Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite
Neuntes Kapitel.
Auch ein Satz in die Löwenhöhle.

Er war symbolisch die Treppe hinunter gewor¬
fen. Er machte sich keine Illusionen darüber. Aber
warum? -- Weil er das ästhetische Gefühl der Fürstin
verletzt? Weil grade diese Rivalität ihren Schön¬
heitssinn empörte? -- Ein höhnisches Lächeln schwebte
auf seinen Lippen. Er litt zum ersten Male unge¬
recht. Er hatte nie im Ernst an die Heirath gedacht;
vielleicht, weil auch seine Aesthetik sich dagegen sträubte,
vielleicht, weil er wußte, daß die reiche Braunbiegler
eine Festung sei, die mit den Künsten und Mitteln,
über welche er gebot, nicht zu erstürmen sei.

Unrecht leiden, und die Wahrheit nicht aus¬
sprechen dürfen, die uns frei machte, ist eine Marter.
Die Lüge, um die er verstoßen war, gehörte zu einem
System oder Gewebe, das noch nicht zerrissen war.
Aber er hatte zu diesem Schmerz, der edleren See¬
len vorbehalten ist, keine Zeit. Es waren ganz
andere Vorstellungen, die seiner sich bemeisterten.

War es nur eine Weiberlaune, welche plötzlich

Neuntes Kapitel.
Auch ein Satz in die Löwenhöhle.

Er war ſymboliſch die Treppe hinunter gewor¬
fen. Er machte ſich keine Illuſionen darüber. Aber
warum? — Weil er das äſthetiſche Gefühl der Fürſtin
verletzt? Weil grade dieſe Rivalität ihren Schön¬
heitsſinn empörte? — Ein höhniſches Lächeln ſchwebte
auf ſeinen Lippen. Er litt zum erſten Male unge¬
recht. Er hatte nie im Ernſt an die Heirath gedacht;
vielleicht, weil auch ſeine Aeſthetik ſich dagegen ſträubte,
vielleicht, weil er wußte, daß die reiche Braunbiegler
eine Feſtung ſei, die mit den Künſten und Mitteln,
über welche er gebot, nicht zu erſtürmen ſei.

Unrecht leiden, und die Wahrheit nicht aus¬
ſprechen dürfen, die uns frei machte, iſt eine Marter.
Die Lüge, um die er verſtoßen war, gehörte zu einem
Syſtem oder Gewebe, das noch nicht zerriſſen war.
Aber er hatte zu dieſem Schmerz, der edleren See¬
len vorbehalten iſt, keine Zeit. Es waren ganz
andere Vorſtellungen, die ſeiner ſich bemeiſterten.

War es nur eine Weiberlaune, welche plötzlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0195" n="[185]"/>
      <div n="1">
        <head>Neuntes Kapitel.<lb/><hi rendition="#b">Auch ein Satz in die Löwenhöhle.</hi><lb/></head>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Er war &#x017F;ymboli&#x017F;ch die Treppe hinunter gewor¬<lb/>
fen. Er machte &#x017F;ich keine Illu&#x017F;ionen darüber. Aber<lb/>
warum? &#x2014; Weil er das ä&#x017F;theti&#x017F;che Gefühl der Für&#x017F;tin<lb/>
verletzt? Weil grade die&#x017F;e Rivalität ihren Schön¬<lb/>
heits&#x017F;inn empörte? &#x2014; Ein höhni&#x017F;ches Lächeln &#x017F;chwebte<lb/>
auf &#x017F;einen Lippen. Er litt zum er&#x017F;ten Male unge¬<lb/>
recht. Er hatte nie im Ern&#x017F;t an die Heirath gedacht;<lb/>
vielleicht, weil auch &#x017F;eine Ae&#x017F;thetik &#x017F;ich dagegen &#x017F;träubte,<lb/>
vielleicht, weil er wußte, daß die reiche Braunbiegler<lb/>
eine Fe&#x017F;tung &#x017F;ei, die mit den Kün&#x017F;ten und Mitteln,<lb/>
über welche er gebot, nicht zu er&#x017F;türmen &#x017F;ei.</p><lb/>
        <p>Unrecht leiden, und die Wahrheit nicht aus¬<lb/>
&#x017F;prechen dürfen, die uns frei machte, i&#x017F;t eine Marter.<lb/>
Die Lüge, um die er ver&#x017F;toßen war, gehörte zu einem<lb/>
Sy&#x017F;tem oder Gewebe, das noch nicht zerri&#x017F;&#x017F;en war.<lb/>
Aber er hatte zu die&#x017F;em Schmerz, der edleren See¬<lb/>
len vorbehalten i&#x017F;t, keine Zeit. Es waren ganz<lb/>
andere Vor&#x017F;tellungen, die &#x017F;einer &#x017F;ich bemei&#x017F;terten.</p><lb/>
        <p>War es nur eine Weiberlaune, welche plötzlich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[[185]/0195] Neuntes Kapitel. Auch ein Satz in die Löwenhöhle. Er war ſymboliſch die Treppe hinunter gewor¬ fen. Er machte ſich keine Illuſionen darüber. Aber warum? — Weil er das äſthetiſche Gefühl der Fürſtin verletzt? Weil grade dieſe Rivalität ihren Schön¬ heitsſinn empörte? — Ein höhniſches Lächeln ſchwebte auf ſeinen Lippen. Er litt zum erſten Male unge¬ recht. Er hatte nie im Ernſt an die Heirath gedacht; vielleicht, weil auch ſeine Aeſthetik ſich dagegen ſträubte, vielleicht, weil er wußte, daß die reiche Braunbiegler eine Feſtung ſei, die mit den Künſten und Mitteln, über welche er gebot, nicht zu erſtürmen ſei. Unrecht leiden, und die Wahrheit nicht aus¬ ſprechen dürfen, die uns frei machte, iſt eine Marter. Die Lüge, um die er verſtoßen war, gehörte zu einem Syſtem oder Gewebe, das noch nicht zerriſſen war. Aber er hatte zu dieſem Schmerz, der edleren See¬ len vorbehalten iſt, keine Zeit. Es waren ganz andere Vorſtellungen, die ſeiner ſich bemeiſterten. War es nur eine Weiberlaune, welche plötzlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/195
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. [185]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/195>, abgerufen am 21.12.2024.