Decke spielt, grade so unsicher brennt eine Flamme in meiner Brust, ich bin ihrer nicht gewiß, ob sie nicht auf- lodere, und Dich und mich versehre. Du drücktest meine Hände, Du gingst ohne mich zu küssen. Ich blieb al- lein; erst: wie es sonderbar mit Liebenden ist, war ich ruhig, ich fühlte mich von Glanz umgeben und von Glanz erfüllt, aber plötzlich durchdrang mich der Schmerz, daß Du gegangen warst. Wem sollte ich's klagen, daß ich Dich nicht mehr hatte? ich trat vor den Spiegel, da sah mein blasses Antlitz heraus, so schmerzlich sah das Auge mich an, daß ich vor Mitleid gegen mich selbst, in Thränen ausbrach.
Dem Freund.
Es ist als ob jeder Athemzug sich wieder aus der Ver- gangenheit erhebe, was ich vergessen zu haben glaubte greift mit Macht in mich ein, und erregt auf's neue das Feuer verhaltner Schmerzen.
So weit habe ich in der Nacht geschrieben, heut am Tag schreibe ich noch als psychologische Merkwürdigkeit her auf welche wunderbare Weise ich mich beschwichtigte, wie die geängstete mit aller Willenskraft der Jugend aus- gerüstete Seele sich half. -- Auf dem Tisch vor dem
Spiegel
Decke ſpielt, grade ſo unſicher brennt eine Flamme in meiner Bruſt, ich bin ihrer nicht gewiß, ob ſie nicht auf- lodere, und Dich und mich verſehre. Du drückteſt meine Hände, Du gingſt ohne mich zu küſſen. Ich blieb al- lein; erſt: wie es ſonderbar mit Liebenden iſt, war ich ruhig, ich fühlte mich von Glanz umgeben und von Glanz erfüllt, aber plötzlich durchdrang mich der Schmerz, daß Du gegangen warſt. Wem ſollte ich's klagen, daß ich Dich nicht mehr hatte? ich trat vor den Spiegel, da ſah mein blaſſes Antlitz heraus, ſo ſchmerzlich ſah das Auge mich an, daß ich vor Mitleid gegen mich ſelbſt, in Thränen ausbrach.
Dem Freund.
Es iſt als ob jeder Athemzug ſich wieder aus der Ver- gangenheit erhebe, was ich vergeſſen zu haben glaubte greift mit Macht in mich ein, und erregt auf's neue das Feuer verhaltner Schmerzen.
So weit habe ich in der Nacht geſchrieben, heut am Tag ſchreibe ich noch als pſychologiſche Merkwürdigkeit her auf welche wunderbare Weiſe ich mich beſchwichtigte, wie die geängſtete mit aller Willenskraft der Jugend aus- gerüſtete Seele ſich half. — Auf dem Tiſch vor dem
Spiegel
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Decke ſpielt, grade ſo unſicher brennt eine Flamme in
meiner Bruſt, ich bin ihrer nicht gewiß, ob ſie nicht auf-
lodere, und Dich und mich verſehre. Du drückteſt meine
Hände, Du gingſt ohne mich zu küſſen. Ich blieb al-
lein; erſt: wie es ſonderbar mit Liebenden iſt, war ich
ruhig, ich fühlte mich von Glanz umgeben und von
Glanz erfüllt, aber plötzlich durchdrang mich der Schmerz,
daß Du gegangen warſt. Wem ſollte ich's klagen, daß
ich Dich nicht mehr hatte? ich trat vor den Spiegel, da
ſah mein blaſſes Antlitz heraus, ſo ſchmerzlich ſah das
Auge mich an, daß ich vor Mitleid gegen mich ſelbſt, in
Thränen ausbrach.
Dem Freund.
Es iſt als ob jeder Athemzug ſich wieder aus der Ver-
gangenheit erhebe, was ich vergeſſen zu haben glaubte
greift mit Macht in mich ein, und erregt auf's neue
das Feuer verhaltner Schmerzen.
So weit habe ich in der Nacht geſchrieben, heut am
Tag ſchreibe ich noch als pſychologiſche Merkwürdigkeit
her auf welche wunderbare Weiſe ich mich beſchwichtigte,
wie die geängſtete mit aller Willenskraft der Jugend aus-
gerüſtete Seele ſich half. — Auf dem Tiſch vor dem
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/226>, abgerufen am 22.07.2024.
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