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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XIX. Der Staatsstreich in Pe-kin.
Kun jüngerer Bruder, muss in Dzehol seine Fäden sehr fein ge-
sponnen haben, um die feindliche Parthei so sicher zu machen.
Tsen-pao hielt sich wahrscheinlich zur Zeit des Staatsstreiches
heimlich in Pe-kin auf: nach des Kaisers Tode war er, offenbar
mit politischen Zwecken, nach Dzehol geeilt, vom Regentschafts-
rath aber mit grobem Verweis, dass er ohne Erlaubniss seinen
Posten verlassen habe, fortgeschickt worden, und kam am 1. October
wieder in Pe-kin an. War er am 1. November nicht selbst dort,
so hatte er wohl seine Maassregeln getroffen; denn die Prinzen von
Kun und Tsun handelten mit voller Sicherheit des Erfolges.

Tsae-yuen und Twan-wa wurden am 2. November ohne
Umstände verhaftet. Su-tsuen, welcher die kaiserliche Leiche zu
geleiten hatte, war mit derselben eine Tagereise zurückgeblieben.
Der Prinz von Tsun eilt ihm mit einem Trupp zuverlässiger Reiter
entgegen und trifft ihn wenige Meilen von Pe-kin in einem Ya-
mum
übernachtend; er schreitet durch die Wachen und ruft Su-
tsuen
durch die verschlossene Thür des Schlafgemaches zu, er
solle öffnen und sich verhaften lassen. Su-tsuen höhnt das kaiser-
liche Decret, da nur der Regentschaftsrath zu befehlen habe,
worauf der Prinz die Thür einschlägt und den Würdigen beim
Kragen packt: "Dann verhafte ich dich auf eigene Hand." Su-
tsuen
, der eine Frau seines Harems bei sich hatte, leistete weiter
keinen Widerstand und wurde nach Pe-kin geschleppt. Der Um-
stand, dass er, die kaiserliche Leiche geleitend, sein Harem mit
sich führte, war in den Augen des Volkes ein Capitalverbrechen.

In Pe-kin herrschte die freudigste Erregung; nun die Frev-
ler verhaftet waren, schwand alle Furcht und Scheu. Das bündige
Verfahren ihrer Gegner entzückte nun gar die Menge, die ja überall
Gefallen findet an der Kraft, und erhöhte die Popularität der
Prinzen von Kun und von Tsun. -- Am 5. November begann der Pro-
zess und am 7. Nachmittags wurde der Spruch gefällt, der auf
langsame Hinrichtung aller drei Angeklagten, nach chinesischer
Anschauung die schmachvollste Todesart lautete; er sollte der
Kaiserin-Wittwe Anlass zu einem Gnadenact geben und wurde von
ihr gemildert, für Su-tsuen auf schleunige Enthauptung, für Tsae-
yuen
und Twan-wa auf Selbstentleibung im Kerker. Am Morgen
des 8. November mussten ihnen die Fürsten von Wui und Su,
welche in Dzehol zu ihrer Parthei gestanden hatten, das Urtheil mit-
theilen. Tsae-yuen und Twan-wa wurden unmittelbar darauf in

IV. 14

XIX. Der Staatsstreich in Pe-kiṅ.
Kuṅ jüngerer Bruder, muss in Džehol seine Fäden sehr fein ge-
sponnen haben, um die feindliche Parthei so sicher zu machen.
Tšen-pao hielt sich wahrscheinlich zur Zeit des Staatsstreiches
heimlich in Pe-kiṅ auf: nach des Kaisers Tode war er, offenbar
mit politischen Zwecken, nach Džehol geeilt, vom Regentschafts-
rath aber mit grobem Verweis, dass er ohne Erlaubniss seinen
Posten verlassen habe, fortgeschickt worden, und kam am 1. October
wieder in Pe-kiṅ an. War er am 1. November nicht selbst dort,
so hatte er wohl seine Maassregeln getroffen; denn die Prinzen von
Kuṅ und Tšuṅ handelten mit voller Sicherheit des Erfolges.

Tsae-yuen und Twan-wa wurden am 2. November ohne
Umstände verhaftet. Su-tšuen, welcher die kaiserliche Leiche zu
geleiten hatte, war mit derselben eine Tagereise zurückgeblieben.
Der Prinz von Tsuṅ eilt ihm mit einem Trupp zuverlässiger Reiter
entgegen und trifft ihn wenige Meilen von Pe-kiṅ in einem Ya-
mum
übernachtend; er schreitet durch die Wachen und ruft Su-
tšuen
durch die verschlossene Thür des Schlafgemaches zu, er
solle öffnen und sich verhaften lassen. Su-tšuen höhnt das kaiser-
liche Decret, da nur der Regentschaftsrath zu befehlen habe,
worauf der Prinz die Thür einschlägt und den Würdigen beim
Kragen packt: »Dann verhafte ich dich auf eigene Hand.« Su-
tšuen
, der eine Frau seines Harems bei sich hatte, leistete weiter
keinen Widerstand und wurde nach Pe-kiṅ geschleppt. Der Um-
stand, dass er, die kaiserliche Leiche geleitend, sein Harem mit
sich führte, war in den Augen des Volkes ein Capitalverbrechen.

In Pe-kiṅ herrschte die freudigste Erregung; nun die Frev-
ler verhaftet waren, schwand alle Furcht und Scheu. Das bündige
Verfahren ihrer Gegner entzückte nun gar die Menge, die ja überall
Gefallen findet an der Kraft, und erhöhte die Popularität der
Prinzen von Kuṅ und von Tšuṅ. — Am 5. November begann der Pro-
zess und am 7. Nachmittags wurde der Spruch gefällt, der auf
langsame Hinrichtung aller drei Angeklagten, nach chinesischer
Anschauung die schmachvollste Todesart lautete; er sollte der
Kaiserin-Wittwe Anlass zu einem Gnadenact geben und wurde von
ihr gemildert, für Su-tšuen auf schleunige Enthauptung, für Tsae-
yuen
und Twan-wa auf Selbstentleibung im Kerker. Am Morgen
des 8. November mussten ihnen die Fürsten von Wui und Su,
welche in Džehol zu ihrer Parthei gestanden hatten, das Urtheil mit-
theilen. Tsae-yuen und Twan-wa wurden unmittelbar darauf in

IV. 14
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[209/0223] XIX. Der Staatsstreich in Pe-kiṅ. Kuṅ jüngerer Bruder, muss in Džehol seine Fäden sehr fein ge- sponnen haben, um die feindliche Parthei so sicher zu machen. Tšen-pao hielt sich wahrscheinlich zur Zeit des Staatsstreiches heimlich in Pe-kiṅ auf: nach des Kaisers Tode war er, offenbar mit politischen Zwecken, nach Džehol geeilt, vom Regentschafts- rath aber mit grobem Verweis, dass er ohne Erlaubniss seinen Posten verlassen habe, fortgeschickt worden, und kam am 1. October wieder in Pe-kiṅ an. War er am 1. November nicht selbst dort, so hatte er wohl seine Maassregeln getroffen; denn die Prinzen von Kuṅ und Tšuṅ handelten mit voller Sicherheit des Erfolges. Tsae-yuen und Twan-wa wurden am 2. November ohne Umstände verhaftet. Su-tšuen, welcher die kaiserliche Leiche zu geleiten hatte, war mit derselben eine Tagereise zurückgeblieben. Der Prinz von Tsuṅ eilt ihm mit einem Trupp zuverlässiger Reiter entgegen und trifft ihn wenige Meilen von Pe-kiṅ in einem Ya- mum übernachtend; er schreitet durch die Wachen und ruft Su- tšuen durch die verschlossene Thür des Schlafgemaches zu, er solle öffnen und sich verhaften lassen. Su-tšuen höhnt das kaiser- liche Decret, da nur der Regentschaftsrath zu befehlen habe, worauf der Prinz die Thür einschlägt und den Würdigen beim Kragen packt: »Dann verhafte ich dich auf eigene Hand.« Su- tšuen, der eine Frau seines Harems bei sich hatte, leistete weiter keinen Widerstand und wurde nach Pe-kiṅ geschleppt. Der Um- stand, dass er, die kaiserliche Leiche geleitend, sein Harem mit sich führte, war in den Augen des Volkes ein Capitalverbrechen. In Pe-kiṅ herrschte die freudigste Erregung; nun die Frev- ler verhaftet waren, schwand alle Furcht und Scheu. Das bündige Verfahren ihrer Gegner entzückte nun gar die Menge, die ja überall Gefallen findet an der Kraft, und erhöhte die Popularität der Prinzen von Kuṅ und von Tšuṅ. — Am 5. November begann der Pro- zess und am 7. Nachmittags wurde der Spruch gefällt, der auf langsame Hinrichtung aller drei Angeklagten, nach chinesischer Anschauung die schmachvollste Todesart lautete; er sollte der Kaiserin-Wittwe Anlass zu einem Gnadenact geben und wurde von ihr gemildert, für Su-tšuen auf schleunige Enthauptung, für Tsae- yuen und Twan-wa auf Selbstentleibung im Kerker. Am Morgen des 8. November mussten ihnen die Fürsten von Wui und Su, welche in Džehol zu ihrer Parthei gestanden hatten, das Urtheil mit- theilen. Tsae-yuen und Twan-wa wurden unmittelbar darauf in IV. 14

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/223>, abgerufen am 26.04.2024.