wir doch unter andern zu dancken haben, daß uns die betrügliche Welt nicht mit ihren falschen und erdichteten Wundern äffen, und zu ihrem Aber- glauben bewegen kan? Die Gemüths-Erqui- ckungen sind manchem Menschen schier so nö- thig, als das Kleid, das er auf dem Leibe hat. Die geistliche Freude aber kan man nicht haben, wenn man will, sondern GOtt giebt sie, wenn sie der Seele nöthig: vor den Leib hat er andere Mittel verordnet. Zudem, ist die geistliche Freude nicht in hohem Maaße, so bringet sie häuffige Thränen herfür: und derselben reichli- che Vergießung ist nicht allemahl dem Leibe zu- träglich.
Anno 1736. §. 162.
Da diese unvermuthet einfallenden Gewis- sens-Scrupel schier ein Ende hatten, so meynte ich, ich hätte nun alle Trübsaalen und Ge- müths-Plagen in meinem Leben erfahren, die nur können gedacht werden, oder die nur iemahls andern Menschen auch begegnet; allein ehe ich michs versahe, so stellte sich eine neue, und die allerseltsamste Plage und Verdrießlichkeit bey mir ein, die ich noch in keinem eintzigen Buche gelesen, noch iemahls etwas davon gehöret. Weil mich bisher so viel Dinge in schnelle Furcht
und
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gequaͤlet werden koͤnnen;
wir doch unter andern zu dancken haben, daß uns die betruͤgliche Welt nicht mit ihren falſchen und erdichteten Wundern aͤffen, und zu ihrem Aber- glauben bewegen kan? Die Gemuͤths-Erqui- ckungen ſind manchem Menſchen ſchier ſo noͤ- thig, als das Kleid, das er auf dem Leibe hat. Die geiſtliche Freude aber kan man nicht haben, wenn man will, ſondern GOtt giebt ſie, wenn ſie der Seele noͤthig: vor den Leib hat er andere Mittel verordnet. Zudem, iſt die geiſtliche Freude nicht in hohem Maaße, ſo bringet ſie haͤuffige Thraͤnen herfuͤr: und derſelben reichli- che Vergießung iſt nicht allemahl dem Leibe zu- traͤglich.
Anno 1736. §. 162.
Da dieſe unvermuthet einfallenden Gewiſ- ſens-Scrupel ſchier ein Ende hatten, ſo meynte ich, ich haͤtte nun alle Truͤbſaalen und Ge- muͤths-Plagen in meinem Leben erfahren, die nur koͤnnen gedacht werden, oder die nur iemahls andern Menſchen auch begegnet; allein ehe ich michs verſahe, ſo ſtellte ſich eine neue, und die allerſeltſamſte Plage und Verdrießlichkeit bey mir ein, die ich noch in keinem eintzigen Buche geleſen, noch iemahls etwas davon gehoͤret. Weil mich bisher ſo viel Dinge in ſchnelle Furcht
und
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gequaͤlet werden koͤnnen;
wir doch unter andern zu dancken haben, daß uns
die betruͤgliche Welt nicht mit ihren falſchen und
erdichteten Wundern aͤffen, und zu ihrem Aber-
glauben bewegen kan? Die Gemuͤths-Erqui-
ckungen ſind manchem Menſchen ſchier ſo noͤ-
thig, als das Kleid, das er auf dem Leibe hat.
Die geiſtliche Freude aber kan man nicht haben,
wenn man will, ſondern GOtt giebt ſie, wenn
ſie der Seele noͤthig: vor den Leib hat er andere
Mittel verordnet. Zudem, iſt die geiſtliche
Freude nicht in hohem Maaße, ſo bringet ſie
haͤuffige Thraͤnen herfuͤr: und derſelben reichli-
che Vergießung iſt nicht allemahl dem Leibe zu-
traͤglich.
Anno 1736.
§. 162.
Da dieſe unvermuthet einfallenden Gewiſ-
ſens-Scrupel ſchier ein Ende hatten, ſo meynte
ich, ich haͤtte nun alle Truͤbſaalen und Ge-
muͤths-Plagen in meinem Leben erfahren, die
nur koͤnnen gedacht werden, oder die nur iemahls
andern Menſchen auch begegnet; allein ehe ich
michs verſahe, ſo ſtellte ſich eine neue, und die
allerſeltſamſte Plage und Verdrießlichkeit bey
mir ein, die ich noch in keinem eintzigen Buche
geleſen, noch iemahls etwas davon gehoͤret.
Weil mich bisher ſo viel Dinge in ſchnelle Furcht
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Bernd, Adam: Eigene Lebens-Beschreibung. Leipzig, 1738, S. 741. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bernd_lebensbeschreibung_1738/787>, abgerufen am 21.12.2024.
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