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Allgemeine Zeitung. Nr. 8. Augsburg, 8. Januar 1840.

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Beilage zur Allgemeinen Zeitung
8 Januar 1840

Genealogisches

mit Beziehung auf Gottschalks Almanach von 1840.

Von den 52 europäischen Souveränen sind 12 über 60 und 40 über 40 Jahre alt.

Noch nie regierten so viele Damen zu gleicher Zeit, drei Königinnen, eine Großherzogin.

Sechs Linien souveräner Häuser stehen nur auf zwei Augen: Anhalt Bernburg, Griechenland, Holstein-Gottorp, Parma und die Linien Ebersdorf und Lobenstein des Hauses Reuß.

Neun Familien und achtzehn Linien des übrigen hohen Adels deßgleichen.

Hannover und der Welfenstamm überhaupt ist am wenigsten, das hessische Haus am meisten mit Prinzen begabt.

Bedeutende Successionsfragen könnten zunächst in Hannover, Dänemark und Braunschweig eintreten.

Die Zahl der ungleichen Vermählungen hat sich abermals vermehrt.

Fünf vordem souveräne Regenten leben, deren zwei, Kurfürst von Hessen und Ludwig Bonaparte, freiwillig entsagten, drei aber (Joseph Bonaparte, Hieronymus Bonaparte und Herzog Karl von Braunschweig) verjagt wurden.

Außer diesen sind der Herzog von Bordeaux, Don Carlos, Dom Miguel und Prinz Wasa als Prätendenten zu nennen.


Der Occident und der Orient.

Man wird es wohl gern geschehen lassen, daß wir oft, daß wir schon wieder auf den Stand der orientalischen Frage zurückkommen: bildet sie doch die Angel, um welche das Schicksal zweier Welttheile sich dreht, und ist daher eben jetzt eine Gestalt der Verhältnisse in ihr hervorgetreten, welche die Peripetie der Verwicklungen ist oder seyn kann, wenn nicht neue Verwicklungen aus ihr kommen.

Wir ließen sie in dem Moment, wo Frankreich aus seiner kühnen Erwartung, sie in seinem Sinne gelöst zu sehen, durch die Erklärung des Divans herausfiel, nicht ohne Wissen und Zustimmung der Großmächte mit Aegypten verhandeln und abschließen zu wollen, und wo Hr. v. Pontois, der mit vollen Segeln dem Hafen seines Erfolges und seines Ruhmes zuging, auf die Syrtis, auf die Sandbank diplomatisch-rivaler Schwierigkeiten gerieth und aufsaß. Es ist wohl in Folge davon, daß ein Brief vom 9 December (im französischen Temps vom 28 Decbr.), der, wenn auch nicht den sichtbaren, doch den unsichtbaren Stempel der französischen Kanzlei in Konstantinopel trägt, mit bedenklicher Erwägung die Schwierigkeiten berichtet, Hr. v. Pontois sey ungeduldig, Frankreich sey jetzt unentschlossen; zu besorgen sey, es begreife seine wahren Interessen nicht. Hr. v. Pontois habe nicht viel Zeit gebraucht, um den Stand der orientalischen Frage kennen zu lernen, um zu begreifen, es sey weise, der Pforte das Zutrauen wieder zu geben, das sie verloren habe, und sie nach Bedürfniß gegen Uebergriffe von Rußland zu schützen. Hr. v. Pontois sey mehr als irgend einer im Stande, Frankreich aufzuklären. Er habe hiezu alle Mittel bei der Hand, werd' es an sich nicht fehlen lassen; aber die Frage sey, ob es ihm gelingen werde? Man sieht leicht, das alles ist vom genre amphibolique und gleicht einer Wendung, die den Rückzug decken soll; doch es ist gut, den Zusammenhang nicht aus den Augen zu verlieren.

Nachdem der Emissär des Marschalls Soult seinen Aufenthalt in Alexandrette sattsam verlängert hatte, um die Armee seines ägyptischen Schützlings in ihrem Siegeslauf nicht früher zu hemmen, nachdem ferner - Dank dem Admiral Lalande, der auch nach der officiellen Erklärung des Moniteur den Abfall des Kapudan Pascha vorausgewußt, und nicht nur nicht gehindert, sondern auch durch seinen Rath, nach Rhodus zu segeln, also auf der eingeschlagenen Bahn vorzuschreiten gefördert hat, und Dank der Saumseligkeit des Admirals Stopford - die türkische Flotte in Alexandria angekommen, die Pforte also durch Mitwirkung ihres rein unbegreiflichen "ältesten" Alliirten ihrer Land- und Seemacht entkleidet, also schutzlos preisgegeben war, war Hr. St. Marc Girardin als diplomatischer Vorläufer nach Konstantinopel ausgezogen, um von dort aus zu verkündigen, daß nur eine Theilung der Türkei zwischen dem Sultan und seinem Vasallen diesen zufrieden stellen, jenen retten, beide glücklich machen und Europa beruhigen könne; und hinter diesem Gerede war Hr. v. Pontois hergekommen, um auf die jetzige Lage des Sultans gegenüber den Satrapen die Größe von Frankreich, d. i. sein Uebergewicht im Orient zu gründen, während zu den Flotten im Meer die Reserveflotte zu Toulon gebildet und unter einen Großadmiral gestellt wurde, um die etwa noch widerstrebenden Einflüsse durch Besorgniß oder Furcht vor unvermeidlichem Kriege aufzulösen und das neufranzösische System auf dem Mittelmeer zu handhaben. Der Plan ist sehr doctrinell, das ist klug, für die französischen Interessen wohl berechnet, aber zugleich ein Werk meisterlicher Beschränktheit. Zu verwundern wäre nicht, wenn der wieder zu Gunst und Gnaden angenommene Chef der Doctrinäre in seinem neueingeleiteten engen Verkehr mit dem Hof ihm zur Geburt verholfen hätte. Hat er doch laut erklärt, daß er mit dem König in der orientalischen Frage gleichen Sinnes und gleicher Ueberzeugung sey.

Der Plan hatte zur weitern Stütze die, wie es schien, wohlberechnete Zustimmung von Rußland, und der Gesandte der nordischen Macht in Paris hatte in der That nicht gesäumt, diese Zustimmung den Tuilerien zu bethätigen oder doch als gewiß in Aussicht zu stellen. England, dadurch isolirt, glaubte man, werde nicht widerstehen. Wir haben im letzten Artikel nachgewiesen, daß an die Realisirung dieses Plans der Untergang der Türkei und ein Seekrieg zwischen Frankreich und England geknüpft gewesen wäre. Da trat wider Hoffen und Erwarten Rußland zurück, um sich England zu nähern und mit ihm gemeinsam vorzugehen. Die Erklärung von Reschid Pascha war das erste Zeichen dieser Veränderung; die zwei Sendungen des Hrn. v. Brunnow nach London, besonders die zweite, während zugleich aus der Staatskanzlei von Wien Hr. v. Neumann sich ebendahin in Bewegung setzte, vollendeten schnell das in St. Petersburg begonnene, von Oesterreich willig unterstützte Vorhaben, und eben wird uns durch Ihren, wie es scheint, unterrichteten Correspondenten aus London verkündigt, daß der Tractat zwischen England und Rußland, denen Oesterreich und Preußen beigetreten, im Reinen, daß Rußland in Bezug auf die Dardanellenfrage und auf die Beschränkung Mehemed Ali's den Vorschlägen Englands entgegengekommen und Frankreich zum Beitritt eingeladen sey. Schutz und Stärkung der Pforte, Schwächung oder Preisgebung des Vicekönigs und Vereitelung des gehofften Uebergewichts von Ludwig Philipp im Orient mit allen Folgen, welche man demselben später im Occident zu geben gemeint war, sind in ihm, in seinem Sinn oder in seinem


Beilage zur Allgemeinen Zeitung
8 Januar 1840

Genealogisches

mit Beziehung auf Gottschalks Almanach von 1840.

Von den 52 europäischen Souveränen sind 12 über 60 und 40 über 40 Jahre alt.

Noch nie regierten so viele Damen zu gleicher Zeit, drei Königinnen, eine Großherzogin.

Sechs Linien souveräner Häuser stehen nur auf zwei Augen: Anhalt Bernburg, Griechenland, Holstein-Gottorp, Parma und die Linien Ebersdorf und Lobenstein des Hauses Reuß.

Neun Familien und achtzehn Linien des übrigen hohen Adels deßgleichen.

Hannover und der Welfenstamm überhaupt ist am wenigsten, das hessische Haus am meisten mit Prinzen begabt.

Bedeutende Successionsfragen könnten zunächst in Hannover, Dänemark und Braunschweig eintreten.

Die Zahl der ungleichen Vermählungen hat sich abermals vermehrt.

Fünf vordem souveräne Regenten leben, deren zwei, Kurfürst von Hessen und Ludwig Bonaparte, freiwillig entsagten, drei aber (Joseph Bonaparte, Hieronymus Bonaparte und Herzog Karl von Braunschweig) verjagt wurden.

Außer diesen sind der Herzog von Bordeaux, Don Carlos, Dom Miguel und Prinz Wasa als Prätendenten zu nennen.


Der Occident und der Orient.

Man wird es wohl gern geschehen lassen, daß wir oft, daß wir schon wieder auf den Stand der orientalischen Frage zurückkommen: bildet sie doch die Angel, um welche das Schicksal zweier Welttheile sich dreht, und ist daher eben jetzt eine Gestalt der Verhältnisse in ihr hervorgetreten, welche die Peripetie der Verwicklungen ist oder seyn kann, wenn nicht neue Verwicklungen aus ihr kommen.

Wir ließen sie in dem Moment, wo Frankreich aus seiner kühnen Erwartung, sie in seinem Sinne gelöst zu sehen, durch die Erklärung des Divans herausfiel, nicht ohne Wissen und Zustimmung der Großmächte mit Aegypten verhandeln und abschließen zu wollen, und wo Hr. v. Pontois, der mit vollen Segeln dem Hafen seines Erfolges und seines Ruhmes zuging, auf die Syrtis, auf die Sandbank diplomatisch-rivaler Schwierigkeiten gerieth und aufsaß. Es ist wohl in Folge davon, daß ein Brief vom 9 December (im französischen Temps vom 28 Decbr.), der, wenn auch nicht den sichtbaren, doch den unsichtbaren Stempel der französischen Kanzlei in Konstantinopel trägt, mit bedenklicher Erwägung die Schwierigkeiten berichtet, Hr. v. Pontois sey ungeduldig, Frankreich sey jetzt unentschlossen; zu besorgen sey, es begreife seine wahren Interessen nicht. Hr. v. Pontois habe nicht viel Zeit gebraucht, um den Stand der orientalischen Frage kennen zu lernen, um zu begreifen, es sey weise, der Pforte das Zutrauen wieder zu geben, das sie verloren habe, und sie nach Bedürfniß gegen Uebergriffe von Rußland zu schützen. Hr. v. Pontois sey mehr als irgend einer im Stande, Frankreich aufzuklären. Er habe hiezu alle Mittel bei der Hand, werd' es an sich nicht fehlen lassen; aber die Frage sey, ob es ihm gelingen werde? Man sieht leicht, das alles ist vom genre amphibolique und gleicht einer Wendung, die den Rückzug decken soll; doch es ist gut, den Zusammenhang nicht aus den Augen zu verlieren.

Nachdem der Emissär des Marschalls Soult seinen Aufenthalt in Alexandrette sattsam verlängert hatte, um die Armee seines ägyptischen Schützlings in ihrem Siegeslauf nicht früher zu hemmen, nachdem ferner – Dank dem Admiral Lalande, der auch nach der officiellen Erklärung des Moniteur den Abfall des Kapudan Pascha vorausgewußt, und nicht nur nicht gehindert, sondern auch durch seinen Rath, nach Rhodus zu segeln, also auf der eingeschlagenen Bahn vorzuschreiten gefördert hat, und Dank der Saumseligkeit des Admirals Stopford – die türkische Flotte in Alexandria angekommen, die Pforte also durch Mitwirkung ihres rein unbegreiflichen „ältesten“ Alliirten ihrer Land- und Seemacht entkleidet, also schutzlos preisgegeben war, war Hr. St. Marc Girardin als diplomatischer Vorläufer nach Konstantinopel ausgezogen, um von dort aus zu verkündigen, daß nur eine Theilung der Türkei zwischen dem Sultan und seinem Vasallen diesen zufrieden stellen, jenen retten, beide glücklich machen und Europa beruhigen könne; und hinter diesem Gerede war Hr. v. Pontois hergekommen, um auf die jetzige Lage des Sultans gegenüber den Satrapen die Größe von Frankreich, d. i. sein Uebergewicht im Orient zu gründen, während zu den Flotten im Meer die Reserveflotte zu Toulon gebildet und unter einen Großadmiral gestellt wurde, um die etwa noch widerstrebenden Einflüsse durch Besorgniß oder Furcht vor unvermeidlichem Kriege aufzulösen und das neufranzösische System auf dem Mittelmeer zu handhaben. Der Plan ist sehr doctrinell, das ist klug, für die französischen Interessen wohl berechnet, aber zugleich ein Werk meisterlicher Beschränktheit. Zu verwundern wäre nicht, wenn der wieder zu Gunst und Gnaden angenommene Chef der Doctrinäre in seinem neueingeleiteten engen Verkehr mit dem Hof ihm zur Geburt verholfen hätte. Hat er doch laut erklärt, daß er mit dem König in der orientalischen Frage gleichen Sinnes und gleicher Ueberzeugung sey.

Der Plan hatte zur weitern Stütze die, wie es schien, wohlberechnete Zustimmung von Rußland, und der Gesandte der nordischen Macht in Paris hatte in der That nicht gesäumt, diese Zustimmung den Tuilerien zu bethätigen oder doch als gewiß in Aussicht zu stellen. England, dadurch isolirt, glaubte man, werde nicht widerstehen. Wir haben im letzten Artikel nachgewiesen, daß an die Realisirung dieses Plans der Untergang der Türkei und ein Seekrieg zwischen Frankreich und England geknüpft gewesen wäre. Da trat wider Hoffen und Erwarten Rußland zurück, um sich England zu nähern und mit ihm gemeinsam vorzugehen. Die Erklärung von Reschid Pascha war das erste Zeichen dieser Veränderung; die zwei Sendungen des Hrn. v. Brunnow nach London, besonders die zweite, während zugleich aus der Staatskanzlei von Wien Hr. v. Neumann sich ebendahin in Bewegung setzte, vollendeten schnell das in St. Petersburg begonnene, von Oesterreich willig unterstützte Vorhaben, und eben wird uns durch Ihren, wie es scheint, unterrichteten Correspondenten aus London verkündigt, daß der Tractat zwischen England und Rußland, denen Oesterreich und Preußen beigetreten, im Reinen, daß Rußland in Bezug auf die Dardanellenfrage und auf die Beschränkung Mehemed Ali's den Vorschlägen Englands entgegengekommen und Frankreich zum Beitritt eingeladen sey. Schutz und Stärkung der Pforte, Schwächung oder Preisgebung des Vicekönigs und Vereitelung des gehofften Uebergewichts von Ludwig Philipp im Orient mit allen Folgen, welche man demselben später im Occident zu geben gemeint war, sind in ihm, in seinem Sinn oder in seinem

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[0057/0009] Beilage zur Allgemeinen Zeitung 8 Januar 1840 Genealogisches mit Beziehung auf Gottschalks Almanach von 1840. Von den 52 europäischen Souveränen sind 12 über 60 und 40 über 40 Jahre alt. Noch nie regierten so viele Damen zu gleicher Zeit, drei Königinnen, eine Großherzogin. Sechs Linien souveräner Häuser stehen nur auf zwei Augen: Anhalt Bernburg, Griechenland, Holstein-Gottorp, Parma und die Linien Ebersdorf und Lobenstein des Hauses Reuß. Neun Familien und achtzehn Linien des übrigen hohen Adels deßgleichen. Hannover und der Welfenstamm überhaupt ist am wenigsten, das hessische Haus am meisten mit Prinzen begabt. Bedeutende Successionsfragen könnten zunächst in Hannover, Dänemark und Braunschweig eintreten. Die Zahl der ungleichen Vermählungen hat sich abermals vermehrt. Fünf vordem souveräne Regenten leben, deren zwei, Kurfürst von Hessen und Ludwig Bonaparte, freiwillig entsagten, drei aber (Joseph Bonaparte, Hieronymus Bonaparte und Herzog Karl von Braunschweig) verjagt wurden. Außer diesen sind der Herzog von Bordeaux, Don Carlos, Dom Miguel und Prinz Wasa als Prätendenten zu nennen. Der Occident und der Orient. *✝* Man wird es wohl gern geschehen lassen, daß wir oft, daß wir schon wieder auf den Stand der orientalischen Frage zurückkommen: bildet sie doch die Angel, um welche das Schicksal zweier Welttheile sich dreht, und ist daher eben jetzt eine Gestalt der Verhältnisse in ihr hervorgetreten, welche die Peripetie der Verwicklungen ist oder seyn kann, wenn nicht neue Verwicklungen aus ihr kommen. Wir ließen sie in dem Moment, wo Frankreich aus seiner kühnen Erwartung, sie in seinem Sinne gelöst zu sehen, durch die Erklärung des Divans herausfiel, nicht ohne Wissen und Zustimmung der Großmächte mit Aegypten verhandeln und abschließen zu wollen, und wo Hr. v. Pontois, der mit vollen Segeln dem Hafen seines Erfolges und seines Ruhmes zuging, auf die Syrtis, auf die Sandbank diplomatisch-rivaler Schwierigkeiten gerieth und aufsaß. Es ist wohl in Folge davon, daß ein Brief vom 9 December (im französischen Temps vom 28 Decbr.), der, wenn auch nicht den sichtbaren, doch den unsichtbaren Stempel der französischen Kanzlei in Konstantinopel trägt, mit bedenklicher Erwägung die Schwierigkeiten berichtet, Hr. v. Pontois sey ungeduldig, Frankreich sey jetzt unentschlossen; zu besorgen sey, es begreife seine wahren Interessen nicht. Hr. v. Pontois habe nicht viel Zeit gebraucht, um den Stand der orientalischen Frage kennen zu lernen, um zu begreifen, es sey weise, der Pforte das Zutrauen wieder zu geben, das sie verloren habe, und sie nach Bedürfniß gegen Uebergriffe von Rußland zu schützen. Hr. v. Pontois sey mehr als irgend einer im Stande, Frankreich aufzuklären. Er habe hiezu alle Mittel bei der Hand, werd' es an sich nicht fehlen lassen; aber die Frage sey, ob es ihm gelingen werde? Man sieht leicht, das alles ist vom genre amphibolique und gleicht einer Wendung, die den Rückzug decken soll; doch es ist gut, den Zusammenhang nicht aus den Augen zu verlieren. Nachdem der Emissär des Marschalls Soult seinen Aufenthalt in Alexandrette sattsam verlängert hatte, um die Armee seines ägyptischen Schützlings in ihrem Siegeslauf nicht früher zu hemmen, nachdem ferner – Dank dem Admiral Lalande, der auch nach der officiellen Erklärung des Moniteur den Abfall des Kapudan Pascha vorausgewußt, und nicht nur nicht gehindert, sondern auch durch seinen Rath, nach Rhodus zu segeln, also auf der eingeschlagenen Bahn vorzuschreiten gefördert hat, und Dank der Saumseligkeit des Admirals Stopford – die türkische Flotte in Alexandria angekommen, die Pforte also durch Mitwirkung ihres rein unbegreiflichen „ältesten“ Alliirten ihrer Land- und Seemacht entkleidet, also schutzlos preisgegeben war, war Hr. St. Marc Girardin als diplomatischer Vorläufer nach Konstantinopel ausgezogen, um von dort aus zu verkündigen, daß nur eine Theilung der Türkei zwischen dem Sultan und seinem Vasallen diesen zufrieden stellen, jenen retten, beide glücklich machen und Europa beruhigen könne; und hinter diesem Gerede war Hr. v. Pontois hergekommen, um auf die jetzige Lage des Sultans gegenüber den Satrapen die Größe von Frankreich, d. i. sein Uebergewicht im Orient zu gründen, während zu den Flotten im Meer die Reserveflotte zu Toulon gebildet und unter einen Großadmiral gestellt wurde, um die etwa noch widerstrebenden Einflüsse durch Besorgniß oder Furcht vor unvermeidlichem Kriege aufzulösen und das neufranzösische System auf dem Mittelmeer zu handhaben. Der Plan ist sehr doctrinell, das ist klug, für die französischen Interessen wohl berechnet, aber zugleich ein Werk meisterlicher Beschränktheit. Zu verwundern wäre nicht, wenn der wieder zu Gunst und Gnaden angenommene Chef der Doctrinäre in seinem neueingeleiteten engen Verkehr mit dem Hof ihm zur Geburt verholfen hätte. Hat er doch laut erklärt, daß er mit dem König in der orientalischen Frage gleichen Sinnes und gleicher Ueberzeugung sey. Der Plan hatte zur weitern Stütze die, wie es schien, wohlberechnete Zustimmung von Rußland, und der Gesandte der nordischen Macht in Paris hatte in der That nicht gesäumt, diese Zustimmung den Tuilerien zu bethätigen oder doch als gewiß in Aussicht zu stellen. England, dadurch isolirt, glaubte man, werde nicht widerstehen. Wir haben im letzten Artikel nachgewiesen, daß an die Realisirung dieses Plans der Untergang der Türkei und ein Seekrieg zwischen Frankreich und England geknüpft gewesen wäre. Da trat wider Hoffen und Erwarten Rußland zurück, um sich England zu nähern und mit ihm gemeinsam vorzugehen. Die Erklärung von Reschid Pascha war das erste Zeichen dieser Veränderung; die zwei Sendungen des Hrn. v. Brunnow nach London, besonders die zweite, während zugleich aus der Staatskanzlei von Wien Hr. v. Neumann sich ebendahin in Bewegung setzte, vollendeten schnell das in St. Petersburg begonnene, von Oesterreich willig unterstützte Vorhaben, und eben wird uns durch Ihren, wie es scheint, unterrichteten Correspondenten aus London verkündigt, daß der Tractat zwischen England und Rußland, denen Oesterreich und Preußen beigetreten, im Reinen, daß Rußland in Bezug auf die Dardanellenfrage und auf die Beschränkung Mehemed Ali's den Vorschlägen Englands entgegengekommen und Frankreich zum Beitritt eingeladen sey. Schutz und Stärkung der Pforte, Schwächung oder Preisgebung des Vicekönigs und Vereitelung des gehofften Uebergewichts von Ludwig Philipp im Orient mit allen Folgen, welche man demselben später im Occident zu geben gemeint war, sind in ihm, in seinem Sinn oder in seinem

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 8. Augsburg, 8. Januar 1840, S. 0057. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_008_18400108/9>, abgerufen am 27.04.2024.