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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Lord Amherst.
landen und traf am 12. in Tien-tsin ein, wo ihr im Namen des
Kaisers ein glänzendes Fest gegeben, zugleich aber von den Man-
darinen zugemuthet wurde, das Ko-to oder Kopfstossen vor einem
gelben Schirme einzuüben. Die Gesandten aller China tribut-
pflichtigen Reiche müssten diesen Gruss vor dem Kaiser verrichten,
also auch die Engländer. Lord Amherst weigerte sich und wies
darauf hin, dass Kien-lon sich von Lord Macartney nach der vor
dem eigenen Monarchen üblichen Sitte habe begrüssen lassen,
wurde aber von dem Augenblick an und auf der weiteren Reise
schlecht behandelt. In Pe-kin angelangt, erhielt er von Kaiser
Kia-kin die Weisung, sofort vor ihm zu erscheinen. Staubig
und müde von der Reise, die in Karren auf holprigem Wege
zurückgelegt wurde, liess Lord Amherst sich mit Unwohlsein ent-
schuldigen. Der Kaiser sandte seinen Leibarzt, und gab auf dessen
Bescheid, dass nur Ermüdung Lord Amherst von der Befolgung
seines Willens abhalte, den Befehl zu schleuniger Abreise der Ge-
sandtschaft. Sie kehrte also nicht nur unverrichteter Sache, son-
dern ohne überhaupt vorgelassen zu sein, auf dem Landwege nach
Kan-ton zurück, wurde aber auf der Rückreise etwas besser
behandelt, als vor der Ankunft in Pe-kin.

Die Ansicht, dass Lord Amherst's Sendung an seinem vor-
nehmen Betragen gescheitert sei, ist sicher ungegründet. Die
holländischen Gesandten, welche sich jeder Demüthigung unter-
zogen, wurden verspottet und beschimpft, während die Engländer
wenigstens anständige Behandlung erfuhren. Obgleich auch diese
formell nichts erreichten, folgte doch ihren beiden Gesandtschaften
factisch eine Periode des besseren Vernehmens mit den Behörden
in Kan-ton. Durch Ausführung des Ko-to hätten die Gesandten
die Lehnspflicht ihres Landesherrn und die Unterthänigkeit ihrer
Landsleute gegen die Krone China, welche diese beanspruchte,
öffentlich bekannt. Es ist Thatsache, dass Chinesen das Ko-to
niemals vor einem fremden Monarchen vollzogen haben, dass
chinesische Gefangene sich weigerten, vor siegreiehen Königen zu
knieen, dass chinesische Gesandte lieber unverrichteter Sache, ohne
Mittheilung ihrer Aufträge aus Japan heimkehrten, als sich zu jener
Demüthigung verstanden. Die Frage hat politische Bedeutung; die
Wahrung nationaler Würde und Unabhängigkeit ist die erste Be-
dingung des Erfolges im diplomatischen Verkehr mit China, und
selbst die Anwendung von Gewalt hat immer gute Früchte getragen,

Lord Amherst.
landen und traf am 12. in Tien-tsin ein, wo ihr im Namen des
Kaisers ein glänzendes Fest gegeben, zugleich aber von den Man-
darinen zugemuthet wurde, das Ko-to oder Kopfstossen vor einem
gelben Schirme einzuüben. Die Gesandten aller China tribut-
pflichtigen Reiche müssten diesen Gruss vor dem Kaiser verrichten,
also auch die Engländer. Lord Amherst weigerte sich und wies
darauf hin, dass Kien-loṅ sich von Lord Macartney nach der vor
dem eigenen Monarchen üblichen Sitte habe begrüssen lassen,
wurde aber von dem Augenblick an und auf der weiteren Reise
schlecht behandelt. In Pe-kiṅ angelangt, erhielt er von Kaiser
Kia-kiṅ die Weisung, sofort vor ihm zu erscheinen. Staubig
und müde von der Reise, die in Karren auf holprigem Wege
zurückgelegt wurde, liess Lord Amherst sich mit Unwohlsein ent-
schuldigen. Der Kaiser sandte seinen Leibarzt, und gab auf dessen
Bescheid, dass nur Ermüdung Lord Amherst von der Befolgung
seines Willens abhalte, den Befehl zu schleuniger Abreise der Ge-
sandtschaft. Sie kehrte also nicht nur unverrichteter Sache, son-
dern ohne überhaupt vorgelassen zu sein, auf dem Landwege nach
Kan-ton zurück, wurde aber auf der Rückreise etwas besser
behandelt, als vor der Ankunft in Pe-kiṅ.

Die Ansicht, dass Lord Amherst’s Sendung an seinem vor-
nehmen Betragen gescheitert sei, ist sicher ungegründet. Die
holländischen Gesandten, welche sich jeder Demüthigung unter-
zogen, wurden verspottet und beschimpft, während die Engländer
wenigstens anständige Behandlung erfuhren. Obgleich auch diese
formell nichts erreichten, folgte doch ihren beiden Gesandtschaften
factisch eine Periode des besseren Vernehmens mit den Behörden
in Kan-ton. Durch Ausführung des Ko-to hätten die Gesandten
die Lehnspflicht ihres Landesherrn und die Unterthänigkeit ihrer
Landsleute gegen die Krone China, welche diese beanspruchte,
öffentlich bekannt. Es ist Thatsache, dass Chinesen das Ko-to
niemals vor einem fremden Monarchen vollzogen haben, dass
chinesische Gefangene sich weigerten, vor siegreiehen Königen zu
knieen, dass chinesische Gesandte lieber unverrichteter Sache, ohne
Mittheilung ihrer Aufträge aus Japan heimkehrten, als sich zu jener
Demüthigung verstanden. Die Frage hat politische Bedeutung; die
Wahrung nationaler Würde und Unabhängigkeit ist die erste Be-
dingung des Erfolges im diplomatischen Verkehr mit China, und
selbst die Anwendung von Gewalt hat immer gute Früchte getragen,

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[46/0068] Lord Amherst. landen und traf am 12. in Tien-tsin ein, wo ihr im Namen des Kaisers ein glänzendes Fest gegeben, zugleich aber von den Man- darinen zugemuthet wurde, das Ko-to oder Kopfstossen vor einem gelben Schirme einzuüben. Die Gesandten aller China tribut- pflichtigen Reiche müssten diesen Gruss vor dem Kaiser verrichten, also auch die Engländer. Lord Amherst weigerte sich und wies darauf hin, dass Kien-loṅ sich von Lord Macartney nach der vor dem eigenen Monarchen üblichen Sitte habe begrüssen lassen, wurde aber von dem Augenblick an und auf der weiteren Reise schlecht behandelt. In Pe-kiṅ angelangt, erhielt er von Kaiser Kia-kiṅ die Weisung, sofort vor ihm zu erscheinen. Staubig und müde von der Reise, die in Karren auf holprigem Wege zurückgelegt wurde, liess Lord Amherst sich mit Unwohlsein ent- schuldigen. Der Kaiser sandte seinen Leibarzt, und gab auf dessen Bescheid, dass nur Ermüdung Lord Amherst von der Befolgung seines Willens abhalte, den Befehl zu schleuniger Abreise der Ge- sandtschaft. Sie kehrte also nicht nur unverrichteter Sache, son- dern ohne überhaupt vorgelassen zu sein, auf dem Landwege nach Kan-ton zurück, wurde aber auf der Rückreise etwas besser behandelt, als vor der Ankunft in Pe-kiṅ. Die Ansicht, dass Lord Amherst’s Sendung an seinem vor- nehmen Betragen gescheitert sei, ist sicher ungegründet. Die holländischen Gesandten, welche sich jeder Demüthigung unter- zogen, wurden verspottet und beschimpft, während die Engländer wenigstens anständige Behandlung erfuhren. Obgleich auch diese formell nichts erreichten, folgte doch ihren beiden Gesandtschaften factisch eine Periode des besseren Vernehmens mit den Behörden in Kan-ton. Durch Ausführung des Ko-to hätten die Gesandten die Lehnspflicht ihres Landesherrn und die Unterthänigkeit ihrer Landsleute gegen die Krone China, welche diese beanspruchte, öffentlich bekannt. Es ist Thatsache, dass Chinesen das Ko-to niemals vor einem fremden Monarchen vollzogen haben, dass chinesische Gefangene sich weigerten, vor siegreiehen Königen zu knieen, dass chinesische Gesandte lieber unverrichteter Sache, ohne Mittheilung ihrer Aufträge aus Japan heimkehrten, als sich zu jener Demüthigung verstanden. Die Frage hat politische Bedeutung; die Wahrung nationaler Würde und Unabhängigkeit ist die erste Be- dingung des Erfolges im diplomatischen Verkehr mit China, und selbst die Anwendung von Gewalt hat immer gute Früchte getragen,

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/68>, abgerufen am 26.04.2024.