Lassalle wurde am 11. April 1825 in Breslau geboren, wo nach Eduard Bernstein bis zum Jahre 1848 die Juden nicht einmal formell emanzipiert waren. Das Bewusstsein, von jüdischer Herkunft zu sein, war ihm, ebenfalls nach Bernstein, "eingestandenermassen noch in vorgeschrittenen Jahren peinlich" 1). Nach seinem erst um 1890 veröffent- lichten Tagebuch ist es die Qual seiner jüdischen Abstam- mung, die ihn leitet und die den Schlüssel gibt für sein Leben. Schon als Fünfzehnjähriger schreibt er: "Ich könnte wie jener Jude in Bulwers ,Leila' mein Leben wagen, die Juden aus ihrer jetzigen drückenden Lage zu reissen. Ich würde selbst das Schaffot nicht scheuen, könnte ich sie wieder zu einem geachteten Volke machen" 2). Sein Lieb- lingstraum ist, "an der Spitze der Juden, mit den Waffen in der Hand, sie selbständig zu machen." Der Stachel der Torturen, von denen er spricht, drängt ihn, sich um jeden Preis Anerkennung und Geltung zu verschaffen. Alle seine hochfliegenden Pläne gelten der jüdischen Emanzipation. Er führt den sogenannten "Kasettenprozess" der Gräfin Hatzfeld, führt ihn mit allen Mitteln, Spionage, Bestechung, Klatsch und Schmutz, nur um als jüdischer Ritter einer adligen Dame den Beweis zu liefern, dass das Talent entscheidet, nicht der Geburtsadel eines preussischen Junkers, gegen den der Prozess sich richtet. Seine Pas- sion, durch aussergewöhnliche Unternehmungen zu ver- blüffen, entspringt einem Heisshunger nach Glanz, Macht und Ruhm.
Einen jüdischen Alzibiades erlebt Deutschland. 1845
VIERTES KAPITEL.
1.
Lassalle wurde am 11. April 1825 in Breslau geboren, wo nach Eduard Bernstein bis zum Jahre 1848 die Juden nicht einmal formell emanzipiert waren. Das Bewusstsein, von jüdischer Herkunft zu sein, war ihm, ebenfalls nach Bernstein, „eingestandenermassen noch in vorgeschrittenen Jahren peinlich“ 1). Nach seinem erst um 1890 veröffent- lichten Tagebuch ist es die Qual seiner jüdischen Abstam- mung, die ihn leitet und die den Schlüssel gibt für sein Leben. Schon als Fünfzehnjähriger schreibt er: „Ich könnte wie jener Jude in Bulwers ‚Leila‘ mein Leben wagen, die Juden aus ihrer jetzigen drückenden Lage zu reissen. Ich würde selbst das Schaffot nicht scheuen, könnte ich sie wieder zu einem geachteten Volke machen“ 2). Sein Lieb- lingstraum ist, „an der Spitze der Juden, mit den Waffen in der Hand, sie selbständig zu machen.“ Der Stachel der Torturen, von denen er spricht, drängt ihn, sich um jeden Preis Anerkennung und Geltung zu verschaffen. Alle seine hochfliegenden Pläne gelten der jüdischen Emanzipation. Er führt den sogenannten „Kasettenprozess“ der Gräfin Hatzfeld, führt ihn mit allen Mitteln, Spionage, Bestechung, Klatsch und Schmutz, nur um als jüdischer Ritter einer adligen Dame den Beweis zu liefern, dass das Talent entscheidet, nicht der Geburtsadel eines preussischen Junkers, gegen den der Prozess sich richtet. Seine Pas- sion, durch aussergewöhnliche Unternehmungen zu ver- blüffen, entspringt einem Heisshunger nach Glanz, Macht und Ruhm.
Einen jüdischen Alzibiades erlebt Deutschland. 1845
<TEI><text><body><pbfacs="#f0180"n="172"/><divn="1"><head><hirendition="#g">VIERTES KAPITEL</hi>.<lb/></head><divn="2"><head>1.<lb/></head><p><hirendition="#in">L</hi>assalle wurde am 11. April 1825 in Breslau geboren,<lb/>
wo nach Eduard Bernstein bis zum Jahre 1848 die Juden<lb/>
nicht einmal formell emanzipiert waren. Das Bewusstsein,<lb/>
von jüdischer Herkunft zu sein, war ihm, ebenfalls nach<lb/>
Bernstein, „eingestandenermassen noch in vorgeschrittenen<lb/>
Jahren peinlich“<notexml:id="id1d"next="id1d1d"place="end"n="1)"/>. Nach seinem erst um 1890 veröffent-<lb/>
lichten Tagebuch ist es die Qual seiner jüdischen Abstam-<lb/>
mung, die ihn leitet und die den Schlüssel gibt für sein<lb/>
Leben. Schon als Fünfzehnjähriger schreibt er: „Ich könnte<lb/>
wie jener Jude in Bulwers ‚Leila‘ mein Leben wagen, die<lb/>
Juden aus ihrer jetzigen drückenden Lage zu reissen. Ich<lb/>
würde selbst das Schaffot nicht scheuen, könnte ich sie<lb/>
wieder zu einem geachteten Volke machen“<notexml:id="id2d"next="id2d2d"place="end"n="2)"/>. Sein Lieb-<lb/>
lingstraum ist, „an der Spitze der Juden, mit den Waffen<lb/>
in der Hand, sie selbständig zu machen.“ Der Stachel der<lb/>
Torturen, von denen er spricht, drängt ihn, sich um jeden<lb/>
Preis Anerkennung und Geltung zu verschaffen. Alle seine<lb/>
hochfliegenden Pläne gelten der jüdischen Emanzipation.<lb/>
Er führt den sogenannten „Kasettenprozess“ der Gräfin<lb/>
Hatzfeld, führt ihn mit allen Mitteln, Spionage, Bestechung,<lb/>
Klatsch und Schmutz, nur um als jüdischer Ritter einer<lb/>
adligen Dame den Beweis zu liefern, dass das Talent<lb/>
entscheidet, nicht der Geburtsadel eines preussischen<lb/>
Junkers, gegen den der Prozess sich richtet. Seine Pas-<lb/>
sion, durch aussergewöhnliche Unternehmungen zu ver-<lb/>
blüffen, entspringt einem Heisshunger nach Glanz, Macht<lb/>
und Ruhm.</p><lb/><p>Einen jüdischen Alzibiades erlebt Deutschland. 1845<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[172/0180]
VIERTES KAPITEL.
1.
Lassalle wurde am 11. April 1825 in Breslau geboren,
wo nach Eduard Bernstein bis zum Jahre 1848 die Juden
nicht einmal formell emanzipiert waren. Das Bewusstsein,
von jüdischer Herkunft zu sein, war ihm, ebenfalls nach
Bernstein, „eingestandenermassen noch in vorgeschrittenen
Jahren peinlich“
¹⁾
. Nach seinem erst um 1890 veröffent-
lichten Tagebuch ist es die Qual seiner jüdischen Abstam-
mung, die ihn leitet und die den Schlüssel gibt für sein
Leben. Schon als Fünfzehnjähriger schreibt er: „Ich könnte
wie jener Jude in Bulwers ‚Leila‘ mein Leben wagen, die
Juden aus ihrer jetzigen drückenden Lage zu reissen. Ich
würde selbst das Schaffot nicht scheuen, könnte ich sie
wieder zu einem geachteten Volke machen“
²⁾
. Sein Lieb-
lingstraum ist, „an der Spitze der Juden, mit den Waffen
in der Hand, sie selbständig zu machen.“ Der Stachel der
Torturen, von denen er spricht, drängt ihn, sich um jeden
Preis Anerkennung und Geltung zu verschaffen. Alle seine
hochfliegenden Pläne gelten der jüdischen Emanzipation.
Er führt den sogenannten „Kasettenprozess“ der Gräfin
Hatzfeld, führt ihn mit allen Mitteln, Spionage, Bestechung,
Klatsch und Schmutz, nur um als jüdischer Ritter einer
adligen Dame den Beweis zu liefern, dass das Talent
entscheidet, nicht der Geburtsadel eines preussischen
Junkers, gegen den der Prozess sich richtet. Seine Pas-
sion, durch aussergewöhnliche Unternehmungen zu ver-
blüffen, entspringt einem Heisshunger nach Glanz, Macht
und Ruhm.
Einen jüdischen Alzibiades erlebt Deutschland. 1845
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Ball, Hugo: Zur Kritik der deutschen Intelligenz. Bern, 1919, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ball_intelligenz_1919/180>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.