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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§§. 181. 182. Abtreibung der Leibesfrucht.

Wird dadurch der Tod der Schwangeren herbeigeführt, so tritt lebensläng-
liche Zuchthausstrafe ein.



Dem Verbrechen des Kindesmordes nahe verwandt ist die Abtrei-
bung der Leibesfrucht. In beiden Fällen wird ein menschliches Wesen
zerstört; der Umstand, ob der Akt der Geburt schon eingetreten ist, un-
terscheidet sie von einander. Während aber die Vorschriften über den
Kindesmord nur die Handlungen der unehelichen Mutter treffen, und
mit Rücksicht auf deren Zustand von allgemeinen Rechtsgrundsätzen ab-
weichen, sind die über die Abtreibung der Leibesfrucht allgemeiner ge-
halten; auch die Handlungen der ehelichen Mutter und dritter Per-
sonen fallen darunter, und wenn die Strafen nicht die für die Tödtung
überhaupt aufgestellten sind, so beruht dieß auf der Erwägung, daß,
wenn der Frucht im Mutterleibe auch der Schutz der Strafgesetze ge-
währt werden soll, doch der Unterschied zwischen dem nach der Geburt
als selbständiges Wesen lebenden Menschen und zwischen dem Embryo
zu berücksichtigen ist. Die Zeit während der Geburt wird aber nach
dem Gesetze so beurtheilt, als ob dem Kinde schon ein selbständiges Le-
ben gegeben sei, und der Begriff des Kindesmordes daher in der oben
angegebenen Erweiterung des Thatbestandes aufgefaßt.

I. Das Verbrechen der Abtreibung der Leibesfrucht, mit welchem
in früherer Zeit manche abergläubische Vorstellungen sich verbanden, ist
in dem Strafgesetzbuch seinem Thatbestande nach sehr allgemein gehalten
worden. s) Es kommt namentlich nicht darauf an, ob äußere oder innere,
gewaltsame oder nicht gewaltsame Mittel zur Verübung des Verbrechens
angewandt worden sind, ob der Zweck erreicht ist durch Abtreibung im
eigentlichen Sinne oder durch Tödtung der Frucht im Mutterleibe; es
kommt endlich nicht auf den Grad der Ausbildung und Reife an, wel-
chen dieselbe erlangt hat. Nur in Beziehung auf die Strafzumessung
ist auf diese verschiedenen Momente ein Gewicht zu legen. t)

II. Die Schwangere, welche sich des Verbrechens schuldig gemacht
hat, wird mit Zuchthaus von zwei bis zu fünf Jahren bestraft. Vor-
sätzliches Handeln wird hier aber immer vorausgesetzt; die Fahrlässigkeit
wird an der Mutter nicht bestraft; die Analogie der Tödtung ist schon,

s) A. L. R. Th. II. Tit. 20. §. 985-91. -- Code penal Art. 317.
Die Fassung dieses Artikels hat in Frankreich Veranlassung zu vielen Kontroversen
gegeben, namentlich in Beziehung auf die Frage, in wie fern ein strafbarer Versuch
dieses Verbrechens anzunehmen sei; s. Chauveau et Helie Faustin, I. c.
chap.
XLV. §. II. -- Nach dem Strafgesetzbuch wird im Fall des §. 181. Abs. 1.
von einem strafbaren Versuche nicht die Rede sein können.
t) Motive zum ersten Entwurf. III. 2. S. 207-12. -- Revision von
1845. II. S. 129.
§§. 181. 182. Abtreibung der Leibesfrucht.

Wird dadurch der Tod der Schwangeren herbeigeführt, ſo tritt lebensläng-
liche Zuchthausſtrafe ein.



Dem Verbrechen des Kindesmordes nahe verwandt iſt die Abtrei-
bung der Leibesfrucht. In beiden Fällen wird ein menſchliches Weſen
zerſtört; der Umſtand, ob der Akt der Geburt ſchon eingetreten iſt, un-
terſcheidet ſie von einander. Während aber die Vorſchriften über den
Kindesmord nur die Handlungen der unehelichen Mutter treffen, und
mit Rückſicht auf deren Zuſtand von allgemeinen Rechtsgrundſätzen ab-
weichen, ſind die über die Abtreibung der Leibesfrucht allgemeiner ge-
halten; auch die Handlungen der ehelichen Mutter und dritter Per-
ſonen fallen darunter, und wenn die Strafen nicht die für die Tödtung
überhaupt aufgeſtellten ſind, ſo beruht dieß auf der Erwägung, daß,
wenn der Frucht im Mutterleibe auch der Schutz der Strafgeſetze ge-
währt werden ſoll, doch der Unterſchied zwiſchen dem nach der Geburt
als ſelbſtändiges Weſen lebenden Menſchen und zwiſchen dem Embryo
zu berückſichtigen iſt. Die Zeit während der Geburt wird aber nach
dem Geſetze ſo beurtheilt, als ob dem Kinde ſchon ein ſelbſtändiges Le-
ben gegeben ſei, und der Begriff des Kindesmordes daher in der oben
angegebenen Erweiterung des Thatbeſtandes aufgefaßt.

I. Das Verbrechen der Abtreibung der Leibesfrucht, mit welchem
in früherer Zeit manche abergläubiſche Vorſtellungen ſich verbanden, iſt
in dem Strafgeſetzbuch ſeinem Thatbeſtande nach ſehr allgemein gehalten
worden. s) Es kommt namentlich nicht darauf an, ob äußere oder innere,
gewaltſame oder nicht gewaltſame Mittel zur Verübung des Verbrechens
angewandt worden ſind, ob der Zweck erreicht iſt durch Abtreibung im
eigentlichen Sinne oder durch Tödtung der Frucht im Mutterleibe; es
kommt endlich nicht auf den Grad der Ausbildung und Reife an, wel-
chen dieſelbe erlangt hat. Nur in Beziehung auf die Strafzumeſſung
iſt auf dieſe verſchiedenen Momente ein Gewicht zu legen. t)

II. Die Schwangere, welche ſich des Verbrechens ſchuldig gemacht
hat, wird mit Zuchthaus von zwei bis zu fünf Jahren beſtraft. Vor-
ſätzliches Handeln wird hier aber immer vorausgeſetzt; die Fahrläſſigkeit
wird an der Mutter nicht beſtraft; die Analogie der Tödtung iſt ſchon,

s) A. L. R. Th. II. Tit. 20. §. 985-91. — Code pénal Art. 317.
Die Faſſung dieſes Artikels hat in Frankreich Veranlaſſung zu vielen Kontroverſen
gegeben, namentlich in Beziehung auf die Frage, in wie fern ein ſtrafbarer Verſuch
dieſes Verbrechens anzunehmen ſei; ſ. Chauveau et Hélie Faustin, I. c.
chap.
XLV. §. II. — Nach dem Strafgeſetzbuch wird im Fall des §. 181. Abſ. 1.
von einem ſtrafbaren Verſuche nicht die Rede ſein können.
t) Motive zum erſten Entwurf. III. 2. S. 207-12. — Reviſion von
1845. II. S. 129.
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[359/0369] §§. 181. 182. Abtreibung der Leibesfrucht. Wird dadurch der Tod der Schwangeren herbeigeführt, ſo tritt lebensläng- liche Zuchthausſtrafe ein. Dem Verbrechen des Kindesmordes nahe verwandt iſt die Abtrei- bung der Leibesfrucht. In beiden Fällen wird ein menſchliches Weſen zerſtört; der Umſtand, ob der Akt der Geburt ſchon eingetreten iſt, un- terſcheidet ſie von einander. Während aber die Vorſchriften über den Kindesmord nur die Handlungen der unehelichen Mutter treffen, und mit Rückſicht auf deren Zuſtand von allgemeinen Rechtsgrundſätzen ab- weichen, ſind die über die Abtreibung der Leibesfrucht allgemeiner ge- halten; auch die Handlungen der ehelichen Mutter und dritter Per- ſonen fallen darunter, und wenn die Strafen nicht die für die Tödtung überhaupt aufgeſtellten ſind, ſo beruht dieß auf der Erwägung, daß, wenn der Frucht im Mutterleibe auch der Schutz der Strafgeſetze ge- währt werden ſoll, doch der Unterſchied zwiſchen dem nach der Geburt als ſelbſtändiges Weſen lebenden Menſchen und zwiſchen dem Embryo zu berückſichtigen iſt. Die Zeit während der Geburt wird aber nach dem Geſetze ſo beurtheilt, als ob dem Kinde ſchon ein ſelbſtändiges Le- ben gegeben ſei, und der Begriff des Kindesmordes daher in der oben angegebenen Erweiterung des Thatbeſtandes aufgefaßt. I. Das Verbrechen der Abtreibung der Leibesfrucht, mit welchem in früherer Zeit manche abergläubiſche Vorſtellungen ſich verbanden, iſt in dem Strafgeſetzbuch ſeinem Thatbeſtande nach ſehr allgemein gehalten worden. s) Es kommt namentlich nicht darauf an, ob äußere oder innere, gewaltſame oder nicht gewaltſame Mittel zur Verübung des Verbrechens angewandt worden ſind, ob der Zweck erreicht iſt durch Abtreibung im eigentlichen Sinne oder durch Tödtung der Frucht im Mutterleibe; es kommt endlich nicht auf den Grad der Ausbildung und Reife an, wel- chen dieſelbe erlangt hat. Nur in Beziehung auf die Strafzumeſſung iſt auf dieſe verſchiedenen Momente ein Gewicht zu legen. t) II. Die Schwangere, welche ſich des Verbrechens ſchuldig gemacht hat, wird mit Zuchthaus von zwei bis zu fünf Jahren beſtraft. Vor- ſätzliches Handeln wird hier aber immer vorausgeſetzt; die Fahrläſſigkeit wird an der Mutter nicht beſtraft; die Analogie der Tödtung iſt ſchon, s) A. L. R. Th. II. Tit. 20. §. 985-91. — Code pénal Art. 317. Die Faſſung dieſes Artikels hat in Frankreich Veranlaſſung zu vielen Kontroverſen gegeben, namentlich in Beziehung auf die Frage, in wie fern ein ſtrafbarer Verſuch dieſes Verbrechens anzunehmen ſei; ſ. Chauveau et Hélie Faustin, I. c. chap. XLV. §. II. — Nach dem Strafgeſetzbuch wird im Fall des §. 181. Abſ. 1. von einem ſtrafbaren Verſuche nicht die Rede ſein können. t) Motive zum erſten Entwurf. III. 2. S. 207-12. — Reviſion von 1845. II. S. 129.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 359. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/369>, abgerufen am 21.11.2024.