Meine Herren! Wenn ich Sie um kurzes Gehör bitte für die Ethnologie und deren Aufgabe, so handelt es sich, wie kaum erwähnt zu werden braucht, um jene neue Wissen- schaft, die über uns gekommen ist, wie ein Dieb in der Nacht, vor deren plötzlichen, fast unvermittelten Ueber- raschungen, wir fragend verwundert stehen, in der wir sie zu erkennen glauben, die lang Verheissene, die lang Ge- suchte: die Wissenschaft von Menschen.
Vor 10 oder 20 Jahren noch kaum bekannt und wenig genannt, hat sich die Ethnologie, -- eng ihrer Schwester vereint, der Anthropologie, -- mit einem Schlage zu einer der populärsten Wissenschaften gestaltet, getragen von der all- gemein geographischen Zeitströmung, die wir von unserem Vorsitzenden ausgeführt hörten. Im Jahre 1869 wurde die erste Gesellschaft für Anthropologie und Ethnologie auf deutschem Boden gegründet, jetzt bestehen Dutzende von Vereinen, in stets wachsender Zahl, damals kaum eine Sammlung, die mit Berechtigung den Namen einer ethnolo- gischen hätte beanspruchen können; jetzt bilden und mehren sich Sammlungen ringsumher, erheben sich selbst bereits Museen, der neuen Wissenschaft geweiht. Wo der Zeitgeist mit so durchschallenden Schlagworten redet, so laut und deutlich das ausspricht was er will, würde es Anmaassung scheinen, in einem Commentar mitreden zu wollen. Es lässt sich nur sagen: die Zeit verlangt die Ethnologie, organisch
Meine Herren! Wenn ich Sie um kurzes Gehör bitte für die Ethnologie und deren Aufgabe, so handelt es sich, wie kaum erwähnt zu werden braucht, um jene neue Wissen- schaft, die über uns gekommen ist, wie ein Dieb in der Nacht, vor deren plötzlichen, fast unvermittelten Ueber- raschungen, wir fragend verwundert stehen, in der wir sie zu erkennen glauben, die lang Verheissene, die lang Ge- suchte: die Wissenschaft von Menschen.
Vor 10 oder 20 Jahren noch kaum bekannt und wenig genannt, hat sich die Ethnologie, — eng ihrer Schwester vereint, der Anthropologie, — mit einem Schlage zu einer der populärsten Wissenschaften gestaltet, getragen von der all- gemein geographischen Zeitströmung, die wir von unserem Vorsitzenden ausgeführt hörten. Im Jahre 1869 wurde die erste Gesellschaft für Anthropologie und Ethnologie auf deutschem Boden gegründet, jetzt bestehen Dutzende von Vereinen, in stets wachsender Zahl, damals kaum eine Sammlung, die mit Berechtigung den Namen einer ethnolo- gischen hätte beanspruchen können; jetzt bilden und mehren sich Sammlungen ringsumher, erheben sich selbst bereits Museen, der neuen Wissenschaft geweiht. Wo der Zeitgeist mit so durchschallenden Schlagworten redet, so laut und deutlich das ausspricht was er will, würde es Anmaassung scheinen, in einem Commentar mitreden zu wollen. Es lässt sich nur sagen: die Zeit verlangt die Ethnologie, organisch
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Meine Herren! Wenn ich Sie um kurzes Gehör bitte für
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kaum erwähnt zu werden braucht, um jene neue Wissen-
schaft, die über uns gekommen ist, wie ein Dieb in der
Nacht, vor deren plötzlichen, fast unvermittelten Ueber-
raschungen, wir fragend verwundert stehen, in der wir sie
zu erkennen glauben, die lang Verheissene, die lang Ge-
suchte: die Wissenschaft von Menschen.
Vor 10 oder 20 Jahren noch kaum bekannt und wenig
genannt, hat sich die Ethnologie, — eng ihrer Schwester
vereint, der Anthropologie, — mit einem Schlage zu einer der
populärsten Wissenschaften gestaltet, getragen von der all-
gemein geographischen Zeitströmung, die wir von unserem
Vorsitzenden ausgeführt hörten. Im Jahre 1869 wurde
die erste Gesellschaft für Anthropologie und Ethnologie
auf deutschem Boden gegründet, jetzt bestehen Dutzende
von Vereinen, in stets wachsender Zahl, damals kaum eine
Sammlung, die mit Berechtigung den Namen einer ethnolo-
gischen hätte beanspruchen können; jetzt bilden und mehren
sich Sammlungen ringsumher, erheben sich selbst bereits
Museen, der neuen Wissenschaft geweiht. Wo der Zeitgeist
mit so durchschallenden Schlagworten redet, so laut und
deutlich das ausspricht was er will, würde es Anmaassung
scheinen, in einem Commentar mitreden zu wollen. Es lässt
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Bastian, Adolf: Der Völkergedanke im Aufbau einer Wissenschaft vom Menschen. Berlin, 1881, S. [169]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bastian_voelkergedanke_1881/203>, abgerufen am 04.03.2025.
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