Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 43. Augsburg, 12. Februar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Türkei.

Der Finanzminister, Hadschi Edhem Effendi, ist in Folge eines heftigen Streits, der im Gesetzgebungsconseil über eine wichtige Reform in den Finanzangelegenheiten sich entsponnen hatte, abgesetzt worden. Zwar ist die Freiheit der Discussion im Schooße des Conseils zum Grundsatz erhoben worden. Hadschi Edhem Effendi hat auch gewiß nicht seinen Posten verloren, weil er von der ihm gebührenden Befugniß, seine Meinung zu vertheidigen, Gebrauch machte; allein da es sich um die Einführung eines ganz neuen Systems handelt, so wäre es widersinnig, einen Mann damit zu beauftragen, der mit der Neuerung sich zu befreunden durchaus nicht im Stande ist. Die beschlossene Reform ist durchgreifend und stürzt das bisherige System ganz über den Haufen. Die öffentlichen Einkünfte sollen fernerhin durch eigens angestellte und besoldete Beamten erhoben und verwaltet werden. Die Zweige des Staatseinkommens sollen nicht mehr an die Meistbietenden verpachtet werden. So ward natürlich auch dem Finanzminister die ergiebigste Quelle, auf Kosten des öffentlichen Wohls Reichthümer zu sammeln, verstopft, und seyn leidenschaftliches Benehmen im Conseil scheint durch eigennützige Beweggründe motivirt gewesen zu seyn.

^

Die ägyptische Angelegenheit ist hier ganz in Stillstand gerathen; man erwartet die Entscheidung der in London versammelten Repräsentanten der Großmächte mit einer gewissen Apathie, als wären es fremde, nicht türkische Angelegenheiten, die daselbst in Erörterung kommen. Zum Theil mögen sie darin Recht haben. Die Türken scheinen in dem unbegränztem Vertrauen, welches sie auf die Macht und auf den entschiedenen Willen Englands, die Sache der Pforte zu unterstützen, bisher gesetzt hatten, sehr herabgestimmt zu seyn. Sie glauben, daß durch ein entschlosseneres Benehmen des englischen Cabinets die Sache längst entschieden seyn müßte. In der That scheint England nicht mit der erforderlichen Energie vorgehen zu wollen. Ein englischer Marinecapitän, mit dem ich häufig Gelegenheit gehabt Möglichkeit und Zweckmäßigkeit der gegen Mehemed Ali anzuwendenden Coercitivmittel zu besprechen, und der vermöge seiner militärischen Kenntnisse und zugleich seiner Ueberlegung und Vorsicht einer der competentesten Richter in dieser Sache seyn dürfte, erklärte sich wiederholt für die Ausführbarkeit der vorgeschlagenen Gewaltmaaßregeln. Dieser Officier, der die Güte hatte, mir mehrere, von ihm selbst aufgenommene Zeichnungen und Plane der beiden Häfen von Alexandrien, der Stadt selbst und aller zum Schutze derselben errichteten Befestigungen vorzuzeigen, behauptet, daß die Verbrennung der ägyptischen Flotte und selbst die Besetzung der Stadt bei weitem nicht mit den unübersteiglichen Hindernissen verbunden wäre, wie gewöhnlich vorgegeben wird. Freilich müßten bedeutende Streitkräfte entfaltet werden, um diesen Zweck zu erlangen, denn außerdem, daß der erwähnte Officier die Bewaffnung der dazu bestimmten Kriegsschiffe mit Kanonen vom größten Kaliber zur Bedingung macht, glaubt er die Zahl der benöthigten Schiffe von hohem Bord von 35 bis 40 bestimmen zu müssen. Dieß sey nicht bloß seine Meinung, sondern auch das Gutachten drei anderer brittischen Seeofficiere, deren Berichte vor ungefähr fünf Wochen von Alexandrien nach London abgegangen seyen. Suche man nun zugleich auf Alexandrette und möglicher Weise auf Acre zu operiren, gelinge es die Communication zwischen Ibrahim Pascha's Armee und Aegypten zu unterbrechen, so könnte das Resultat nicht zweifelhaft seyn. Die türkische Armee in Asien, wenn auch nicht vollständig reorganisirt, sey doch kein unbedeutender Factor zur Realisirung dieser combinirten Operationen, um so mehr als die moralische Wirkung einer im schlimmsten Fall immer bereiten Hülfe von Seite Rußlands auch mit in Anschlag gebracht werden müsse. Auf meine Einwendung, daß die Unterbrechung der oben erwähnten Communication zwischen Ibrahim Pascha und Aegypten ohne eine entsprechende Anzahl Landungstruppen nicht zur Ausführung gebracht werden könne, glaubte der brittische Capitän meine Aufmerksamkeit auf eine mit England alliirte Macht lenken zu müssen, deren eigenthümliche militärische Etablissements, aus gebornen Kriegern bestehend, an das adriatische Meer stoßen. Diese, ursprünglich gegen die Macht der Türken bestimmte Einrichtung könnte nun leicht zu ihrer Erhaltung und Unterstützung gewendet werden, ein Wechsel, der auf jeden Fall nicht zum erstenmal in der Weltgeschichte eingetreten sey. Diese Macht könne ohne besondere Anstrengung leicht 20,000 Mann an den östlichen Küsten des adriatischen Golfes in Disponibilität setzen. Unmöglich dürfte dieß nicht seyn, und jener Staat weiß zu gut, daß eine ausgesprochene Willensmeinung gerade nur so viel Werth hat, als die Kraft der Mittel, mit der man sie unterstützt, und die Entschlossenheit, mit der man sie geltend macht. Ohne dieser Ansicht gerade widersprechen zu wollen, bin ich der Meinung, daß Oesterreich vermög seiner Denkart und seiner Grundsätze nicht in einen solchen Vorschlag einstimmen werde.

Türkei.

Der Finanzminister, Hadschi Edhem Effendi, ist in Folge eines heftigen Streits, der im Gesetzgebungsconseil über eine wichtige Reform in den Finanzangelegenheiten sich entsponnen hatte, abgesetzt worden. Zwar ist die Freiheit der Discussion im Schooße des Conseils zum Grundsatz erhoben worden. Hadschi Edhem Effendi hat auch gewiß nicht seinen Posten verloren, weil er von der ihm gebührenden Befugniß, seine Meinung zu vertheidigen, Gebrauch machte; allein da es sich um die Einführung eines ganz neuen Systems handelt, so wäre es widersinnig, einen Mann damit zu beauftragen, der mit der Neuerung sich zu befreunden durchaus nicht im Stande ist. Die beschlossene Reform ist durchgreifend und stürzt das bisherige System ganz über den Haufen. Die öffentlichen Einkünfte sollen fernerhin durch eigens angestellte und besoldete Beamten erhoben und verwaltet werden. Die Zweige des Staatseinkommens sollen nicht mehr an die Meistbietenden verpachtet werden. So ward natürlich auch dem Finanzminister die ergiebigste Quelle, auf Kosten des öffentlichen Wohls Reichthümer zu sammeln, verstopft, und seyn leidenschaftliches Benehmen im Conseil scheint durch eigennützige Beweggründe motivirt gewesen zu seyn.

Die ägyptische Angelegenheit ist hier ganz in Stillstand gerathen; man erwartet die Entscheidung der in London versammelten Repräsentanten der Großmächte mit einer gewissen Apathie, als wären es fremde, nicht türkische Angelegenheiten, die daselbst in Erörterung kommen. Zum Theil mögen sie darin Recht haben. Die Türken scheinen in dem unbegränztem Vertrauen, welches sie auf die Macht und auf den entschiedenen Willen Englands, die Sache der Pforte zu unterstützen, bisher gesetzt hatten, sehr herabgestimmt zu seyn. Sie glauben, daß durch ein entschlosseneres Benehmen des englischen Cabinets die Sache längst entschieden seyn müßte. In der That scheint England nicht mit der erforderlichen Energie vorgehen zu wollen. Ein englischer Marinecapitän, mit dem ich häufig Gelegenheit gehabt Möglichkeit und Zweckmäßigkeit der gegen Mehemed Ali anzuwendenden Coërcitivmittel zu besprechen, und der vermöge seiner militärischen Kenntnisse und zugleich seiner Ueberlegung und Vorsicht einer der competentesten Richter in dieser Sache seyn dürfte, erklärte sich wiederholt für die Ausführbarkeit der vorgeschlagenen Gewaltmaaßregeln. Dieser Officier, der die Güte hatte, mir mehrere, von ihm selbst aufgenommene Zeichnungen und Plane der beiden Häfen von Alexandrien, der Stadt selbst und aller zum Schutze derselben errichteten Befestigungen vorzuzeigen, behauptet, daß die Verbrennung der ägyptischen Flotte und selbst die Besetzung der Stadt bei weitem nicht mit den unübersteiglichen Hindernissen verbunden wäre, wie gewöhnlich vorgegeben wird. Freilich müßten bedeutende Streitkräfte entfaltet werden, um diesen Zweck zu erlangen, denn außerdem, daß der erwähnte Officier die Bewaffnung der dazu bestimmten Kriegsschiffe mit Kanonen vom größten Kaliber zur Bedingung macht, glaubt er die Zahl der benöthigten Schiffe von hohem Bord von 35 bis 40 bestimmen zu müssen. Dieß sey nicht bloß seine Meinung, sondern auch das Gutachten drei anderer brittischen Seeofficiere, deren Berichte vor ungefähr fünf Wochen von Alexandrien nach London abgegangen seyen. Suche man nun zugleich auf Alexandrette und möglicher Weise auf Acre zu operiren, gelinge es die Communication zwischen Ibrahim Pascha's Armee und Aegypten zu unterbrechen, so könnte das Resultat nicht zweifelhaft seyn. Die türkische Armee in Asien, wenn auch nicht vollständig reorganisirt, sey doch kein unbedeutender Factor zur Realisirung dieser combinirten Operationen, um so mehr als die moralische Wirkung einer im schlimmsten Fall immer bereiten Hülfe von Seite Rußlands auch mit in Anschlag gebracht werden müsse. Auf meine Einwendung, daß die Unterbrechung der oben erwähnten Communication zwischen Ibrahim Pascha und Aegypten ohne eine entsprechende Anzahl Landungstruppen nicht zur Ausführung gebracht werden könne, glaubte der brittische Capitän meine Aufmerksamkeit auf eine mit England alliirte Macht lenken zu müssen, deren eigenthümliche militärische Etablissements, aus gebornen Kriegern bestehend, an das adriatische Meer stoßen. Diese, ursprünglich gegen die Macht der Türken bestimmte Einrichtung könnte nun leicht zu ihrer Erhaltung und Unterstützung gewendet werden, ein Wechsel, der auf jeden Fall nicht zum erstenmal in der Weltgeschichte eingetreten sey. Diese Macht könne ohne besondere Anstrengung leicht 20,000 Mann an den östlichen Küsten des adriatischen Golfes in Disponibilität setzen. Unmöglich dürfte dieß nicht seyn, und jener Staat weiß zu gut, daß eine ausgesprochene Willensmeinung gerade nur so viel Werth hat, als die Kraft der Mittel, mit der man sie unterstützt, und die Entschlossenheit, mit der man sie geltend macht. Ohne dieser Ansicht gerade widersprechen zu wollen, bin ich der Meinung, daß Oesterreich vermög seiner Denkart und seiner Grundsätze nicht in einen solchen Vorschlag einstimmen werde.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0008" n="0344"/>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Türkei.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Konstantinopel,</hi> 22 Jan.</dateline>
          <p> Der Finanzminister, Hadschi Edhem Effendi, ist in Folge eines heftigen Streits, der im Gesetzgebungsconseil über eine wichtige Reform in den Finanzangelegenheiten sich entsponnen hatte, abgesetzt worden. Zwar ist die Freiheit der Discussion im Schooße des Conseils zum Grundsatz erhoben worden. Hadschi Edhem Effendi hat auch gewiß nicht seinen Posten verloren, weil er von der ihm gebührenden Befugniß, seine Meinung zu vertheidigen, Gebrauch machte; allein da es sich um die Einführung eines ganz neuen Systems handelt, so wäre es widersinnig, einen Mann damit zu beauftragen, der mit der Neuerung sich zu befreunden durchaus nicht im Stande ist. Die beschlossene Reform ist durchgreifend und stürzt das bisherige System ganz über den Haufen. <hi rendition="#g">Die öffentlichen Einkünfte sollen fernerhin durch eigens angestellte und besoldete Beamten erhoben und verwaltet werden</hi>. <hi rendition="#g">Die Zweige des Staatseinkommens sollen nicht mehr an die Meistbietenden verpachtet werden</hi>. So ward natürlich auch dem Finanzminister die ergiebigste Quelle, auf Kosten des öffentlichen Wohls Reichthümer zu sammeln, verstopft, und seyn leidenschaftliches Benehmen im Conseil scheint durch eigennützige Beweggründe motivirt gewesen zu seyn.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>&#x25B3;</head>
          <dateline><hi rendition="#b">Konstantinopel,</hi> 22 Jan.</dateline>
          <p> Die ägyptische Angelegenheit ist hier ganz in Stillstand gerathen; man erwartet die Entscheidung der in London versammelten Repräsentanten der Großmächte mit einer gewissen Apathie, als wären es fremde, nicht türkische Angelegenheiten, die daselbst in Erörterung kommen. Zum Theil mögen sie darin Recht haben. Die Türken scheinen in dem unbegränztem Vertrauen, welches sie auf die Macht und auf den entschiedenen Willen Englands, die Sache der Pforte zu unterstützen, bisher gesetzt hatten, sehr herabgestimmt zu seyn. Sie glauben, daß durch ein entschlosseneres Benehmen des englischen Cabinets die Sache längst entschieden seyn müßte. In der That scheint England nicht mit der erforderlichen Energie vorgehen zu wollen. Ein englischer Marinecapitän, mit dem ich häufig Gelegenheit gehabt Möglichkeit und Zweckmäßigkeit der gegen Mehemed Ali anzuwendenden Coërcitivmittel zu besprechen, und der vermöge seiner militärischen Kenntnisse und zugleich seiner Ueberlegung und Vorsicht einer der competentesten Richter in dieser Sache seyn dürfte, erklärte sich wiederholt für die Ausführbarkeit der vorgeschlagenen Gewaltmaaßregeln. Dieser Officier, der die Güte hatte, mir mehrere, von ihm selbst aufgenommene Zeichnungen und Plane der beiden Häfen von Alexandrien, der Stadt selbst und aller zum Schutze derselben errichteten Befestigungen vorzuzeigen, behauptet, daß die Verbrennung der ägyptischen Flotte und selbst die Besetzung der Stadt bei weitem nicht mit den unübersteiglichen Hindernissen verbunden wäre, wie gewöhnlich vorgegeben wird. Freilich müßten bedeutende Streitkräfte entfaltet werden, um diesen Zweck zu erlangen, denn außerdem, daß der erwähnte Officier die Bewaffnung der dazu bestimmten Kriegsschiffe mit Kanonen vom größten Kaliber zur Bedingung macht, glaubt er die Zahl der benöthigten Schiffe von hohem Bord von 35 bis 40 bestimmen zu müssen. Dieß sey nicht bloß <hi rendition="#g">seine</hi> Meinung, sondern auch das Gutachten drei anderer brittischen Seeofficiere, deren Berichte vor ungefähr fünf Wochen von Alexandrien nach London abgegangen seyen. Suche man nun zugleich auf Alexandrette und möglicher Weise auf Acre zu operiren, gelinge es die Communication zwischen Ibrahim Pascha's Armee und Aegypten zu unterbrechen, so könnte das Resultat nicht zweifelhaft seyn. Die türkische Armee in Asien, wenn auch nicht vollständig reorganisirt, sey doch kein unbedeutender Factor zur Realisirung dieser combinirten Operationen, um so mehr als die moralische Wirkung einer im schlimmsten Fall immer bereiten Hülfe von Seite Rußlands auch mit in Anschlag gebracht werden müsse. Auf meine Einwendung, daß die Unterbrechung der oben erwähnten Communication zwischen Ibrahim Pascha und Aegypten ohne eine entsprechende Anzahl Landungstruppen nicht zur Ausführung gebracht werden könne, glaubte der brittische Capitän meine Aufmerksamkeit auf eine mit England alliirte Macht lenken zu müssen, deren eigenthümliche militärische Etablissements, aus gebornen Kriegern bestehend, an das adriatische Meer stoßen. Diese, ursprünglich gegen die Macht der Türken bestimmte Einrichtung könnte nun leicht zu ihrer Erhaltung und Unterstützung gewendet werden, ein Wechsel, der auf jeden Fall nicht zum erstenmal in der Weltgeschichte eingetreten sey. Diese Macht könne ohne besondere Anstrengung leicht 20,000 Mann an den östlichen Küsten des adriatischen Golfes in Disponibilität setzen. Unmöglich dürfte dieß nicht seyn, und jener Staat weiß zu gut, daß eine ausgesprochene Willensmeinung gerade nur so viel Werth hat, als die Kraft der Mittel, mit der man sie unterstützt, und die Entschlossenheit, mit der man sie geltend macht. Ohne dieser Ansicht gerade widersprechen zu wollen, bin ich der Meinung, daß Oesterreich vermög seiner Denkart und seiner Grundsätze nicht in einen solchen Vorschlag einstimmen werde.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0344/0008] Türkei. _ Konstantinopel, 22 Jan. Der Finanzminister, Hadschi Edhem Effendi, ist in Folge eines heftigen Streits, der im Gesetzgebungsconseil über eine wichtige Reform in den Finanzangelegenheiten sich entsponnen hatte, abgesetzt worden. Zwar ist die Freiheit der Discussion im Schooße des Conseils zum Grundsatz erhoben worden. Hadschi Edhem Effendi hat auch gewiß nicht seinen Posten verloren, weil er von der ihm gebührenden Befugniß, seine Meinung zu vertheidigen, Gebrauch machte; allein da es sich um die Einführung eines ganz neuen Systems handelt, so wäre es widersinnig, einen Mann damit zu beauftragen, der mit der Neuerung sich zu befreunden durchaus nicht im Stande ist. Die beschlossene Reform ist durchgreifend und stürzt das bisherige System ganz über den Haufen. Die öffentlichen Einkünfte sollen fernerhin durch eigens angestellte und besoldete Beamten erhoben und verwaltet werden. Die Zweige des Staatseinkommens sollen nicht mehr an die Meistbietenden verpachtet werden. So ward natürlich auch dem Finanzminister die ergiebigste Quelle, auf Kosten des öffentlichen Wohls Reichthümer zu sammeln, verstopft, und seyn leidenschaftliches Benehmen im Conseil scheint durch eigennützige Beweggründe motivirt gewesen zu seyn. △ Konstantinopel, 22 Jan. Die ägyptische Angelegenheit ist hier ganz in Stillstand gerathen; man erwartet die Entscheidung der in London versammelten Repräsentanten der Großmächte mit einer gewissen Apathie, als wären es fremde, nicht türkische Angelegenheiten, die daselbst in Erörterung kommen. Zum Theil mögen sie darin Recht haben. Die Türken scheinen in dem unbegränztem Vertrauen, welches sie auf die Macht und auf den entschiedenen Willen Englands, die Sache der Pforte zu unterstützen, bisher gesetzt hatten, sehr herabgestimmt zu seyn. Sie glauben, daß durch ein entschlosseneres Benehmen des englischen Cabinets die Sache längst entschieden seyn müßte. In der That scheint England nicht mit der erforderlichen Energie vorgehen zu wollen. Ein englischer Marinecapitän, mit dem ich häufig Gelegenheit gehabt Möglichkeit und Zweckmäßigkeit der gegen Mehemed Ali anzuwendenden Coërcitivmittel zu besprechen, und der vermöge seiner militärischen Kenntnisse und zugleich seiner Ueberlegung und Vorsicht einer der competentesten Richter in dieser Sache seyn dürfte, erklärte sich wiederholt für die Ausführbarkeit der vorgeschlagenen Gewaltmaaßregeln. Dieser Officier, der die Güte hatte, mir mehrere, von ihm selbst aufgenommene Zeichnungen und Plane der beiden Häfen von Alexandrien, der Stadt selbst und aller zum Schutze derselben errichteten Befestigungen vorzuzeigen, behauptet, daß die Verbrennung der ägyptischen Flotte und selbst die Besetzung der Stadt bei weitem nicht mit den unübersteiglichen Hindernissen verbunden wäre, wie gewöhnlich vorgegeben wird. Freilich müßten bedeutende Streitkräfte entfaltet werden, um diesen Zweck zu erlangen, denn außerdem, daß der erwähnte Officier die Bewaffnung der dazu bestimmten Kriegsschiffe mit Kanonen vom größten Kaliber zur Bedingung macht, glaubt er die Zahl der benöthigten Schiffe von hohem Bord von 35 bis 40 bestimmen zu müssen. Dieß sey nicht bloß seine Meinung, sondern auch das Gutachten drei anderer brittischen Seeofficiere, deren Berichte vor ungefähr fünf Wochen von Alexandrien nach London abgegangen seyen. Suche man nun zugleich auf Alexandrette und möglicher Weise auf Acre zu operiren, gelinge es die Communication zwischen Ibrahim Pascha's Armee und Aegypten zu unterbrechen, so könnte das Resultat nicht zweifelhaft seyn. Die türkische Armee in Asien, wenn auch nicht vollständig reorganisirt, sey doch kein unbedeutender Factor zur Realisirung dieser combinirten Operationen, um so mehr als die moralische Wirkung einer im schlimmsten Fall immer bereiten Hülfe von Seite Rußlands auch mit in Anschlag gebracht werden müsse. Auf meine Einwendung, daß die Unterbrechung der oben erwähnten Communication zwischen Ibrahim Pascha und Aegypten ohne eine entsprechende Anzahl Landungstruppen nicht zur Ausführung gebracht werden könne, glaubte der brittische Capitän meine Aufmerksamkeit auf eine mit England alliirte Macht lenken zu müssen, deren eigenthümliche militärische Etablissements, aus gebornen Kriegern bestehend, an das adriatische Meer stoßen. Diese, ursprünglich gegen die Macht der Türken bestimmte Einrichtung könnte nun leicht zu ihrer Erhaltung und Unterstützung gewendet werden, ein Wechsel, der auf jeden Fall nicht zum erstenmal in der Weltgeschichte eingetreten sey. Diese Macht könne ohne besondere Anstrengung leicht 20,000 Mann an den östlichen Küsten des adriatischen Golfes in Disponibilität setzen. Unmöglich dürfte dieß nicht seyn, und jener Staat weiß zu gut, daß eine ausgesprochene Willensmeinung gerade nur so viel Werth hat, als die Kraft der Mittel, mit der man sie unterstützt, und die Entschlossenheit, mit der man sie geltend macht. Ohne dieser Ansicht gerade widersprechen zu wollen, bin ich der Meinung, daß Oesterreich vermög seiner Denkart und seiner Grundsätze nicht in einen solchen Vorschlag einstimmen werde.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_043_18400212
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_043_18400212/8
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 43. Augsburg, 12. Februar 1840, S. 0344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_043_18400212/8>, abgerufen am 26.04.2024.