Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

außer Dir. -- Außer der Sonne, die den Thautropfen
in sich fasset soll er nichts fassen. -- Jede Blüthe, die
sich dem Lichte öffnet fasset einen Thautropfen, der das
Bild der wärmenden belebenden Kraft aufnimmt; aber
Stamm und Wurzel sind belastet mit der finsteren fe-
sten Erde; und wenn die Blüthe keine Wurzel hätte,
so hätte sie wohl Flügel. --

Heute ist so warm, heute sei ergeben in die Gedan-
ken die Dir dies Papier bringt. Zeit und Raum laß
weichen zwischen unsern Herzen, und wenns so ist dann
hab ich keine Bitte mehr, denn da muß das Herz ver-
stummen.

Bettine.

Von Goethes Hand auf diesen Brief geschrieben:
Empfangen

An Goethe.

Schon oft hab ich mich im Geist vorbereitet Dir
zu schreiben, aber Gedanken und Empfindungen, wie
die Sprache sie nicht ausdrücken kann, erfüllen die Seele,
und sie vermag nicht ihr Schweigen zu brechen.

So ist denn die Wahrheit eine Muse, die das
Kunstgebilde ihrer Melodieen zwar in dem den sie durch-

außer Dir. — Außer der Sonne, die den Thautropfen
in ſich faſſet ſoll er nichts faſſen. — Jede Blüthe, die
ſich dem Lichte öffnet faſſet einen Thautropfen, der das
Bild der wärmenden belebenden Kraft aufnimmt; aber
Stamm und Wurzel ſind belaſtet mit der finſteren fe-
ſten Erde; und wenn die Blüthe keine Wurzel hätte,
ſo hätte ſie wohl Flügel. —

Heute iſt ſo warm, heute ſei ergeben in die Gedan-
ken die Dir dies Papier bringt. Zeit und Raum laß
weichen zwiſchen unſern Herzen, und wenns ſo iſt dann
hab ich keine Bitte mehr, denn da muß das Herz ver-
ſtummen.

Bettine.

Von Goethes Hand auf dieſen Brief geſchrieben:
Empfangen

An Goethe.

Schon oft hab ich mich im Geiſt vorbereitet Dir
zu ſchreiben, aber Gedanken und Empfindungen, wie
die Sprache ſie nicht ausdrücken kann, erfüllen die Seele,
und ſie vermag nicht ihr Schweigen zu brechen.

So iſt denn die Wahrheit eine Muſe, die das
Kunſtgebilde ihrer Melodieen zwar in dem den ſie durch-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0320" n="310"/>
außer Dir. &#x2014; Außer der Sonne, die den Thautropfen<lb/>
in &#x017F;ich fa&#x017F;&#x017F;et &#x017F;oll er nichts fa&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; Jede Blüthe, die<lb/>
&#x017F;ich dem Lichte öffnet fa&#x017F;&#x017F;et einen Thautropfen, der das<lb/>
Bild der wärmenden belebenden Kraft aufnimmt; aber<lb/>
Stamm und Wurzel &#x017F;ind bela&#x017F;tet mit der fin&#x017F;teren fe-<lb/>
&#x017F;ten Erde; und wenn die Blüthe keine Wurzel hätte,<lb/>
&#x017F;o hätte &#x017F;ie wohl Flügel. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Heute i&#x017F;t &#x017F;o warm, heute &#x017F;ei ergeben in die Gedan-<lb/>
ken die Dir dies Papier bringt. Zeit und Raum laß<lb/>
weichen zwi&#x017F;chen un&#x017F;ern Herzen, und wenns &#x017F;o i&#x017F;t dann<lb/>
hab ich keine Bitte mehr, denn da muß das Herz ver-<lb/>
&#x017F;tummen.</p>
          <closer>
            <salute> <hi rendition="#et">Bettine.</hi> </salute>
          </closer><lb/>
          <postscript>
            <p>Von Goethes Hand auf die&#x017F;en Brief ge&#x017F;chrieben:<lb/>
Empfangen</p>
          </postscript><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">den 4. Juli 1822.</hi> </dateline>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <opener>
            <salute>An Goethe.</salute>
          </opener><lb/>
          <p>Schon oft hab ich mich im Gei&#x017F;t vorbereitet Dir<lb/>
zu &#x017F;chreiben, aber Gedanken und Empfindungen, wie<lb/>
die Sprache &#x017F;ie nicht ausdrücken kann, erfüllen die Seele,<lb/>
und &#x017F;ie vermag nicht ihr Schweigen zu brechen.</p><lb/>
          <p>So i&#x017F;t denn die Wahrheit eine Mu&#x017F;e, die das<lb/>
Kun&#x017F;tgebilde ihrer Melodieen zwar in dem den &#x017F;ie durch-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[310/0320] außer Dir. — Außer der Sonne, die den Thautropfen in ſich faſſet ſoll er nichts faſſen. — Jede Blüthe, die ſich dem Lichte öffnet faſſet einen Thautropfen, der das Bild der wärmenden belebenden Kraft aufnimmt; aber Stamm und Wurzel ſind belaſtet mit der finſteren fe- ſten Erde; und wenn die Blüthe keine Wurzel hätte, ſo hätte ſie wohl Flügel. — Heute iſt ſo warm, heute ſei ergeben in die Gedan- ken die Dir dies Papier bringt. Zeit und Raum laß weichen zwiſchen unſern Herzen, und wenns ſo iſt dann hab ich keine Bitte mehr, denn da muß das Herz ver- ſtummen. Bettine. Von Goethes Hand auf dieſen Brief geſchrieben: Empfangen den 4. Juli 1822. An Goethe. Schon oft hab ich mich im Geiſt vorbereitet Dir zu ſchreiben, aber Gedanken und Empfindungen, wie die Sprache ſie nicht ausdrücken kann, erfüllen die Seele, und ſie vermag nicht ihr Schweigen zu brechen. So iſt denn die Wahrheit eine Muſe, die das Kunſtgebilde ihrer Melodieen zwar in dem den ſie durch-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/320
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/320>, abgerufen am 21.12.2024.