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Allgemeine Zeitung. Nr. 82. Augsburg, 22. März 1840.

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Franz Freiherr Gaudy. *)*)

Franz Bernhard Heinrich Wilhelm Freiherr Gaudy ward zu Frankfurt an der Oder den 19 April 1800 geboren. Lange Zeit das einzige Kind seiner Eltern, des damaligen Majors (als Generallieutenant verstorbenen) Friedrich Freiherrn Gaudy und Constanzens, geb. Gräfin Schmettow, war er der Gegenstand ihrer liebevollsten Pflege, eben so wie sie es auch waren, welche ihm den ersten Unterricht ertheilten. Französisch sprach er früher als deutsch. Im vierten Jahre konnte er bereits in beiden Sprachen lesen. Der Krieg von 1806 rief Gaudy's Vater zum Heer. Der Knabe ward einer Pension auf dem Lande, später einer andern in Breslau anvertraut, und kam im Jahr 1810 nach Berlin, wo er das College francais besuchte. Hier war es, wo Gaudy die ersten Verse machte, Compilationen aus dem Reimlexikon. Zu jener Zeit war Gaudy's Vater Gouverneur Sr. k. Hoh. des jetzigen Kronprinzen von Preußen, ein glücklicher Umstand, der, indem er den Knaben vielen der ausgezeichnetsten Männer unserer Zeit nahe brachte, auch auf die spätere Geistesrichtung desselben den entschiedensten Einfluß übte.

Im Jahr 1815 kam Gaudy nach der Landesschule Pforta. Lateinische und griechische Verskünsteleien nährten in ihm den Keim der Productivität, und der treffliche Rector Lange machte es sich zur besondern Aufgabe, die Anlagen des Jünglings zu entwickeln. Eine Elegie aus jener Epoche: "Winterbesuch," ist in des Dichters Erato aufgenommen worden. Ausflüge in die schönen Umgebungen nach Weimar, dem Thüringer Wald, in die goldene Au, Reisen nach Dresden, wo Gaudy's Vater als preußischer Generalgouverneur von Sachsen lebte, waren die hellsten Lichtpunkte jener schönen Zeit. Von den Classikern ward und blieb Tibull Gaudy's Liebling. Im Julius 1818 verließ er Schulpforta mit dem Zeugniß der völligen Reife zur Universität, und trat zu Potsdam bei dem ersten Garderegiment ins Heer; im October des folgenden Jahres avancirte er zum Officier. Der Dienstbeschäftigungen ungeachtet las Gaudy viel und trieb durcheinander spanische Sprache, Zeichnen, Musik, Heraldik und Poesie. Der Umgang mit K. v. Reinhard, dem Sohn des Herausgebers von Bürgers Schriften, gab ihm zuerst Gelegenheit, öffentlich als Dichter aufzutreten. Seine Erstlinge stehen in dem Taschenbuch: "Eudora für 1823 (Schleswig)." Noch ehe sie erschienen, ward Gaudy auf sein Ansuchen nach Breslau versetzt, und schloß sich hier an Karl v. Holtei, seinen ältesten Jugendfreund, und Karl Barth an, Beiträge zu den von ersterem mit Schall herausgegebenen "Deutschen Blättern" und der "Breslauer Modezeitung" liefernd. Ein vielfach bewegtes Leben und häufiger Garnisonswechsel wirkten jedoch störend, und erst in Glogau, wohin Gaudy 1825 versetzt ward, konnte er sich mit größerer Ruhe den Studien hingeben. Er trat mit geistvollen dortigen Gelehrten in Verbindung, steuerte zu dem schlesischen Musen-Almanach Gedichte, auch mehrere einactige, metrische Lustspiele, zu den schlesischen Blättern Parabeln und Erzählungen bei, und trat 1829 zum erstenmal als selbstständiger Schriftsteller mit der "Erato" auf. Die erste Hälfte dieses Buchs verräth allerdings den Einfluß des damals eben erst bekannter werdenden Heine, doch gelang es Gaudy bald, sein Talent völlig zu emancipiren. Der zweite und dritte Theil der Erato, Parabeln und Elegien stammten aus früherer Zeit und waren auch eigenthümlicher gehalten.

Im Jahr 1830 rückte das sechste Regiment, bei welchem Gaudy stand, nach dem Großherzogthum Posen, und bald darauf, nach dem Ausbruch der Insurrection, an die Gränze. Gaudy erkrankte gefährlich an der Cholera. Nach seiner Wiederherstellung gab er einige zerstreute humoristische Aufsätze unter dem Titel: "Gedankensprünge eines der Cholera Entronnenen," heraus. Die zweite Auflage folgte der ersten auf dem Fuße. In Posen war es auch, wo die "Schild-Sagen", und im folgenden Jahre die "Korallen" entstanden, die Gaudy zuerst als einen durchaus selbstständigen Dichter bewährten. Eine Folge des Studiums der polnischen Sprache war die Uebersetzung der "historischen Gesänge" von Niemczewicz, so wie einiger Gedichte von Mizkiewicz. Bald darauf nach einem kleinen polnischen Gränzort versetzt, befreundete er sich, der spärlichsten Hülfsmittel ungeachtet, mit der altfranzösischen, der provencalischen und romanischen Sprache. Eine Aufforderung Chamisso's bestimmte Gaudy, als er 1833, des Friedensdienstes überdrüssig, seinen Abschied nahm, sich vorläufig nach Berlin zu wenden. Die höchst wohlwollende Aufnahme von Seite der dortigen Litteraten, namentlich Hitzig, Chamisso, Eichendorff, Streckfuß, bestimmten ihn hier zu bleiben. Schnell hintereinander entstanden nun die Novelle "Desengannio", die Uebersetzung von Wace's "Roman von Rollo" (aus dem Altnormannischen), welche Gaudy in drei Monaten vollendete, und in den drei Wintermonaten 1834/35 die "Kaiserlieder". Im April des folgenden Jahres trat er in Begleitung Franz Kuglers eine Reise durch Bayern und die Schweiz nach Italien an, weilte zwei Monate in Rom und kehrte dann über Florenz, Venedig, Wien zurück. Die Ausbeute jener Reise legte er theils in den drei Bänden seines "Römerzuges", theils in dem "Tagebuch eines wandernden Schneidergesellen", in welchem er die bekannte Flohdenunciation gegen Italien verspottet, theils in den "Venezianischen Novellen" nieder. Außerdem entstanden 1836 noch das erste Heft des "Berlinischen Bilderbuchs", die Uebersetzung der Dichtungen von "Clotilde Vallon Chely"; die "Novelletten"; die "Lieder und Romanzen". Das Jahr 1837 brachte die schon erwähnten Venetianischen Novellen und vielfache Aufsätze in Journalen. Eine projectirte, aber durch den Rücktritt aller Reisegefährten vereitelte Reise nach Island bewog Gaudy Dänisch zu erlernen, in Folge dessen einige kleinere Uebersetzungen aus Ingemann und Andersen entstanden. Statt nach dem Norden, entschloß sich nun der Dichter nach dem südlichen Deutschland zu reisen und die schwäbische Alb zu durchwandern. Hier hatte er Gelegenheit, sich mit Justinus Kerner und Gustav Schwab persönlich zu befreunden. Nach dem Rücktritt des letztern von der Redaction des Musenalmanachs ward er berufen, ihn an Schwabs Stelle gemeinschaftlich mit Chamisso für das Jahr 1839 herauszugeben. Chamisso war es auch, mit welchem er im Winter 1838 "Berangers Lieder" in freier Bearbeitung metrisch übertrug.

Im Julius des nämlichen Jahres unternahm Gaudy seine zweite italienische Reise, von der er nach Jahresfrist wiederum nach Berlin zurückkehrte. Ein Manuscript: Reiseskizzen und Novellen, von ihm selbst "Portogalli" benannt, ist aus dieser Reise hervorgegangen und dürfte im Druck etwa zwei Bände füllen. In Berlin fand Gaudy seinen väterlichen Freund Chamisso

*) Die biographischen Angaben sind sämmtlich einer handschriftlichen Notiz, von dem Verstorbenen selbst, entnommen.
Franz Freiherr Gaudy. *)*)

Franz Bernhard Heinrich Wilhelm Freiherr Gaudy ward zu Frankfurt an der Oder den 19 April 1800 geboren. Lange Zeit das einzige Kind seiner Eltern, des damaligen Majors (als Generallieutenant verstorbenen) Friedrich Freiherrn Gaudy und Constanzens, geb. Gräfin Schmettow, war er der Gegenstand ihrer liebevollsten Pflege, eben so wie sie es auch waren, welche ihm den ersten Unterricht ertheilten. Französisch sprach er früher als deutsch. Im vierten Jahre konnte er bereits in beiden Sprachen lesen. Der Krieg von 1806 rief Gaudy's Vater zum Heer. Der Knabe ward einer Pension auf dem Lande, später einer andern in Breslau anvertraut, und kam im Jahr 1810 nach Berlin, wo er das Collège français besuchte. Hier war es, wo Gaudy die ersten Verse machte, Compilationen aus dem Reimlexikon. Zu jener Zeit war Gaudy's Vater Gouverneur Sr. k. Hoh. des jetzigen Kronprinzen von Preußen, ein glücklicher Umstand, der, indem er den Knaben vielen der ausgezeichnetsten Männer unserer Zeit nahe brachte, auch auf die spätere Geistesrichtung desselben den entschiedensten Einfluß übte.

Im Jahr 1815 kam Gaudy nach der Landesschule Pforta. Lateinische und griechische Verskünsteleien nährten in ihm den Keim der Productivität, und der treffliche Rector Lange machte es sich zur besondern Aufgabe, die Anlagen des Jünglings zu entwickeln. Eine Elegie aus jener Epoche: „Winterbesuch,“ ist in des Dichters Erato aufgenommen worden. Ausflüge in die schönen Umgebungen nach Weimar, dem Thüringer Wald, in die goldene Au, Reisen nach Dresden, wo Gaudy's Vater als preußischer Generalgouverneur von Sachsen lebte, waren die hellsten Lichtpunkte jener schönen Zeit. Von den Classikern ward und blieb Tibull Gaudy's Liebling. Im Julius 1818 verließ er Schulpforta mit dem Zeugniß der völligen Reife zur Universität, und trat zu Potsdam bei dem ersten Garderegiment ins Heer; im October des folgenden Jahres avancirte er zum Officier. Der Dienstbeschäftigungen ungeachtet las Gaudy viel und trieb durcheinander spanische Sprache, Zeichnen, Musik, Heraldik und Poesie. Der Umgang mit K. v. Reinhard, dem Sohn des Herausgebers von Bürgers Schriften, gab ihm zuerst Gelegenheit, öffentlich als Dichter aufzutreten. Seine Erstlinge stehen in dem Taschenbuch: „Eudora für 1823 (Schleswig).“ Noch ehe sie erschienen, ward Gaudy auf sein Ansuchen nach Breslau versetzt, und schloß sich hier an Karl v. Holtei, seinen ältesten Jugendfreund, und Karl Barth an, Beiträge zu den von ersterem mit Schall herausgegebenen „Deutschen Blättern“ und der „Breslauer Modezeitung“ liefernd. Ein vielfach bewegtes Leben und häufiger Garnisonswechsel wirkten jedoch störend, und erst in Glogau, wohin Gaudy 1825 versetzt ward, konnte er sich mit größerer Ruhe den Studien hingeben. Er trat mit geistvollen dortigen Gelehrten in Verbindung, steuerte zu dem schlesischen Musen-Almanach Gedichte, auch mehrere einactige, metrische Lustspiele, zu den schlesischen Blättern Parabeln und Erzählungen bei, und trat 1829 zum erstenmal als selbstständiger Schriftsteller mit der „Erato“ auf. Die erste Hälfte dieses Buchs verräth allerdings den Einfluß des damals eben erst bekannter werdenden Heine, doch gelang es Gaudy bald, sein Talent völlig zu emancipiren. Der zweite und dritte Theil der Erato, Parabeln und Elegien stammten aus früherer Zeit und waren auch eigenthümlicher gehalten.

Im Jahr 1830 rückte das sechste Regiment, bei welchem Gaudy stand, nach dem Großherzogthum Posen, und bald darauf, nach dem Ausbruch der Insurrection, an die Gränze. Gaudy erkrankte gefährlich an der Cholera. Nach seiner Wiederherstellung gab er einige zerstreute humoristische Aufsätze unter dem Titel: „Gedankensprünge eines der Cholera Entronnenen,“ heraus. Die zweite Auflage folgte der ersten auf dem Fuße. In Posen war es auch, wo die „Schild-Sagen“, und im folgenden Jahre die „Korallen“ entstanden, die Gaudy zuerst als einen durchaus selbstständigen Dichter bewährten. Eine Folge des Studiums der polnischen Sprache war die Uebersetzung der „historischen Gesänge“ von Niemczewicz, so wie einiger Gedichte von Mizkiewicz. Bald darauf nach einem kleinen polnischen Gränzort versetzt, befreundete er sich, der spärlichsten Hülfsmittel ungeachtet, mit der altfranzösischen, der provençalischen und romanischen Sprache. Eine Aufforderung Chamisso's bestimmte Gaudy, als er 1833, des Friedensdienstes überdrüssig, seinen Abschied nahm, sich vorläufig nach Berlin zu wenden. Die höchst wohlwollende Aufnahme von Seite der dortigen Litteraten, namentlich Hitzig, Chamisso, Eichendorff, Streckfuß, bestimmten ihn hier zu bleiben. Schnell hintereinander entstanden nun die Novelle „Desengañio“, die Uebersetzung von Wace's „Roman von Rollo“ (aus dem Altnormannischen), welche Gaudy in drei Monaten vollendete, und in den drei Wintermonaten 1834/35 die „Kaiserlieder“. Im April des folgenden Jahres trat er in Begleitung Franz Kuglers eine Reise durch Bayern und die Schweiz nach Italien an, weilte zwei Monate in Rom und kehrte dann über Florenz, Venedig, Wien zurück. Die Ausbeute jener Reise legte er theils in den drei Bänden seines „Römerzuges“, theils in dem „Tagebuch eines wandernden Schneidergesellen“, in welchem er die bekannte Flohdenunciation gegen Italien verspottet, theils in den „Venezianischen Novellen“ nieder. Außerdem entstanden 1836 noch das erste Heft des „Berlinischen Bilderbuchs“, die Uebersetzung der Dichtungen von „Clotilde Vallon Chely“; die „Novelletten“; die „Lieder und Romanzen“. Das Jahr 1837 brachte die schon erwähnten Venetianischen Novellen und vielfache Aufsätze in Journalen. Eine projectirte, aber durch den Rücktritt aller Reisegefährten vereitelte Reise nach Island bewog Gaudy Dänisch zu erlernen, in Folge dessen einige kleinere Uebersetzungen aus Ingemann und Andersen entstanden. Statt nach dem Norden, entschloß sich nun der Dichter nach dem südlichen Deutschland zu reisen und die schwäbische Alb zu durchwandern. Hier hatte er Gelegenheit, sich mit Justinus Kerner und Gustav Schwab persönlich zu befreunden. Nach dem Rücktritt des letztern von der Redaction des Musenalmanachs ward er berufen, ihn an Schwabs Stelle gemeinschaftlich mit Chamisso für das Jahr 1839 herauszugeben. Chamisso war es auch, mit welchem er im Winter 1838 „Bérangers Lieder“ in freier Bearbeitung metrisch übertrug.

Im Julius des nämlichen Jahres unternahm Gaudy seine zweite italienische Reise, von der er nach Jahresfrist wiederum nach Berlin zurückkehrte. Ein Manuscript: Reiseskizzen und Novellen, von ihm selbst „Portogalli“ benannt, ist aus dieser Reise hervorgegangen und dürfte im Druck etwa zwei Bände füllen. In Berlin fand Gaudy seinen väterlichen Freund Chamisso

*) Die biographischen Angaben sind sämmtlich einer handschriftlichen Notiz, von dem Verstorbenen selbst, entnommen.
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[0649/0009] Franz Freiherr Gaudy. *) *) Franz Bernhard Heinrich Wilhelm Freiherr Gaudy ward zu Frankfurt an der Oder den 19 April 1800 geboren. Lange Zeit das einzige Kind seiner Eltern, des damaligen Majors (als Generallieutenant verstorbenen) Friedrich Freiherrn Gaudy und Constanzens, geb. Gräfin Schmettow, war er der Gegenstand ihrer liebevollsten Pflege, eben so wie sie es auch waren, welche ihm den ersten Unterricht ertheilten. Französisch sprach er früher als deutsch. Im vierten Jahre konnte er bereits in beiden Sprachen lesen. Der Krieg von 1806 rief Gaudy's Vater zum Heer. Der Knabe ward einer Pension auf dem Lande, später einer andern in Breslau anvertraut, und kam im Jahr 1810 nach Berlin, wo er das Collège français besuchte. Hier war es, wo Gaudy die ersten Verse machte, Compilationen aus dem Reimlexikon. Zu jener Zeit war Gaudy's Vater Gouverneur Sr. k. Hoh. des jetzigen Kronprinzen von Preußen, ein glücklicher Umstand, der, indem er den Knaben vielen der ausgezeichnetsten Männer unserer Zeit nahe brachte, auch auf die spätere Geistesrichtung desselben den entschiedensten Einfluß übte. Im Jahr 1815 kam Gaudy nach der Landesschule Pforta. Lateinische und griechische Verskünsteleien nährten in ihm den Keim der Productivität, und der treffliche Rector Lange machte es sich zur besondern Aufgabe, die Anlagen des Jünglings zu entwickeln. Eine Elegie aus jener Epoche: „Winterbesuch,“ ist in des Dichters Erato aufgenommen worden. Ausflüge in die schönen Umgebungen nach Weimar, dem Thüringer Wald, in die goldene Au, Reisen nach Dresden, wo Gaudy's Vater als preußischer Generalgouverneur von Sachsen lebte, waren die hellsten Lichtpunkte jener schönen Zeit. Von den Classikern ward und blieb Tibull Gaudy's Liebling. Im Julius 1818 verließ er Schulpforta mit dem Zeugniß der völligen Reife zur Universität, und trat zu Potsdam bei dem ersten Garderegiment ins Heer; im October des folgenden Jahres avancirte er zum Officier. Der Dienstbeschäftigungen ungeachtet las Gaudy viel und trieb durcheinander spanische Sprache, Zeichnen, Musik, Heraldik und Poesie. Der Umgang mit K. v. Reinhard, dem Sohn des Herausgebers von Bürgers Schriften, gab ihm zuerst Gelegenheit, öffentlich als Dichter aufzutreten. Seine Erstlinge stehen in dem Taschenbuch: „Eudora für 1823 (Schleswig).“ Noch ehe sie erschienen, ward Gaudy auf sein Ansuchen nach Breslau versetzt, und schloß sich hier an Karl v. Holtei, seinen ältesten Jugendfreund, und Karl Barth an, Beiträge zu den von ersterem mit Schall herausgegebenen „Deutschen Blättern“ und der „Breslauer Modezeitung“ liefernd. Ein vielfach bewegtes Leben und häufiger Garnisonswechsel wirkten jedoch störend, und erst in Glogau, wohin Gaudy 1825 versetzt ward, konnte er sich mit größerer Ruhe den Studien hingeben. Er trat mit geistvollen dortigen Gelehrten in Verbindung, steuerte zu dem schlesischen Musen-Almanach Gedichte, auch mehrere einactige, metrische Lustspiele, zu den schlesischen Blättern Parabeln und Erzählungen bei, und trat 1829 zum erstenmal als selbstständiger Schriftsteller mit der „Erato“ auf. Die erste Hälfte dieses Buchs verräth allerdings den Einfluß des damals eben erst bekannter werdenden Heine, doch gelang es Gaudy bald, sein Talent völlig zu emancipiren. Der zweite und dritte Theil der Erato, Parabeln und Elegien stammten aus früherer Zeit und waren auch eigenthümlicher gehalten. Im Jahr 1830 rückte das sechste Regiment, bei welchem Gaudy stand, nach dem Großherzogthum Posen, und bald darauf, nach dem Ausbruch der Insurrection, an die Gränze. Gaudy erkrankte gefährlich an der Cholera. Nach seiner Wiederherstellung gab er einige zerstreute humoristische Aufsätze unter dem Titel: „Gedankensprünge eines der Cholera Entronnenen,“ heraus. Die zweite Auflage folgte der ersten auf dem Fuße. In Posen war es auch, wo die „Schild-Sagen“, und im folgenden Jahre die „Korallen“ entstanden, die Gaudy zuerst als einen durchaus selbstständigen Dichter bewährten. Eine Folge des Studiums der polnischen Sprache war die Uebersetzung der „historischen Gesänge“ von Niemczewicz, so wie einiger Gedichte von Mizkiewicz. Bald darauf nach einem kleinen polnischen Gränzort versetzt, befreundete er sich, der spärlichsten Hülfsmittel ungeachtet, mit der altfranzösischen, der provençalischen und romanischen Sprache. Eine Aufforderung Chamisso's bestimmte Gaudy, als er 1833, des Friedensdienstes überdrüssig, seinen Abschied nahm, sich vorläufig nach Berlin zu wenden. Die höchst wohlwollende Aufnahme von Seite der dortigen Litteraten, namentlich Hitzig, Chamisso, Eichendorff, Streckfuß, bestimmten ihn hier zu bleiben. Schnell hintereinander entstanden nun die Novelle „Desengañio“, die Uebersetzung von Wace's „Roman von Rollo“ (aus dem Altnormannischen), welche Gaudy in drei Monaten vollendete, und in den drei Wintermonaten 1834/35 die „Kaiserlieder“. Im April des folgenden Jahres trat er in Begleitung Franz Kuglers eine Reise durch Bayern und die Schweiz nach Italien an, weilte zwei Monate in Rom und kehrte dann über Florenz, Venedig, Wien zurück. Die Ausbeute jener Reise legte er theils in den drei Bänden seines „Römerzuges“, theils in dem „Tagebuch eines wandernden Schneidergesellen“, in welchem er die bekannte Flohdenunciation gegen Italien verspottet, theils in den „Venezianischen Novellen“ nieder. Außerdem entstanden 1836 noch das erste Heft des „Berlinischen Bilderbuchs“, die Uebersetzung der Dichtungen von „Clotilde Vallon Chely“; die „Novelletten“; die „Lieder und Romanzen“. Das Jahr 1837 brachte die schon erwähnten Venetianischen Novellen und vielfache Aufsätze in Journalen. Eine projectirte, aber durch den Rücktritt aller Reisegefährten vereitelte Reise nach Island bewog Gaudy Dänisch zu erlernen, in Folge dessen einige kleinere Uebersetzungen aus Ingemann und Andersen entstanden. Statt nach dem Norden, entschloß sich nun der Dichter nach dem südlichen Deutschland zu reisen und die schwäbische Alb zu durchwandern. Hier hatte er Gelegenheit, sich mit Justinus Kerner und Gustav Schwab persönlich zu befreunden. Nach dem Rücktritt des letztern von der Redaction des Musenalmanachs ward er berufen, ihn an Schwabs Stelle gemeinschaftlich mit Chamisso für das Jahr 1839 herauszugeben. Chamisso war es auch, mit welchem er im Winter 1838 „Bérangers Lieder“ in freier Bearbeitung metrisch übertrug. Im Julius des nämlichen Jahres unternahm Gaudy seine zweite italienische Reise, von der er nach Jahresfrist wiederum nach Berlin zurückkehrte. Ein Manuscript: Reiseskizzen und Novellen, von ihm selbst „Portogalli“ benannt, ist aus dieser Reise hervorgegangen und dürfte im Druck etwa zwei Bände füllen. In Berlin fand Gaudy seinen väterlichen Freund Chamisso *) Die biographischen Angaben sind sämmtlich einer handschriftlichen Notiz, von dem Verstorbenen selbst, entnommen.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 82. Augsburg, 22. März 1840, S. 0649. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_082_18400322/9>, abgerufen am 26.04.2024.