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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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verstehen; -- ich erkenne gleich in jedes Menschen Herz,
was ihn sticht und was ihn brennt, und weiß auch,
wann die Zeit kommt, die ihn heilt; ja ich muß noch
täglich weinen über meinen lieben Sohn, der erfroren
ist, aber weil ich weiß, daß er die irdische Straße zu-
rückgelegt hat, so hab' ich nichts dawider, ich lese auch
täglich in diesem Buch, da stehen diese großen Wahr-
heiten alle geschrieben." Sie gab uns einen alten Ge-
sang zu lesen: "O Herr! du führst mich dunkle Wege,
am Ende aber seh ich Licht;" in diesem stand zwar
nichts von dem, was sie uns mitgetheilt hatte, als nur
einzelne Hauptworte.

Im Nachhausegehen vertrieben uns die Gießener
Studenten die Grillen, sie hatten sich am Abhang des
Berges in großen Weinlauben gelagert, sie sangen, sie
jauchzten, Gläser und Flaschen flogen hinab, sie tanz-
ten, walzten und wälzten sich den Berg hinunter und
durchschallten das Thal mit ihrem grausamen Gebrüll.


Die Ammenburg.

So nenne ich die kleine Wohnung, die grade so
groß ist, den einfachsten Bedürfnissen eines einzelnen
Menschen in schöner wohlthuender Ordnung zu genügen,
sie ist mit rothen Steinen oben auf eine mit sammtnen

verſtehen; — ich erkenne gleich in jedes Menſchen Herz,
was ihn ſticht und was ihn brennt, und weiß auch,
wann die Zeit kommt, die ihn heilt; ja ich muß noch
täglich weinen über meinen lieben Sohn, der erfroren
iſt, aber weil ich weiß, daß er die irdiſche Straße zu-
rückgelegt hat, ſo hab' ich nichts dawider, ich leſe auch
täglich in dieſem Buch, da ſtehen dieſe großen Wahr-
heiten alle geſchrieben.“ Sie gab uns einen alten Ge-
ſang zu leſen: „O Herr! du führſt mich dunkle Wege,
am Ende aber ſeh ich Licht;“ in dieſem ſtand zwar
nichts von dem, was ſie uns mitgetheilt hatte, als nur
einzelne Hauptworte.

Im Nachhauſegehen vertrieben uns die Gießener
Studenten die Grillen, ſie hatten ſich am Abhang des
Berges in großen Weinlauben gelagert, ſie ſangen, ſie
jauchzten, Gläſer und Flaſchen flogen hinab, ſie tanz-
ten, walzten und wälzten ſich den Berg hinunter und
durchſchallten das Thal mit ihrem grauſamen Gebrüll.


Die Ammenburg.

So nenne ich die kleine Wohnung, die grade ſo
groß iſt, den einfachſten Bedürfniſſen eines einzelnen
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ſie iſt mit rothen Steinen oben auf eine mit ſammtnen

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[164/0174] verſtehen; — ich erkenne gleich in jedes Menſchen Herz, was ihn ſticht und was ihn brennt, und weiß auch, wann die Zeit kommt, die ihn heilt; ja ich muß noch täglich weinen über meinen lieben Sohn, der erfroren iſt, aber weil ich weiß, daß er die irdiſche Straße zu- rückgelegt hat, ſo hab' ich nichts dawider, ich leſe auch täglich in dieſem Buch, da ſtehen dieſe großen Wahr- heiten alle geſchrieben.“ Sie gab uns einen alten Ge- ſang zu leſen: „O Herr! du führſt mich dunkle Wege, am Ende aber ſeh ich Licht;“ in dieſem ſtand zwar nichts von dem, was ſie uns mitgetheilt hatte, als nur einzelne Hauptworte. Im Nachhauſegehen vertrieben uns die Gießener Studenten die Grillen, ſie hatten ſich am Abhang des Berges in großen Weinlauben gelagert, ſie ſangen, ſie jauchzten, Gläſer und Flaſchen flogen hinab, ſie tanz- ten, walzten und wälzten ſich den Berg hinunter und durchſchallten das Thal mit ihrem grauſamen Gebrüll. Die Ammenburg. So nenne ich die kleine Wohnung, die grade ſo groß iſt, den einfachſten Bedürfniſſen eines einzelnen Menſchen in ſchöner wohlthuender Ordnung zu genügen, ſie iſt mit rothen Steinen oben auf eine mit ſammtnen

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/174>, abgerufen am 21.11.2024.