Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].Oskar Jerschke. Es würd' Euch grausen und in Eure Stirnen Käm' flammengleich das Krösusblut gerollt, Und durch den Puder Eurer feilen Dirnen Bräch' sich die Schamgluth um das Sündengold, Und wie wenn Eise sich mit Feuern mischen, Würd' Euch das Herz in frost'gen Schaudern zischen. Ihr müßtet zittern, dächtet Ihr im Düster Des Vorstadtelends an der Schlösser Pracht, An Baldachin und Purpurbett und Lüster, An Wein und Sillery und Wonnenacht Und tausendfach müßt' Euch von allen Mauern Vernichtung flammengrell entgegenschauern. ... Gedankenflüge. Deutsche Weisen. Nichts kann in dieser Welt in Nichts verschwinden, Ein Etwas bleibt stets was ein Etwas war, In andrer Form nur muß sich's wiederfinden, Aus Raum und Zeit stellt sich der Wechsel dar: Die Blätter keimen, grünen und verwehen, Geschlechter kommen und Geschlechter gehen. Eins nur beharrt in der Verändrung Wogen Und baut sich fort, wenn alles steigt und fällt. Es überwölbt mit hoch erhab'nem Bogen Den Zeitenstrom der körperlichen Welt: Das ist die Brücke, die der Geist geschlagen, Um uns vom Irdischen zu Gott zu tragen. Oskar Jerſchke. Es würd’ Euch grauſen und in Eure Stirnen Käm’ flammengleich das Kröſusblut gerollt, Und durch den Puder Eurer feilen Dirnen Bräch’ ſich die Schamgluth um das Sündengold, Und wie wenn Eiſe ſich mit Feuern miſchen, Würd’ Euch das Herz in froſt’gen Schaudern ziſchen. Ihr müßtet zittern, dächtet Ihr im Düſter Des Vorſtadtelends an der Schlöſſer Pracht, An Baldachin und Purpurbett und Lüſter, An Wein und Sillery und Wonnenacht Und tauſendfach müßt’ Euch von allen Mauern Vernichtung flammengrell entgegenſchauern. … Gedankenflüge. Deutſche Weiſen. Nichts kann in dieſer Welt in Nichts verſchwinden, Ein Etwas bleibt ſtets was ein Etwas war, In andrer Form nur muß ſich’s wiederfinden, Aus Raum und Zeit ſtellt ſich der Wechſel dar: Die Blätter keimen, grünen und verwehen, Geſchlechter kommen und Geſchlechter gehen. Eins nur beharrt in der Verändrung Wogen Und baut ſich fort, wenn alles ſteigt und fällt. Es überwölbt mit hoch erhab’nem Bogen Den Zeitenſtrom der körperlichen Welt: Das iſt die Brücke, die der Geiſt geſchlagen, Um uns vom Irdiſchen zu Gott zu tragen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb n="169" facs="#f0187"/> <fw type="header" place="top">Oskar Jerſchke.</fw><lb/> <lg n="3"> <l>Es würd’ Euch grauſen und in Eure Stirnen</l><lb/> <l>Käm’ flammengleich das Kröſusblut gerollt,</l><lb/> <l>Und durch den Puder Eurer feilen Dirnen</l><lb/> <l>Bräch’ ſich die Schamgluth um das Sündengold,</l><lb/> <l>Und wie wenn Eiſe ſich mit Feuern miſchen,</l><lb/> <l>Würd’ Euch das Herz in froſt’gen Schaudern ziſchen.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Ihr müßtet zittern, dächtet Ihr im Düſter</l><lb/> <l>Des Vorſtadtelends an der Schlöſſer Pracht,</l><lb/> <l>An Baldachin und Purpurbett und Lüſter,</l><lb/> <l>An Wein und Sillery und Wonnenacht</l><lb/> <l>Und tauſendfach müßt’ Euch von allen Mauern</l><lb/> <l>Vernichtung flammengrell entgegenſchauern. …</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Gedankenflüge</hi>.</hi> </head><lb/> <p> <hi rendition="#c">Deutſche Weiſen.</hi> </p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Nichts kann in dieſer Welt in Nichts verſchwinden,</l><lb/> <l>Ein Etwas bleibt ſtets was ein Etwas war,</l><lb/> <l>In andrer Form nur muß ſich’s wiederfinden,</l><lb/> <l>Aus Raum und Zeit ſtellt ſich der Wechſel dar:</l><lb/> <l>Die Blätter keimen, grünen und verwehen,</l><lb/> <l>Geſchlechter kommen und Geſchlechter gehen.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Eins nur beharrt in der Verändrung Wogen</l><lb/> <l>Und baut ſich fort, wenn alles ſteigt und fällt.</l><lb/> <l>Es überwölbt mit hoch erhab’nem Bogen</l><lb/> <l>Den Zeitenſtrom der körperlichen Welt:</l><lb/> <l>Das iſt die Brücke, die der Geiſt geſchlagen,</l><lb/> <l>Um uns vom Irdiſchen zu Gott zu tragen.</l> </lg><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [169/0187]
Oskar Jerſchke.
Es würd’ Euch grauſen und in Eure Stirnen
Käm’ flammengleich das Kröſusblut gerollt,
Und durch den Puder Eurer feilen Dirnen
Bräch’ ſich die Schamgluth um das Sündengold,
Und wie wenn Eiſe ſich mit Feuern miſchen,
Würd’ Euch das Herz in froſt’gen Schaudern ziſchen.
Ihr müßtet zittern, dächtet Ihr im Düſter
Des Vorſtadtelends an der Schlöſſer Pracht,
An Baldachin und Purpurbett und Lüſter,
An Wein und Sillery und Wonnenacht
Und tauſendfach müßt’ Euch von allen Mauern
Vernichtung flammengrell entgegenſchauern. …
Gedankenflüge.
Deutſche Weiſen.
Nichts kann in dieſer Welt in Nichts verſchwinden,
Ein Etwas bleibt ſtets was ein Etwas war,
In andrer Form nur muß ſich’s wiederfinden,
Aus Raum und Zeit ſtellt ſich der Wechſel dar:
Die Blätter keimen, grünen und verwehen,
Geſchlechter kommen und Geſchlechter gehen.
Eins nur beharrt in der Verändrung Wogen
Und baut ſich fort, wenn alles ſteigt und fällt.
Es überwölbt mit hoch erhab’nem Bogen
Den Zeitenſtrom der körperlichen Welt:
Das iſt die Brücke, die der Geiſt geſchlagen,
Um uns vom Irdiſchen zu Gott zu tragen.
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Zitationshilfe: | Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/187>, abgerufen am 01.03.2025. |