Frau Rath, Sie hat eine recht garstige Hand, eine wahre Katzenpfote, nicht die mit der Sie im Theater klatscht, wenn der Schauspieler Werdi wie ein Mül- leresel dahertrappst und tragisches Schicksal spielen will, nein, sondern die geschriebene Hand ist häßlich und unleserlich. Mir kann Sie zwar immer so undeutlich wie Sie will schreiben, daß ich ein albernes Ding bin; ich kann's doch lesen, gleich am ersten großen A. Denn was sollte es sonst heißen? Sie hat mir's ja oft genug gesagt; aber wenn Sie an Ihren Herrn Sohn schreibt, von mir, befleißige Sie sich der Deut- lichkeit; die mildeberger Trauben hab' ich noch herausge- kriegt, die Sie in chaldäischen und hebräischen Buchstaben verzeichnet hat, ich werde Ihr eine ganze Schachtel voll bestellen, das hätt' ich auch ohnedem gethan. Der Herr Schlosser hat mir übrigens nichts Besondres in Ihren Brief geschrieben. Ich kann das auch nicht leiden, daß Sie sich die Zeit von ihm vertreiben läßt, wenn ich nicht da bin, und ich sag' Ihr: lasse Sie ihn nicht auf meiner Schawelle sitzen, er ist auch so einer der Laute spielen will, und glaubt er könne auf meiner Schawelle
An Frau Rath Goethe.
Frau Rath, Sie hat eine recht garſtige Hand, eine wahre Katzenpfote, nicht die mit der Sie im Theater klatſcht, wenn der Schauſpieler Werdi wie ein Mül- lereſel dahertrappſt und tragiſches Schickſal ſpielen will, nein, ſondern die geſchriebene Hand iſt häßlich und unleſerlich. Mir kann Sie zwar immer ſo undeutlich wie Sie will ſchreiben, daß ich ein albernes Ding bin; ich kann's doch leſen, gleich am erſten großen A. Denn was ſollte es ſonſt heißen? Sie hat mir's ja oft genug geſagt; aber wenn Sie an Ihren Herrn Sohn ſchreibt, von mir, befleißige Sie ſich der Deut- lichkeit; die mildeberger Trauben hab' ich noch herausge- kriegt, die Sie in chaldäiſchen und hebräiſchen Buchſtaben verzeichnet hat, ich werde Ihr eine ganze Schachtel voll beſtellen, das hätt' ich auch ohnedem gethan. Der Herr Schloſſer hat mir übrigens nichts Beſondres in Ihren Brief geſchrieben. Ich kann das auch nicht leiden, daß Sie ſich die Zeit von ihm vertreiben läßt, wenn ich nicht da bin, und ich ſag' Ihr: laſſe Sie ihn nicht auf meiner Schawelle ſitzen, er iſt auch ſo einer der Laute ſpielen will, und glaubt er könne auf meiner Schawelle
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An Frau Rath Goethe.
Frau Rath, Sie hat eine recht garſtige Hand, eine
wahre Katzenpfote, nicht die mit der Sie im Theater
klatſcht, wenn der Schauſpieler Werdi wie ein Mül-
lereſel dahertrappſt und tragiſches Schickſal ſpielen will,
nein, ſondern die geſchriebene Hand iſt häßlich und
unleſerlich. Mir kann Sie zwar immer ſo undeutlich
wie Sie will ſchreiben, daß ich ein albernes Ding
bin; ich kann's doch leſen, gleich am erſten großen A.
Denn was ſollte es ſonſt heißen? Sie hat mir's ja
oft genug geſagt; aber wenn Sie an Ihren Herrn
Sohn ſchreibt, von mir, befleißige Sie ſich der Deut-
lichkeit; die mildeberger Trauben hab' ich noch herausge-
kriegt, die Sie in chaldäiſchen und hebräiſchen Buchſtaben
verzeichnet hat, ich werde Ihr eine ganze Schachtel
voll beſtellen, das hätt' ich auch ohnedem gethan. Der
Herr Schloſſer hat mir übrigens nichts Beſondres in
Ihren Brief geſchrieben. Ich kann das auch nicht leiden,
daß Sie ſich die Zeit von ihm vertreiben läßt, wenn
ich nicht da bin, und ich ſag' Ihr: laſſe Sie ihn nicht
auf meiner Schawelle ſitzen, er iſt auch ſo einer der Laute
ſpielen will, und glaubt er könne auf meiner Schawelle
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/50>, abgerufen am 21.11.2024.
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