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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Krisis im englischen Parlament.
dessen sie habhaft werden konnten, fortzuschleppen oder zu mor-
den. Englische Kriegsschiffe machten Jagd auf kaiserliche und
Piraten-Dschunken und verbrannten Küstendörfer, welche feind-
selig auftraten. Zu ernstem Gefecht kam es den Winter über nur
einmal im Fa-tsan-Creek, einem Arm des Perlflusses. Achtung
vor den englischen Waffen konnte die damalige Kriegführung den
Chinesen nicht einflössen; Yi musste sich bestärkt fühlen im Ver-
trauen auf seine Hülfsmittel. So schlecht hatten die Engländer in
China noch niemals gestanden. Sie erreichten nichts mit allen Ge-
waltthaten, die unendliches Elend über die Bevölkerung brachten.
Auf Hong-kong wurden sie von Krämern und Gassenjungen ge-
höhnt und fühlten sich durchaus nicht sicher vor kopfabschnei-
derischen Ueberfällen.

Alle Maassregeln Bowrings und des Admirals wurden von
der englischen Regierung gebilligt; im Parlament erregten sie
einen Sturm der Entrüstung.95) Der Sieg der Opposition führte zu
Auflösung des Hauses; bei den Neuwahlen siegte jedoch die Regie-
rung. Cobden, Layard, Bright, Gibson und andere Vertreter der
Humanität wurden nicht wieder gewählt, und die Fortsetzung des
Krieges -- ohne welche England in der That seine Stellung in
China aufgeben musste -- war entschieden. Die englische Regie-1857.
rung dirigirte eine Streitmacht von fünftausend Mann nach China,
ernannte Lord Elgin zum Special-Commissar und Botschafter am
Hofe von Pe-kin und schloss mit der kaiserlich französischen Re-
gierung, welche vorzüglich durch die Misshandlung von Missio-
naren96) zur Theilnahme bestimmt wurde, einen Vertrag zu gemein-
samen Operationen. Russland und America schickten ebenfalls
ausserordentliche Gesandte nach China, um bei den kommenden
Ereignissen vertreten zu sein. -- Auf Ceylon erhielt Lord Elgin die
ersten Nachrichten vom Ausbruch des Meuterei-Krieges in Indien,
und kurz nach seiner Ankunft in Hong-kong wurden die Berichte
von da so ernst, dass er auf eigene Verantwortung einen grossen
Theil der nach China bestimmten Truppen von der Sunda-Strasse
nach der Ganges-Mündung dirigirte und sich selbst nach Calcutta

95) Im Oberhause legten vorzüglich Lord Derby und Lord Ellenborough, im
Unterhause Sir F. Thesiger und Cobden die Motive der englischen Politik im fernen
Osten mit rücksichtsloser Schärfe bloss.
96) Die daraus entspringenden Verwickelungen veranlassten den französischen
Consul in Kan-ton, am 22. November 1856 seine Flagge zu streichen.
III. 15

Krisis im englischen Parlament.
dessen sie habhaft werden konnten, fortzuschleppen oder zu mor-
den. Englische Kriegsschiffe machten Jagd auf kaiserliche und
Piraten-Dschunken und verbrannten Küstendörfer, welche feind-
selig auftraten. Zu ernstem Gefecht kam es den Winter über nur
einmal im Fa-tšan-Creek, einem Arm des Perlflusses. Achtung
vor den englischen Waffen konnte die damalige Kriegführung den
Chinesen nicht einflössen; Yi musste sich bestärkt fühlen im Ver-
trauen auf seine Hülfsmittel. So schlecht hatten die Engländer in
China noch niemals gestanden. Sie erreichten nichts mit allen Ge-
waltthaten, die unendliches Elend über die Bevölkerung brachten.
Auf Hong-kong wurden sie von Krämern und Gassenjungen ge-
höhnt und fühlten sich durchaus nicht sicher vor kopfabschnei-
derischen Ueberfällen.

Alle Maassregeln Bowrings und des Admirals wurden von
der englischen Regierung gebilligt; im Parlament erregten sie
einen Sturm der Entrüstung.95) Der Sieg der Opposition führte zu
Auflösung des Hauses; bei den Neuwahlen siegte jedoch die Regie-
rung. Cobden, Layard, Bright, Gibson und andere Vertreter der
Humanität wurden nicht wieder gewählt, und die Fortsetzung des
Krieges — ohne welche England in der That seine Stellung in
China aufgeben musste — war entschieden. Die englische Regie-1857.
rung dirigirte eine Streitmacht von fünftausend Mann nach China,
ernannte Lord Elgin zum Special-Commissar und Botschafter am
Hofe von Pe-kiṅ und schloss mit der kaiserlich französischen Re-
gierung, welche vorzüglich durch die Misshandlung von Missio-
naren96) zur Theilnahme bestimmt wurde, einen Vertrag zu gemein-
samen Operationen. Russland und America schickten ebenfalls
ausserordentliche Gesandte nach China, um bei den kommenden
Ereignissen vertreten zu sein. — Auf Ceylon erhielt Lord Elgin die
ersten Nachrichten vom Ausbruch des Meuterei-Krieges in Indien,
und kurz nach seiner Ankunft in Hong-kong wurden die Berichte
von da so ernst, dass er auf eigene Verantwortung einen grossen
Theil der nach China bestimmten Truppen von der Sunda-Strasse
nach der Ganges-Mündung dirigirte und sich selbst nach Calcutta

95) Im Oberhause legten vorzüglich Lord Derby und Lord Ellenborough, im
Unterhause Sir F. Thesiger und Cobden die Motive der englischen Politik im fernen
Osten mit rücksichtsloser Schärfe bloss.
96) Die daraus entspringenden Verwickelungen veranlassten den französischen
Consul in Kan-ton, am 22. November 1856 seine Flagge zu streichen.
III. 15
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[225/0247] Krisis im englischen Parlament. dessen sie habhaft werden konnten, fortzuschleppen oder zu mor- den. Englische Kriegsschiffe machten Jagd auf kaiserliche und Piraten-Dschunken und verbrannten Küstendörfer, welche feind- selig auftraten. Zu ernstem Gefecht kam es den Winter über nur einmal im Fa-tšan-Creek, einem Arm des Perlflusses. Achtung vor den englischen Waffen konnte die damalige Kriegführung den Chinesen nicht einflössen; Yi musste sich bestärkt fühlen im Ver- trauen auf seine Hülfsmittel. So schlecht hatten die Engländer in China noch niemals gestanden. Sie erreichten nichts mit allen Ge- waltthaten, die unendliches Elend über die Bevölkerung brachten. Auf Hong-kong wurden sie von Krämern und Gassenjungen ge- höhnt und fühlten sich durchaus nicht sicher vor kopfabschnei- derischen Ueberfällen. Alle Maassregeln Bowrings und des Admirals wurden von der englischen Regierung gebilligt; im Parlament erregten sie einen Sturm der Entrüstung. 95) Der Sieg der Opposition führte zu Auflösung des Hauses; bei den Neuwahlen siegte jedoch die Regie- rung. Cobden, Layard, Bright, Gibson und andere Vertreter der Humanität wurden nicht wieder gewählt, und die Fortsetzung des Krieges — ohne welche England in der That seine Stellung in China aufgeben musste — war entschieden. Die englische Regie- rung dirigirte eine Streitmacht von fünftausend Mann nach China, ernannte Lord Elgin zum Special-Commissar und Botschafter am Hofe von Pe-kiṅ und schloss mit der kaiserlich französischen Re- gierung, welche vorzüglich durch die Misshandlung von Missio- naren 96) zur Theilnahme bestimmt wurde, einen Vertrag zu gemein- samen Operationen. Russland und America schickten ebenfalls ausserordentliche Gesandte nach China, um bei den kommenden Ereignissen vertreten zu sein. — Auf Ceylon erhielt Lord Elgin die ersten Nachrichten vom Ausbruch des Meuterei-Krieges in Indien, und kurz nach seiner Ankunft in Hong-kong wurden die Berichte von da so ernst, dass er auf eigene Verantwortung einen grossen Theil der nach China bestimmten Truppen von der Sunda-Strasse nach der Ganges-Mündung dirigirte und sich selbst nach Calcutta 1857. 95) Im Oberhause legten vorzüglich Lord Derby und Lord Ellenborough, im Unterhause Sir F. Thesiger und Cobden die Motive der englischen Politik im fernen Osten mit rücksichtsloser Schärfe bloss. 96) Die daraus entspringenden Verwickelungen veranlassten den französischen Consul in Kan-ton, am 22. November 1856 seine Flagge zu streichen. III. 15

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/247>, abgerufen am 26.04.2024.