Über Musik lasse ich Dich nicht los. Du sollst mir bekennen, ob Du mich liebst, Du sollst sagen, daß Du Dich von ihr durchdrungen fühlst. Der Schlosser hat Generalbaß studiert, um ihn Dir beizubringen, und Du hast Dich gewehrt, wie er sagt, gegen die kleine Sept, und hast gesagt: bleibt mir mit Eurer Sept vom Leibe, wenn Ihr sie nicht in Reih' und Glied könnt' aufstellen, wenn sie nicht einklingt in die so bündig ab- geschlossnen Gesetze der Harmonie, wenn sie nicht ihren sinnlich natürlichen Ursprung hat, so gut wie die an- dern Töne, -- und Du hast den verdutzten Missionair zu deinem heidnischen Tempel hinausgejagt und bleibst einstweilen bei deiner Lydischen Tonart, die keine Sept hat. -- Aber Du mußt ein Christ werden, Heide! -- Die Sept klingt freilich nicht ein, und ohne sinnliche Basis; sie ist der göttliche Führer, Vermittler der sinnlichen Na- tur mit der Himmlischen; sie ist übersinnlich, sie führt in die Geisterwelt, sie hat Fleisch und Bein angenom- men, um den Geist vom Fleisch zu befreien, sie ist zum Ton geworden, um den Tönen den Geist zu geben, und wenn sie nicht wär', so würden alle Töne in der Vor- hölle sitzen bleiben. Bilde Dir nur nicht ein, daß die Grundaccorde was Gescheuteres wären, als die Erzvä-
ter
Am 24. Juli.
Über Muſik laſſe ich Dich nicht los. Du ſollſt mir bekennen, ob Du mich liebſt, Du ſollſt ſagen, daß Du Dich von ihr durchdrungen fühlſt. Der Schloſſer hat Generalbaß ſtudiert, um ihn Dir beizubringen, und Du haſt Dich gewehrt, wie er ſagt, gegen die kleine Sept, und haſt geſagt: bleibt mir mit Eurer Sept vom Leibe, wenn Ihr ſie nicht in Reih' und Glied könnt' aufſtellen, wenn ſie nicht einklingt in die ſo bündig ab- geſchloſſnen Geſetze der Harmonie, wenn ſie nicht ihren ſinnlich natürlichen Urſprung hat, ſo gut wie die an- dern Töne, — und Du haſt den verdutzten Miſſionair zu deinem heidniſchen Tempel hinausgejagt und bleibſt einſtweilen bei deiner Lydiſchen Tonart, die keine Sept hat. — Aber Du mußt ein Chriſt werden, Heide! — Die Sept klingt freilich nicht ein, und ohne ſinnliche Baſis; ſie iſt der göttliche Führer, Vermittler der ſinnlichen Na- tur mit der Himmliſchen; ſie iſt überſinnlich, ſie führt in die Geiſterwelt, ſie hat Fleiſch und Bein angenom- men, um den Geiſt vom Fleiſch zu befreien, ſie iſt zum Ton geworden, um den Tönen den Geiſt zu geben, und wenn ſie nicht wär', ſo würden alle Töne in der Vor- hölle ſitzen bleiben. Bilde Dir nur nicht ein, daß die Grundaccorde was Geſcheuteres wären, als die Erzvä-
ter
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0296"n="264"/><divn="2"><dateline><hirendition="#et">Am 24. Juli.</hi></dateline><lb/><p>Über Muſik laſſe ich Dich nicht los. Du ſollſt<lb/>
mir bekennen, ob Du mich liebſt, Du ſollſt ſagen, daß<lb/>
Du Dich von ihr durchdrungen fühlſt. Der Schloſſer<lb/>
hat Generalbaß ſtudiert, um ihn Dir beizubringen, und<lb/>
Du haſt Dich gewehrt, wie er ſagt, gegen die <hirendition="#g">kleine<lb/>
Sept</hi>, und haſt geſagt: bleibt mir mit Eurer Sept<lb/>
vom Leibe, wenn Ihr ſie nicht in Reih' und Glied könnt'<lb/>
aufſtellen, wenn ſie nicht einklingt in die ſo bündig ab-<lb/>
geſchloſſnen Geſetze der Harmonie, wenn ſie nicht ihren<lb/>ſinnlich natürlichen Urſprung hat, ſo gut wie die an-<lb/>
dern Töne, — und Du haſt den verdutzten Miſſionair<lb/>
zu deinem heidniſchen Tempel hinausgejagt und bleibſt<lb/>
einſtweilen bei deiner Lydiſchen Tonart, die keine Sept<lb/>
hat. — Aber Du mußt ein Chriſt werden, Heide! — Die<lb/>
Sept klingt freilich nicht ein, und ohne ſinnliche Baſis;<lb/>ſie iſt der göttliche Führer, Vermittler der ſinnlichen Na-<lb/>
tur mit der Himmliſchen; ſie iſt überſinnlich, ſie führt<lb/>
in die Geiſterwelt, ſie hat Fleiſch und Bein angenom-<lb/>
men, um den Geiſt vom Fleiſch zu befreien, ſie iſt zum<lb/>
Ton geworden, um den Tönen den Geiſt zu geben, und<lb/>
wenn ſie nicht wär', ſo würden alle Töne in der Vor-<lb/>
hölle ſitzen bleiben. Bilde Dir nur nicht ein, daß die<lb/>
Grundaccorde was Geſcheuteres wären, als die Erzvä-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ter</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[264/0296]
Am 24. Juli.
Über Muſik laſſe ich Dich nicht los. Du ſollſt
mir bekennen, ob Du mich liebſt, Du ſollſt ſagen, daß
Du Dich von ihr durchdrungen fühlſt. Der Schloſſer
hat Generalbaß ſtudiert, um ihn Dir beizubringen, und
Du haſt Dich gewehrt, wie er ſagt, gegen die kleine
Sept, und haſt geſagt: bleibt mir mit Eurer Sept
vom Leibe, wenn Ihr ſie nicht in Reih' und Glied könnt'
aufſtellen, wenn ſie nicht einklingt in die ſo bündig ab-
geſchloſſnen Geſetze der Harmonie, wenn ſie nicht ihren
ſinnlich natürlichen Urſprung hat, ſo gut wie die an-
dern Töne, — und Du haſt den verdutzten Miſſionair
zu deinem heidniſchen Tempel hinausgejagt und bleibſt
einſtweilen bei deiner Lydiſchen Tonart, die keine Sept
hat. — Aber Du mußt ein Chriſt werden, Heide! — Die
Sept klingt freilich nicht ein, und ohne ſinnliche Baſis;
ſie iſt der göttliche Führer, Vermittler der ſinnlichen Na-
tur mit der Himmliſchen; ſie iſt überſinnlich, ſie führt
in die Geiſterwelt, ſie hat Fleiſch und Bein angenom-
men, um den Geiſt vom Fleiſch zu befreien, ſie iſt zum
Ton geworden, um den Tönen den Geiſt zu geben, und
wenn ſie nicht wär', ſo würden alle Töne in der Vor-
hölle ſitzen bleiben. Bilde Dir nur nicht ein, daß die
Grundaccorde was Geſcheuteres wären, als die Erzvä-
ter
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/296>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.