Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919.

Bild:
<< vorherige Seite

Tatsache, dass der Sitz der Weltseele, Berlin, seit 1871
Sitz der Weltreaktion geworden war 78).

Vielleicht schlägt einmal die Stunde der allgemeinen
Völkerverbrüderung. Dann hat den deutschen Gedanken
die Arbeit aller Generationen Europas genährt. Solange
aber ist die Exaltierung der wichtigsten Idee Europas und
der Welt, der Freiheit, nicht möglich, als in einem Volk
von der Grösse des deutschen, die primitivsten Voraus-
setzungen dafür fehlen. Die Zeit theoretischer Versprechungen
ist vorbei. Die ganze Welt wartet auf uns. Werfen wir die
Gewaltmethoden und die Sophistik ab, und die neue In-
ternationale ist gegründet. Die marxistische Pseudologie
hat Russland ins Verderben gestürzt und den Despotismus
stärker gemacht als je. Sie versucht heute Revolutionen
in Frankreich und Italien zu provozieren, um im eigenen
Lande den Militärgeist zu retten; denn Bevormundung,
"Ordnung und Sicherheit" erscheinen dem deutschen Phi-
lister und auch Proleten bequemer und weniger schrecklich
als Rebellion. Unsere historische Schuld ist zu gross.
Bekennen wir es! Gestehen wir's zu! Wir werden nicht
eher Versöhnung finden, als bis wir in weissen Fahnen die
Freiheit tragen.

4.

Die Bedeutung des preussischen Junkertums und sein
detestabler Einfluss auf die deutsche Politik konnten nur
deshalb im Auslande unterschätzt werden und 1914 über-
raschen, weil man im deutschen Parteileben in den wenigen
Jahrzehnten seines Bestehens zu wenig politische Schule
und zu viele patriotische Hemmungen hatte.

Ueber kein Thema ist in Deutschland so wenig ge-
schrieben worden, wie über den deutschen Adel. Und wenn
schon geschrieben wurde, so mit einer himmelschreienden
Harmlosigkeit, mit einer jeder Nerven- und Phantasiekraft

Tatsache, dass der Sitz der Weltseele, Berlin, seit 1871
Sitz der Weltreaktion geworden war 78).

Vielleicht schlägt einmal die Stunde der allgemeinen
Völkerverbrüderung. Dann hat den deutschen Gedanken
die Arbeit aller Generationen Europas genährt. Solange
aber ist die Exaltierung der wichtigsten Idee Europas und
der Welt, der Freiheit, nicht möglich, als in einem Volk
von der Grösse des deutschen, die primitivsten Voraus-
setzungen dafür fehlen. Die Zeit theoretischer Versprechungen
ist vorbei. Die ganze Welt wartet auf uns. Werfen wir die
Gewaltmethoden und die Sophistik ab, und die neue In-
ternationale ist gegründet. Die marxistische Pseudologie
hat Russland ins Verderben gestürzt und den Despotismus
stärker gemacht als je. Sie versucht heute Revolutionen
in Frankreich und Italien zu provozieren, um im eigenen
Lande den Militärgeist zu retten; denn Bevormundung,
„Ordnung und Sicherheit“ erscheinen dem deutschen Phi-
lister und auch Proleten bequemer und weniger schrecklich
als Rebellion. Unsere historische Schuld ist zu gross.
Bekennen wir es! Gestehen wir's zu! Wir werden nicht
eher Versöhnung finden, als bis wir in weissen Fahnen die
Freiheit tragen.

4.

Die Bedeutung des preussischen Junkertums und sein
detestabler Einfluss auf die deutsche Politik konnten nur
deshalb im Auslande unterschätzt werden und 1914 über-
raschen, weil man im deutschen Parteileben in den wenigen
Jahrzehnten seines Bestehens zu wenig politische Schule
und zu viele patriotische Hemmungen hatte.

Ueber kein Thema ist in Deutschland so wenig ge-
schrieben worden, wie über den deutschen Adel. Und wenn
schon geschrieben wurde, so mit einer himmelschreienden
Harmlosigkeit, mit einer jeder Nerven- und Phantasiekraft

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0211" n="203"/>
Tatsache, dass der Sitz der Weltseele, Berlin, seit 1871<lb/>
Sitz der Weltreaktion geworden war <note xml:id="id78d" next="id78d78d" place="end" n="78)"/>.</p><lb/>
          <p>Vielleicht schlägt einmal die Stunde der allgemeinen<lb/>
Völkerverbrüderung. Dann hat den deutschen Gedanken<lb/>
die Arbeit aller Generationen Europas genährt. Solange<lb/>
aber ist die Exaltierung der wichtigsten Idee Europas und<lb/>
der Welt, der Freiheit, nicht möglich, als in einem Volk<lb/>
von der Grösse des deutschen, die primitivsten Voraus-<lb/>
setzungen dafür fehlen. Die Zeit theoretischer Versprechungen<lb/>
ist vorbei. Die ganze Welt wartet auf uns. Werfen wir die<lb/>
Gewaltmethoden und die Sophistik ab, und die neue In-<lb/>
ternationale ist gegründet. Die marxistische Pseudologie<lb/>
hat Russland ins Verderben gestürzt und den Despotismus<lb/>
stärker gemacht als je. Sie versucht heute Revolutionen<lb/>
in Frankreich und Italien zu provozieren, um im eigenen<lb/>
Lande den Militärgeist zu retten; denn Bevormundung,<lb/>
&#x201E;Ordnung und Sicherheit&#x201C; erscheinen dem deutschen Phi-<lb/>
lister und auch Proleten bequemer und weniger schrecklich<lb/>
als Rebellion. Unsere historische Schuld ist zu gross.<lb/>
Bekennen wir es! Gestehen wir's zu! Wir werden nicht<lb/>
eher Versöhnung finden, als bis wir in <hi rendition="#i">weissen</hi> Fahnen die<lb/>
Freiheit tragen.</p><lb/>
        </div>
        <div n="2">
          <head>4.<lb/></head>
          <p>Die Bedeutung des preussischen Junkertums und sein<lb/>
detestabler Einfluss auf die deutsche Politik konnten nur<lb/>
deshalb im Auslande unterschätzt werden und 1914 über-<lb/>
raschen, weil man im deutschen Parteileben in den wenigen<lb/>
Jahrzehnten seines Bestehens zu wenig politische Schule<lb/>
und zu viele patriotische Hemmungen hatte.</p><lb/>
          <p>Ueber kein Thema ist in Deutschland so wenig ge-<lb/>
schrieben worden, wie über den deutschen Adel. Und wenn<lb/>
schon geschrieben wurde, so mit einer himmelschreienden<lb/>
Harmlosigkeit, mit einer jeder Nerven- und Phantasiekraft<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[203/0211] Tatsache, dass der Sitz der Weltseele, Berlin, seit 1871 Sitz der Weltreaktion geworden war ⁷⁸⁾ . Vielleicht schlägt einmal die Stunde der allgemeinen Völkerverbrüderung. Dann hat den deutschen Gedanken die Arbeit aller Generationen Europas genährt. Solange aber ist die Exaltierung der wichtigsten Idee Europas und der Welt, der Freiheit, nicht möglich, als in einem Volk von der Grösse des deutschen, die primitivsten Voraus- setzungen dafür fehlen. Die Zeit theoretischer Versprechungen ist vorbei. Die ganze Welt wartet auf uns. Werfen wir die Gewaltmethoden und die Sophistik ab, und die neue In- ternationale ist gegründet. Die marxistische Pseudologie hat Russland ins Verderben gestürzt und den Despotismus stärker gemacht als je. Sie versucht heute Revolutionen in Frankreich und Italien zu provozieren, um im eigenen Lande den Militärgeist zu retten; denn Bevormundung, „Ordnung und Sicherheit“ erscheinen dem deutschen Phi- lister und auch Proleten bequemer und weniger schrecklich als Rebellion. Unsere historische Schuld ist zu gross. Bekennen wir es! Gestehen wir's zu! Wir werden nicht eher Versöhnung finden, als bis wir in weissen Fahnen die Freiheit tragen. 4. Die Bedeutung des preussischen Junkertums und sein detestabler Einfluss auf die deutsche Politik konnten nur deshalb im Auslande unterschätzt werden und 1914 über- raschen, weil man im deutschen Parteileben in den wenigen Jahrzehnten seines Bestehens zu wenig politische Schule und zu viele patriotische Hemmungen hatte. Ueber kein Thema ist in Deutschland so wenig ge- schrieben worden, wie über den deutschen Adel. Und wenn schon geschrieben wurde, so mit einer himmelschreienden Harmlosigkeit, mit einer jeder Nerven- und Phantasiekraft

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Schulz, Dienstleister (Muttersprachler): Bereitstellung der Texttranskription nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-02-17T09:20:45Z)
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-02-17T09:20:45Z)

Weitere Informationen:

  • Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/211
Zitationshilfe: Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/211>, abgerufen am 30.12.2024.