Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 174. Augsburg, 22. Juni 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Lectüre waren Shakespeare Davanzati und die Gesänge des Tyrtäus, von seinem Freunde Provana. Indessen hatte sich das zur Aufhebung der Belagerung bestimmte griechische Corps aufgelöst, und die griechische Flotte hatte die türkische an der Landung zu Modon nicht hindern können. Die Belagerung, welche in den letzten Tagen des April nachzulassen schien, war mit mehr Eifer wieder aufgenommen worden, die Bresche war geöffnet und gangbar, der Feind hundert Schritte von den Mauern. Die beiden Flotten kämpften täglich vor dem Hafen, der noch von einer griechischen Escadre besetzt war. Am 7 Abends trieb der Wind die Griechen nach Norden und man fürchtete, die Türken möchten sich der Insel Sphakteria, welche den Hafen deckt, zu bemächtigen suchen. Sie war von 1000 Mann und 15 Kanonen besetzt. Man schickte 100 Mann Verstärkung. Santa-Rosa begleitete sie. Am 8 um 9 Uhr Morgens schrieb er Collegno: "Eine Landung scheint mir auf dem Vertheidigungspunkte, auf dem ich mich befinde nicht unmöglich...." Um 11 Uhr wurde die Insel angegriffen, um 12 Uhr waren die Türken unbestrittene Herren. Von den 11 bis 1200 Mann, welche auf der Insel waren, hatten sich einige auf die Escadre gerettet, welche im Hafen vor Anker lag, und welche, im Augenblick des Angriffes ihre Taue abschneidend, durch die türkische Flotte hindurch die hohe See erreichte. Zwei gelangten schwimmend von der Insel bis zur Festung. Sie sagten aus, daß die Mehrzahl eine Furt im Norden der Insel durchschritten und sich in den Paleo Castro geworfen habe. Dieser Wust von Ruinen wurde von den Türken am 10 genommen. Man kannte auf dem Platze das Schicksal der Griechen nicht, welche sich daselbst befanden. In Navarin begann Wassermangel einzutreten. Man vertheilte seit langem schon nur zwei Gläser täglich an jeden Mann. Die Kriegsmunitionen waren erschöpft. Ibrahim ließ eine Capitulation anbieten und verlangte, man solle Unterhändler schicken. Collegno verließ den Platz mit ihnen am 16 Mai, um zu versuchen, etwas über das Schicksal seines Freundes zu erfahren, welches er nur zu gut vorhersah. Man bezeichnete ihm Soliman Bey (den Renegaten Selves) als den, welcher den Angriff der Insel geleitet habe. Er fand ihn im Zelte des Stellvertreters Ibrahims, unter den Mauern Modons. Soliman sagte ihm, er habe alle Gefangenen untersucht, es habe sich nur ein einziger Europäer, ein Deutscher, darunter gefunden, welcher sofort freigelassen worden sey und sich am Bord eines österreichischen Schiffes befinde. Ueberdieß ließ Soliman seinen Oberstlieutenant rufen, gab ihm auf Arabisch Santa-Rosa's Signalement, welches Collegno ihm in französischer Sprache dictirte, und befahl ihm, ihm am andern Morgen genaue Nachricht über das Schicksal des Mannes zu geben, den man suche. Der Name Santa-Rosa war den Türken nicht unbekannt. Ihre Miene ward traurig, als sie erfuhren, daß man fürchte, er sey todt. Sie betrachteten mit der Stille des Mitleidens seinen Freund, welcher gekommen war, ihn zurückbitten. Am 18 ließ Soliman Bey Collegno nach den Vorposten kommen und sagte ihm, daß ein Soldat seines Regiments den Mann, dessen Signalement er ihm gegeben, unter den Todten gesehen habe.

"Navarin capitulirte. Am 24 wurde die Besatzung in Calamata ausgeschifft, wohin sie auf neutralen Schiffen gebracht worden war. Man wußte dort, daß der größte Theil der Griechen, welche auf der Insel Sphakteria gewesen waren, am 8 sich nach Paleo Castro zurückgezogen, am 10 capitulirt hatten, und ohne Waffen, aber frei ausgezogen seyen. Santa-Rosa war nicht unter ihnen. Er hatte sich eben so wenig an Bord der griechischen Fahrzeuge, welche im Hafen lagen, zurückgezogen. Collegno hat in Smyrna den Deutschen wiedergesehen, welcher in Sphakteria gefangen genommen war und von dem ihm Soliman-Bey gesprochen hatte; er hatte Santa-Rosa nicht unter den Gefangenen erblickt."

Als ich später Collegno fragte, ob er nicht unter seinen Erinnerungen irgend ein genaues und zuverlässiges Detail der oben stehenden Notiz hinzuzufügen fände, theilte er mir das folgende mit: "Am 4 December 1824 entdeckten wir die Gebirge des Peloponnesus. Von sechs Passagieren, welche am Bord der "Little Sally" waren, empfanden fünf die jedem Menschen, welcher sich dem Ende einer langen Seereise nähert, natürliche Freude; drei namentlich konnten es kaum erwarten, den geheiligten Boden zu betreten. Santa-Rosa allein, auf eine Kanone gestützt, betrachtete traurig das Land, welches sich immer deutlicher vor unsern Blicken entfaltete. Am Abend sagte er zu Collegno: "Ich weiß nicht, warum es mir leid thut, daß die Reise schon zu Ende ist; Griechenland wird der Idee nicht entsprechen, welche ich mir davon mache; wer weiß, wie wir dort empfangen werden, welches Schicksal unser dort harrt?" Am 31 December befand sich Santa-Rosa bei dem Justizminister, Grafen Theotoki. Man sprach von der Kälte, mit welcher Fremde, für die die griechischen Deputirten in London sich verbürgten, und welche nur irgend eine Beschäftigung verlangten, von der Regierung aufgenommen wurden. Graf Theotoki antwortete: "Was wollen Sie? Nicht Menschen, nicht Waffen und Munition brauchen wir, sondern Geld." Am andern Morgen, am 1 Januar, sagte Hr. Mason, ein Schotte, welcher mit Santa-Rosa befreundet war, zu diesem, daß ein griechischer Freund Theotoki's ihm, Mason, gerathen habe, mit Santa-Rosa und Collegno, als Leuten, welche der Regierung verdächtig seyen, nicht umzugehen. Am andern Morgen verließ Santa-Rosa Napoli. Bei der Abreise nach Epidaurus, am dritten Abend, hat ein "papas" von ehrwürdigem Aussehen, aber mit Lumpen bedeckt, man möge ihm erlauben, in unserer Barke mit nach Aegina überzusetzen. Durch unseren Dolmetscher befragt, ließ er uns antworten, er habe Thessalien, sein Geburtsland, verlassen, um der Verfolgung der Türken zu entgehen. Seine Frau und fünf Kinder seyen nach einer der Inseln des Archipels geflohen. Sie hätten keine andern Subsistenzmittel, als die Almosen, welche der Vater auf seinen Fahrten sammle, indem er den Gläubigen Reliquien zeige. Die Aehnlichkeit der Lage, die ins Elend gestürzte Frau und fünf Kinder, rührten Santa-Rosa. Er gab dem "papas" was er an Geld bei sich hatte. Zwei Tage darauf, als wir nach Athen abreiseten, kam der "papas" aus der Stadt, wie ehemals die Priester Neptuns, und von dem Platze aus, wo einst der Tempel dieses Gottes gestanden, segnete er unsere Barke. Im Anfang des März schien Santa-Rosa jeden Gedanken, sich mit seiner Familie in Griechenland niederzulassen, aufgegeben zu haben. Jedenfalls wollte er nicht abreisen, ohne den Feind wenigstens gesehen zu haben. Damals kam ein Abgesandter des philhellenischen Comite's zu London, Hr. Whitcombe, nach Napoli di Romania, und überbrachte Beschwerden dieses Comite's über die Deputirten Luviotti und Orlando, welche wie man sagte, das Schicksal Griechenlands compromittirten, indem sie Männer dorthin sendeten, welche wegen ihrer beständigen Opposition gegen die heilige Allianz genugsam bekannt seyen. Hrn. Whitcombe's Ankunft wohl verdankte es General Santa-Rosa, daß er die Campagne als gemeiner Soldat mitmachen mußte. Am 16 Mai, als Collegno im Zelte des Stellvertreters Ibrahim Pascha's in Modon sagte, daß Santa-Rosa auf der Insel Sphakteria gewesen, wie die Aegyptier sie angegriffen hatten,

Lectüre waren Shakespeare Davanzati und die Gesänge des Tyrtäus, von seinem Freunde Provana. Indessen hatte sich das zur Aufhebung der Belagerung bestimmte griechische Corps aufgelöst, und die griechische Flotte hatte die türkische an der Landung zu Modon nicht hindern können. Die Belagerung, welche in den letzten Tagen des April nachzulassen schien, war mit mehr Eifer wieder aufgenommen worden, die Bresche war geöffnet und gangbar, der Feind hundert Schritte von den Mauern. Die beiden Flotten kämpften täglich vor dem Hafen, der noch von einer griechischen Escadre besetzt war. Am 7 Abends trieb der Wind die Griechen nach Norden und man fürchtete, die Türken möchten sich der Insel Sphakteria, welche den Hafen deckt, zu bemächtigen suchen. Sie war von 1000 Mann und 15 Kanonen besetzt. Man schickte 100 Mann Verstärkung. Santa-Rosa begleitete sie. Am 8 um 9 Uhr Morgens schrieb er Collegno: „Eine Landung scheint mir auf dem Vertheidigungspunkte, auf dem ich mich befinde nicht unmöglich....“ Um 11 Uhr wurde die Insel angegriffen, um 12 Uhr waren die Türken unbestrittene Herren. Von den 11 bis 1200 Mann, welche auf der Insel waren, hatten sich einige auf die Escadre gerettet, welche im Hafen vor Anker lag, und welche, im Augenblick des Angriffes ihre Taue abschneidend, durch die türkische Flotte hindurch die hohe See erreichte. Zwei gelangten schwimmend von der Insel bis zur Festung. Sie sagten aus, daß die Mehrzahl eine Furt im Norden der Insel durchschritten und sich in den Paleo Castro geworfen habe. Dieser Wust von Ruinen wurde von den Türken am 10 genommen. Man kannte auf dem Platze das Schicksal der Griechen nicht, welche sich daselbst befanden. In Navarin begann Wassermangel einzutreten. Man vertheilte seit langem schon nur zwei Gläser täglich an jeden Mann. Die Kriegsmunitionen waren erschöpft. Ibrahim ließ eine Capitulation anbieten und verlangte, man solle Unterhändler schicken. Collegno verließ den Platz mit ihnen am 16 Mai, um zu versuchen, etwas über das Schicksal seines Freundes zu erfahren, welches er nur zu gut vorhersah. Man bezeichnete ihm Soliman Bey (den Renegaten Selves) als den, welcher den Angriff der Insel geleitet habe. Er fand ihn im Zelte des Stellvertreters Ibrahims, unter den Mauern Modons. Soliman sagte ihm, er habe alle Gefangenen untersucht, es habe sich nur ein einziger Europäer, ein Deutscher, darunter gefunden, welcher sofort freigelassen worden sey und sich am Bord eines österreichischen Schiffes befinde. Ueberdieß ließ Soliman seinen Oberstlieutenant rufen, gab ihm auf Arabisch Santa-Rosa's Signalement, welches Collegno ihm in französischer Sprache dictirte, und befahl ihm, ihm am andern Morgen genaue Nachricht über das Schicksal des Mannes zu geben, den man suche. Der Name Santa-Rosa war den Türken nicht unbekannt. Ihre Miene ward traurig, als sie erfuhren, daß man fürchte, er sey todt. Sie betrachteten mit der Stille des Mitleidens seinen Freund, welcher gekommen war, ihn zurückbitten. Am 18 ließ Soliman Bey Collegno nach den Vorposten kommen und sagte ihm, daß ein Soldat seines Regiments den Mann, dessen Signalement er ihm gegeben, unter den Todten gesehen habe.

„Navarin capitulirte. Am 24 wurde die Besatzung in Calamata ausgeschifft, wohin sie auf neutralen Schiffen gebracht worden war. Man wußte dort, daß der größte Theil der Griechen, welche auf der Insel Sphakteria gewesen waren, am 8 sich nach Paleo Castro zurückgezogen, am 10 capitulirt hatten, und ohne Waffen, aber frei ausgezogen seyen. Santa-Rosa war nicht unter ihnen. Er hatte sich eben so wenig an Bord der griechischen Fahrzeuge, welche im Hafen lagen, zurückgezogen. Collegno hat in Smyrna den Deutschen wiedergesehen, welcher in Sphakteria gefangen genommen war und von dem ihm Soliman-Bey gesprochen hatte; er hatte Santa-Rosa nicht unter den Gefangenen erblickt.“

Als ich später Collegno fragte, ob er nicht unter seinen Erinnerungen irgend ein genaues und zuverlässiges Detail der oben stehenden Notiz hinzuzufügen fände, theilte er mir das folgende mit: „Am 4 December 1824 entdeckten wir die Gebirge des Peloponnesus. Von sechs Passagieren, welche am Bord der „Little Sally“ waren, empfanden fünf die jedem Menschen, welcher sich dem Ende einer langen Seereise nähert, natürliche Freude; drei namentlich konnten es kaum erwarten, den geheiligten Boden zu betreten. Santa-Rosa allein, auf eine Kanone gestützt, betrachtete traurig das Land, welches sich immer deutlicher vor unsern Blicken entfaltete. Am Abend sagte er zu Collegno: „Ich weiß nicht, warum es mir leid thut, daß die Reise schon zu Ende ist; Griechenland wird der Idee nicht entsprechen, welche ich mir davon mache; wer weiß, wie wir dort empfangen werden, welches Schicksal unser dort harrt?“ Am 31 December befand sich Santa-Rosa bei dem Justizminister, Grafen Theotoki. Man sprach von der Kälte, mit welcher Fremde, für die die griechischen Deputirten in London sich verbürgten, und welche nur irgend eine Beschäftigung verlangten, von der Regierung aufgenommen wurden. Graf Theotoki antwortete: „Was wollen Sie? Nicht Menschen, nicht Waffen und Munition brauchen wir, sondern Geld.“ Am andern Morgen, am 1 Januar, sagte Hr. Mason, ein Schotte, welcher mit Santa-Rosa befreundet war, zu diesem, daß ein griechischer Freund Theotoki's ihm, Mason, gerathen habe, mit Santa-Rosa und Collegno, als Leuten, welche der Regierung verdächtig seyen, nicht umzugehen. Am andern Morgen verließ Santa-Rosa Napoli. Bei der Abreise nach Epidaurus, am dritten Abend, hat ein „papas“ von ehrwürdigem Aussehen, aber mit Lumpen bedeckt, man möge ihm erlauben, in unserer Barke mit nach Aegina überzusetzen. Durch unseren Dolmetscher befragt, ließ er uns antworten, er habe Thessalien, sein Geburtsland, verlassen, um der Verfolgung der Türken zu entgehen. Seine Frau und fünf Kinder seyen nach einer der Inseln des Archipels geflohen. Sie hätten keine andern Subsistenzmittel, als die Almosen, welche der Vater auf seinen Fahrten sammle, indem er den Gläubigen Reliquien zeige. Die Aehnlichkeit der Lage, die ins Elend gestürzte Frau und fünf Kinder, rührten Santa-Rosa. Er gab dem „papas“ was er an Geld bei sich hatte. Zwei Tage darauf, als wir nach Athen abreiseten, kam der „papas“ aus der Stadt, wie ehemals die Priester Neptuns, und von dem Platze aus, wo einst der Tempel dieses Gottes gestanden, segnete er unsere Barke. Im Anfang des März schien Santa-Rosa jeden Gedanken, sich mit seiner Familie in Griechenland niederzulassen, aufgegeben zu haben. Jedenfalls wollte er nicht abreisen, ohne den Feind wenigstens gesehen zu haben. Damals kam ein Abgesandter des philhellenischen Comite's zu London, Hr. Whitcombe, nach Napoli di Romania, und überbrachte Beschwerden dieses Comite's über die Deputirten Luviotti und Orlando, welche wie man sagte, das Schicksal Griechenlands compromittirten, indem sie Männer dorthin sendeten, welche wegen ihrer beständigen Opposition gegen die heilige Allianz genugsam bekannt seyen. Hrn. Whitcombe's Ankunft wohl verdankte es General Santa-Rosa, daß er die Campagne als gemeiner Soldat mitmachen mußte. Am 16 Mai, als Collegno im Zelte des Stellvertreters Ibrahim Pascha's in Modon sagte, daß Santa-Rosa auf der Insel Sphakteria gewesen, wie die Aegyptier sie angegriffen hatten,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0013" n="1389"/>
Lectüre waren Shakespeare Davanzati und die Gesänge des Tyrtäus, von seinem Freunde Provana. Indessen hatte sich das zur Aufhebung der Belagerung bestimmte griechische Corps aufgelöst, und die griechische Flotte hatte die türkische an der Landung zu Modon nicht hindern können. Die Belagerung, welche in den letzten Tagen des April nachzulassen schien, war mit mehr Eifer wieder aufgenommen worden, die Bresche war geöffnet und gangbar, der Feind hundert Schritte von den Mauern. Die beiden Flotten kämpften täglich vor dem Hafen, der noch von einer griechischen Escadre besetzt war. Am 7 Abends trieb der Wind die Griechen nach Norden und man fürchtete, die Türken möchten sich der Insel Sphakteria, welche den Hafen deckt, zu bemächtigen suchen. Sie war von 1000 Mann und 15 Kanonen besetzt. Man schickte 100 Mann Verstärkung. Santa-Rosa begleitete sie. Am 8 um 9 Uhr Morgens schrieb er Collegno: &#x201E;Eine Landung scheint mir auf dem Vertheidigungspunkte, auf dem ich mich befinde nicht unmöglich....&#x201C; Um 11 Uhr wurde die Insel angegriffen, um 12 Uhr waren die Türken unbestrittene Herren. Von den 11 bis 1200 Mann, welche auf der Insel waren, hatten sich einige auf die Escadre gerettet, welche im Hafen vor Anker lag, und welche, im Augenblick des Angriffes ihre Taue abschneidend, durch die türkische Flotte hindurch die hohe See erreichte. Zwei gelangten schwimmend von der Insel bis zur Festung. Sie sagten aus, daß die Mehrzahl eine Furt im Norden der Insel durchschritten und sich in den Paleo Castro geworfen habe. Dieser Wust von Ruinen wurde von den Türken am 10 genommen. Man kannte auf dem Platze das Schicksal der Griechen nicht, welche sich daselbst befanden. In Navarin begann Wassermangel einzutreten. Man vertheilte seit langem schon nur zwei Gläser täglich an jeden Mann. Die Kriegsmunitionen waren erschöpft. Ibrahim ließ eine Capitulation anbieten und verlangte, man solle Unterhändler schicken. Collegno verließ den Platz mit ihnen am 16 Mai, um zu versuchen, etwas über das Schicksal seines Freundes zu erfahren, welches er nur zu gut vorhersah. Man bezeichnete ihm Soliman Bey (den Renegaten Selves) als den, welcher den Angriff der Insel geleitet habe. Er fand ihn im Zelte des Stellvertreters Ibrahims, unter den Mauern Modons. Soliman sagte ihm, er habe alle Gefangenen untersucht, es habe sich nur ein einziger Europäer, ein Deutscher, darunter gefunden, welcher sofort freigelassen worden sey und sich am Bord eines österreichischen Schiffes befinde. Ueberdieß ließ Soliman seinen Oberstlieutenant rufen, gab ihm auf Arabisch Santa-Rosa's Signalement, welches Collegno ihm in französischer Sprache dictirte, und befahl ihm, ihm am andern Morgen genaue Nachricht über das Schicksal des Mannes zu geben, den man suche. Der Name Santa-Rosa war den Türken nicht unbekannt. Ihre Miene ward traurig, als sie erfuhren, daß man fürchte, er sey todt. Sie betrachteten mit der Stille des Mitleidens seinen Freund, welcher gekommen war, ihn zurückbitten. Am 18 ließ Soliman Bey Collegno nach den Vorposten kommen und sagte ihm, daß <hi rendition="#g">ein Soldat seines Regiments den Mann</hi>, <hi rendition="#g">dessen Signalement er ihm gegeben</hi>, <hi rendition="#g">unter den Todten gesehen habe</hi>.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Navarin capitulirte. Am 24 wurde die Besatzung in Calamata ausgeschifft, wohin sie auf neutralen Schiffen gebracht worden war. Man wußte dort, daß der größte Theil der Griechen, welche auf der Insel Sphakteria gewesen waren, am 8 sich nach Paleo Castro zurückgezogen, am 10 capitulirt hatten, und ohne Waffen, aber frei ausgezogen seyen. Santa-Rosa war nicht unter ihnen. Er hatte sich eben so wenig an Bord der griechischen Fahrzeuge, welche im Hafen lagen, zurückgezogen. Collegno hat in Smyrna den Deutschen wiedergesehen, welcher in Sphakteria gefangen genommen war und von dem ihm Soliman-Bey gesprochen hatte; er hatte Santa-Rosa nicht unter den Gefangenen erblickt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Als ich später Collegno fragte, ob er nicht unter seinen Erinnerungen irgend ein genaues und zuverlässiges Detail der oben stehenden Notiz hinzuzufügen fände, theilte er mir das folgende mit: &#x201E;Am 4 December 1824 entdeckten wir die Gebirge des Peloponnesus. Von sechs Passagieren, welche am Bord der &#x201E;Little Sally&#x201C; waren, empfanden fünf die jedem Menschen, welcher sich dem Ende einer langen Seereise nähert, natürliche Freude; drei namentlich konnten es kaum erwarten, den geheiligten Boden zu betreten. Santa-Rosa allein, auf eine Kanone gestützt, betrachtete traurig das Land, welches sich immer deutlicher vor unsern Blicken entfaltete. Am Abend sagte er zu Collegno: &#x201E;Ich weiß nicht, warum es mir leid thut, daß die Reise schon zu Ende ist; Griechenland wird der Idee nicht entsprechen, welche ich mir davon mache; wer weiß, wie wir dort empfangen werden, welches Schicksal unser dort harrt?&#x201C; Am 31 December befand sich Santa-Rosa bei dem Justizminister, Grafen Theotoki. Man sprach von der Kälte, mit welcher Fremde, für die die griechischen Deputirten in London sich verbürgten, und welche nur irgend eine Beschäftigung verlangten, von der Regierung aufgenommen wurden. Graf Theotoki antwortete: &#x201E;Was wollen Sie? <hi rendition="#g">Nicht Menschen</hi>, <hi rendition="#g">nicht Waffen und Munition brauchen wir</hi>, <hi rendition="#g">sondern Geld</hi>.&#x201C; Am andern Morgen, am 1 Januar, sagte Hr. Mason, ein Schotte, welcher mit Santa-Rosa befreundet war, zu diesem, daß ein griechischer Freund Theotoki's ihm, Mason, gerathen habe, <hi rendition="#g">mit Santa</hi>-<hi rendition="#g">Rosa und Collegno</hi>, <hi rendition="#g">als Leuten</hi>, <hi rendition="#g">welche der Regierung verdächtig seyen</hi>, <hi rendition="#g">nicht umzugehen</hi>. Am andern Morgen verließ Santa-Rosa Napoli. Bei der Abreise nach Epidaurus, am dritten Abend, hat ein &#x201E;papas&#x201C; von ehrwürdigem Aussehen, aber mit Lumpen bedeckt, man möge ihm erlauben, in unserer Barke mit nach Aegina überzusetzen. Durch unseren Dolmetscher befragt, ließ er uns antworten, er habe Thessalien, sein Geburtsland, verlassen, um der Verfolgung der Türken zu entgehen. Seine Frau und fünf Kinder seyen nach einer der Inseln des Archipels geflohen. Sie hätten keine andern Subsistenzmittel, als die Almosen, welche der Vater auf seinen Fahrten sammle, indem er den Gläubigen Reliquien zeige. Die Aehnlichkeit der Lage, die ins Elend gestürzte Frau und fünf Kinder, rührten Santa-Rosa. Er gab dem &#x201E;papas&#x201C; was er an Geld bei sich hatte. Zwei Tage darauf, als wir nach Athen abreiseten, kam der &#x201E;papas&#x201C; aus der Stadt, wie ehemals die Priester Neptuns, und von dem Platze aus, wo einst der Tempel dieses Gottes gestanden, segnete er unsere Barke. Im Anfang des März schien Santa-Rosa jeden Gedanken, sich mit seiner Familie in Griechenland niederzulassen, aufgegeben zu haben. Jedenfalls wollte er nicht abreisen, ohne den Feind wenigstens gesehen zu haben. Damals kam ein Abgesandter des philhellenischen Comite's zu London, Hr. Whitcombe, nach Napoli di Romania, und überbrachte Beschwerden dieses Comite's über die Deputirten Luviotti und Orlando, welche wie man sagte, das Schicksal Griechenlands compromittirten, indem sie Männer dorthin sendeten, welche wegen ihrer beständigen Opposition gegen die heilige Allianz genugsam bekannt seyen. Hrn. Whitcombe's Ankunft wohl verdankte es General Santa-Rosa, daß er die Campagne als <hi rendition="#g">gemeiner Soldat</hi> mitmachen mußte. Am 16 Mai, als Collegno im Zelte des Stellvertreters Ibrahim Pascha's in Modon sagte, daß Santa-Rosa auf der Insel Sphakteria gewesen, wie die Aegyptier sie angegriffen hatten,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1389/0013] Lectüre waren Shakespeare Davanzati und die Gesänge des Tyrtäus, von seinem Freunde Provana. Indessen hatte sich das zur Aufhebung der Belagerung bestimmte griechische Corps aufgelöst, und die griechische Flotte hatte die türkische an der Landung zu Modon nicht hindern können. Die Belagerung, welche in den letzten Tagen des April nachzulassen schien, war mit mehr Eifer wieder aufgenommen worden, die Bresche war geöffnet und gangbar, der Feind hundert Schritte von den Mauern. Die beiden Flotten kämpften täglich vor dem Hafen, der noch von einer griechischen Escadre besetzt war. Am 7 Abends trieb der Wind die Griechen nach Norden und man fürchtete, die Türken möchten sich der Insel Sphakteria, welche den Hafen deckt, zu bemächtigen suchen. Sie war von 1000 Mann und 15 Kanonen besetzt. Man schickte 100 Mann Verstärkung. Santa-Rosa begleitete sie. Am 8 um 9 Uhr Morgens schrieb er Collegno: „Eine Landung scheint mir auf dem Vertheidigungspunkte, auf dem ich mich befinde nicht unmöglich....“ Um 11 Uhr wurde die Insel angegriffen, um 12 Uhr waren die Türken unbestrittene Herren. Von den 11 bis 1200 Mann, welche auf der Insel waren, hatten sich einige auf die Escadre gerettet, welche im Hafen vor Anker lag, und welche, im Augenblick des Angriffes ihre Taue abschneidend, durch die türkische Flotte hindurch die hohe See erreichte. Zwei gelangten schwimmend von der Insel bis zur Festung. Sie sagten aus, daß die Mehrzahl eine Furt im Norden der Insel durchschritten und sich in den Paleo Castro geworfen habe. Dieser Wust von Ruinen wurde von den Türken am 10 genommen. Man kannte auf dem Platze das Schicksal der Griechen nicht, welche sich daselbst befanden. In Navarin begann Wassermangel einzutreten. Man vertheilte seit langem schon nur zwei Gläser täglich an jeden Mann. Die Kriegsmunitionen waren erschöpft. Ibrahim ließ eine Capitulation anbieten und verlangte, man solle Unterhändler schicken. Collegno verließ den Platz mit ihnen am 16 Mai, um zu versuchen, etwas über das Schicksal seines Freundes zu erfahren, welches er nur zu gut vorhersah. Man bezeichnete ihm Soliman Bey (den Renegaten Selves) als den, welcher den Angriff der Insel geleitet habe. Er fand ihn im Zelte des Stellvertreters Ibrahims, unter den Mauern Modons. Soliman sagte ihm, er habe alle Gefangenen untersucht, es habe sich nur ein einziger Europäer, ein Deutscher, darunter gefunden, welcher sofort freigelassen worden sey und sich am Bord eines österreichischen Schiffes befinde. Ueberdieß ließ Soliman seinen Oberstlieutenant rufen, gab ihm auf Arabisch Santa-Rosa's Signalement, welches Collegno ihm in französischer Sprache dictirte, und befahl ihm, ihm am andern Morgen genaue Nachricht über das Schicksal des Mannes zu geben, den man suche. Der Name Santa-Rosa war den Türken nicht unbekannt. Ihre Miene ward traurig, als sie erfuhren, daß man fürchte, er sey todt. Sie betrachteten mit der Stille des Mitleidens seinen Freund, welcher gekommen war, ihn zurückbitten. Am 18 ließ Soliman Bey Collegno nach den Vorposten kommen und sagte ihm, daß ein Soldat seines Regiments den Mann, dessen Signalement er ihm gegeben, unter den Todten gesehen habe. „Navarin capitulirte. Am 24 wurde die Besatzung in Calamata ausgeschifft, wohin sie auf neutralen Schiffen gebracht worden war. Man wußte dort, daß der größte Theil der Griechen, welche auf der Insel Sphakteria gewesen waren, am 8 sich nach Paleo Castro zurückgezogen, am 10 capitulirt hatten, und ohne Waffen, aber frei ausgezogen seyen. Santa-Rosa war nicht unter ihnen. Er hatte sich eben so wenig an Bord der griechischen Fahrzeuge, welche im Hafen lagen, zurückgezogen. Collegno hat in Smyrna den Deutschen wiedergesehen, welcher in Sphakteria gefangen genommen war und von dem ihm Soliman-Bey gesprochen hatte; er hatte Santa-Rosa nicht unter den Gefangenen erblickt.“ Als ich später Collegno fragte, ob er nicht unter seinen Erinnerungen irgend ein genaues und zuverlässiges Detail der oben stehenden Notiz hinzuzufügen fände, theilte er mir das folgende mit: „Am 4 December 1824 entdeckten wir die Gebirge des Peloponnesus. Von sechs Passagieren, welche am Bord der „Little Sally“ waren, empfanden fünf die jedem Menschen, welcher sich dem Ende einer langen Seereise nähert, natürliche Freude; drei namentlich konnten es kaum erwarten, den geheiligten Boden zu betreten. Santa-Rosa allein, auf eine Kanone gestützt, betrachtete traurig das Land, welches sich immer deutlicher vor unsern Blicken entfaltete. Am Abend sagte er zu Collegno: „Ich weiß nicht, warum es mir leid thut, daß die Reise schon zu Ende ist; Griechenland wird der Idee nicht entsprechen, welche ich mir davon mache; wer weiß, wie wir dort empfangen werden, welches Schicksal unser dort harrt?“ Am 31 December befand sich Santa-Rosa bei dem Justizminister, Grafen Theotoki. Man sprach von der Kälte, mit welcher Fremde, für die die griechischen Deputirten in London sich verbürgten, und welche nur irgend eine Beschäftigung verlangten, von der Regierung aufgenommen wurden. Graf Theotoki antwortete: „Was wollen Sie? Nicht Menschen, nicht Waffen und Munition brauchen wir, sondern Geld.“ Am andern Morgen, am 1 Januar, sagte Hr. Mason, ein Schotte, welcher mit Santa-Rosa befreundet war, zu diesem, daß ein griechischer Freund Theotoki's ihm, Mason, gerathen habe, mit Santa-Rosa und Collegno, als Leuten, welche der Regierung verdächtig seyen, nicht umzugehen. Am andern Morgen verließ Santa-Rosa Napoli. Bei der Abreise nach Epidaurus, am dritten Abend, hat ein „papas“ von ehrwürdigem Aussehen, aber mit Lumpen bedeckt, man möge ihm erlauben, in unserer Barke mit nach Aegina überzusetzen. Durch unseren Dolmetscher befragt, ließ er uns antworten, er habe Thessalien, sein Geburtsland, verlassen, um der Verfolgung der Türken zu entgehen. Seine Frau und fünf Kinder seyen nach einer der Inseln des Archipels geflohen. Sie hätten keine andern Subsistenzmittel, als die Almosen, welche der Vater auf seinen Fahrten sammle, indem er den Gläubigen Reliquien zeige. Die Aehnlichkeit der Lage, die ins Elend gestürzte Frau und fünf Kinder, rührten Santa-Rosa. Er gab dem „papas“ was er an Geld bei sich hatte. Zwei Tage darauf, als wir nach Athen abreiseten, kam der „papas“ aus der Stadt, wie ehemals die Priester Neptuns, und von dem Platze aus, wo einst der Tempel dieses Gottes gestanden, segnete er unsere Barke. Im Anfang des März schien Santa-Rosa jeden Gedanken, sich mit seiner Familie in Griechenland niederzulassen, aufgegeben zu haben. Jedenfalls wollte er nicht abreisen, ohne den Feind wenigstens gesehen zu haben. Damals kam ein Abgesandter des philhellenischen Comite's zu London, Hr. Whitcombe, nach Napoli di Romania, und überbrachte Beschwerden dieses Comite's über die Deputirten Luviotti und Orlando, welche wie man sagte, das Schicksal Griechenlands compromittirten, indem sie Männer dorthin sendeten, welche wegen ihrer beständigen Opposition gegen die heilige Allianz genugsam bekannt seyen. Hrn. Whitcombe's Ankunft wohl verdankte es General Santa-Rosa, daß er die Campagne als gemeiner Soldat mitmachen mußte. Am 16 Mai, als Collegno im Zelte des Stellvertreters Ibrahim Pascha's in Modon sagte, daß Santa-Rosa auf der Insel Sphakteria gewesen, wie die Aegyptier sie angegriffen hatten,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_174_18400622
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_174_18400622/13
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 174. Augsburg, 22. Juni 1840, S. 1389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_174_18400622/13>, abgerufen am 26.04.2024.