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Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700.

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Th. IV. Sect. II. Num. XL. David Joris klarer bericht/
[Spaltenumbruch] dern auffstehen/ eins auß dem andern seinen na-
men in der that empfangen/ muß es nicht? Ja
gewiß.

Darum lasset euch von niemanden/ weder
von euch selbsten noch von andern betriegen/
ihr alle (sage ich) die ihr frey/ reich am geist/ selig
und gesund oder gefunden/ und von der höllen
wiederbracht seyn wollet/ ihr müsset euch erst-
lich gefangen/ arm am geist/ verdammt/ verloh-
ren/ ungesund und in der hölle fühlen und em-
pfinden/ damit ihr GOttes gnade/ treue/ und
warheit in seiner liebe verstehen/ wissen/ rühmen
und jubiliren möget/ ja man kans auch anders
nicht. Darum bekommt niemand die selig-
keit der gnaden GOttes/ niemanden anders er-
leuchtet das licht auß der höhe/ niemand em-
pfängt die fröliche bottschafft deß Evangelii/
als der unselig und arm am geist ist/ sich in un-
gnaden und schatten deß todes empfindet/ sich
selbst in der finsternis blind und taub/ arm und
elend erkennet/ wie ihr wisset/ daß das licht de-
nen/ die im finsternis sind/ das gesichte der blin-
den/ das gehör den tauben/ der gang den krüp-
peln/ die gesundheit den siechen/ das leben den
todten/ die freude den betrübten/ erleichterung
den beschwerten/ das geben den dürfftigen/ die
speise den hungerigen/ der tranck den durstigen/
nemlich das königreich der himmeln denen/ die
arm am geiste sind/ zukommt. Dann alle die-
se geistliche gaben und tugenden GOttes/ ha-
ben anders nirgends keinen eingang/ sind auch
nirgends willkommen/ dann bey einigen von
diesen. Es bleibet warhafftig ein wort deß
HErrn in der ewigkeit.

Das 12. Capitel.

Derohalben hat GOtt ein bewährtes gesetz
und wort deß glaubens gegeben/ nemlich er hat
seinen Sohn darzu als ein licht in die welt ge-
sandt/ die sünden auffzulösen/ damit er sich
ihrer aller/ die darunter begriffen sind/ in
seinem Sohne erbarmen möchte durch Chri-
stum/ welcher (obs schon jemand meynen möch-
te) nicht kommen ist/ das gesetze zu zerbrechen/
sondern zu erfüllen/ zu erhöhen und in liebe
auffzurichten bey allen kindern deß glaubens.
Diesen verstand aber hat nicht jedermann/ sin-
temal das gesetz (wie wol es menschlicher weise
durch irrdische dinge figürlich außgesprochen
worden) geistlich ist/ auch geistlich nach der
warheit muß geurtheilet werden/ welches oh-
ne eine geistliche geburt und neue creatur (die
aus dem gehorsam deß glaubens im worte
Das ge-
setz des
Geistes
ist das ge-
setz der
liebe/ das
in den
glaubi-
gen an-
sängt.
Dann al-
so soll und
muß es
endlich
seine er-
füllung
nehmen.
kommt) nicht geschehen mag. Welche neue
creatur in das gesetz deß Geistes zur herrlichen
freyheit eintritt/ und die erbschafft der Heili-
gen (welche alle ihre ohren täglich zum gehor-
sam deß glaubens würdiglich auffthun) in der
auffmercksamkeit deß warhafftigen gesetzes/
in dem allerinnersten ihrer inwendigkeit/ mit
lust freywillig empfängt/ allwo selbiges mit
dem finger GOTTES eingeschrieben wird.
Diese/ wie wol sie als kinder auß dem glau-
ben angenommen werden/ fallen sie noch wol
täglich siebenmal und verlieren doch den na-
men der rechtfertigung nicht/ den sie/ im glau-
ben stehende durch den Sohn auß gnaden erer-
bet haben/ welchen sie vor einen HErrn an-
genommen/ gehuldiget und vertrauet/ aber sich
[Spaltenumbruch] noch nicht in allen treu und auffrichtig bewie-
sen haben als im gehorsam deß glaubens. Fal-
len/ straucheln oder übertreten sie nach der
Schrifft/ so geschichts auß irrthum und schwach-
heit ihres glaubens/ als in welchem sie noch
nicht vollkommen sind/ sie werden aber auch
darum gestäupet und wol gestrafft/ aber nicht
weggeworffen/ angesehen sie die ruthe als kin-Psalm.
LXXXIX.

3.

der ohne veränderung oder murmeln anneh-
men/ und bleiben in der furcht deß HErrn/ wor-
auß dann ihre kindschafft und auffrichtigkeit
deß hertzens erhellet/ so wol unter der ruthe (wel-
che die thorheit und sünde außtreibt) als in hal-
tung der gebotte GOttes. So aber sich je-
mand nicht unter die ruthe beuget/ und kein
werck darvon machet/ das ist/ durchs wort nicht
erschrecket wird/ so bezeuget er/ daß er unter dem
worte deß gebotts nicht stehet und keine weiß-
heit verlanget/ auch keines kindes oder väterli-
che art hat/ weil er sich nicht fürchtet. Daher
ist GOttes auffsehen/ hülffe und bewahrung
durch die gnade (als die pflegerin aller dinge)
nicht mit ihm/ kan sich auch wegen seines stol-
tzes nicht zu ihm nahen/ sondern muß in seiner
eigenheit von ihm selber durch sich selbst/ ohne
alle hülffe in ewigkeit untergehen.

Dieser stoltz aber kommt durch den unglau-
ben auß gutdünckel her/ welcherbey dem/ der
arm am geist ist/ nicht befunden wird/ sondern
bey solchen ist lauter niedrigkeit/ kleinheit und
nichtigkeit/ furcht und schrecken vorseinen mäch-
tigern. Darum nennet sie der HErr vor allen
selig/ nicht die es werden/ sondern die es sind.
Und weil das wort selig ein vollkommen wort
ist/ muß es auch ein vollkommen werck haben.
Deßhalben sind wir Christi nicht eher theilhaff-Wer voll-
ständig
bleibet/
soll selig
werden.
Matth.
XXIV.

tig/ ehe wir den anfang seines wesens biß ans
ende fest behalten/ nemlich vollständig seyn in
der liebe und warheit/ an welchen wir geprüffet
werden und versucht durch die lügenhaffte und
betriegliche liebe deß fleisches. Dann so lange
deß menschen sinn/ lust/ wille und gemüth dar-13.
Prov.
XXVII.
Zach.
XIII.
Psalm.
CXLI.

auff stehet/ wann ergleich den glauben ange-
nommen/ so ist er doch noch unter der verdamm-
nis/ und nicht gerechtfertiget von der sünde/ das
muß mir jedermann zugestehen; daher kommen
ihm dann die wunden und bestraffungen von
den jenigen/ die ihn lieb haben; aber wegert oderProv.
XV. &
XIX.

verlässet er die/ daß er sie mit dem hertzen nicht
liebet/ sondern hasset/ so muß er untergehen
nach der Schrifft. Dann sehet/ hierinn ist der
Vater ein anleiter oder helffer durch die furcht
deß HErrn/ und machet den menschen bereit
zum frieden und verstand der gnaden Christi/
welche furcht mit allen wahren glaubigen im
mutter leibe zu einem ewigen grund (darin alle
ding bestehen) geschaffen ist/ als der getreulich
mit seinem samen nach ihm handelt/ und mit al-
lem guten erfüllet.

Diese achten den HErrn/ vermittelst der er-
käntnis in ihrem hertzen/ nach dem sie die furcht
deß HErrn empfangen/ groß/ und untersuchen
die dinge mit einfältigkeit/ die GOtt gefällig
sind/ ihn zu versöhnen und nicht zu erzörnen.
Diese heulen und weinen umb ihre missethat/
nicht umb die straffe/ und tragen reue darüber/
weil sie mit sehenden augen ihr verderben sehen
und mercken/ daß sie alles verlohren haben oder
quit sind/ durch das jenige/ was sie fühlen und
befinden zu haben/ verstehet. Welches ihnen

nichts

Th. IV. Sect. II. Num. XL. David Joris klarer bericht/
[Spaltenumbruch] dern auffſtehen/ eins auß dem andern ſeinen na-
men in der that empfangen/ muß es nicht? Ja
gewiß.

Darum laſſet euch von niemanden/ weder
von euch ſelbſten noch von andern betriegen/
ihr alle (ſage ich) die ihr frey/ reich am geiſt/ ſelig
und geſund oder gefunden/ und von der hoͤllen
wiederbracht ſeyn wollet/ ihr muͤſſet euch erſt-
lich gefangen/ arm am geiſt/ verdammt/ verloh-
ren/ ungeſund und in der hoͤlle fuͤhlen und em-
pfinden/ damit ihr GOttes gnade/ treue/ und
warheit in ſeiner liebe verſtehen/ wiſſen/ ruͤhmen
und jubiliren moͤget/ ja man kans auch anders
nicht. Darum bekommt niemand die ſelig-
keit der gnaden GOttes/ niemanden anders er-
leuchtet das licht auß der hoͤhe/ niemand em-
pfaͤngt die froͤliche bottſchafft deß Evangelii/
als der unſelig und arm am geiſt iſt/ ſich in un-
gnaden und ſchatten deß todes empfindet/ ſich
ſelbſt in der finſternis blind und taub/ arm und
elend erkennet/ wie ihr wiſſet/ daß das licht de-
nen/ die im finſternis ſind/ das geſichte der blin-
den/ das gehoͤr den tauben/ der gang den kruͤp-
peln/ die geſundheit den ſiechen/ das leben den
todten/ die freude den betruͤbten/ erleichterung
den beſchwerten/ das geben den duͤrfftigen/ die
ſpeiſe den hungerigen/ der tranck den durſtigen/
nemlich das koͤnigreich der himmeln denen/ die
arm am geiſte ſind/ zukommt. Dann alle die-
ſe geiſtliche gaben und tugenden GOttes/ ha-
ben anders nirgends keinen eingang/ ſind auch
nirgends willkommen/ dann bey einigen von
dieſen. Es bleibet warhafftig ein wort deß
HErrn in der ewigkeit.

Das 12. Capitel.

Derohalben hat GOtt ein bewaͤhrtes geſetz
und wort deß glaubens gegeben/ nemlich er hat
ſeinen Sohn darzu als ein licht in die welt ge-
ſandt/ die ſuͤnden auffzuloͤſen/ damit er ſich
ihrer aller/ die darunter begriffen ſind/ in
ſeinem Sohne erbarmen moͤchte durch Chri-
ſtum/ welcher (obs ſchon jemand meynen moͤch-
te) nicht kommen iſt/ das geſetze zu zerbrechen/
ſondern zu erfuͤllen/ zu erhoͤhen und in liebe
auffzurichten bey allen kindern deß glaubens.
Dieſen verſtand aber hat nicht jedermann/ ſin-
temal das geſetz (wie wol es menſchlicher weiſe
durch irrdiſche dinge figuͤrlich außgeſprochen
worden) geiſtlich iſt/ auch geiſtlich nach der
warheit muß geurtheilet werden/ welches oh-
ne eine geiſtliche geburt und neue creatur (die
aus dem gehorſam deß glaubens im worte
Das ge-
ſetz des
Geiſtes
iſt das ge-
ſetz der
liebe/ das
in den
glaubi-
gen an-
ſaͤngt.
Dann al-
ſo ſoll und
muß es
endlich
ſeine er-
fuͤllung
nehmen.
kommt) nicht geſchehen mag. Welche neue
creatur in das geſetz deß Geiſtes zur herrlichen
freyheit eintritt/ und die erbſchafft der Heili-
gen (welche alle ihre ohren taͤglich zum gehor-
ſam deß glaubens wuͤrdiglich auffthun) in der
auffmerckſamkeit deß warhafftigen geſetzes/
in dem allerinnerſten ihrer inwendigkeit/ mit
luſt freywillig empfaͤngt/ allwo ſelbiges mit
dem finger GOTTES eingeſchrieben wird.
Dieſe/ wie wol ſie als kinder auß dem glau-
ben angenommen werden/ fallen ſie noch wol
taͤglich ſiebenmal und verlieren doch den na-
men der rechtfertigung nicht/ den ſie/ im glau-
ben ſtehende durch den Sohn auß gnaden erer-
bet haben/ welchen ſie vor einen HErrn an-
genommen/ gehuldiget und vertrauet/ aber ſich
[Spaltenumbruch] noch nicht in allen treu und auffrichtig bewie-
ſen haben als im gehorſam deß glaubens. Fal-
len/ ſtraucheln oder uͤbertreten ſie nach der
Schrifft/ ſo geſchichts auß irrthum uñ ſchwach-
heit ihres glaubens/ als in welchem ſie noch
nicht vollkommen ſind/ ſie werden aber auch
darum geſtaͤupet und wol geſtrafft/ aber nicht
weggeworffen/ angeſehen ſie die ruthe als kin-Pſalm.
LXXXIX.

3.

der ohne veraͤnderung oder murmeln anneh-
men/ und bleiben in der furcht deß HErrn/ wor-
auß dann ihre kindſchafft und auffrichtigkeit
deß hertzens erhellet/ ſo wol unter der ruthe (wel-
che die thorheit und ſuͤnde außtreibt) als in hal-
tung der gebotte GOttes. So aber ſich je-
mand nicht unter die ruthe beuget/ und kein
werck darvon machet/ das iſt/ durchs wort nicht
erſchrecket wird/ ſo bezeuget er/ daß er unter dem
worte deß gebotts nicht ſtehet und keine weiß-
heit verlanget/ auch keines kindes oder vaͤterli-
che art hat/ weil er ſich nicht fuͤrchtet. Daher
iſt GOttes auffſehen/ huͤlffe und bewahrung
durch die gnade (als die pflegerin aller dinge)
nicht mit ihm/ kan ſich auch wegen ſeines ſtol-
tzes nicht zu ihm nahen/ ſondern muß in ſeiner
eigenheit von ihm ſelber durch ſich ſelbſt/ ohne
alle huͤlffe in ewigkeit untergehen.

Dieſer ſtoltz aber kommt durch den unglau-
ben auß gutduͤnckel her/ welcherbey dem/ der
arm am geiſt iſt/ nicht befunden wird/ ſondern
bey ſolchen iſt lauter niedrigkeit/ kleinheit und
nichtigkeit/ fuꝛcht und ſchrecken voꝛſeinen maͤch-
tigern. Darum nennet ſie der HErr vor allen
ſelig/ nicht die es werden/ ſondern die es ſind.
Und weil das wort ſelig ein vollkommen wort
iſt/ muß es auch ein vollkommen werck haben.
Deßhalben ſind wir Chriſti nicht eher theilhaff-Weꝛ voll-
ſtaͤndig
bleibet/
ſoll ſelig
werden.
Matth.
XXIV.

tig/ ehe wir den anfang ſeines weſens biß ans
ende feſt behalten/ nemlich vollſtaͤndig ſeyn in
der liebe und warheit/ an welchen wir gepruͤffet
werden und verſucht durch die luͤgenhaffte und
betriegliche liebe deß fleiſches. Dann ſo lange
deß menſchen ſinn/ luſt/ wille und gemuͤth dar-13.
Prov.
XXVII.
Zach.
XIII.
Pſalm.
CXLI.

auff ſtehet/ wann ergleich den glauben ange-
nommen/ ſo iſt er doch noch unter der verdamm-
nis/ und nicht gerechtfertiget von deꝛ ſuͤnde/ das
muß mir jedermann zugeſtehen; daher kommen
ihm dann die wunden und beſtraffungen von
den jenigen/ die ihn lieb haben; aber wegert oderProv.
XV. &
XIX.

verlaͤſſet er die/ daß er ſie mit dem hertzen nicht
liebet/ ſondern haſſet/ ſo muß er untergehen
nach der Schrifft. Dann ſehet/ hierinn iſt der
Vater ein anleiter oder helffer durch die furcht
deß HErrn/ und machet den menſchen bereit
zum frieden und verſtand der gnaden Chriſti/
welche furcht mit allen wahren glaubigen im
mutter leibe zu einem ewigen grund (darin alle
ding beſtehen) geſchaffen iſt/ als der getreulich
mit ſeinem ſamen nach ihm handelt/ und mit al-
lem guten erfuͤllet.

Dieſe achten den HErrn/ vermittelſt der er-
kaͤntnis in ihrem hertzen/ nach dem ſie die furcht
deß HErrn empfangen/ groß/ und unterſuchen
die dinge mit einfaͤltigkeit/ die GOtt gefaͤllig
ſind/ ihn zu verſoͤhnen und nicht zu erzoͤrnen.
Dieſe heulen und weinen umb ihre miſſethat/
nicht umb die ſtraffe/ und tragen reue daruͤber/
weil ſie mit ſehenden augen ihr verderben ſehen
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befinden zu haben/ verſtehet. Welches ihnen

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[322/0618] Th. IV. Sect. II. Num. XL. David Joris klarer bericht/ dern auffſtehen/ eins auß dem andern ſeinen na- men in der that empfangen/ muß es nicht? Ja gewiß. Darum laſſet euch von niemanden/ weder von euch ſelbſten noch von andern betriegen/ ihr alle (ſage ich) die ihr frey/ reich am geiſt/ ſelig und geſund oder gefunden/ und von der hoͤllen wiederbracht ſeyn wollet/ ihr muͤſſet euch erſt- lich gefangen/ arm am geiſt/ verdammt/ verloh- ren/ ungeſund und in der hoͤlle fuͤhlen und em- pfinden/ damit ihr GOttes gnade/ treue/ und warheit in ſeiner liebe verſtehen/ wiſſen/ ruͤhmen und jubiliren moͤget/ ja man kans auch anders nicht. Darum bekommt niemand die ſelig- keit der gnaden GOttes/ niemanden anders er- leuchtet das licht auß der hoͤhe/ niemand em- pfaͤngt die froͤliche bottſchafft deß Evangelii/ als der unſelig und arm am geiſt iſt/ ſich in un- gnaden und ſchatten deß todes empfindet/ ſich ſelbſt in der finſternis blind und taub/ arm und elend erkennet/ wie ihr wiſſet/ daß das licht de- nen/ die im finſternis ſind/ das geſichte der blin- den/ das gehoͤr den tauben/ der gang den kruͤp- peln/ die geſundheit den ſiechen/ das leben den todten/ die freude den betruͤbten/ erleichterung den beſchwerten/ das geben den duͤrfftigen/ die ſpeiſe den hungerigen/ der tranck den durſtigen/ nemlich das koͤnigreich der himmeln denen/ die arm am geiſte ſind/ zukommt. Dann alle die- ſe geiſtliche gaben und tugenden GOttes/ ha- ben anders nirgends keinen eingang/ ſind auch nirgends willkommen/ dann bey einigen von dieſen. Es bleibet warhafftig ein wort deß HErrn in der ewigkeit. Das 12. Capitel. Derohalben hat GOtt ein bewaͤhrtes geſetz und wort deß glaubens gegeben/ nemlich er hat ſeinen Sohn darzu als ein licht in die welt ge- ſandt/ die ſuͤnden auffzuloͤſen/ damit er ſich ihrer aller/ die darunter begriffen ſind/ in ſeinem Sohne erbarmen moͤchte durch Chri- ſtum/ welcher (obs ſchon jemand meynen moͤch- te) nicht kommen iſt/ das geſetze zu zerbrechen/ ſondern zu erfuͤllen/ zu erhoͤhen und in liebe auffzurichten bey allen kindern deß glaubens. Dieſen verſtand aber hat nicht jedermann/ ſin- temal das geſetz (wie wol es menſchlicher weiſe durch irrdiſche dinge figuͤrlich außgeſprochen worden) geiſtlich iſt/ auch geiſtlich nach der warheit muß geurtheilet werden/ welches oh- ne eine geiſtliche geburt und neue creatur (die aus dem gehorſam deß glaubens im worte kommt) nicht geſchehen mag. Welche neue creatur in das geſetz deß Geiſtes zur herrlichen freyheit eintritt/ und die erbſchafft der Heili- gen (welche alle ihre ohren taͤglich zum gehor- ſam deß glaubens wuͤrdiglich auffthun) in der auffmerckſamkeit deß warhafftigen geſetzes/ in dem allerinnerſten ihrer inwendigkeit/ mit luſt freywillig empfaͤngt/ allwo ſelbiges mit dem finger GOTTES eingeſchrieben wird. Dieſe/ wie wol ſie als kinder auß dem glau- ben angenommen werden/ fallen ſie noch wol taͤglich ſiebenmal und verlieren doch den na- men der rechtfertigung nicht/ den ſie/ im glau- ben ſtehende durch den Sohn auß gnaden erer- bet haben/ welchen ſie vor einen HErrn an- genommen/ gehuldiget und vertrauet/ aber ſich noch nicht in allen treu und auffrichtig bewie- ſen haben als im gehorſam deß glaubens. Fal- len/ ſtraucheln oder uͤbertreten ſie nach der Schrifft/ ſo geſchichts auß irrthum uñ ſchwach- heit ihres glaubens/ als in welchem ſie noch nicht vollkommen ſind/ ſie werden aber auch darum geſtaͤupet und wol geſtrafft/ aber nicht weggeworffen/ angeſehen ſie die ruthe als kin- der ohne veraͤnderung oder murmeln anneh- men/ und bleiben in der furcht deß HErrn/ wor- auß dann ihre kindſchafft und auffrichtigkeit deß hertzens erhellet/ ſo wol unter der ruthe (wel- che die thorheit und ſuͤnde außtreibt) als in hal- tung der gebotte GOttes. So aber ſich je- mand nicht unter die ruthe beuget/ und kein werck darvon machet/ das iſt/ durchs wort nicht erſchrecket wird/ ſo bezeuget er/ daß er unter dem worte deß gebotts nicht ſtehet und keine weiß- heit verlanget/ auch keines kindes oder vaͤterli- che art hat/ weil er ſich nicht fuͤrchtet. Daher iſt GOttes auffſehen/ huͤlffe und bewahrung durch die gnade (als die pflegerin aller dinge) nicht mit ihm/ kan ſich auch wegen ſeines ſtol- tzes nicht zu ihm nahen/ ſondern muß in ſeiner eigenheit von ihm ſelber durch ſich ſelbſt/ ohne alle huͤlffe in ewigkeit untergehen. Das ge- ſetz des Geiſtes iſt das ge- ſetz der liebe/ das in den glaubi- gen an- ſaͤngt. Dann al- ſo ſoll und muß es endlich ſeine er- fuͤllung nehmen. Pſalm. LXXXIX. 3. Dieſer ſtoltz aber kommt durch den unglau- ben auß gutduͤnckel her/ welcherbey dem/ der arm am geiſt iſt/ nicht befunden wird/ ſondern bey ſolchen iſt lauter niedrigkeit/ kleinheit und nichtigkeit/ fuꝛcht und ſchrecken voꝛſeinen maͤch- tigern. Darum nennet ſie der HErr vor allen ſelig/ nicht die es werden/ ſondern die es ſind. Und weil das wort ſelig ein vollkommen wort iſt/ muß es auch ein vollkommen werck haben. Deßhalben ſind wir Chriſti nicht eher theilhaff- tig/ ehe wir den anfang ſeines weſens biß ans ende feſt behalten/ nemlich vollſtaͤndig ſeyn in der liebe und warheit/ an welchen wir gepruͤffet werden und verſucht durch die luͤgenhaffte und betriegliche liebe deß fleiſches. Dann ſo lange deß menſchen ſinn/ luſt/ wille und gemuͤth dar- auff ſtehet/ wann ergleich den glauben ange- nommen/ ſo iſt er doch noch unter der verdamm- nis/ und nicht gerechtfertiget von deꝛ ſuͤnde/ das muß mir jedermann zugeſtehen; daher kommen ihm dann die wunden und beſtraffungen von den jenigen/ die ihn lieb haben; aber wegert oder verlaͤſſet er die/ daß er ſie mit dem hertzen nicht liebet/ ſondern haſſet/ ſo muß er untergehen nach der Schrifft. Dann ſehet/ hierinn iſt der Vater ein anleiter oder helffer durch die furcht deß HErrn/ und machet den menſchen bereit zum frieden und verſtand der gnaden Chriſti/ welche furcht mit allen wahren glaubigen im mutter leibe zu einem ewigen grund (darin alle ding beſtehen) geſchaffen iſt/ als der getreulich mit ſeinem ſamen nach ihm handelt/ und mit al- lem guten erfuͤllet. Weꝛ voll- ſtaͤndig bleibet/ ſoll ſelig werden. Matth. XXIV. 13. Prov. XXVII. Zach. XIII. Pſalm. CXLI. Prov. XV. & XIX. Dieſe achten den HErrn/ vermittelſt der er- kaͤntnis in ihrem hertzen/ nach dem ſie die furcht deß HErrn empfangen/ groß/ und unterſuchen die dinge mit einfaͤltigkeit/ die GOtt gefaͤllig ſind/ ihn zu verſoͤhnen und nicht zu erzoͤrnen. Dieſe heulen und weinen umb ihre miſſethat/ nicht umb die ſtraffe/ und tragen reue daruͤber/ weil ſie mit ſehenden augen ihr verderben ſehen und mercken/ daß ſie alles verlohren haben oder quit ſind/ durch das jenige/ was ſie fuͤhlen und befinden zu haben/ verſtehet. Welches ihnen nichts

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Zitationshilfe: Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnold_ketzerhistorie02_1700/618>, abgerufen am 20.11.2024.