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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Der Centurion.
"Geschenk"; an Hafengeldern sollten nur die unter der Bezeichnung
"Measurage" begriffenen Abgaben fortbestehen. Als das betreffende
Decret in der öffentlichen Audienzhalle zu Kan-ton feierlich verlesen
werden sollte, theilten die Hon-Kaufleute den Fremden vorher mit,
dass sie sich dabei auf beide Kniee niederzuwerfen hätten. In
einer allgemeinen Versammlung gab man sich jedoch das Wort,
diese Zumuthung abzuweisen und verharrte auch dabei. Unfehlbar
hätte solche Demüthigung viele andere nach sich gezogen und die
Lage der Fremden noch verschlimmert. -- In demselben Jahre,
1736, kamen im Ganzen zehn europäische Schiffe nach Kan-ton:
vier englische, zwei holländische, zwei französische, ein dänisches
und ein schwedisches. -- Der Erlass des Kien-lon verbesserte
nicht wesentlich die Lage; die Behörden fuhren bis zum Jahre
1829 fort, das "Geschenk" in seinem vollen Betrage zu erheben,
und die Erpressungen steigerten sich trotz aller Vorstellungen. Die
Hon-Kaufleute scheinen die Mandarinen und die Fremden, welche
sich früher nicht so fern standen, gegen einander aufgehetzt und
das Aufhören jedes unmittelbaren Verkehrs zwischen denselben
absichtlich herbeigeführt zu haben. Der Zweck war, beide Theile
zu hintergehen und im Trüben zu fischen.

Gegen Ende des Jahres 1741 kam zuerst ein englisches
Kriegsschiff nach China: der Centurion unter Commodor Anson
lief, auf einer Weltumsegelung begriffen, Macao an, nahm auf der
Weiterreise das von Acapulco kommende spanische Silberschiff und
brachte dasselbe, um Proviant verlegen, in den Perl-Fluss. Den
Chinesen war die Wegnahme des fremden Schiffes sehr fatal. In
Kan-ton wollten die Hon-Kaufleute dem Commodor die verlangten
Lebensmittel nicht liefern, wenn er nicht persönlich nach Macao
übersiedele; denn wenn er in der Factorei bleibe, so seien sie
Bürgen für ihn und würden schweren Ersatz, vielleicht gar ihr
Leben verwirken, sollte es dem Commodor einfallen, an der chinesi-
schen Küste ein Schiff zu nehmen. Dieser antwortete schliesslich,
er habe nur noch Brod für fünf Tage an Bord und werde Kan-ton
ohne Proviant nicht verlassen. Der Handelsvorsteher drängte die
Hon-Kaufleute, auf die Mandarinen zu wirken, aber vergebens; "die
Beamten, hiess es, hätten ihre besonderen Ansichten über Schiffe,
die sich auf dem Meere herumtrieben, um andere fortzunehmen".
Zuletzt wurde Jenen aber die Gegenwart des englischen Schiffes so
unheimlich, dass sie unter der Hand einem Kaufmann die Lieferung

Der Centurion.
»Geschenk«; an Hafengeldern sollten nur die unter der Bezeichnung
»Measurage« begriffenen Abgaben fortbestehen. Als das betreffende
Decret in der öffentlichen Audienzhalle zu Kan-ton feierlich verlesen
werden sollte, theilten die Hoṅ-Kaufleute den Fremden vorher mit,
dass sie sich dabei auf beide Kniee niederzuwerfen hätten. In
einer allgemeinen Versammlung gab man sich jedoch das Wort,
diese Zumuthung abzuweisen und verharrte auch dabei. Unfehlbar
hätte solche Demüthigung viele andere nach sich gezogen und die
Lage der Fremden noch verschlimmert. — In demselben Jahre,
1736, kamen im Ganzen zehn europäische Schiffe nach Kan-ton:
vier englische, zwei holländische, zwei französische, ein dänisches
und ein schwedisches. — Der Erlass des Kien-loṅ verbesserte
nicht wesentlich die Lage; die Behörden fuhren bis zum Jahre
1829 fort, das »Geschenk« in seinem vollen Betrage zu erheben,
und die Erpressungen steigerten sich trotz aller Vorstellungen. Die
Hoṅ-Kaufleute scheinen die Mandarinen und die Fremden, welche
sich früher nicht so fern standen, gegen einander aufgehetzt und
das Aufhören jedes unmittelbaren Verkehrs zwischen denselben
absichtlich herbeigeführt zu haben. Der Zweck war, beide Theile
zu hintergehen und im Trüben zu fischen.

Gegen Ende des Jahres 1741 kam zuerst ein englisches
Kriegsschiff nach China: der Centurion unter Commodor Anson
lief, auf einer Weltumsegelung begriffen, Macao an, nahm auf der
Weiterreise das von Acapulco kommende spanische Silberschiff und
brachte dasselbe, um Proviant verlegen, in den Perl-Fluss. Den
Chinesen war die Wegnahme des fremden Schiffes sehr fatal. In
Kan-ton wollten die Hoṅ-Kaufleute dem Commodor die verlangten
Lebensmittel nicht liefern, wenn er nicht persönlich nach Macao
übersiedele; denn wenn er in der Factorei bleibe, so seien sie
Bürgen für ihn und würden schweren Ersatz, vielleicht gar ihr
Leben verwirken, sollte es dem Commodor einfallen, an der chinesi-
schen Küste ein Schiff zu nehmen. Dieser antwortete schliesslich,
er habe nur noch Brod für fünf Tage an Bord und werde Kan-ton
ohne Proviant nicht verlassen. Der Handelsvorsteher drängte die
Hoṅ-Kaufleute, auf die Mandarinen zu wirken, aber vergebens; »die
Beamten, hiess es, hätten ihre besonderen Ansichten über Schiffe,
die sich auf dem Meere herumtrieben, um andere fortzunehmen«.
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unheimlich, dass sie unter der Hand einem Kaufmann die Lieferung

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[29/0051] Der Centurion. »Geschenk«; an Hafengeldern sollten nur die unter der Bezeichnung »Measurage« begriffenen Abgaben fortbestehen. Als das betreffende Decret in der öffentlichen Audienzhalle zu Kan-ton feierlich verlesen werden sollte, theilten die Hoṅ-Kaufleute den Fremden vorher mit, dass sie sich dabei auf beide Kniee niederzuwerfen hätten. In einer allgemeinen Versammlung gab man sich jedoch das Wort, diese Zumuthung abzuweisen und verharrte auch dabei. Unfehlbar hätte solche Demüthigung viele andere nach sich gezogen und die Lage der Fremden noch verschlimmert. — In demselben Jahre, 1736, kamen im Ganzen zehn europäische Schiffe nach Kan-ton: vier englische, zwei holländische, zwei französische, ein dänisches und ein schwedisches. — Der Erlass des Kien-loṅ verbesserte nicht wesentlich die Lage; die Behörden fuhren bis zum Jahre 1829 fort, das »Geschenk« in seinem vollen Betrage zu erheben, und die Erpressungen steigerten sich trotz aller Vorstellungen. Die Hoṅ-Kaufleute scheinen die Mandarinen und die Fremden, welche sich früher nicht so fern standen, gegen einander aufgehetzt und das Aufhören jedes unmittelbaren Verkehrs zwischen denselben absichtlich herbeigeführt zu haben. Der Zweck war, beide Theile zu hintergehen und im Trüben zu fischen. Gegen Ende des Jahres 1741 kam zuerst ein englisches Kriegsschiff nach China: der Centurion unter Commodor Anson lief, auf einer Weltumsegelung begriffen, Macao an, nahm auf der Weiterreise das von Acapulco kommende spanische Silberschiff und brachte dasselbe, um Proviant verlegen, in den Perl-Fluss. Den Chinesen war die Wegnahme des fremden Schiffes sehr fatal. In Kan-ton wollten die Hoṅ-Kaufleute dem Commodor die verlangten Lebensmittel nicht liefern, wenn er nicht persönlich nach Macao übersiedele; denn wenn er in der Factorei bleibe, so seien sie Bürgen für ihn und würden schweren Ersatz, vielleicht gar ihr Leben verwirken, sollte es dem Commodor einfallen, an der chinesi- schen Küste ein Schiff zu nehmen. Dieser antwortete schliesslich, er habe nur noch Brod für fünf Tage an Bord und werde Kan-ton ohne Proviant nicht verlassen. Der Handelsvorsteher drängte die Hoṅ-Kaufleute, auf die Mandarinen zu wirken, aber vergebens; »die Beamten, hiess es, hätten ihre besonderen Ansichten über Schiffe, die sich auf dem Meere herumtrieben, um andere fortzunehmen«. Zuletzt wurde Jenen aber die Gegenwart des englischen Schiffes so unheimlich, dass sie unter der Hand einem Kaufmann die Lieferung

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/51>, abgerufen am 26.04.2024.