſtellten Antrags als die
Folge einer Friſtverſäumung erſcheint, ſo iſt dieſe der eigentliche Grund
der Strafausſchließung, und gewiſſermaßen eine beſondere Art der Ver-
jährung, der ſie wenigſtens ſehr nahe ſteht.

In den neueren Deutſchen Strafgeſetzbüchern findet ſich eine ähn-
liche Zuſammenſtellung der Materien, wie in dem vorſtehenden Titel,
wenn auch kleine Abweichungen vorkommen, z. B. hinſichtlich der Stel-
lung der Nothwehr im Braunſchweigiſchen und der Verjährung im
Württembergiſchen und Hannoverſchen Geſetzbuch. Auch das Franzö-
ſiſche Recht hat die Nothwehr bei der Tödtung und Körperverletzung
abgehandelt, und außerdem die Verjährung von dem materiellen Straf-
recht ganz ausgeſchloſſen, und in die Strafproceßordnung verwieſen.
In der Jurisprudenz iſt aber eine Unterſcheidung ausgebildet worden,
auf welche ein beſonderes Gewicht gelegt wird. Abgeſehen nämlich von
den mildernden Umſtänden im Allgemeinen, welche wegen ihrer zufäl-
ligen Stellung im Code pénal zu den im zweiten Buch behandelten
Gegenſtänden nicht gerechnet werden, hat man die geſetzlichen Entſchul-
digungsgründe (excuses légales) in die excuses im engeren Sinne
und in die Rechtfertigungsgründe (faits justificatifs) eingetheilt. Erſtere,
zu denen namentlich das jugendliche Alter gehört, ſollen die Strafe nur
mildern, letztere aber ſie ganz ausſchließen. f)

Wenn dieſer Eintheilung aber auch ein richtiger Gedanke zum

f) Chauveau et Hélie Faustin, Théorie du Code pénal. I. chap.
XII. p. 186.
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[175/0185] §. 40. Die Unzurechnungsfähigkeit. feſtgeſtellt worden, die Wirkung derſelben genau angegeben wird, ſo hat man eine allgemeine Normirung dieſes Gegenſtandes entbehren zu kön- nen geglaubt. Auch in ſeinem gegenwärtigen Umfange befaßt dieſer Titel indeſſen noch immer eine Reihe geſetzlicher Beſtimmungen, die nur loſe mit ein- ander verbunden ſind, und mehr ihrer Wirkung, als ihrer inneren Natur nach zuſammen gehören. Auf die Ausſchließung der Zurechnungsfä- higkeit wegen Geiſteskrankheit oder Zwang (§. 40.) folgt die Nothwehr (§. 41.), dann die Einwirkung des jugendlichen Alters auf die Straf- barkeit (§. 42. 43.). In dem §. 44. iſt eine Vorſchrift über den Irr- thum in Thatſachen eingeſchoben; dann kommt die Verjährung (§. 45 -49.) und an dieſe ſchließen ſich allgemeine Beſtimmungen über den Fall an, wenn bei Verbrechen und Vergehen, deren Beſtrafung nur auf den Antrag einer Privatperſon erfolgen kann, dieſer Antrag rechtzeitig nicht geſtellt oder wieder zurückgenommen wird (§. 50-54.). Gewöhnlich wird der Grund der Strafloſigkeit in dieſem Fall als „Verzeihung“ bezeichnet; aber da die Wirkung des nicht geſtellten Antrags als die Folge einer Friſtverſäumung erſcheint, ſo iſt dieſe der eigentliche Grund der Strafausſchließung, und gewiſſermaßen eine beſondere Art der Ver- jährung, der ſie wenigſtens ſehr nahe ſteht. In den neueren Deutſchen Strafgeſetzbüchern findet ſich eine ähn- liche Zuſammenſtellung der Materien, wie in dem vorſtehenden Titel, wenn auch kleine Abweichungen vorkommen, z. B. hinſichtlich der Stel- lung der Nothwehr im Braunſchweigiſchen und der Verjährung im Württembergiſchen und Hannoverſchen Geſetzbuch. Auch das Franzö- ſiſche Recht hat die Nothwehr bei der Tödtung und Körperverletzung abgehandelt, und außerdem die Verjährung von dem materiellen Straf- recht ganz ausgeſchloſſen, und in die Strafproceßordnung verwieſen. In der Jurisprudenz iſt aber eine Unterſcheidung ausgebildet worden, auf welche ein beſonderes Gewicht gelegt wird. Abgeſehen nämlich von den mildernden Umſtänden im Allgemeinen, welche wegen ihrer zufäl- ligen Stellung im Code pénal zu den im zweiten Buch behandelten Gegenſtänden nicht gerechnet werden, hat man die geſetzlichen Entſchul- digungsgründe (excuses légales) in die excuses im engeren Sinne und in die Rechtfertigungsgründe (faits justificatifs) eingetheilt. Erſtere, zu denen namentlich das jugendliche Alter gehört, ſollen die Strafe nur mildern, letztere aber ſie ganz ausſchließen. f) Wenn dieſer Eintheilung aber auch ein richtiger Gedanke zum f) Chauveau et Hélie Faustin, Théorie du Code pénal. I. chap. XII. p. 186.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/185>, abgerufen am 26.04.2024.