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Allgemeine Zeitung. Nr. 172. Augsburg, 20. Juni 1840.

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und der feile Eifer der französischen Polizei entrissen ihn dieser Einsamkeit und bereiteten ihm für immer Verderben. Wäre er bei mir geblieben, so würde er sein Schicksal versöhnt haben, er hätte die ganze Zeit der Restauration in ehrenvollen Arbeiten zugebracht, die seinen Namen berühmt gemacht hätten; er würde die Juliusrevolution erlebt haben, und dann brauchte er nur zu wählen, ob er nach Piemont zurückkehren, wie Saint Marsan und Lisio, oder wie Collegno in französische Dienste treten wollte, und in diesem letztern Falle lag eine ungeheure Zukunft vor ihm, wenn überhaupt dieses stolze Herz, welches Glück und Unglück mit gleicher Geringschätzung ansah, je darein gewilligt hätte, ein anderes Vaterland zu besitzen, als das, dessen Dienst er sich geweiht hatte, und welches gerade sein Elend ihm um so theurer und heiliger gemacht hatte. Ach, diese ganze Zukunft vernichtete ein einziger Tag! Eines Tages nämlich ängstigte der Zustand meiner Brust Santa Rosa dermaßen, daß er mich beschwor, Hülfe in Paris zu suchen. Ich gab nach, ich kehrte zum Luxembourg zurück; Santa Rosa, unruhig, ließ es nicht in Auteuil, und Abends erschien er an meinem Bette. Statt bei mir zu bleiben, wollte er die Nacht in seiner alten Wohnung zubringen, und ehe er dort hinging, beging er die Unvorsichtigkeit, in ein Kaffeehaus beim Odeon zu treten, um dort die Zeitungen zu lesen; kaum trat er wieder heraus, so überfielen ihn auf dem Odeonplatz selbst sieben bis acht Polizeiagenten; er wurde zu Boden geworfen, auf die Präfectur geführt und ins Gefängniß gesetzt. Es scheint, daß er an der Barriere erkannt worden, wo er seit lange signalisirt war.

Noch in derselben Nacht wurde er von dem Polizeipräfecten verhört. Gleich bei diesem ersten Verhör bekannte sich Santa Rosa zu seinem wahren Namen, und äußerte Gesinnungen, welch einen lebhaften Eindruck auf den fanatischen, aber ehrlichen Laveau machten. Er hatte mit Unwillen und Entrüstung die Anklage zurückgewiesen, in Machinationen gegen die französische Regierung verwickelt zu seyn; er hatte erklärt, daß er Allem, was in Frankreich vorginge, durchaus fremd sey, und daß sein einziges und unfreiwilliges Unrecht das sey, daß er sich in Paris unter einem falschen Namen aufhalte. Ueber seine Bekanntschaft in Paris befragt, hatte er mich als den einzigen Freund genannt, welchen er hier habe; er hatte es als eine Gnade für sich erbeten, daß man mich nicht in diese Sache hineinziehen möge, und daß man mir eine Haussuchung erspare, die meiner Gesundheit verderblich seyn könne, indem er sich selbst zu allen Nachweisungen anbot, welche man von ihm erfragen werde, und selbst zu allen auch noch so ernsten Erklärungen, ehe er den aussetze, der ihn gastfreundlich aufgenommen habe. Als das Wort "Auslieferung" verlautete, schien Santa Rosa sein Schicksal zu vernehmen mit jenem Stolze, welcher nie seine Wirkung verfehlt.

(Fortsetzung folgt.)

Frankreich.

Sowohl die Redaction als das Eigenthum des Commerce ist vor 14 Tagen in andere Hände übergegangen. Diese Nachricht ist an sich freilich nicht sehr wichtig, aber wir wollen daran allerlei Bemerkungen knüpfen. Zunächst bemerke ich, daß diese renovirten Blätter dieser Tage einen Ausfall gegen meine Correspondenz in der Allgemeinen Zeitung enthielten, der eben so ungeschickt wie albern war. Der Verdächtigung, worauf es abgesehen, bin ich mit aufgeschlagenem Visir im Constitutionnel entgegengetreten. Eine andere Bemerkung, die aber allgemeiner Art, drängt sich uns entgegen bei der Frage: welche Farbe wird das Commerce jetzt annehmen? Man hat mir nämlich geantwortet: "Dieses Blatt wird sich weder für das dermalige Königthum, noch für die republicanische Partei aussprechen, und vor der Hand wird es wohl bonapartistisch werden." In dieser scheinbar ausweichenden, unbestimmten Antwort ertappen wir ein Geständniß, das uns über das ganze politische Treiben der Franzosen viel Belehrung und Aufschluß gewährt. Nämlich: in dieser Zeit der Schwankungen, wo Niemand weiß was ihm die nächste Zukunft entgegenführt; wo viele, mit der Gegenwart unzufrieden, dennoch nicht wagen mit den Tagesherrschern bestimmt zu brechen; wo die meisten eine Stellung in der Opposition einnehmen wollen, die nicht auf immer verpflichtend und eben so wenig comprommittirend ist, sondern ihnen erlaubt, ohne sonderlich herbe Retractionen, je nachdem das Kriegsglück entscheidet, ins Lager der siegenden Republik oder des unüberwindlichen Königthums überzugehen - in dieser Zeit ist der Bonapartismus eine bequeme Uebergangspartei. Aus diesem Grunde erkläre ich es mir, weßhalb jeder, der nicht genau weiß was er will, oder was er darf, oder was er kann, sich um die imperialistische Standarte versammelt. Hier braucht man keiner Idee den Eid der Treue zu schwören, und der Meineid wird hier keine Sünde gegen den heiligen Geist. Das Gewissen, die bessere Ehre, erlaubt hier auch späterhin jeden Abfall und Fahnenwechsel. - Und in der That das napoleonische Kaiserthum war selber nichts Anderes als neutraler Boden für Menschen von den heterogensten Gesinnungen, es war eine nützliche Brücke für Leute, die sich aus dem Strom der Revolution darauf retteten und 20 Jahre lang darauf hin- und herliefen, unentschlossen ob sie sich auf das rechte oder auf das linke Ufer der Zeitmeinungen begeben sollten. Das napoleonische Kaiserthum war kaum etwas Anderes als ein abenteuerliches Interregnum, ohne geistige Notabilitäten, und all seine ideelle Blüthe resumirt sich in einem einzigen Manne, der am Ende selber nichts ist als eine glänzende Thatsache, deren Bedeutung wenigstens bis jetzt noch halb ein Geheimniß ist. Dieses materielle Zwischenreich war ganz den damaligen Bedürfnissen angemessen. Wie leicht konnten die französischen Sansculotten in die gallonirten Prachthosen des Empire hineinspringen! Mit welcher Leichtigkeit hingen sie später die befiederten Hüte und goldnen Jacken des Ruhmes wieder an den Nagel und griffen wieder zur rothen Mütze und zu den Rechten der Menschheit! Und die ausgehungerten Emigranten, die adelstolzen Royalisten, sie brauchten ihrem angebornen Höflingssinn keineswegs zu entsagen, als sie dem Napoleon I statt Ludwig XVI dienten, und als sie dem erstern wieder den Rücken kehrend, dem legitimen Herrscher, Ludwig XVIII huldigten!

Trotzdem, daß der Bonapartismus tiefe Sympathien im Volke findet und auch die große Zahl der Ehrgeizigen, die sich nicht für eine Idee entscheiden wollen, in sich aufnimmt, trotzdem glaube ich nicht, daß er so bald den Sieg davon tragen möchte; käme er aber zur Herrschaft, so dürfte auch diese nicht von langer Dauer seyn, und sie würde, ganz wie die frühere napoleonische Regierung, nur eine kurze Vermittlungsperiode bilden. - Unterdessen aber versammeln sich alle möglichen Raubvögel um den todten Adler, und die Einsichtigen unter den Franzosen werden nicht wenig dadurch geängstigt. Die Majorität in der Kammer hat vielleicht doch nicht so ganz Unrecht gehabt, als sie die zweite Begräbnißmillion verweigerte und hiedurch die auflodernde Eroberungssucht etwas dämpfte. Die Kammer besitzt den Instinct der nationalen Selbsterhaltung, und sie hatte vielleicht eine dunkle Ahnung, daß dieser Bonapartismus ohne Bonaparte, diese Kriegslust ohne den

und der feile Eifer der französischen Polizei entrissen ihn dieser Einsamkeit und bereiteten ihm für immer Verderben. Wäre er bei mir geblieben, so würde er sein Schicksal versöhnt haben, er hätte die ganze Zeit der Restauration in ehrenvollen Arbeiten zugebracht, die seinen Namen berühmt gemacht hätten; er würde die Juliusrevolution erlebt haben, und dann brauchte er nur zu wählen, ob er nach Piemont zurückkehren, wie Saint Marsan und Lisio, oder wie Collegno in französische Dienste treten wollte, und in diesem letztern Falle lag eine ungeheure Zukunft vor ihm, wenn überhaupt dieses stolze Herz, welches Glück und Unglück mit gleicher Geringschätzung ansah, je darein gewilligt hätte, ein anderes Vaterland zu besitzen, als das, dessen Dienst er sich geweiht hatte, und welches gerade sein Elend ihm um so theurer und heiliger gemacht hatte. Ach, diese ganze Zukunft vernichtete ein einziger Tag! Eines Tages nämlich ängstigte der Zustand meiner Brust Santa Rosa dermaßen, daß er mich beschwor, Hülfe in Paris zu suchen. Ich gab nach, ich kehrte zum Luxembourg zurück; Santa Rosa, unruhig, ließ es nicht in Auteuil, und Abends erschien er an meinem Bette. Statt bei mir zu bleiben, wollte er die Nacht in seiner alten Wohnung zubringen, und ehe er dort hinging, beging er die Unvorsichtigkeit, in ein Kaffeehaus beim Odeon zu treten, um dort die Zeitungen zu lesen; kaum trat er wieder heraus, so überfielen ihn auf dem Odeonplatz selbst sieben bis acht Polizeiagenten; er wurde zu Boden geworfen, auf die Präfectur geführt und ins Gefängniß gesetzt. Es scheint, daß er an der Barrière erkannt worden, wo er seit lange signalisirt war.

Noch in derselben Nacht wurde er von dem Polizeipräfecten verhört. Gleich bei diesem ersten Verhör bekannte sich Santa Rosa zu seinem wahren Namen, und äußerte Gesinnungen, welch einen lebhaften Eindruck auf den fanatischen, aber ehrlichen Laveau machten. Er hatte mit Unwillen und Entrüstung die Anklage zurückgewiesen, in Machinationen gegen die französische Regierung verwickelt zu seyn; er hatte erklärt, daß er Allem, was in Frankreich vorginge, durchaus fremd sey, und daß sein einziges und unfreiwilliges Unrecht das sey, daß er sich in Paris unter einem falschen Namen aufhalte. Ueber seine Bekanntschaft in Paris befragt, hatte er mich als den einzigen Freund genannt, welchen er hier habe; er hatte es als eine Gnade für sich erbeten, daß man mich nicht in diese Sache hineinziehen möge, und daß man mir eine Haussuchung erspare, die meiner Gesundheit verderblich seyn könne, indem er sich selbst zu allen Nachweisungen anbot, welche man von ihm erfragen werde, und selbst zu allen auch noch so ernsten Erklärungen, ehe er den aussetze, der ihn gastfreundlich aufgenommen habe. Als das Wort „Auslieferung“ verlautete, schien Santa Rosa sein Schicksal zu vernehmen mit jenem Stolze, welcher nie seine Wirkung verfehlt.

(Fortsetzung folgt.)

Frankreich.

Sowohl die Redaction als das Eigenthum des Commerce ist vor 14 Tagen in andere Hände übergegangen. Diese Nachricht ist an sich freilich nicht sehr wichtig, aber wir wollen daran allerlei Bemerkungen knüpfen. Zunächst bemerke ich, daß diese renovirten Blätter dieser Tage einen Ausfall gegen meine Correspondenz in der Allgemeinen Zeitung enthielten, der eben so ungeschickt wie albern war. Der Verdächtigung, worauf es abgesehen, bin ich mit aufgeschlagenem Visir im Constitutionnel entgegengetreten. Eine andere Bemerkung, die aber allgemeiner Art, drängt sich uns entgegen bei der Frage: welche Farbe wird das Commerce jetzt annehmen? Man hat mir nämlich geantwortet: „Dieses Blatt wird sich weder für das dermalige Königthum, noch für die republicanische Partei aussprechen, und vor der Hand wird es wohl bonapartistisch werden.“ In dieser scheinbar ausweichenden, unbestimmten Antwort ertappen wir ein Geständniß, das uns über das ganze politische Treiben der Franzosen viel Belehrung und Aufschluß gewährt. Nämlich: in dieser Zeit der Schwankungen, wo Niemand weiß was ihm die nächste Zukunft entgegenführt; wo viele, mit der Gegenwart unzufrieden, dennoch nicht wagen mit den Tagesherrschern bestimmt zu brechen; wo die meisten eine Stellung in der Opposition einnehmen wollen, die nicht auf immer verpflichtend und eben so wenig comprommittirend ist, sondern ihnen erlaubt, ohne sonderlich herbe Retractionen, je nachdem das Kriegsglück entscheidet, ins Lager der siegenden Republik oder des unüberwindlichen Königthums überzugehen – in dieser Zeit ist der Bonapartismus eine bequeme Uebergangspartei. Aus diesem Grunde erkläre ich es mir, weßhalb jeder, der nicht genau weiß was er will, oder was er darf, oder was er kann, sich um die imperialistische Standarte versammelt. Hier braucht man keiner Idee den Eid der Treue zu schwören, und der Meineid wird hier keine Sünde gegen den heiligen Geist. Das Gewissen, die bessere Ehre, erlaubt hier auch späterhin jeden Abfall und Fahnenwechsel. – Und in der That das napoleonische Kaiserthum war selber nichts Anderes als neutraler Boden für Menschen von den heterogensten Gesinnungen, es war eine nützliche Brücke für Leute, die sich aus dem Strom der Revolution darauf retteten und 20 Jahre lang darauf hin- und herliefen, unentschlossen ob sie sich auf das rechte oder auf das linke Ufer der Zeitmeinungen begeben sollten. Das napoleonische Kaiserthum war kaum etwas Anderes als ein abenteuerliches Interregnum, ohne geistige Notabilitäten, und all seine ideelle Blüthe resumirt sich in einem einzigen Manne, der am Ende selber nichts ist als eine glänzende Thatsache, deren Bedeutung wenigstens bis jetzt noch halb ein Geheimniß ist. Dieses materielle Zwischenreich war ganz den damaligen Bedürfnissen angemessen. Wie leicht konnten die französischen Sansculotten in die gallonirten Prachthosen des Empire hineinspringen! Mit welcher Leichtigkeit hingen sie später die befiederten Hüte und goldnen Jacken des Ruhmes wieder an den Nagel und griffen wieder zur rothen Mütze und zu den Rechten der Menschheit! Und die ausgehungerten Emigranten, die adelstolzen Royalisten, sie brauchten ihrem angebornen Höflingssinn keineswegs zu entsagen, als sie dem Napoleon I statt Ludwig XVI dienten, und als sie dem erstern wieder den Rücken kehrend, dem legitimen Herrscher, Ludwig XVIII huldigten!

Trotzdem, daß der Bonapartismus tiefe Sympathien im Volke findet und auch die große Zahl der Ehrgeizigen, die sich nicht für eine Idee entscheiden wollen, in sich aufnimmt, trotzdem glaube ich nicht, daß er so bald den Sieg davon tragen möchte; käme er aber zur Herrschaft, so dürfte auch diese nicht von langer Dauer seyn, und sie würde, ganz wie die frühere napoleonische Regierung, nur eine kurze Vermittlungsperiode bilden. – Unterdessen aber versammeln sich alle möglichen Raubvögel um den todten Adler, und die Einsichtigen unter den Franzosen werden nicht wenig dadurch geängstigt. Die Majorität in der Kammer hat vielleicht doch nicht so ganz Unrecht gehabt, als sie die zweite Begräbnißmillion verweigerte und hiedurch die auflodernde Eroberungssucht etwas dämpfte. Die Kammer besitzt den Instinct der nationalen Selbsterhaltung, und sie hatte vielleicht eine dunkle Ahnung, daß dieser Bonapartismus ohne Bonaparte, diese Kriegslust ohne den

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Eines Tages nämlich ängstigte der Zustand meiner Brust Santa Rosa dermaßen, daß er mich beschwor, Hülfe in Paris zu suchen. Ich gab nach, ich kehrte zum Luxembourg zurück; Santa Rosa, unruhig, ließ es nicht in Auteuil, und Abends erschien er an meinem Bette. Statt bei mir zu bleiben, wollte er die Nacht in seiner alten Wohnung zubringen, und ehe er dort hinging, beging er die Unvorsichtigkeit, in ein Kaffeehaus beim Odeon zu treten, um dort die Zeitungen zu lesen; kaum trat er wieder heraus, so überfielen ihn auf dem Odeonplatz selbst sieben bis acht Polizeiagenten; er wurde zu Boden geworfen, auf die Präfectur geführt und ins Gefängniß gesetzt. Es scheint, daß er an der Barrière erkannt worden, wo er seit lange signalisirt war. Noch in derselben Nacht wurde er von dem Polizeipräfecten verhört. Gleich bei diesem ersten Verhör bekannte sich Santa Rosa zu seinem wahren Namen, und äußerte Gesinnungen, welch einen lebhaften Eindruck auf den fanatischen, aber ehrlichen Laveau machten. Er hatte mit Unwillen und Entrüstung die Anklage zurückgewiesen, in Machinationen gegen die französische Regierung verwickelt zu seyn; er hatte erklärt, daß er Allem, was in Frankreich vorginge, durchaus fremd sey, und daß sein einziges und unfreiwilliges Unrecht das sey, daß er sich in Paris unter einem falschen Namen aufhalte. Ueber seine Bekanntschaft in Paris befragt, hatte er mich als den einzigen Freund genannt, welchen er hier habe; er hatte es als eine Gnade für sich erbeten, daß man mich nicht in diese Sache hineinziehen möge, und daß man mir eine Haussuchung erspare, die meiner Gesundheit verderblich seyn könne, indem er sich selbst zu allen Nachweisungen anbot, welche man von ihm erfragen werde, und selbst zu allen auch noch so ernsten Erklärungen, ehe er den aussetze, der ihn gastfreundlich aufgenommen habe. Als das Wort „Auslieferung“ verlautete, schien Santa Rosa sein Schicksal zu vernehmen mit jenem Stolze, welcher nie seine Wirkung verfehlt. (Fortsetzung folgt.) Frankreich. _ Paris, 12 Jun. Sowohl die Redaction als das Eigenthum des Commerce ist vor 14 Tagen in andere Hände übergegangen. Diese Nachricht ist an sich freilich nicht sehr wichtig, aber wir wollen daran allerlei Bemerkungen knüpfen. Zunächst bemerke ich, daß diese renovirten Blätter dieser Tage einen Ausfall gegen meine Correspondenz in der Allgemeinen Zeitung enthielten, der eben so ungeschickt wie albern war. Der Verdächtigung, worauf es abgesehen, bin ich mit aufgeschlagenem Visir im Constitutionnel entgegengetreten. Eine andere Bemerkung, die aber allgemeiner Art, drängt sich uns entgegen bei der Frage: welche Farbe wird das Commerce jetzt annehmen? Man hat mir nämlich geantwortet: „Dieses Blatt wird sich weder für das dermalige Königthum, noch für die republicanische Partei aussprechen, und vor der Hand wird es wohl bonapartistisch werden.“ In dieser scheinbar ausweichenden, unbestimmten Antwort ertappen wir ein Geständniß, das uns über das ganze politische Treiben der Franzosen viel Belehrung und Aufschluß gewährt. Nämlich: in dieser Zeit der Schwankungen, wo Niemand weiß was ihm die nächste Zukunft entgegenführt; wo viele, mit der Gegenwart unzufrieden, dennoch nicht wagen mit den Tagesherrschern bestimmt zu brechen; wo die meisten eine Stellung in der Opposition einnehmen wollen, die nicht auf immer verpflichtend und eben so wenig comprommittirend ist, sondern ihnen erlaubt, ohne sonderlich herbe Retractionen, je nachdem das Kriegsglück entscheidet, ins Lager der siegenden Republik oder des unüberwindlichen Königthums überzugehen – in dieser Zeit ist der Bonapartismus eine bequeme Uebergangspartei. Aus diesem Grunde erkläre ich es mir, weßhalb jeder, der nicht genau weiß was er will, oder was er darf, oder was er kann, sich um die imperialistische Standarte versammelt. Hier braucht man keiner Idee den Eid der Treue zu schwören, und der Meineid wird hier keine Sünde gegen den heiligen Geist. Das Gewissen, die bessere Ehre, erlaubt hier auch späterhin jeden Abfall und Fahnenwechsel. – Und in der That das napoleonische Kaiserthum war selber nichts Anderes als neutraler Boden für Menschen von den heterogensten Gesinnungen, es war eine nützliche Brücke für Leute, die sich aus dem Strom der Revolution darauf retteten und 20 Jahre lang darauf hin- und herliefen, unentschlossen ob sie sich auf das rechte oder auf das linke Ufer der Zeitmeinungen begeben sollten. Das napoleonische Kaiserthum war kaum etwas Anderes als ein abenteuerliches Interregnum, ohne geistige Notabilitäten, und all seine ideelle Blüthe resumirt sich in einem einzigen Manne, der am Ende selber nichts ist als eine glänzende Thatsache, deren Bedeutung wenigstens bis jetzt noch halb ein Geheimniß ist. Dieses materielle Zwischenreich war ganz den damaligen Bedürfnissen angemessen. Wie leicht konnten die französischen Sansculotten in die gallonirten Prachthosen des Empire hineinspringen! Mit welcher Leichtigkeit hingen sie später die befiederten Hüte und goldnen Jacken des Ruhmes wieder an den Nagel und griffen wieder zur rothen Mütze und zu den Rechten der Menschheit! Und die ausgehungerten Emigranten, die adelstolzen Royalisten, sie brauchten ihrem angebornen Höflingssinn keineswegs zu entsagen, als sie dem Napoleon I statt Ludwig XVI dienten, und als sie dem erstern wieder den Rücken kehrend, dem legitimen Herrscher, Ludwig XVIII huldigten! Trotzdem, daß der Bonapartismus tiefe Sympathien im Volke findet und auch die große Zahl der Ehrgeizigen, die sich nicht für eine Idee entscheiden wollen, in sich aufnimmt, trotzdem glaube ich nicht, daß er so bald den Sieg davon tragen möchte; käme er aber zur Herrschaft, so dürfte auch diese nicht von langer Dauer seyn, und sie würde, ganz wie die frühere napoleonische Regierung, nur eine kurze Vermittlungsperiode bilden. – Unterdessen aber versammeln sich alle möglichen Raubvögel um den todten Adler, und die Einsichtigen unter den Franzosen werden nicht wenig dadurch geängstigt. Die Majorität in der Kammer hat vielleicht doch nicht so ganz Unrecht gehabt, als sie die zweite Begräbnißmillion verweigerte und hiedurch die auflodernde Eroberungssucht etwas dämpfte. Die Kammer besitzt den Instinct der nationalen Selbsterhaltung, und sie hatte vielleicht eine dunkle Ahnung, daß dieser Bonapartismus ohne Bonaparte, diese Kriegslust ohne den

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 172. Augsburg, 20. Juni 1840, S. 1370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_172_18400620/10>, abgerufen am 27.04.2024.