Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854.1. Eine Sterbestunde.
Trübe schaurige Herbsttage, mit denen des Jahres unfreundlichster Monat, der November, die Fluren überschleierte, wechselten mit unheimlichen Nächten. Zwischen heftigen Sturmstößen, welche die Schlösser erschütterten und sie in ihren Grundfesten erbeben machten, wurde zu Varel wie zu Kniphausen von fern her der Wogendonner der Nordsee vernommen, sie und die Flut im Jahdebusen schlug hohe Wellen. Es regnete und schneite zu gleicher Zeit fast unaufhörlich durcheinander. In ihrem Zimmer saß die alte Reichsgräfin, starr, mit ganz verfallenen Zügen, aber immer noch körperkräftig und noch weniger verlassen von den Kräften ihres seltenen Geistes. Sie war ganz allein; die schöne Cyperkatze, die sich einst so traulich an sie angeschmiegt, war längst gestorben. -- Im leisen Selbstgespräch bewegte die alte Frau die Lippen des zahnlosen Mundes, und gab den Empfindungen Worte, die ihr Herz in schwerem Kampf bewegten. Es ist Alles eitel unter der Sonne, Alles, sprach sie mit den Worten Salomo's, deren erschütternde Wahrheit der Mensch mehr und mehr erkennen lernt, je näher er dem letzten Ziel dieses irdischen Lebens kommt. Hier stehe ich nun, eine in sich selbst zusammenbrechende Ruine, und was habe ich nicht Alles erlebt, gethan, geschaffen, für wie Viele mich abgemüht, und was habe ich mit Alledem erreicht? Stehe ich nicht da, wie jener große Weise des Alterthums, kann ich nicht sprechen gleich ihm: "Ich machte mir Gärten und Lustgärten, und pflanzte allerlei fruchtbare Bäume darein?" -- Mein Marienthal grünt hier noch fort, und die Nachwelt erlabt sich seiner kühlen 1. Eine Sterbestunde.
Trübe schaurige Herbsttage, mit denen des Jahres unfreundlichster Monat, der November, die Fluren überschleierte, wechselten mit unheimlichen Nächten. Zwischen heftigen Sturmstößen, welche die Schlösser erschütterten und sie in ihren Grundfesten erbeben machten, wurde zu Varel wie zu Kniphausen von fern her der Wogendonner der Nordsee vernommen, sie und die Flut im Jahdebusen schlug hohe Wellen. Es regnete und schneite zu gleicher Zeit fast unaufhörlich durcheinander. In ihrem Zimmer saß die alte Reichsgräfin, starr, mit ganz verfallenen Zügen, aber immer noch körperkräftig und noch weniger verlassen von den Kräften ihres seltenen Geistes. Sie war ganz allein; die schöne Cyperkatze, die sich einst so traulich an sie angeschmiegt, war längst gestorben. — Im leisen Selbstgespräch bewegte die alte Frau die Lippen des zahnlosen Mundes, und gab den Empfindungen Worte, die ihr Herz in schwerem Kampf bewegten. Es ist Alles eitel unter der Sonne, Alles, sprach sie mit den Worten Salomo’s, deren erschütternde Wahrheit der Mensch mehr und mehr erkennen lernt, je näher er dem letzten Ziel dieses irdischen Lebens kommt. Hier stehe ich nun, eine in sich selbst zusammenbrechende Ruine, und was habe ich nicht Alles erlebt, gethan, geschaffen, für wie Viele mich abgemüht, und was habe ich mit Alledem erreicht? Stehe ich nicht da, wie jener große Weise des Alterthums, kann ich nicht sprechen gleich ihm: „Ich machte mir Gärten und Lustgärten, und pflanzte allerlei fruchtbare Bäume darein?“ — Mein Marienthal grünt hier noch fort, und die Nachwelt erlabt sich seiner kühlen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0341" n="337"/> <div n="2"> <head>1. Eine Sterbestunde.<lb/></head> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p><hi rendition="#in">T</hi>rübe schaurige Herbsttage, mit denen des Jahres unfreundlichster Monat, der November, die Fluren überschleierte, wechselten mit unheimlichen Nächten. Zwischen heftigen Sturmstößen, welche die Schlösser erschütterten und sie in ihren Grundfesten erbeben machten, wurde zu Varel wie zu Kniphausen von fern her der Wogendonner der Nordsee vernommen, sie und die Flut im Jahdebusen schlug hohe Wellen. Es regnete und schneite zu gleicher Zeit fast unaufhörlich durcheinander. In ihrem Zimmer saß die alte Reichsgräfin, starr, mit ganz verfallenen Zügen, aber immer noch körperkräftig und noch weniger verlassen von den Kräften ihres seltenen Geistes. Sie war ganz allein; die schöne Cyperkatze, die sich einst so traulich an sie angeschmiegt, war längst gestorben. — Im leisen Selbstgespräch bewegte die alte Frau die Lippen des zahnlosen Mundes, und gab den Empfindungen Worte, die ihr Herz in schwerem Kampf bewegten.</p> <p>Es ist Alles eitel unter der Sonne, Alles, sprach sie mit den Worten Salomo’s, deren erschütternde Wahrheit der Mensch mehr und mehr erkennen lernt, je näher er dem letzten Ziel dieses irdischen Lebens kommt. Hier stehe ich nun, eine in sich selbst zusammenbrechende Ruine, und was habe ich nicht Alles erlebt, gethan, geschaffen, für wie Viele mich abgemüht, und was habe ich mit Alledem erreicht? Stehe ich nicht da, wie jener große Weise des Alterthums, kann ich nicht sprechen gleich ihm: „Ich machte mir Gärten und Lustgärten, und pflanzte allerlei fruchtbare Bäume darein?“ — Mein Marienthal grünt hier noch fort, und die Nachwelt erlabt sich seiner kühlen </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [337/0341]
1. Eine Sterbestunde.
Trübe schaurige Herbsttage, mit denen des Jahres unfreundlichster Monat, der November, die Fluren überschleierte, wechselten mit unheimlichen Nächten. Zwischen heftigen Sturmstößen, welche die Schlösser erschütterten und sie in ihren Grundfesten erbeben machten, wurde zu Varel wie zu Kniphausen von fern her der Wogendonner der Nordsee vernommen, sie und die Flut im Jahdebusen schlug hohe Wellen. Es regnete und schneite zu gleicher Zeit fast unaufhörlich durcheinander. In ihrem Zimmer saß die alte Reichsgräfin, starr, mit ganz verfallenen Zügen, aber immer noch körperkräftig und noch weniger verlassen von den Kräften ihres seltenen Geistes. Sie war ganz allein; die schöne Cyperkatze, die sich einst so traulich an sie angeschmiegt, war längst gestorben. — Im leisen Selbstgespräch bewegte die alte Frau die Lippen des zahnlosen Mundes, und gab den Empfindungen Worte, die ihr Herz in schwerem Kampf bewegten.
Es ist Alles eitel unter der Sonne, Alles, sprach sie mit den Worten Salomo’s, deren erschütternde Wahrheit der Mensch mehr und mehr erkennen lernt, je näher er dem letzten Ziel dieses irdischen Lebens kommt. Hier stehe ich nun, eine in sich selbst zusammenbrechende Ruine, und was habe ich nicht Alles erlebt, gethan, geschaffen, für wie Viele mich abgemüht, und was habe ich mit Alledem erreicht? Stehe ich nicht da, wie jener große Weise des Alterthums, kann ich nicht sprechen gleich ihm: „Ich machte mir Gärten und Lustgärten, und pflanzte allerlei fruchtbare Bäume darein?“ — Mein Marienthal grünt hier noch fort, und die Nachwelt erlabt sich seiner kühlen
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Zitationshilfe: | Bechstein, Ludwig: Der Dunkelgraf. Frankfurt (Main), 1854, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bechstein_dunkelgraf_1854/341>, abgerufen am 16.07.2024. |