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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Bedrohung der Fremden.
im Bewusstsein des Volkes die sittliche Weltordnung vertritt. Sie
verachtet deshalb ganz besonders die Regierungen christlicher
Staaten, weil diese die Laster des Volkes besteuern und dadurch
legalisiren; weil sie daraus Vortheil ziehen, statt sie zu verfolgen;
weil sie den Schranken der Wirklichkeit und des praktischen
Lebens Rechnung tragen, statt aus der idealen Weltordnung heraus
zu regieren. Die extremen Widersprüche dieser Anschauung mit
den Bedingungen der Körperwelt gehen durch alle chinesischen
Verhältnisse und geben dem Volkscharakter jene sonderbare,
zwischen Idealität und Gemeinheit schillernde Färbung.

Man fragte sich in Pe-kin also nicht, ob es möglich sei
das Laster zu unterdrücken und den Schleichhandel auszurotten,
ob aus Legalisirung der Einfuhr dem Reiche nicht grösserer Nutzen
erwachsen könne als aus ihrer theilweisen Unterdrückung und
geheimen Fortsetzung, sondern man hielt es für unbedingt geboten,
sie mit allen Mächten zu befehden. Trug zu diesem Beschluss auch
leidenschaftliche Erbitterung bei, so war sie durchaus natürlich.

Die Hon-Kaufleute kündigten den Ausländern in Kan-ton
einen mit weitgehenden Vollmachten versehenen Special-Commissar
an, welcher gegen den Opiumhandel strenge Maassregeln ergreifen
werde. Im Januar 1839 erschien ein in ganz ungewöhnlicher Form
direct an die fremden Kaufleute gerichteter Erlass, worin unter An-1839.
drohung von Gewalt schleunige Entfernung der ausserhalb des
Flusses geankerten Opiumschiffe gefordert und das Erscheinen
eines kaiserlichen Bevollmächtigten verheissen wurde, "der, sollte
die Axt in seiner Hand auch brechen oder das Boot unter seinen
Füssen sinken, nicht eher ablassen werde, bis das Werk vollen-
det sei." -- Eines Tages wurde plötzlich ein chinesischer Schmuggler
unter starker Bedeckung auf den Platz vor der Factorei geschleppt
und angesichts der Fremden erdrosselt. Diese strichen ihre Flaggen
und richteten an den Vice-König heftige Vorstellungen, welche
unbeachtet blieben. Nun tauchten vielerlei Gerüchte auf und die
Anzeichen des Sturmes mehrten sich. Bei der Bocca Tigris wur-
den alte Kriegs-Dschunken in Brander umgestaltet. Bei Macao
bezogen chinesische Truppen ein grosses Zeltlager. Man glaubte,
dass der Opium-Commissar seine Operationen dort beginnen werde;
statt dessen erschien er am 22. März 1839 plötzlich in Kan-ton
und verkündete seine Gegenwart durch Maassregeln, die jede Er-
wartung übertrafen.

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Bedrohung der Fremden.
im Bewusstsein des Volkes die sittliche Weltordnung vertritt. Sie
verachtet deshalb ganz besonders die Regierungen christlicher
Staaten, weil diese die Laster des Volkes besteuern und dadurch
legalisiren; weil sie daraus Vortheil ziehen, statt sie zu verfolgen;
weil sie den Schranken der Wirklichkeit und des praktischen
Lebens Rechnung tragen, statt aus der idealen Weltordnung heraus
zu regieren. Die extremen Widersprüche dieser Anschauung mit
den Bedingungen der Körperwelt gehen durch alle chinesischen
Verhältnisse und geben dem Volkscharakter jene sonderbare,
zwischen Idealität und Gemeinheit schillernde Färbung.

Man fragte sich in Pe-kiṅ also nicht, ob es möglich sei
das Laster zu unterdrücken und den Schleichhandel auszurotten,
ob aus Legalisirung der Einfuhr dem Reiche nicht grösserer Nutzen
erwachsen könne als aus ihrer theilweisen Unterdrückung und
geheimen Fortsetzung, sondern man hielt es für unbedingt geboten,
sie mit allen Mächten zu befehden. Trug zu diesem Beschluss auch
leidenschaftliche Erbitterung bei, so war sie durchaus natürlich.

Die Hoṅ-Kaufleute kündigten den Ausländern in Kan-ton
einen mit weitgehenden Vollmachten versehenen Special-Commissar
an, welcher gegen den Opiumhandel strenge Maassregeln ergreifen
werde. Im Januar 1839 erschien ein in ganz ungewöhnlicher Form
direct an die fremden Kaufleute gerichteter Erlass, worin unter An-1839.
drohung von Gewalt schleunige Entfernung der ausserhalb des
Flusses geankerten Opiumschiffe gefordert und das Erscheinen
eines kaiserlichen Bevollmächtigten verheissen wurde, »der, sollte
die Axt in seiner Hand auch brechen oder das Boot unter seinen
Füssen sinken, nicht eher ablassen werde, bis das Werk vollen-
det sei.« — Eines Tages wurde plötzlich ein chinesischer Schmuggler
unter starker Bedeckung auf den Platz vor der Factorei geschleppt
und angesichts der Fremden erdrosselt. Diese strichen ihre Flaggen
und richteten an den Vice-König heftige Vorstellungen, welche
unbeachtet blieben. Nun tauchten vielerlei Gerüchte auf und die
Anzeichen des Sturmes mehrten sich. Bei der Bocca Tigris wur-
den alte Kriegs-Dschunken in Brander umgestaltet. Bei Macao
bezogen chinesische Truppen ein grosses Zeltlager. Man glaubte,
dass der Opium-Commissar seine Operationen dort beginnen werde;
statt dessen erschien er am 22. März 1839 plötzlich in Kan-ton
und verkündete seine Gegenwart durch Maassregeln, die jede Er-
wartung übertrafen.

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[67/0089] Bedrohung der Fremden. im Bewusstsein des Volkes die sittliche Weltordnung vertritt. Sie verachtet deshalb ganz besonders die Regierungen christlicher Staaten, weil diese die Laster des Volkes besteuern und dadurch legalisiren; weil sie daraus Vortheil ziehen, statt sie zu verfolgen; weil sie den Schranken der Wirklichkeit und des praktischen Lebens Rechnung tragen, statt aus der idealen Weltordnung heraus zu regieren. Die extremen Widersprüche dieser Anschauung mit den Bedingungen der Körperwelt gehen durch alle chinesischen Verhältnisse und geben dem Volkscharakter jene sonderbare, zwischen Idealität und Gemeinheit schillernde Färbung. Man fragte sich in Pe-kiṅ also nicht, ob es möglich sei das Laster zu unterdrücken und den Schleichhandel auszurotten, ob aus Legalisirung der Einfuhr dem Reiche nicht grösserer Nutzen erwachsen könne als aus ihrer theilweisen Unterdrückung und geheimen Fortsetzung, sondern man hielt es für unbedingt geboten, sie mit allen Mächten zu befehden. Trug zu diesem Beschluss auch leidenschaftliche Erbitterung bei, so war sie durchaus natürlich. Die Hoṅ-Kaufleute kündigten den Ausländern in Kan-ton einen mit weitgehenden Vollmachten versehenen Special-Commissar an, welcher gegen den Opiumhandel strenge Maassregeln ergreifen werde. Im Januar 1839 erschien ein in ganz ungewöhnlicher Form direct an die fremden Kaufleute gerichteter Erlass, worin unter An- drohung von Gewalt schleunige Entfernung der ausserhalb des Flusses geankerten Opiumschiffe gefordert und das Erscheinen eines kaiserlichen Bevollmächtigten verheissen wurde, »der, sollte die Axt in seiner Hand auch brechen oder das Boot unter seinen Füssen sinken, nicht eher ablassen werde, bis das Werk vollen- det sei.« — Eines Tages wurde plötzlich ein chinesischer Schmuggler unter starker Bedeckung auf den Platz vor der Factorei geschleppt und angesichts der Fremden erdrosselt. Diese strichen ihre Flaggen und richteten an den Vice-König heftige Vorstellungen, welche unbeachtet blieben. Nun tauchten vielerlei Gerüchte auf und die Anzeichen des Sturmes mehrten sich. Bei der Bocca Tigris wur- den alte Kriegs-Dschunken in Brander umgestaltet. Bei Macao bezogen chinesische Truppen ein grosses Zeltlager. Man glaubte, dass der Opium-Commissar seine Operationen dort beginnen werde; statt dessen erschien er am 22. März 1839 plötzlich in Kan-ton und verkündete seine Gegenwart durch Maassregeln, die jede Er- wartung übertrafen. 1839. 5*

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/89>, abgerufen am 27.04.2024.