Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite
Gebirgs-Pässe und Alpen-Straßen.

Lob verdient, was, gering nur, der wenig Bemittelte leistet,
Wie das größere Werk des reicher vom Glücke Begabten.
Jeder doch thut nur so viel, als nach Maßgab' der Kräfte ihm obliegt.
Hoch über Beiden drum steht, deß Muth bei der Kräfte Beschränktheit
Riesenhaft Großes erfaßt und rühmlich zur Ausführung bringt.

Ueber die höchsten Grate der alpinen Centralketten läuft die
Gränzscheide germanischen und romanischen Elementes; beide würden
schroff und starr getrennt an den entgegengesetzten Abhängen, ein¬
ander fremd, und unherührt von den nachbarlichen Eigenthümlich¬
keiten, durch Jahrtausende fortexistirt haben, wenn nicht die Völker
und ihr Lebens-Verkehr in den tiefsten Einsenkungen der Gebirgs¬
züge sich begegnet wären. Es war ein natürliches Bedürfniß der
ersten Bewohner, welche in den Alpenthälern sich ansiedelten, noch
andere Wege aus ihrer abgeschlossenen Einsamkeit zu finden, als
blos dem Fall der Bäche und Ströme hinab in die Ebene zu folgen;
sie drangen diesseits und jenseits, dem Laufe der Gewässer entgegen¬
schreitend, zu den Quellen derselben empor, und hier begegneten
beide Elemente einander. Daß diese Bestrebungen jenen frühesten
Zeiten angehören, in denen das Alpenland zuerst aus dem Dunkel
der Geschichte auftaucht, beweist die noch heute gebräuchliche Be¬

Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen.

Lob verdient, was, gering nur, der wenig Bemittelte leiſtet,
Wie das größere Werk des reicher vom Glücke Begabten.
Jeder doch thut nur ſo viel, als nach Maßgab' der Kräfte ihm obliegt.
Hoch über Beiden drum ſteht, deß Muth bei der Kräfte Beſchränktheit
Rieſenhaft Großes erfaßt und rühmlich zur Ausführung bringt.

Ueber die höchſten Grate der alpinen Centralketten läuft die
Gränzſcheide germaniſchen und romaniſchen Elementes; beide würden
ſchroff und ſtarr getrennt an den entgegengeſetzten Abhängen, ein¬
ander fremd, und unherührt von den nachbarlichen Eigenthümlich¬
keiten, durch Jahrtauſende fortexiſtirt haben, wenn nicht die Völker
und ihr Lebens-Verkehr in den tiefſten Einſenkungen der Gebirgs¬
züge ſich begegnet wären. Es war ein natürliches Bedürfniß der
erſten Bewohner, welche in den Alpenthälern ſich anſiedelten, noch
andere Wege aus ihrer abgeſchloſſenen Einſamkeit zu finden, als
blos dem Fall der Bäche und Ströme hinab in die Ebene zu folgen;
ſie drangen dieſſeits und jenſeits, dem Laufe der Gewäſſer entgegen¬
ſchreitend, zu den Quellen derſelben empor, und hier begegneten
beide Elemente einander. Daß dieſe Beſtrebungen jenen früheſten
Zeiten angehören, in denen das Alpenland zuerſt aus dem Dunkel
der Geſchichte auftaucht, beweiſt die noch heute gebräuchliche Be¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0323" n="[287]"/>
      <div n="1">
        <head><hi rendition="#fr">Gebirgs-Pä&#x017F;&#x017F;e und Alpen-Straßen</hi>.<lb/></head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <lg type="poem">
          <l>Lob verdient, was, gering nur, der wenig Bemittelte lei&#x017F;tet,</l><lb/>
          <l>Wie das größere Werk des reicher vom Glücke Begabten.</l><lb/>
          <l>Jeder doch thut nur &#x017F;o viel, als nach Maßgab' der Kräfte ihm obliegt.</l><lb/>
          <l>Hoch über Beiden drum &#x017F;teht, deß Muth bei der Kräfte Be&#x017F;chränktheit</l><lb/>
          <l>Rie&#x017F;enhaft Großes erfaßt und rühmlich zur Ausführung bringt.</l><lb/>
        </lg>
        <p>Ueber die höch&#x017F;ten Grate der alpinen Centralketten läuft die<lb/>
Gränz&#x017F;cheide germani&#x017F;chen und romani&#x017F;chen Elementes; beide würden<lb/>
&#x017F;chroff und &#x017F;tarr getrennt an den entgegenge&#x017F;etzten Abhängen, ein¬<lb/>
ander fremd, und unherührt von den nachbarlichen Eigenthümlich¬<lb/>
keiten, durch Jahrtau&#x017F;ende fortexi&#x017F;tirt haben, wenn nicht die Völker<lb/>
und ihr Lebens-Verkehr in den tief&#x017F;ten Ein&#x017F;enkungen der Gebirgs¬<lb/>
züge &#x017F;ich begegnet wären. Es war ein natürliches Bedürfniß der<lb/>
er&#x017F;ten Bewohner, welche in den Alpenthälern &#x017F;ich an&#x017F;iedelten, noch<lb/>
andere Wege aus ihrer abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Ein&#x017F;amkeit zu finden, als<lb/>
blos dem Fall der Bäche und Ströme hinab in die Ebene zu folgen;<lb/>
&#x017F;ie drangen die&#x017F;&#x017F;eits und jen&#x017F;eits, dem Laufe der Gewä&#x017F;&#x017F;er entgegen¬<lb/>
&#x017F;chreitend, zu den Quellen der&#x017F;elben empor, und hier begegneten<lb/>
beide Elemente einander. Daß die&#x017F;e Be&#x017F;trebungen jenen frühe&#x017F;ten<lb/>
Zeiten angehören, in denen das Alpenland zuer&#x017F;t aus dem Dunkel<lb/>
der Ge&#x017F;chichte auftaucht, bewei&#x017F;t die noch heute gebräuchliche Be¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[287]/0323] Gebirgs-Päſſe und Alpen-Straßen. Lob verdient, was, gering nur, der wenig Bemittelte leiſtet, Wie das größere Werk des reicher vom Glücke Begabten. Jeder doch thut nur ſo viel, als nach Maßgab' der Kräfte ihm obliegt. Hoch über Beiden drum ſteht, deß Muth bei der Kräfte Beſchränktheit Rieſenhaft Großes erfaßt und rühmlich zur Ausführung bringt. Ueber die höchſten Grate der alpinen Centralketten läuft die Gränzſcheide germaniſchen und romaniſchen Elementes; beide würden ſchroff und ſtarr getrennt an den entgegengeſetzten Abhängen, ein¬ ander fremd, und unherührt von den nachbarlichen Eigenthümlich¬ keiten, durch Jahrtauſende fortexiſtirt haben, wenn nicht die Völker und ihr Lebens-Verkehr in den tiefſten Einſenkungen der Gebirgs¬ züge ſich begegnet wären. Es war ein natürliches Bedürfniß der erſten Bewohner, welche in den Alpenthälern ſich anſiedelten, noch andere Wege aus ihrer abgeſchloſſenen Einſamkeit zu finden, als blos dem Fall der Bäche und Ströme hinab in die Ebene zu folgen; ſie drangen dieſſeits und jenſeits, dem Laufe der Gewäſſer entgegen¬ ſchreitend, zu den Quellen derſelben empor, und hier begegneten beide Elemente einander. Daß dieſe Beſtrebungen jenen früheſten Zeiten angehören, in denen das Alpenland zuerſt aus dem Dunkel der Geſchichte auftaucht, beweiſt die noch heute gebräuchliche Be¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/323
Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. [287]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/323>, abgerufen am 03.12.2024.