Th. II. V. d. einzelnen Verbr. etc. Tit. XIX. Raub und Erpressung.
§. 234.
Wer, um sich oder Dritten einen rechtswidrigen Vortheil zu verschaffen, einen Anderen zu einer Handlung oder Unterlassung dadurch zwingt oder zu zwingen versucht, daß er denselben schriftlich oder mündlich mit der Verübung eines Verbrechens oder Vergehens bedroht, macht sich der Erpressung schuldig.
§. 235.
Die Erpressung wird mit Gefängniß nicht unter drei Monaten und zeitiger Untersagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte bestraft. Der Schul- dige kann zugleich unter Polizei-Aufsicht gestellt werden.
Besteht das angedrohte Verbrechen in Mord, Brandstiftung oder Verur- sachung einer Ueberschwemmung, so wird der Thäter mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren und Stellung unter Polizei-Aufsicht bestraft.
§. 236.
Geschieht die Erpressung durch Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, oder durch Gewalt gegen eine Person, so ist der Thäter gleich einem Räuber (§§ 231., 232., 233.) zu bestrafen.
In den verschiedenen Verhandlungen, welche bei der Revision des Strafrechts über die Erpressung stattgefunden haben, ist besonders die Frage erörtert worden, ob die Erpressung durch unerlaubte Mittel, worunter man namentlich die Androhung von Civilklagen und Denunciationen ver- stand, mit Strafe zu bedrohen sei. Gegen die Aufstellung einer solchen Strafbestimmung wurde in der Staatsraths-Kommission bemerkt, es lasse sich freilich nicht leugnen, daß schon die Anstellung gewisser Klagen, wie z. B. der Alimentationsklagen, unter Umständen für die bürgerlichen Verhältnisse des Bedroheten sehr nachtheilige Folgen haben könne; allein hieraus ergebe sich noch nicht, daß man die Drohung mit Anstellung einer Klage bestrafen dürfe. Es ließen sich immer nur zwei Fälle den- ken. Entweder der Anspruch sei begründet; dann mache der Drohende nur von seinem Rechte Gebrauch und er könne deshalb niemals zur Strafe gezogen werden (A. L. R. Th. I. Tit. 4. §. 38.); oder der An- spruch sei unbegründet, dann werde der Ausgang der Sache den Un- grund der Klage erweisen und den Bedrohten in den Augen der Welt rechtfertigen. Es komme noch hinzu, daß bei an und für sich begrün- deten Klagen die Grenzen zwischen dem erlaubten und dem unrecht- mäßigen Gewinn sehr schwer zu bestimmen sein würden. Namentlich komme dies bei Klagen über Gegenstände in Betracht, die nicht wohl nach Gelde zu schätzen seien.
Für die entgegengesetzte Ansicht wurde angeführt: "die Verfolgung eines Rechts könne nicht weiter gehen, als das Recht selbst. Wer da- her jemanden mit Klagen bedrohe, wenn er seine Verbindlichkeit nicht
Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XIX. Raub und Erpreſſung.
§. 234.
Wer, um ſich oder Dritten einen rechtswidrigen Vortheil zu verſchaffen, einen Anderen zu einer Handlung oder Unterlaſſung dadurch zwingt oder zu zwingen verſucht, daß er denſelben ſchriftlich oder mündlich mit der Verübung eines Verbrechens oder Vergehens bedroht, macht ſich der Erpreſſung ſchuldig.
§. 235.
Die Erpreſſung wird mit Gefängniß nicht unter drei Monaten und zeitiger Unterſagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte beſtraft. Der Schul- dige kann zugleich unter Polizei-Aufſicht geſtellt werden.
Beſteht das angedrohte Verbrechen in Mord, Brandſtiftung oder Verur- ſachung einer Ueberſchwemmung, ſo wird der Thäter mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren und Stellung unter Polizei-Aufſicht beſtraft.
§. 236.
Geſchieht die Erpreſſung durch Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben, oder durch Gewalt gegen eine Perſon, ſo iſt der Thäter gleich einem Räuber (§§ 231., 232., 233.) zu beſtrafen.
In den verſchiedenen Verhandlungen, welche bei der Reviſion des Strafrechts über die Erpreſſung ſtattgefunden haben, iſt beſonders die Frage erörtert worden, ob die Erpreſſung durch unerlaubte Mittel, worunter man namentlich die Androhung von Civilklagen und Denunciationen ver- ſtand, mit Strafe zu bedrohen ſei. Gegen die Aufſtellung einer ſolchen Strafbeſtimmung wurde in der Staatsraths-Kommiſſion bemerkt, es laſſe ſich freilich nicht leugnen, daß ſchon die Anſtellung gewiſſer Klagen, wie z. B. der Alimentationsklagen, unter Umſtänden für die bürgerlichen Verhältniſſe des Bedroheten ſehr nachtheilige Folgen haben könne; allein hieraus ergebe ſich noch nicht, daß man die Drohung mit Anſtellung einer Klage beſtrafen dürfe. Es ließen ſich immer nur zwei Fälle den- ken. Entweder der Anſpruch ſei begründet; dann mache der Drohende nur von ſeinem Rechte Gebrauch und er könne deshalb niemals zur Strafe gezogen werden (A. L. R. Th. I. Tit. 4. §. 38.); oder der An- ſpruch ſei unbegründet, dann werde der Ausgang der Sache den Un- grund der Klage erweiſen und den Bedrohten in den Augen der Welt rechtfertigen. Es komme noch hinzu, daß bei an und für ſich begrün- deten Klagen die Grenzen zwiſchen dem erlaubten und dem unrecht- mäßigen Gewinn ſehr ſchwer zu beſtimmen ſein würden. Namentlich komme dies bei Klagen über Gegenſtände in Betracht, die nicht wohl nach Gelde zu ſchätzen ſeien.
Für die entgegengeſetzte Anſicht wurde angeführt: „die Verfolgung eines Rechts könne nicht weiter gehen, als das Recht ſelbſt. Wer da- her jemanden mit Klagen bedrohe, wenn er ſeine Verbindlichkeit nicht
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Th. II. V. d. einzelnen Verbr. ꝛc. Tit. XIX. Raub und Erpreſſung.
§. 234.
Wer, um ſich oder Dritten einen rechtswidrigen Vortheil zu verſchaffen,
einen Anderen zu einer Handlung oder Unterlaſſung dadurch zwingt oder zu
zwingen verſucht, daß er denſelben ſchriftlich oder mündlich mit der Verübung
eines Verbrechens oder Vergehens bedroht, macht ſich der Erpreſſung ſchuldig.
§. 235.
Die Erpreſſung wird mit Gefängniß nicht unter drei Monaten und zeitiger
Unterſagung der Ausübung der bürgerlichen Ehrenrechte beſtraft. Der Schul-
dige kann zugleich unter Polizei-Aufſicht geſtellt werden.
Beſteht das angedrohte Verbrechen in Mord, Brandſtiftung oder Verur-
ſachung einer Ueberſchwemmung, ſo wird der Thäter mit Zuchthaus bis zu
fünf Jahren und Stellung unter Polizei-Aufſicht beſtraft.
§. 236.
Geſchieht die Erpreſſung durch Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für
Leib oder Leben, oder durch Gewalt gegen eine Perſon, ſo iſt der Thäter
gleich einem Räuber (§§ 231., 232., 233.) zu beſtrafen.
In den verſchiedenen Verhandlungen, welche bei der Reviſion des
Strafrechts über die Erpreſſung ſtattgefunden haben, iſt beſonders die
Frage erörtert worden, ob die Erpreſſung durch unerlaubte Mittel, worunter
man namentlich die Androhung von Civilklagen und Denunciationen ver-
ſtand, mit Strafe zu bedrohen ſei. Gegen die Aufſtellung einer ſolchen
Strafbeſtimmung wurde in der Staatsraths-Kommiſſion bemerkt, es laſſe
ſich freilich nicht leugnen, daß ſchon die Anſtellung gewiſſer Klagen, wie
z. B. der Alimentationsklagen, unter Umſtänden für die bürgerlichen
Verhältniſſe des Bedroheten ſehr nachtheilige Folgen haben könne; allein
hieraus ergebe ſich noch nicht, daß man die Drohung mit Anſtellung
einer Klage beſtrafen dürfe. Es ließen ſich immer nur zwei Fälle den-
ken. Entweder der Anſpruch ſei begründet; dann mache der Drohende
nur von ſeinem Rechte Gebrauch und er könne deshalb niemals zur
Strafe gezogen werden (A. L. R. Th. I. Tit. 4. §. 38.); oder der An-
ſpruch ſei unbegründet, dann werde der Ausgang der Sache den Un-
grund der Klage erweiſen und den Bedrohten in den Augen der Welt
rechtfertigen. Es komme noch hinzu, daß bei an und für ſich begrün-
deten Klagen die Grenzen zwiſchen dem erlaubten und dem unrecht-
mäßigen Gewinn ſehr ſchwer zu beſtimmen ſein würden. Namentlich
komme dies bei Klagen über Gegenſtände in Betracht, die nicht wohl
nach Gelde zu ſchätzen ſeien.
Für die entgegengeſetzte Anſicht wurde angeführt: „die Verfolgung
eines Rechts könne nicht weiter gehen, als das Recht ſelbſt. Wer da-
her jemanden mit Klagen bedrohe, wenn er ſeine Verbindlichkeit nicht
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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/456>, abgerufen am 03.12.2024.
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