gung finden müssen. Es wird diese Frage später bei der Betrachtung der einzelnen Verbrechen und Vergehen wieder aufzunehmen sein.
Ueberblickt man diese aus dem Strafgesetzbuch hervorgehobenen Mo- mente, welche auf die Behandlung der Lehre vom Dolus von Einfluß sind, so ergiebt sich, daß dasselbe im Allgemeinen von dem Begriff des Dolus, wie er sich in der Strafrechtswissenschaft ausgebildet hat, aus- geht; daß es denselben aber nach der besonderen Natur der verschiedenen Verbrechen und Vergehen in konkreter Weise zu bestimmen sucht, und in diesem Sinne auch die bezeichnenden Ausdrücke wählt, ohne sich unbe- dingt an die hergebrachte Terminologie zu binden.
II. Die Fahrlässigkeit.
Konnte der Dolus oben als der positiv böse Wille bezeichnet wer- den, so stellt sich die Fahrlässigkeit, das Versehen, die Kulpa als der negativ böse Wille dar: man will kein Unrecht thun, aber man wendet auch nicht die Sorgfalt an, welche erforderlich ist, um seine Handlun- gen in Uebereinstimmung mit dem Gesetze zu erhalten. Weil aber im Allgemeinen eine Handlung an und für sich und ohne Rücksicht auf die ihr zum Grunde liegende Willensbestimmung nicht unter Strafe gestellt wird, so setzt die Ahndung einer Fahrlässigkeit nothwendig voraus, nicht bloß, daß ein Strafgesetz besteht, welches die Handlung als Verbrechen oder Vergehen qualifizirt, sondern auch die Bestimmung, daß selbst die fahrlässige Begehung desselben gestraft werden soll. In diesem Sinne hatten die früheren Entwürfe eine Vorschrift aufgenommen, welche in dem von 1836 so gefaßt ist:
§. 53. "Eine Handlung, welche, vorsätzlich verübt, Strafe nach sich zieht, wird, wenn dadurch keine Rechtsverletzung bezweckt wird, son- dern ihr blos Fahrlässigkeit zum Grunde lag, nur in den Fällen gestraft, in welchen das Gesetz dies ausdrücklich vorschreibt."
Diese Bestimmung ist bereits in dem Entwurfe von 1843. wegge- blieben, und auch bei der späteren Revision hat man sich gegen die Wiederherstellung derselben entschieden, obgleich viele Monenten nach dem Vorgange anderer deutschen Strafgesetzbücher sich dafür ausgespro- chen hatten. z) Man erwog nämlich, daß für diejenigen Verbrechen und Vergehen, welche ausdrücklich als dolose bezeichnet sind oder ihrer Na-
z)Herrmann, S. 491 ff. -- Temme, I. S. 36. -- Abegg, S. 141. -- Jenaer Beitrag, S. 13 ff. -- Schwarze, S. 10. -- Zacharia, S. 46 ff. -- Schüler, S. 47-51. -- Martin, S. 129-35. Vergl. Sächs. Strafgesetzb. Art. 42. -- Braunschw. §. 26, 29. -- Würtemb. Art. 58. -- Hessisch. Art. 57. -- Bad. Entw. §. 90.
§. VIII. Vorſatz und Fahrläſſigkeit.
gung finden müſſen. Es wird dieſe Frage ſpäter bei der Betrachtung der einzelnen Verbrechen und Vergehen wieder aufzunehmen ſein.
Ueberblickt man dieſe aus dem Strafgeſetzbuch hervorgehobenen Mo- mente, welche auf die Behandlung der Lehre vom Dolus von Einfluß ſind, ſo ergiebt ſich, daß daſſelbe im Allgemeinen von dem Begriff des Dolus, wie er ſich in der Strafrechtswiſſenſchaft ausgebildet hat, aus- geht; daß es denſelben aber nach der beſonderen Natur der verſchiedenen Verbrechen und Vergehen in konkreter Weiſe zu beſtimmen ſucht, und in dieſem Sinne auch die bezeichnenden Ausdrücke wählt, ohne ſich unbe- dingt an die hergebrachte Terminologie zu binden.
II. Die Fahrläſſigkeit.
Konnte der Dolus oben als der poſitiv böſe Wille bezeichnet wer- den, ſo ſtellt ſich die Fahrläſſigkeit, das Verſehen, die Kulpa als der negativ böſe Wille dar: man will kein Unrecht thun, aber man wendet auch nicht die Sorgfalt an, welche erforderlich iſt, um ſeine Handlun- gen in Uebereinſtimmung mit dem Geſetze zu erhalten. Weil aber im Allgemeinen eine Handlung an und für ſich und ohne Rückſicht auf die ihr zum Grunde liegende Willensbeſtimmung nicht unter Strafe geſtellt wird, ſo ſetzt die Ahndung einer Fahrläſſigkeit nothwendig voraus, nicht bloß, daß ein Strafgeſetz beſteht, welches die Handlung als Verbrechen oder Vergehen qualifizirt, ſondern auch die Beſtimmung, daß ſelbſt die fahrläſſige Begehung deſſelben geſtraft werden ſoll. In dieſem Sinne hatten die früheren Entwürfe eine Vorſchrift aufgenommen, welche in dem von 1836 ſo gefaßt iſt:
§. 53. „Eine Handlung, welche, vorſätzlich verübt, Strafe nach ſich zieht, wird, wenn dadurch keine Rechtsverletzung bezweckt wird, ſon- dern ihr blos Fahrläſſigkeit zum Grunde lag, nur in den Fällen geſtraft, in welchen das Geſetz dies ausdrücklich vorſchreibt.“
Dieſe Beſtimmung iſt bereits in dem Entwurfe von 1843. wegge- blieben, und auch bei der ſpäteren Reviſion hat man ſich gegen die Wiederherſtellung derſelben entſchieden, obgleich viele Monenten nach dem Vorgange anderer deutſchen Strafgeſetzbücher ſich dafür ausgeſpro- chen hatten. z) Man erwog nämlich, daß für diejenigen Verbrechen und Vergehen, welche ausdrücklich als doloſe bezeichnet ſind oder ihrer Na-
z)Herrmann, S. 491 ff. — Temme, I. S. 36. — Abegg, S. 141. — Jenaer Beitrag, S. 13 ff. — Schwarze, S. 10. — Zacharia, S. 46 ff. — Schüler, S. 47-51. — Martin, S. 129-35. Vergl. Sächſ. Strafgeſetzb. Art. 42. — Braunſchw. §. 26, 29. — Würtemb. Art. 58. — Heſſiſch. Art. 57. — Bad. Entw. §. 90.
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der einzelnen Verbrechen und Vergehen wieder aufzunehmen ſein.
Ueberblickt man dieſe aus dem Strafgeſetzbuch hervorgehobenen Mo-
mente, welche auf die Behandlung der Lehre vom Dolus von Einfluß
ſind, ſo ergiebt ſich, daß daſſelbe im Allgemeinen von dem Begriff des
Dolus, wie er ſich in der Strafrechtswiſſenſchaft ausgebildet hat, aus-
geht; daß es denſelben aber nach der beſonderen Natur der verſchiedenen
Verbrechen und Vergehen in konkreter Weiſe zu beſtimmen ſucht, und in
dieſem Sinne auch die bezeichnenden Ausdrücke wählt, ohne ſich unbe-
dingt an die hergebrachte Terminologie zu binden.
II. Die Fahrläſſigkeit.
Konnte der Dolus oben als der poſitiv böſe Wille bezeichnet wer-
den, ſo ſtellt ſich die Fahrläſſigkeit, das Verſehen, die Kulpa als der
negativ böſe Wille dar: man will kein Unrecht thun, aber man wendet
auch nicht die Sorgfalt an, welche erforderlich iſt, um ſeine Handlun-
gen in Uebereinſtimmung mit dem Geſetze zu erhalten. Weil aber im
Allgemeinen eine Handlung an und für ſich und ohne Rückſicht auf die
ihr zum Grunde liegende Willensbeſtimmung nicht unter Strafe geſtellt
wird, ſo ſetzt die Ahndung einer Fahrläſſigkeit nothwendig voraus, nicht
bloß, daß ein Strafgeſetz beſteht, welches die Handlung als Verbrechen
oder Vergehen qualifizirt, ſondern auch die Beſtimmung, daß ſelbſt die
fahrläſſige Begehung deſſelben geſtraft werden ſoll. In dieſem Sinne
hatten die früheren Entwürfe eine Vorſchrift aufgenommen, welche in
dem von 1836 ſo gefaßt iſt:
§. 53. „Eine Handlung, welche, vorſätzlich verübt, Strafe nach
ſich zieht, wird, wenn dadurch keine Rechtsverletzung bezweckt wird, ſon-
dern ihr blos Fahrläſſigkeit zum Grunde lag, nur in den Fällen geſtraft,
in welchen das Geſetz dies ausdrücklich vorſchreibt.“
Dieſe Beſtimmung iſt bereits in dem Entwurfe von 1843. wegge-
blieben, und auch bei der ſpäteren Reviſion hat man ſich gegen die
Wiederherſtellung derſelben entſchieden, obgleich viele Monenten nach
dem Vorgange anderer deutſchen Strafgeſetzbücher ſich dafür ausgeſpro-
chen hatten. z) Man erwog nämlich, daß für diejenigen Verbrechen und
Vergehen, welche ausdrücklich als doloſe bezeichnet ſind oder ihrer Na-
z) Herrmann, S. 491 ff. — Temme, I. S. 36. — Abegg, S. 141. —
Jenaer Beitrag, S. 13 ff. — Schwarze, S. 10. — Zacharia, S. 46 ff. —
Schüler, S. 47-51. — Martin, S. 129-35. Vergl. Sächſ. Strafgeſetzb.
Art. 42. — Braunſchw. §. 26, 29. — Würtemb. Art. 58. — Heſſiſch.
Art. 57. — Bad. Entw. §. 90.
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/57>, abgerufen am 16.07.2024.
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