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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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im Pariser Argot, die man draußen nicht deutlich ver¬
nehmen konnte, die aber eine äußerst deutliche Gebärde
der Geringschätzung und Ablehnung begleitete. Er machte
eine verdutzte Miene und rief dadurch neues Gelächter her¬
vor. Diesmal jedoch galt es ihm, dem Geprellten, der
mit wütendem Gesicht das Lokal verließ.

Das Mädchen nahm ihr fadenscheiniges Seiden¬
mäntelchen von der Stuhllehne, hing es um, und schaute
dabei mit einem stolzen und leuchtenden Blick zu Fenia
hinüber, die unbeweglich stehn geblieben war, -- eine
ganz wunderlich ernste, ergriffene Gestalt inmitten der
verschleierten Damen und der buntgekleideten, lachenden
Dämchen um uns her.

Gleich darauf sah man ihren Schützling aus der
Thür treten und am Tisch vorüberkommen. Aber da
geschah etwas allen ganz Unerwartetes: denn neben Fenia
blieb das Mädel stehn, öffnete die Lippen, wie um sie an¬
zusprechen, und plötzlich, mit einer impulsiven Bewegung,
deren Natürlichkeit eine mit sich fortreißende Anmut be¬
saß, streckte sie Fenia beide Hände entgegen.

Diese ergriff die dargebotenen Hände und schüttelte
sie mit herzhaftem Druck. Einige Augenblicke lang stan¬
den sie da und lächelten einander an wie Schwestern,
während alle verblüfft, interessiert, amüsiert um die
beiden herum saßen. Dann entfernte sich das Mädchen mit
einer Kopfneigung gegen die andern und verschwand im
vorüberhastenden Menschenstrom.

Man lachte über das kleine Drama, man scherzte
über Fenias "Erfolg" und neckte sie nicht wenig. Sie
selbst war sehr einsilbig geworden.

im Pariſer Argot, die man draußen nicht deutlich ver¬
nehmen konnte, die aber eine äußerſt deutliche Gebärde
der Geringſchätzung und Ablehnung begleitete. Er machte
eine verdutzte Miene und rief dadurch neues Gelächter her¬
vor. Diesmal jedoch galt es ihm, dem Geprellten, der
mit wütendem Geſicht das Lokal verließ.

Das Mädchen nahm ihr fadenſcheiniges Seiden¬
mäntelchen von der Stuhllehne, hing es um, und ſchaute
dabei mit einem ſtolzen und leuchtenden Blick zu Fenia
hinüber, die unbeweglich ſtehn geblieben war, — eine
ganz wunderlich ernſte, ergriffene Geſtalt inmitten der
verſchleierten Damen und der buntgekleideten, lachenden
Dämchen um uns her.

Gleich darauf ſah man ihren Schützling aus der
Thür treten und am Tiſch vorüberkommen. Aber da
geſchah etwas allen ganz Unerwartetes: denn neben Fenia
blieb das Mädel ſtehn, öffnete die Lippen, wie um ſie an¬
zuſprechen, und plötzlich, mit einer impulſiven Bewegung,
deren Natürlichkeit eine mit ſich fortreißende Anmut be¬
ſaß, ſtreckte ſie Fenia beide Hände entgegen.

Dieſe ergriff die dargebotenen Hände und ſchüttelte
ſie mit herzhaftem Druck. Einige Augenblicke lang ſtan¬
den ſie da und lächelten einander an wie Schweſtern,
während alle verblüfft, intereſſiert, amüſiert um die
beiden herum ſaßen. Dann entfernte ſich das Mädchen mit
einer Kopfneigung gegen die andern und verſchwand im
vorüberhaſtenden Menſchenſtrom.

Man lachte über das kleine Drama, man ſcherzte
über Fenias „Erfolg“ und neckte ſie nicht wenig. Sie
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[11/0015] — 11 — im Pariſer Argot, die man draußen nicht deutlich ver¬ nehmen konnte, die aber eine äußerſt deutliche Gebärde der Geringſchätzung und Ablehnung begleitete. Er machte eine verdutzte Miene und rief dadurch neues Gelächter her¬ vor. Diesmal jedoch galt es ihm, dem Geprellten, der mit wütendem Geſicht das Lokal verließ. Das Mädchen nahm ihr fadenſcheiniges Seiden¬ mäntelchen von der Stuhllehne, hing es um, und ſchaute dabei mit einem ſtolzen und leuchtenden Blick zu Fenia hinüber, die unbeweglich ſtehn geblieben war, — eine ganz wunderlich ernſte, ergriffene Geſtalt inmitten der verſchleierten Damen und der buntgekleideten, lachenden Dämchen um uns her. Gleich darauf ſah man ihren Schützling aus der Thür treten und am Tiſch vorüberkommen. Aber da geſchah etwas allen ganz Unerwartetes: denn neben Fenia blieb das Mädel ſtehn, öffnete die Lippen, wie um ſie an¬ zuſprechen, und plötzlich, mit einer impulſiven Bewegung, deren Natürlichkeit eine mit ſich fortreißende Anmut be¬ ſaß, ſtreckte ſie Fenia beide Hände entgegen. Dieſe ergriff die dargebotenen Hände und ſchüttelte ſie mit herzhaftem Druck. Einige Augenblicke lang ſtan¬ den ſie da und lächelten einander an wie Schweſtern, während alle verblüfft, intereſſiert, amüſiert um die beiden herum ſaßen. Dann entfernte ſich das Mädchen mit einer Kopfneigung gegen die andern und verſchwand im vorüberhaſtenden Menſchenſtrom. Man lachte über das kleine Drama, man ſcherzte über Fenias „Erfolg“ und neckte ſie nicht wenig. Sie ſelbſt war ſehr einſilbig geworden.

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/15>, abgerufen am 26.04.2024.