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Allgemeine Zeitung. Nr. 9. Augsburg, 9. Januar 1840.

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Aegypten.

Es ist ziemlich überflüssig zu fragen, was dem Pascha von Aegypten bewilligt werde oder nicht. Diese Frage scheint, seitdem wir die Aufstellung einer Reserveflotte bei Toulon wissen, ziemlich müßig. Die Frage der Ansprüche Mehemed Ali's oder des Sultans auf Aegypten tritt wahrscheinlich ganz in den Hintergrund; es handelt sich nicht mehr um die Descendenz Mehemed Ali's, noch um die Legitimität des Sultans; der große Wurf heißt: Aegypten und Stambul. Welche der europäischen Nationen wird darnach am besten und ungestraftesten greifen können: Rußland, Frankreich oder England? Frankreich mit seiner Schaar Dampfboote, zu deren Beschützung seine mächtige Flotte im Mittelmeer versammelt ist, kann in 14 Tagen 14,000 Mann überall in der Levante ausschiffen; Rußland schifft in kürzerer Zeit vielleicht dreimal mehr aus, aber nur längs den Gestaden des schwarzen Meers und des Bosporus, während es vielleicht durch die Dardanellen gegen einen Angriff gesichert ist. England, das nichts auszuschiffen hat, und doch seine Blicke nach Aegypten richtet, wohin Frankreich auch schielt, was wird England bei dieser drohenden Machtentfaltung der Franzosen thun? Dieß ist es, worauf man hier auf das äußerste gespannt ist, und warum man fragt, wie wird dieser ungeheure gordische Knoten entwirrt werden, wird die ägyptische Macht ferner durch sich selbst, durch das Factum ohne weitere Anerkennung bestehen können, oder wird sie zermalmt werden in dem Choc, der sich allen Zeichen nach vorbereitet? Diese Gedanken erfüllen viele in Aegypten angesiedelte Familien mit Furcht, und Mancher bereitet sich vor, beim herannahenden Frühjahr das Land zu verlassen. Daß die Differenzen zwischen dem Sultan und Mehemed Ali eine friedliche Erledigung finden dürften, ist nach allem Vorhergegangenen kaum noch glaublich; auch gehen die letzten Nachrichten, die wir aus Konstantinopel haben, dahin, daß dort nicht mehr daran gedacht wird. Eine Maaßregel, welche die Regentschaft dort vornahm, die Einverleibung der sämmtlichen Landwehren in das stehende Militär, deutet auf kriegerische Absichten, und um sich das Volk dazu geneigt zu machen, soll der bekannte Hattischerif ausgefertigt worden seyn. Der Pascha hatte vor einigen Wochen ein Dampfschiff nach Konstantinopel mit der Wittwe seines Sohnes Ismail Pascha, der in Kordofan verbrannt ward, unter dem Befehl Mustapha Bey's, eines hohen Stabsofficiers der ägyptischen Marine, abgesandt. Vor 7 Tagen kehrte es wieder zurück, und allgemein glaubte man, es bringe endliche Friedensberichte. So viel Mühe man sich auch gab, über die Mission Mustapha Bey's einen Schleier zu verbreiten, man erfuhr doch, daß sie gänzlich gescheitert sey, daß in Konstantinopel eine völlige Gleichgültigkeit gegen ihn beobachtet wurde, und er nicht einmal die Minister officiell sprechen konnte. Der Pascha will das Dampfschiff noch einmal dorthin abschicken, unter welchem Vorwand, ist jedoch unbekannt; gewiß ist aber, daß seit der Rückkehr desselben die Fortificationen nach dem offenen Meere zu mit erneuter Thätigkeit fortgesetzt werden. So stehen für den Augenblick die Auspicien. - Aus Syrien nichts Neues. Ibrahim ist in Marasch, seine Armee in Adana, Küllek, Marasch und Umgegend und Orfa vertheilt.

Niemals bin ich über den Zustand eines Landes und Volks durch eigene Anschauung so sehr enttäuscht worden, als in Aegypten. Welche gränzenlose Erbärmlichkeit! Zeugten nicht die grandiosen Reste des Alterthums von einem glücklichen Zustande und hoher Bildung des Volks in früher Zeit, müßte man fast glauben, dieses Land sey bestimmt, nur reiche und mächtige Herrscher über elende Beherrschte zu besitzen. Die Geschichte spricht fast nur von Pharaonen und Königen der Aegyptier. Vom Volk wissen wir nichts. War es etwa immer so, daß der König dieses Landes allein der Staat war? So ist es sicherlich heute. Der Pascha ist allein der Ackerbauer, allein der Fabricant, allein der Kaufmann, allein der Kundige. Das Volk ist nur sein Knecht. Um den Knecht, den feigen, zu beherrschen, und seine usurpirte Macht gegen andere zu behaupten, hat er ein Heer und eine Flotte. Und Alles, was er für das Land und das Volk gethan, alle Verbesserungen, alle Cultur die er eingeführt, kurz Alles hat er nur für sich und sein Heer gethan. Keine Schule, kein Hospital, keine Einrichtung, die nicht allein auf die Vervollkommnung seiner Kriegsmacht und auf seine persönliche Bereicherung berechnet wäre. Für die Bildung des Volks, für die Verbesserung seines elenden Daseyns nichts, gar nichts. Aegypten ist des Pascha's Haus und Hof. Er sorgt dafür, daß Ordnung herrsche; ja, er sorgt, daß Fremde auf seinem Grundstück nicht gemißhandelt werden; er legt große Canäle an, um die Erzeugnisse seines Ackers als Kaufmann seinen Nachbarn zuzuführen; aber er raubt sogar aus der Schule die Kinder der Eltern, die für deren Unterricht zu sorgen glaubten, und denen die Knaben nicht heimkehrten, weil sie zum Heer abgeführt waren. Die reichen Güter der Moscheen verbraucht er für sich, und im ganzen Reich ist keine Moschee, kein Königsgrab, das nicht täglich mehr verfällt. Heißt das Cultur einführen? Er selbst schilt seine Unterthanen faul, sie, die ohne Eigenthum nur für ihn arbeiten müssen, und mit ihrer Arbeit für ihn viel weniger verdienen, als wenn sie für Fremde oder selbst ohne Vermögen für eigene Rechnung sich anstrengten. Er sagt, sie würden verhungern, wenn er sie nicht zur Arbeit zwänge. Und doch hat sich eben durch die Arbeiten für ihn die Bevölkerung unter ihm um ein Unglaubliches verringert. Der Canal Mamudieh allein hat fünfundzwanzigtausend Arbeitern das Leben gekostet. Heißt das Cultur einführen? Er zwingt jede Barke seine Güter einzunehmen, und zahlt so schlechte Frachten, daß mehrere Eigenthümer von Barken es vorgezogen haben, ihr Fahrzeug unbrauchbar zu machen. Doch, man braucht keine Argumente: man gehe nur durch das Land und sehe diese elenden Dörfer, diese niedrigen Lehmhütten, diese unglückselige Bevölkerung auf der allerniedrigsten Stufe menschlicher Bildung. Der Pascha hat große Werke ausgeführt, allein das Volk dieses Cultivateurs ist in einem Zustande des Elends, dessen Schilderung sich aller Uebertreibung entzieht. - Der Herzog Paul Wilhelm von Würtemberg, der mit reichen Kenntnissen edle Humanität verbindet, hat am 4 Dec. Kairo verlassen, um seine naturwissenschaftliche Reise nach dem Sennaar fortzusetzen. Die Ausbeute, welche der gelehrte Herzog schon im Delta gemacht, war außerordentlich reichhaltig, und sicherlich wird der Gewinn, den die Naturwissenschaft von dieser auf acht bis zwölf Monate berechneten Reise zu erwarten hat, sehr bedeutend seyn. Möge Se Hoh. eben so gesund und jugendkräftig heimkehren, wie er die Reise angetreten.



Aegypten.

Es ist ziemlich überflüssig zu fragen, was dem Pascha von Aegypten bewilligt werde oder nicht. Diese Frage scheint, seitdem wir die Aufstellung einer Reserveflotte bei Toulon wissen, ziemlich müßig. Die Frage der Ansprüche Mehemed Ali's oder des Sultans auf Aegypten tritt wahrscheinlich ganz in den Hintergrund; es handelt sich nicht mehr um die Descendenz Mehemed Ali's, noch um die Legitimität des Sultans; der große Wurf heißt: Aegypten und Stambul. Welche der europäischen Nationen wird darnach am besten und ungestraftesten greifen können: Rußland, Frankreich oder England? Frankreich mit seiner Schaar Dampfboote, zu deren Beschützung seine mächtige Flotte im Mittelmeer versammelt ist, kann in 14 Tagen 14,000 Mann überall in der Levante ausschiffen; Rußland schifft in kürzerer Zeit vielleicht dreimal mehr aus, aber nur längs den Gestaden des schwarzen Meers und des Bosporus, während es vielleicht durch die Dardanellen gegen einen Angriff gesichert ist. England, das nichts auszuschiffen hat, und doch seine Blicke nach Aegypten richtet, wohin Frankreich auch schielt, was wird England bei dieser drohenden Machtentfaltung der Franzosen thun? Dieß ist es, worauf man hier auf das äußerste gespannt ist, und warum man fragt, wie wird dieser ungeheure gordische Knoten entwirrt werden, wird die ägyptische Macht ferner durch sich selbst, durch das Factum ohne weitere Anerkennung bestehen können, oder wird sie zermalmt werden in dem Choc, der sich allen Zeichen nach vorbereitet? Diese Gedanken erfüllen viele in Aegypten angesiedelte Familien mit Furcht, und Mancher bereitet sich vor, beim herannahenden Frühjahr das Land zu verlassen. Daß die Differenzen zwischen dem Sultan und Mehemed Ali eine friedliche Erledigung finden dürften, ist nach allem Vorhergegangenen kaum noch glaublich; auch gehen die letzten Nachrichten, die wir aus Konstantinopel haben, dahin, daß dort nicht mehr daran gedacht wird. Eine Maaßregel, welche die Regentschaft dort vornahm, die Einverleibung der sämmtlichen Landwehren in das stehende Militär, deutet auf kriegerische Absichten, und um sich das Volk dazu geneigt zu machen, soll der bekannte Hattischerif ausgefertigt worden seyn. Der Pascha hatte vor einigen Wochen ein Dampfschiff nach Konstantinopel mit der Wittwe seines Sohnes Ismail Pascha, der in Kordofan verbrannt ward, unter dem Befehl Mustapha Bey's, eines hohen Stabsofficiers der ägyptischen Marine, abgesandt. Vor 7 Tagen kehrte es wieder zurück, und allgemein glaubte man, es bringe endliche Friedensberichte. So viel Mühe man sich auch gab, über die Mission Mustapha Bey's einen Schleier zu verbreiten, man erfuhr doch, daß sie gänzlich gescheitert sey, daß in Konstantinopel eine völlige Gleichgültigkeit gegen ihn beobachtet wurde, und er nicht einmal die Minister officiell sprechen konnte. Der Pascha will das Dampfschiff noch einmal dorthin abschicken, unter welchem Vorwand, ist jedoch unbekannt; gewiß ist aber, daß seit der Rückkehr desselben die Fortificationen nach dem offenen Meere zu mit erneuter Thätigkeit fortgesetzt werden. So stehen für den Augenblick die Auspicien. – Aus Syrien nichts Neues. Ibrahim ist in Marasch, seine Armee in Adana, Küllek, Marasch und Umgegend und Orfa vertheilt.

Niemals bin ich über den Zustand eines Landes und Volks durch eigene Anschauung so sehr enttäuscht worden, als in Aegypten. Welche gränzenlose Erbärmlichkeit! Zeugten nicht die grandiosen Reste des Alterthums von einem glücklichen Zustande und hoher Bildung des Volks in früher Zeit, müßte man fast glauben, dieses Land sey bestimmt, nur reiche und mächtige Herrscher über elende Beherrschte zu besitzen. Die Geschichte spricht fast nur von Pharaonen und Königen der Aegyptier. Vom Volk wissen wir nichts. War es etwa immer so, daß der König dieses Landes allein der Staat war? So ist es sicherlich heute. Der Pascha ist allein der Ackerbauer, allein der Fabricant, allein der Kaufmann, allein der Kundige. Das Volk ist nur sein Knecht. Um den Knecht, den feigen, zu beherrschen, und seine usurpirte Macht gegen andere zu behaupten, hat er ein Heer und eine Flotte. Und Alles, was er für das Land und das Volk gethan, alle Verbesserungen, alle Cultur die er eingeführt, kurz Alles hat er nur für sich und sein Heer gethan. Keine Schule, kein Hospital, keine Einrichtung, die nicht allein auf die Vervollkommnung seiner Kriegsmacht und auf seine persönliche Bereicherung berechnet wäre. Für die Bildung des Volks, für die Verbesserung seines elenden Daseyns nichts, gar nichts. Aegypten ist des Pascha's Haus und Hof. Er sorgt dafür, daß Ordnung herrsche; ja, er sorgt, daß Fremde auf seinem Grundstück nicht gemißhandelt werden; er legt große Canäle an, um die Erzeugnisse seines Ackers als Kaufmann seinen Nachbarn zuzuführen; aber er raubt sogar aus der Schule die Kinder der Eltern, die für deren Unterricht zu sorgen glaubten, und denen die Knaben nicht heimkehrten, weil sie zum Heer abgeführt waren. Die reichen Güter der Moscheen verbraucht er für sich, und im ganzen Reich ist keine Moschee, kein Königsgrab, das nicht täglich mehr verfällt. Heißt das Cultur einführen? Er selbst schilt seine Unterthanen faul, sie, die ohne Eigenthum nur für ihn arbeiten müssen, und mit ihrer Arbeit für ihn viel weniger verdienen, als wenn sie für Fremde oder selbst ohne Vermögen für eigene Rechnung sich anstrengten. Er sagt, sie würden verhungern, wenn er sie nicht zur Arbeit zwänge. Und doch hat sich eben durch die Arbeiten für ihn die Bevölkerung unter ihm um ein Unglaubliches verringert. Der Canal Mamudieh allein hat fünfundzwanzigtausend Arbeitern das Leben gekostet. Heißt das Cultur einführen? Er zwingt jede Barke seine Güter einzunehmen, und zahlt so schlechte Frachten, daß mehrere Eigenthümer von Barken es vorgezogen haben, ihr Fahrzeug unbrauchbar zu machen. Doch, man braucht keine Argumente: man gehe nur durch das Land und sehe diese elenden Dörfer, diese niedrigen Lehmhütten, diese unglückselige Bevölkerung auf der allerniedrigsten Stufe menschlicher Bildung. Der Pascha hat große Werke ausgeführt, allein das Volk dieses Cultivateurs ist in einem Zustande des Elends, dessen Schilderung sich aller Uebertreibung entzieht. – Der Herzog Paul Wilhelm von Würtemberg, der mit reichen Kenntnissen edle Humanität verbindet, hat am 4 Dec. Kairo verlassen, um seine naturwissenschaftliche Reise nach dem Sennaar fortzusetzen. Die Ausbeute, welche der gelehrte Herzog schon im Delta gemacht, war außerordentlich reichhaltig, und sicherlich wird der Gewinn, den die Naturwissenschaft von dieser auf acht bis zwölf Monate berechneten Reise zu erwarten hat, sehr bedeutend seyn. Möge Se Hoh. eben so gesund und jugendkräftig heimkehren, wie er die Reise angetreten.


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[0070/0006] Aegypten. _ Alexandria, 16 Dec. Es ist ziemlich überflüssig zu fragen, was dem Pascha von Aegypten bewilligt werde oder nicht. Diese Frage scheint, seitdem wir die Aufstellung einer Reserveflotte bei Toulon wissen, ziemlich müßig. Die Frage der Ansprüche Mehemed Ali's oder des Sultans auf Aegypten tritt wahrscheinlich ganz in den Hintergrund; es handelt sich nicht mehr um die Descendenz Mehemed Ali's, noch um die Legitimität des Sultans; der große Wurf heißt: Aegypten und Stambul. Welche der europäischen Nationen wird darnach am besten und ungestraftesten greifen können: Rußland, Frankreich oder England? Frankreich mit seiner Schaar Dampfboote, zu deren Beschützung seine mächtige Flotte im Mittelmeer versammelt ist, kann in 14 Tagen 14,000 Mann überall in der Levante ausschiffen; Rußland schifft in kürzerer Zeit vielleicht dreimal mehr aus, aber nur längs den Gestaden des schwarzen Meers und des Bosporus, während es vielleicht durch die Dardanellen gegen einen Angriff gesichert ist. England, das nichts auszuschiffen hat, und doch seine Blicke nach Aegypten richtet, wohin Frankreich auch schielt, was wird England bei dieser drohenden Machtentfaltung der Franzosen thun? Dieß ist es, worauf man hier auf das äußerste gespannt ist, und warum man fragt, wie wird dieser ungeheure gordische Knoten entwirrt werden, wird die ägyptische Macht ferner durch sich selbst, durch das Factum ohne weitere Anerkennung bestehen können, oder wird sie zermalmt werden in dem Choc, der sich allen Zeichen nach vorbereitet? Diese Gedanken erfüllen viele in Aegypten angesiedelte Familien mit Furcht, und Mancher bereitet sich vor, beim herannahenden Frühjahr das Land zu verlassen. Daß die Differenzen zwischen dem Sultan und Mehemed Ali eine friedliche Erledigung finden dürften, ist nach allem Vorhergegangenen kaum noch glaublich; auch gehen die letzten Nachrichten, die wir aus Konstantinopel haben, dahin, daß dort nicht mehr daran gedacht wird. Eine Maaßregel, welche die Regentschaft dort vornahm, die Einverleibung der sämmtlichen Landwehren in das stehende Militär, deutet auf kriegerische Absichten, und um sich das Volk dazu geneigt zu machen, soll der bekannte Hattischerif ausgefertigt worden seyn. Der Pascha hatte vor einigen Wochen ein Dampfschiff nach Konstantinopel mit der Wittwe seines Sohnes Ismail Pascha, der in Kordofan verbrannt ward, unter dem Befehl Mustapha Bey's, eines hohen Stabsofficiers der ägyptischen Marine, abgesandt. Vor 7 Tagen kehrte es wieder zurück, und allgemein glaubte man, es bringe endliche Friedensberichte. So viel Mühe man sich auch gab, über die Mission Mustapha Bey's einen Schleier zu verbreiten, man erfuhr doch, daß sie gänzlich gescheitert sey, daß in Konstantinopel eine völlige Gleichgültigkeit gegen ihn beobachtet wurde, und er nicht einmal die Minister officiell sprechen konnte. Der Pascha will das Dampfschiff noch einmal dorthin abschicken, unter welchem Vorwand, ist jedoch unbekannt; gewiß ist aber, daß seit der Rückkehr desselben die Fortificationen nach dem offenen Meere zu mit erneuter Thätigkeit fortgesetzt werden. So stehen für den Augenblick die Auspicien. – Aus Syrien nichts Neues. Ibrahim ist in Marasch, seine Armee in Adana, Küllek, Marasch und Umgegend und Orfa vertheilt. _ Alexandria, 12 Dec. Niemals bin ich über den Zustand eines Landes und Volks durch eigene Anschauung so sehr enttäuscht worden, als in Aegypten. Welche gränzenlose Erbärmlichkeit! Zeugten nicht die grandiosen Reste des Alterthums von einem glücklichen Zustande und hoher Bildung des Volks in früher Zeit, müßte man fast glauben, dieses Land sey bestimmt, nur reiche und mächtige Herrscher über elende Beherrschte zu besitzen. Die Geschichte spricht fast nur von Pharaonen und Königen der Aegyptier. Vom Volk wissen wir nichts. War es etwa immer so, daß der König dieses Landes allein der Staat war? So ist es sicherlich heute. Der Pascha ist allein der Ackerbauer, allein der Fabricant, allein der Kaufmann, allein der Kundige. Das Volk ist nur sein Knecht. Um den Knecht, den feigen, zu beherrschen, und seine usurpirte Macht gegen andere zu behaupten, hat er ein Heer und eine Flotte. Und Alles, was er für das Land und das Volk gethan, alle Verbesserungen, alle Cultur die er eingeführt, kurz Alles hat er nur für sich und sein Heer gethan. Keine Schule, kein Hospital, keine Einrichtung, die nicht allein auf die Vervollkommnung seiner Kriegsmacht und auf seine persönliche Bereicherung berechnet wäre. Für die Bildung des Volks, für die Verbesserung seines elenden Daseyns nichts, gar nichts. Aegypten ist des Pascha's Haus und Hof. Er sorgt dafür, daß Ordnung herrsche; ja, er sorgt, daß Fremde auf seinem Grundstück nicht gemißhandelt werden; er legt große Canäle an, um die Erzeugnisse seines Ackers als Kaufmann seinen Nachbarn zuzuführen; aber er raubt sogar aus der Schule die Kinder der Eltern, die für deren Unterricht zu sorgen glaubten, und denen die Knaben nicht heimkehrten, weil sie zum Heer abgeführt waren. Die reichen Güter der Moscheen verbraucht er für sich, und im ganzen Reich ist keine Moschee, kein Königsgrab, das nicht täglich mehr verfällt. Heißt das Cultur einführen? Er selbst schilt seine Unterthanen faul, sie, die ohne Eigenthum nur für ihn arbeiten müssen, und mit ihrer Arbeit für ihn viel weniger verdienen, als wenn sie für Fremde oder selbst ohne Vermögen für eigene Rechnung sich anstrengten. Er sagt, sie würden verhungern, wenn er sie nicht zur Arbeit zwänge. Und doch hat sich eben durch die Arbeiten für ihn die Bevölkerung unter ihm um ein Unglaubliches verringert. Der Canal Mamudieh allein hat fünfundzwanzigtausend Arbeitern das Leben gekostet. Heißt das Cultur einführen? Er zwingt jede Barke seine Güter einzunehmen, und zahlt so schlechte Frachten, daß mehrere Eigenthümer von Barken es vorgezogen haben, ihr Fahrzeug unbrauchbar zu machen. Doch, man braucht keine Argumente: man gehe nur durch das Land und sehe diese elenden Dörfer, diese niedrigen Lehmhütten, diese unglückselige Bevölkerung auf der allerniedrigsten Stufe menschlicher Bildung. Der Pascha hat große Werke ausgeführt, allein das Volk dieses Cultivateurs ist in einem Zustande des Elends, dessen Schilderung sich aller Uebertreibung entzieht. – Der Herzog Paul Wilhelm von Würtemberg, der mit reichen Kenntnissen edle Humanität verbindet, hat am 4 Dec. Kairo verlassen, um seine naturwissenschaftliche Reise nach dem Sennaar fortzusetzen. Die Ausbeute, welche der gelehrte Herzog schon im Delta gemacht, war außerordentlich reichhaltig, und sicherlich wird der Gewinn, den die Naturwissenschaft von dieser auf acht bis zwölf Monate berechneten Reise zu erwarten hat, sehr bedeutend seyn. Möge Se Hoh. eben so gesund und jugendkräftig heimkehren, wie er die Reise angetreten.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 9. Augsburg, 9. Januar 1840, S. 0070. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_009_18400109/6>, abgerufen am 26.04.2024.