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Allgemeine Zeitung. Nr. 25. Augsburg, 25. Januar 1840.

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erzogenen Dragoman gewiß nicht mehr Gewicht als die eines den Grundsätzen der Ehre im höchsten Grade ergebenen Officiers. Admiral Lalande hat zwar noch nicht selbst gesprochen; allein der Moniteur, der das Wort ergriff, ist mit dem von ihm beobachteten Betragen vertraut, und hat jene Aussagen Lügen gestraft. Selbst aber wenn der Dolmetscher sich keine Unwahrheit hätte zu Schulden kommen lassen, so daß der Moniteur hätte schweigen müssen, so wäre Admiral Lalande allein verantwortlich, denn nur mittelst magischer Kräfte konnte die Regierung in Paris Alles voraussehen, und ihre Voraussicht zu den ihr verleumderisch zugeschriebenen unlautern Zwecken benützen. Sie hätte den Tag und die Stunde des Todes Mahmuds, die ruhige Thronbesteigung seines Nachfolgers, die Erhebung Chosrew Pascha's zum Großwessier, den Beginn und Ausgang der Schlacht von Nisib, das Einverständniß des türkischen Admirals mit dem Commandanten der Dardanellen, den Haß, den der Kapudan Pascha gegen Chosrew fühlte, ja, selbst die Fluthen kennen müssen, die in dem Augenblick das Meer bewegten, als die türkische Flotte die Anker lichtete, um einen nie geahnten Verrath zu üben, denn alle diese Umstände knüpften sich an den vom Kapudan Pascha gewagten Schritt. Dieß alles vorauszusehen oder einzuleiten, war bei dem kurzen Zeitzwischenraume, dann bei der großen Entfernung vom Theater der Ereignisse ganz unmöglich, und dennoch läßt Ihr Londoner Correspendent, der die Daten ganz aus den Augen verliert, und gleich Andern oberflächlich oder einseitig den Verlauf der Dinge beurtheilt, sich herbei, Frankreich zu beschuldigen, Theil an dem Abfall Ahmed Fewzi's genommen zu haben. Ist es glaubbar, daß Lalande, der kurz vorher 10,000 Mann türkischer Truppen ruhig nach Syrien überschiffen ließ, um die Armee Halil Pascha's zu verstärken, einen der größten Würdenträger der Pforte, ihren Großadmiral, verführt haben soll? Konnte der Admiral anders handeln, als er gehandelt hat, nachdem er den Kapudan Pascha entschlossen sah, das offene Meer zu gewinnen? Würde er sich anders betragen, würde er ihn, hätte er die Mittel dazu besessen, mit Gewalt zurückgehalten, und, aufs äußerste getrieben, die osmanische Flotte zu vernichten gesucht haben, so hätte man nicht minder über Verrath geschrieen und behauptet, die französische Regierung habe einen solchen Frevel zu Gunsten ihres Protege's, Mehemed Ali's, geschehen lassen. Der verehrte Londoner Correspondent hätte gewiß nicht verfehlt, dieß zu thun, er, der alle Anordnungen, die von hier aus, selbst die, welche im Einverständnisse mit dem englischen Cabinet genommen worden sind, ein Machwerk voll List und Hinterhalt nennt, würde Ach und Weh über Lalande und seine Regierung gerufen haben. Mit wahrer Naivetät indessen läßt sich der Correspondent über die an den französischen Admiral erlassenen Instructionen vernehmen, Instructionen, die mit denen gleichlautend waren, welche dem englischen Admiral zugeschickt wurden, und ein genaues Zusammenhalten beider Escadren vorschrieben. Das Anschließen Lalande's an Admiral Stopford, sagt er, und die ihm deßhalb gegebenen Instructionen haben zum Zwecke gehabt, das englische Geschwader zu beobachten, ihm hinderlich zu seyn, falls er gegen Alexandria segeln und die Herausgabe der osmanischen Flotte erzwingen wollte, weil auf diese Weise Lalande seine Kanonen die Engländer hätte fühlen lassen können. Es ist kaum möglich, daß solches Vorgeben ernsthaft gemeint sey, vollends in dem Munde desjenigen, der gleichzeitig versichert, die französische Regierung habe aus Furcht, in einen Krieg verwickelt zu werden, sich große Mäßigung auferlegt. Allein, wenn man einmal so weit geht, hat man nicht nöthig stehen zu bleiben; man kann sogar an Träume glauben oder glauben machen, an welchen Lalande Gefallen gefunden haben soll: er habe sich schon als Großadmiral der vereinigten ägyptisch-türkisch-französischen Flotte begrüßt zu sehen gewähnt! Admiral Lalande ist viel zu praktisch, um Hirngespinnsten nachzugehen, die ihn unfähig machten, ein ihm anvertrautes Commando zu führen. Endlich hat die französische Regierung, trotz ihrer viel gepriesenen Geschicklichkeit, so viel Mißgriffe gemacht, daß sie sich bloßgestellt und gezwungen sah, einen Sündenbock auszufinden, um wenigstens das Decorum zu retten. Lalande war es dießmal nicht, wohl aber Roussin, den man zum Opfer erkoren: seine Abberufung war der Reinigungsproceß, den das Pariser Cabinet vorzunehmen sich und der Welt schuldig zu seyn glaubte. Dieß versichert ohne weiters der Londoner Correspondent. Der aber kennt den Admiral Roussin nicht, wer da wähnt, ihn zu unlautern Zwecken benützen zu können, wozu er sich doch, wenn seine Regierung wirklich so arglistig gesinnt war, hätte hergeben müssen; der kennt ihn noch weniger, der da glaubt, es gebe irgend einen Menschen, irgend eine Macht, die ihn zum Sündenbock vorzuschieben wagen dürfte! Hätte der Verfasser des hier in Frage stehenden Artikels die Aeußerung Lord Ponsonby's vernommen, als er Kunde von der Abberufung eines Mannes erhielt, dem er zwar manche bittere Stunde gemacht, dem er aber die größte Achtung schuldig war, er würde sich gehütet haben, zu sagen, Admiral Roussin habe das Bad für alle Sünden ausbaden müssen, die man in Paris begangen habe. Der allgemein geachtete Roussin hatte unter den schwierigen Verhältnissen, in denen er sich befand, seltene Charakterstärke bewiesen, und, abgesehen von der Collectivnote, mit der man sich übrigens einverstanden erklärte, vielen Tact und Scharfsinn gezeigt, so daß er das Vertrauen rechtfertigte, welches man in ihn setzte. Er ist und konnte sich auch nicht verletzt fühlen, als er von Konstantinopel zurückberufen ward, da er wohl weiß, daß es aus rein versöhnlichen Absichten geschah, von denen das französische Cabinet ununterbrochen erfüllt ist. Die geringe Harmonie, die zwischen ihm und Lord Ponsonby bestand, hatte es längst wünschenswerth gemacht, ihn ersetzen, und zwar durch Jemanden ersetzen zu lassen, der mit Lord Ponsonby befreundet gewesen. Die Wahl fiel daher auf Hrn. v. Pontois, der mit ihm in Brasilien im besten Einverständniß gelebt hatte; sie geschah in einem Augenblick, wo viel darauf ankam, alle persönlichen Reibungen zwischen den zwei Repräsentanten zu beseitigen, um den Geschäftsgang zu erleichtern, und so viel als möglich Einigkeit bei ihren politischen Beziehungen zu erwirken. Dieß und nichts Anderes ist der Grund, der die Abberufung des Admirals Roussin motivirte. Ich glaube jetzt schließen zu müssen, weil es zu weit führen würde, wenn dem vielfach erwähnten Artikel in seinem ganzen Umfange, in allen Details nachgegangen werden sollte. Ich begnüge mich den größten und wichtigsten Theil der Anschuldigungen davon herausgehoben zu haben, um die Grundlosigkeit und Leichtfertigkeit darzuthun, mit der von mehr als Einer Seite schonungslos Regierungen angegriffen werden, deren Tendenz, deren politischen Gang man völlig verkennt. Die Zeit, die Alles ergründende Zeit, wird der Wahrheit Eingang verschaffen, wenn es mir nicht gelungen seyn sollte, zur richtigern Erkenntniß der Verhältnisse beigetragen zu haben.


Niederlande.

Die zweite Kammer der Generalstaaten hat doch einen Schritt vermieden, welcher ihre grundgesetzliche Stellung der Regierung gegenüber eigenmächtig verrückt haben würde. Sie hat den von fünf Kammermitgliedern in Bezug auf die Art und Weise, wie die Revision des Staatsgrundgesetzes vorzunehmen sey, gestellten Antrag abgelehnt.


erzogenen Dragoman gewiß nicht mehr Gewicht als die eines den Grundsätzen der Ehre im höchsten Grade ergebenen Officiers. Admiral Lalande hat zwar noch nicht selbst gesprochen; allein der Moniteur, der das Wort ergriff, ist mit dem von ihm beobachteten Betragen vertraut, und hat jene Aussagen Lügen gestraft. Selbst aber wenn der Dolmetscher sich keine Unwahrheit hätte zu Schulden kommen lassen, so daß der Moniteur hätte schweigen müssen, so wäre Admiral Lalande allein verantwortlich, denn nur mittelst magischer Kräfte konnte die Regierung in Paris Alles voraussehen, und ihre Voraussicht zu den ihr verleumderisch zugeschriebenen unlautern Zwecken benützen. Sie hätte den Tag und die Stunde des Todes Mahmuds, die ruhige Thronbesteigung seines Nachfolgers, die Erhebung Chosrew Pascha's zum Großwessier, den Beginn und Ausgang der Schlacht von Nisib, das Einverständniß des türkischen Admirals mit dem Commandanten der Dardanellen, den Haß, den der Kapudan Pascha gegen Chosrew fühlte, ja, selbst die Fluthen kennen müssen, die in dem Augenblick das Meer bewegten, als die türkische Flotte die Anker lichtete, um einen nie geahnten Verrath zu üben, denn alle diese Umstände knüpften sich an den vom Kapudan Pascha gewagten Schritt. Dieß alles vorauszusehen oder einzuleiten, war bei dem kurzen Zeitzwischenraume, dann bei der großen Entfernung vom Theater der Ereignisse ganz unmöglich, und dennoch läßt Ihr Londoner Correspendent, der die Daten ganz aus den Augen verliert, und gleich Andern oberflächlich oder einseitig den Verlauf der Dinge beurtheilt, sich herbei, Frankreich zu beschuldigen, Theil an dem Abfall Ahmed Fewzi's genommen zu haben. Ist es glaubbar, daß Lalande, der kurz vorher 10,000 Mann türkischer Truppen ruhig nach Syrien überschiffen ließ, um die Armee Halil Pascha's zu verstärken, einen der größten Würdenträger der Pforte, ihren Großadmiral, verführt haben soll? Konnte der Admiral anders handeln, als er gehandelt hat, nachdem er den Kapudan Pascha entschlossen sah, das offene Meer zu gewinnen? Würde er sich anders betragen, würde er ihn, hätte er die Mittel dazu besessen, mit Gewalt zurückgehalten, und, aufs äußerste getrieben, die osmanische Flotte zu vernichten gesucht haben, so hätte man nicht minder über Verrath geschrieen und behauptet, die französische Regierung habe einen solchen Frevel zu Gunsten ihres Protégé's, Mehemed Ali's, geschehen lassen. Der verehrte Londoner Correspondent hätte gewiß nicht verfehlt, dieß zu thun, er, der alle Anordnungen, die von hier aus, selbst die, welche im Einverständnisse mit dem englischen Cabinet genommen worden sind, ein Machwerk voll List und Hinterhalt nennt, würde Ach und Weh über Lalande und seine Regierung gerufen haben. Mit wahrer Naivetät indessen läßt sich der Correspondent über die an den französischen Admiral erlassenen Instructionen vernehmen, Instructionen, die mit denen gleichlautend waren, welche dem englischen Admiral zugeschickt wurden, und ein genaues Zusammenhalten beider Escadren vorschrieben. Das Anschließen Lalande's an Admiral Stopford, sagt er, und die ihm deßhalb gegebenen Instructionen haben zum Zwecke gehabt, das englische Geschwader zu beobachten, ihm hinderlich zu seyn, falls er gegen Alexandria segeln und die Herausgabe der osmanischen Flotte erzwingen wollte, weil auf diese Weise Lalande seine Kanonen die Engländer hätte fühlen lassen können. Es ist kaum möglich, daß solches Vorgeben ernsthaft gemeint sey, vollends in dem Munde desjenigen, der gleichzeitig versichert, die französische Regierung habe aus Furcht, in einen Krieg verwickelt zu werden, sich große Mäßigung auferlegt. Allein, wenn man einmal so weit geht, hat man nicht nöthig stehen zu bleiben; man kann sogar an Träume glauben oder glauben machen, an welchen Lalande Gefallen gefunden haben soll: er habe sich schon als Großadmiral der vereinigten ägyptisch-türkisch-französischen Flotte begrüßt zu sehen gewähnt! Admiral Lalande ist viel zu praktisch, um Hirngespinnsten nachzugehen, die ihn unfähig machten, ein ihm anvertrautes Commando zu führen. Endlich hat die französische Regierung, trotz ihrer viel gepriesenen Geschicklichkeit, so viel Mißgriffe gemacht, daß sie sich bloßgestellt und gezwungen sah, einen Sündenbock auszufinden, um wenigstens das Decorum zu retten. Lalande war es dießmal nicht, wohl aber Roussin, den man zum Opfer erkoren: seine Abberufung war der Reinigungsproceß, den das Pariser Cabinet vorzunehmen sich und der Welt schuldig zu seyn glaubte. Dieß versichert ohne weiters der Londoner Correspondent. Der aber kennt den Admiral Roussin nicht, wer da wähnt, ihn zu unlautern Zwecken benützen zu können, wozu er sich doch, wenn seine Regierung wirklich so arglistig gesinnt war, hätte hergeben müssen; der kennt ihn noch weniger, der da glaubt, es gebe irgend einen Menschen, irgend eine Macht, die ihn zum Sündenbock vorzuschieben wagen dürfte! Hätte der Verfasser des hier in Frage stehenden Artikels die Aeußerung Lord Ponsonby's vernommen, als er Kunde von der Abberufung eines Mannes erhielt, dem er zwar manche bittere Stunde gemacht, dem er aber die größte Achtung schuldig war, er würde sich gehütet haben, zu sagen, Admiral Roussin habe das Bad für alle Sünden ausbaden müssen, die man in Paris begangen habe. Der allgemein geachtete Roussin hatte unter den schwierigen Verhältnissen, in denen er sich befand, seltene Charakterstärke bewiesen, und, abgesehen von der Collectivnote, mit der man sich übrigens einverstanden erklärte, vielen Tact und Scharfsinn gezeigt, so daß er das Vertrauen rechtfertigte, welches man in ihn setzte. Er ist und konnte sich auch nicht verletzt fühlen, als er von Konstantinopel zurückberufen ward, da er wohl weiß, daß es aus rein versöhnlichen Absichten geschah, von denen das französische Cabinet ununterbrochen erfüllt ist. Die geringe Harmonie, die zwischen ihm und Lord Ponsonby bestand, hatte es längst wünschenswerth gemacht, ihn ersetzen, und zwar durch Jemanden ersetzen zu lassen, der mit Lord Ponsonby befreundet gewesen. Die Wahl fiel daher auf Hrn. v. Pontois, der mit ihm in Brasilien im besten Einverständniß gelebt hatte; sie geschah in einem Augenblick, wo viel darauf ankam, alle persönlichen Reibungen zwischen den zwei Repräsentanten zu beseitigen, um den Geschäftsgang zu erleichtern, und so viel als möglich Einigkeit bei ihren politischen Beziehungen zu erwirken. Dieß und nichts Anderes ist der Grund, der die Abberufung des Admirals Roussin motivirte. Ich glaube jetzt schließen zu müssen, weil es zu weit führen würde, wenn dem vielfach erwähnten Artikel in seinem ganzen Umfange, in allen Details nachgegangen werden sollte. Ich begnüge mich den größten und wichtigsten Theil der Anschuldigungen davon herausgehoben zu haben, um die Grundlosigkeit und Leichtfertigkeit darzuthun, mit der von mehr als Einer Seite schonungslos Regierungen angegriffen werden, deren Tendenz, deren politischen Gang man völlig verkennt. Die Zeit, die Alles ergründende Zeit, wird der Wahrheit Eingang verschaffen, wenn es mir nicht gelungen seyn sollte, zur richtigern Erkenntniß der Verhältnisse beigetragen zu haben.


Niederlande.

Die zweite Kammer der Generalstaaten hat doch einen Schritt vermieden, welcher ihre grundgesetzliche Stellung der Regierung gegenüber eigenmächtig verrückt haben würde. Sie hat den von fünf Kammermitgliedern in Bezug auf die Art und Weise, wie die Revision des Staatsgrundgesetzes vorzunehmen sey, gestellten Antrag abgelehnt.

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Sie hätte den Tag und die Stunde des Todes Mahmuds, die ruhige Thronbesteigung seines Nachfolgers, die Erhebung Chosrew Pascha's zum Großwessier, den Beginn und Ausgang der Schlacht von Nisib, das Einverständniß des türkischen Admirals mit dem Commandanten der Dardanellen, den Haß, den der Kapudan Pascha gegen Chosrew fühlte, ja, selbst die Fluthen kennen müssen, die in dem Augenblick das Meer bewegten, als die türkische Flotte die Anker lichtete, um einen nie geahnten Verrath zu üben, denn alle diese Umstände knüpften sich an den vom Kapudan Pascha gewagten Schritt. Dieß alles vorauszusehen oder einzuleiten, war bei dem kurzen Zeitzwischenraume, dann bei der großen Entfernung vom Theater der Ereignisse ganz unmöglich, und dennoch läßt Ihr Londoner Correspendent, der die Daten ganz aus den Augen verliert, und gleich Andern oberflächlich oder einseitig den Verlauf der Dinge beurtheilt, sich herbei, Frankreich zu beschuldigen, Theil an dem Abfall Ahmed Fewzi's genommen zu haben. Ist es glaubbar, daß Lalande, der kurz vorher 10,000 Mann türkischer Truppen ruhig nach Syrien überschiffen ließ, um die Armee Halil Pascha's zu verstärken, einen der größten Würdenträger der Pforte, ihren Großadmiral, verführt haben soll? Konnte der Admiral anders handeln, als er gehandelt hat, nachdem er den Kapudan Pascha entschlossen sah, das offene Meer zu gewinnen? Würde er sich anders betragen, würde er ihn, hätte er die Mittel dazu besessen, mit Gewalt zurückgehalten, und, aufs äußerste getrieben, die osmanische Flotte zu vernichten gesucht haben, so hätte man nicht minder über Verrath geschrieen und behauptet, die französische Regierung habe einen solchen Frevel zu Gunsten ihres Protégé's, Mehemed Ali's, geschehen lassen. Der verehrte Londoner Correspondent hätte gewiß nicht verfehlt, dieß zu thun, er, der alle Anordnungen, die von hier aus, selbst die, welche im Einverständnisse mit dem englischen Cabinet genommen worden sind, ein Machwerk voll List und Hinterhalt nennt, würde Ach und Weh über Lalande und seine Regierung gerufen haben. Mit wahrer Naivetät indessen läßt sich der Correspondent über die an den französischen Admiral erlassenen Instructionen vernehmen, Instructionen, die mit denen gleichlautend waren, welche dem englischen Admiral zugeschickt wurden, und ein genaues Zusammenhalten beider Escadren vorschrieben. Das Anschließen Lalande's an Admiral Stopford, sagt er, und die ihm deßhalb gegebenen Instructionen haben zum Zwecke gehabt, das englische Geschwader zu beobachten, ihm hinderlich zu seyn, falls er gegen Alexandria segeln und die Herausgabe der osmanischen Flotte erzwingen wollte, weil auf diese Weise Lalande seine Kanonen die Engländer hätte fühlen lassen können. Es ist kaum möglich, daß solches Vorgeben ernsthaft gemeint sey, vollends in dem Munde desjenigen, der gleichzeitig versichert, die französische Regierung habe aus Furcht, in einen Krieg verwickelt zu werden, sich große Mäßigung auferlegt. Allein, wenn man einmal so weit geht, hat man nicht nöthig stehen zu bleiben; man kann sogar an Träume glauben oder glauben machen, an welchen Lalande Gefallen gefunden haben soll: er habe sich schon als Großadmiral der vereinigten ägyptisch-türkisch-französischen Flotte begrüßt zu sehen gewähnt! Admiral Lalande ist viel zu praktisch, um Hirngespinnsten nachzugehen, die ihn unfähig machten, ein ihm anvertrautes Commando zu führen. Endlich hat die französische Regierung, trotz ihrer viel gepriesenen Geschicklichkeit, so viel Mißgriffe gemacht, daß sie sich bloßgestellt und gezwungen sah, einen Sündenbock auszufinden, um wenigstens das Decorum zu retten. Lalande war es dießmal nicht, wohl aber Roussin, den man zum Opfer erkoren: seine Abberufung war der Reinigungsproceß, den das Pariser Cabinet vorzunehmen sich und der Welt schuldig zu seyn glaubte. Dieß versichert ohne weiters der Londoner Correspondent. Der aber kennt den Admiral Roussin nicht, wer da wähnt, ihn zu unlautern Zwecken benützen zu können, wozu er sich doch, wenn seine Regierung wirklich so arglistig gesinnt war, hätte hergeben müssen; der kennt ihn noch weniger, der da glaubt, es gebe irgend einen Menschen, irgend eine Macht, die ihn zum Sündenbock vorzuschieben wagen dürfte! Hätte der Verfasser des hier in Frage stehenden Artikels die Aeußerung Lord Ponsonby's vernommen, als er Kunde von der Abberufung eines Mannes erhielt, dem er zwar manche bittere Stunde gemacht, dem er aber die größte Achtung schuldig war, er würde sich gehütet haben, zu sagen, Admiral Roussin habe das Bad für alle Sünden ausbaden müssen, die man in Paris begangen habe. Der allgemein geachtete Roussin hatte unter den schwierigen Verhältnissen, in denen er sich befand, seltene Charakterstärke bewiesen, und, abgesehen von der Collectivnote, mit der man sich übrigens einverstanden erklärte, vielen Tact und Scharfsinn gezeigt, so daß er das Vertrauen rechtfertigte, welches man in ihn setzte. Er ist und konnte sich auch nicht verletzt fühlen, als er von Konstantinopel zurückberufen ward, da er wohl weiß, daß es aus rein versöhnlichen Absichten geschah, von denen das französische Cabinet ununterbrochen erfüllt ist. Die geringe Harmonie, die zwischen ihm und Lord Ponsonby bestand, hatte es längst wünschenswerth gemacht, ihn ersetzen, und zwar durch Jemanden ersetzen zu lassen, der mit Lord Ponsonby befreundet gewesen. Die Wahl fiel daher auf Hrn. v. Pontois, der mit ihm in Brasilien im besten Einverständniß gelebt hatte; sie geschah in einem Augenblick, wo viel darauf ankam, alle persönlichen Reibungen zwischen den zwei Repräsentanten zu beseitigen, um den Geschäftsgang zu erleichtern, und so viel als möglich Einigkeit bei ihren politischen Beziehungen zu erwirken. Dieß und nichts Anderes ist der Grund, der die Abberufung des Admirals Roussin motivirte. Ich glaube jetzt schließen zu müssen, weil es zu weit führen würde, wenn dem vielfach erwähnten Artikel in seinem ganzen Umfange, in allen Details nachgegangen werden sollte. Ich begnüge mich den größten und wichtigsten Theil der Anschuldigungen davon herausgehoben zu haben, um die Grundlosigkeit und Leichtfertigkeit darzuthun, mit der von mehr als Einer Seite schonungslos Regierungen angegriffen werden, deren Tendenz, deren politischen Gang man völlig verkennt. 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[0197/0005] erzogenen Dragoman gewiß nicht mehr Gewicht als die eines den Grundsätzen der Ehre im höchsten Grade ergebenen Officiers. Admiral Lalande hat zwar noch nicht selbst gesprochen; allein der Moniteur, der das Wort ergriff, ist mit dem von ihm beobachteten Betragen vertraut, und hat jene Aussagen Lügen gestraft. Selbst aber wenn der Dolmetscher sich keine Unwahrheit hätte zu Schulden kommen lassen, so daß der Moniteur hätte schweigen müssen, so wäre Admiral Lalande allein verantwortlich, denn nur mittelst magischer Kräfte konnte die Regierung in Paris Alles voraussehen, und ihre Voraussicht zu den ihr verleumderisch zugeschriebenen unlautern Zwecken benützen. Sie hätte den Tag und die Stunde des Todes Mahmuds, die ruhige Thronbesteigung seines Nachfolgers, die Erhebung Chosrew Pascha's zum Großwessier, den Beginn und Ausgang der Schlacht von Nisib, das Einverständniß des türkischen Admirals mit dem Commandanten der Dardanellen, den Haß, den der Kapudan Pascha gegen Chosrew fühlte, ja, selbst die Fluthen kennen müssen, die in dem Augenblick das Meer bewegten, als die türkische Flotte die Anker lichtete, um einen nie geahnten Verrath zu üben, denn alle diese Umstände knüpften sich an den vom Kapudan Pascha gewagten Schritt. Dieß alles vorauszusehen oder einzuleiten, war bei dem kurzen Zeitzwischenraume, dann bei der großen Entfernung vom Theater der Ereignisse ganz unmöglich, und dennoch läßt Ihr Londoner Correspendent, der die Daten ganz aus den Augen verliert, und gleich Andern oberflächlich oder einseitig den Verlauf der Dinge beurtheilt, sich herbei, Frankreich zu beschuldigen, Theil an dem Abfall Ahmed Fewzi's genommen zu haben. Ist es glaubbar, daß Lalande, der kurz vorher 10,000 Mann türkischer Truppen ruhig nach Syrien überschiffen ließ, um die Armee Halil Pascha's zu verstärken, einen der größten Würdenträger der Pforte, ihren Großadmiral, verführt haben soll? Konnte der Admiral anders handeln, als er gehandelt hat, nachdem er den Kapudan Pascha entschlossen sah, das offene Meer zu gewinnen? Würde er sich anders betragen, würde er ihn, hätte er die Mittel dazu besessen, mit Gewalt zurückgehalten, und, aufs äußerste getrieben, die osmanische Flotte zu vernichten gesucht haben, so hätte man nicht minder über Verrath geschrieen und behauptet, die französische Regierung habe einen solchen Frevel zu Gunsten ihres Protégé's, Mehemed Ali's, geschehen lassen. Der verehrte Londoner Correspondent hätte gewiß nicht verfehlt, dieß zu thun, er, der alle Anordnungen, die von hier aus, selbst die, welche im Einverständnisse mit dem englischen Cabinet genommen worden sind, ein Machwerk voll List und Hinterhalt nennt, würde Ach und Weh über Lalande und seine Regierung gerufen haben. Mit wahrer Naivetät indessen läßt sich der Correspondent über die an den französischen Admiral erlassenen Instructionen vernehmen, Instructionen, die mit denen gleichlautend waren, welche dem englischen Admiral zugeschickt wurden, und ein genaues Zusammenhalten beider Escadren vorschrieben. Das Anschließen Lalande's an Admiral Stopford, sagt er, und die ihm deßhalb gegebenen Instructionen haben zum Zwecke gehabt, das englische Geschwader zu beobachten, ihm hinderlich zu seyn, falls er gegen Alexandria segeln und die Herausgabe der osmanischen Flotte erzwingen wollte, weil auf diese Weise Lalande seine Kanonen die Engländer hätte fühlen lassen können. Es ist kaum möglich, daß solches Vorgeben ernsthaft gemeint sey, vollends in dem Munde desjenigen, der gleichzeitig versichert, die französische Regierung habe aus Furcht, in einen Krieg verwickelt zu werden, sich große Mäßigung auferlegt. Allein, wenn man einmal so weit geht, hat man nicht nöthig stehen zu bleiben; man kann sogar an Träume glauben oder glauben machen, an welchen Lalande Gefallen gefunden haben soll: er habe sich schon als Großadmiral der vereinigten ägyptisch-türkisch-französischen Flotte begrüßt zu sehen gewähnt! Admiral Lalande ist viel zu praktisch, um Hirngespinnsten nachzugehen, die ihn unfähig machten, ein ihm anvertrautes Commando zu führen. Endlich hat die französische Regierung, trotz ihrer viel gepriesenen Geschicklichkeit, so viel Mißgriffe gemacht, daß sie sich bloßgestellt und gezwungen sah, einen Sündenbock auszufinden, um wenigstens das Decorum zu retten. Lalande war es dießmal nicht, wohl aber Roussin, den man zum Opfer erkoren: seine Abberufung war der Reinigungsproceß, den das Pariser Cabinet vorzunehmen sich und der Welt schuldig zu seyn glaubte. Dieß versichert ohne weiters der Londoner Correspondent. Der aber kennt den Admiral Roussin nicht, wer da wähnt, ihn zu unlautern Zwecken benützen zu können, wozu er sich doch, wenn seine Regierung wirklich so arglistig gesinnt war, hätte hergeben müssen; der kennt ihn noch weniger, der da glaubt, es gebe irgend einen Menschen, irgend eine Macht, die ihn zum Sündenbock vorzuschieben wagen dürfte! Hätte der Verfasser des hier in Frage stehenden Artikels die Aeußerung Lord Ponsonby's vernommen, als er Kunde von der Abberufung eines Mannes erhielt, dem er zwar manche bittere Stunde gemacht, dem er aber die größte Achtung schuldig war, er würde sich gehütet haben, zu sagen, Admiral Roussin habe das Bad für alle Sünden ausbaden müssen, die man in Paris begangen habe. Der allgemein geachtete Roussin hatte unter den schwierigen Verhältnissen, in denen er sich befand, seltene Charakterstärke bewiesen, und, abgesehen von der Collectivnote, mit der man sich übrigens einverstanden erklärte, vielen Tact und Scharfsinn gezeigt, so daß er das Vertrauen rechtfertigte, welches man in ihn setzte. Er ist und konnte sich auch nicht verletzt fühlen, als er von Konstantinopel zurückberufen ward, da er wohl weiß, daß es aus rein versöhnlichen Absichten geschah, von denen das französische Cabinet ununterbrochen erfüllt ist. Die geringe Harmonie, die zwischen ihm und Lord Ponsonby bestand, hatte es längst wünschenswerth gemacht, ihn ersetzen, und zwar durch Jemanden ersetzen zu lassen, der mit Lord Ponsonby befreundet gewesen. Die Wahl fiel daher auf Hrn. v. Pontois, der mit ihm in Brasilien im besten Einverständniß gelebt hatte; sie geschah in einem Augenblick, wo viel darauf ankam, alle persönlichen Reibungen zwischen den zwei Repräsentanten zu beseitigen, um den Geschäftsgang zu erleichtern, und so viel als möglich Einigkeit bei ihren politischen Beziehungen zu erwirken. Dieß und nichts Anderes ist der Grund, der die Abberufung des Admirals Roussin motivirte. Ich glaube jetzt schließen zu müssen, weil es zu weit führen würde, wenn dem vielfach erwähnten Artikel in seinem ganzen Umfange, in allen Details nachgegangen werden sollte. Ich begnüge mich den größten und wichtigsten Theil der Anschuldigungen davon herausgehoben zu haben, um die Grundlosigkeit und Leichtfertigkeit darzuthun, mit der von mehr als Einer Seite schonungslos Regierungen angegriffen werden, deren Tendenz, deren politischen Gang man völlig verkennt. Die Zeit, die Alles ergründende Zeit, wird der Wahrheit Eingang verschaffen, wenn es mir nicht gelungen seyn sollte, zur richtigern Erkenntniß der Verhältnisse beigetragen zu haben. Niederlande. *✝Aus dem Haag, 18 Jan. Die zweite Kammer der Generalstaaten hat doch einen Schritt vermieden, welcher ihre grundgesetzliche Stellung der Regierung gegenüber eigenmächtig verrückt haben würde. Sie hat den von fünf Kammermitgliedern in Bezug auf die Art und Weise, wie die Revision des Staatsgrundgesetzes vorzunehmen sey, gestellten Antrag abgelehnt.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 25. Augsburg, 25. Januar 1840, S. 0197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_025_18400125/5>, abgerufen am 26.04.2024.