Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

Halsbinden gegen die Kühlung bis zur Unkennt¬
lichkeit maskirt, schienen die Hinausgehenden die
Revue passiren zu lassen. "Ist das nicht Comteß
Laura, Vicomte?" sagte der größere und ältere auf
französisch zum jüngeren, nach der knienden Dame
lorgnirend, die von ihrer Enveloppe und dem Schleier
unförmlich umwallt war. Der Vicomte hatte sich
schon auf den Zehen gehoben: "Pardon, Monsieur,
Comtesse Laura hat noch zu viele Stationen bis
zur Betschwester."

Die verhüllte Gestalt, aus ihrer Andacht viel¬
leicht durch die Stille aufgeschreckt, erhob sich und
rauschte an ihnen mit elastischen Schritten vorüber.
Sie hatte die beiden nicht gesehen, diese aber sie
trotz der Schleier.

"Madame la Princesse!" rief der Attache
verwundert.

"Ihre Sünden müssen sie sehr drücken, sprach
der Gesandte, daß sie es nicht verschmäht hat, in
einer lutherischen Kirche zu beten."

"Und gang allein! replicirte der Vicomte. Sie
nimmt gern einen andern mit ins Gebet."

"Disparaissez!" rief Laforest und winkte ihm,
indem er der Dame nacheilte.

Der Vicomte ging lächelnd seiner Wege: "Er
will sie nicht allein gehen lassen! Monsieur Laforest,
man muß es ihm gestehen, übt die Humanität bis
zur Outrage. Die Petarde, die ihn in die Luft
sprengen soll, in der Tasche, schützt er die Lunte,

Halsbinden gegen die Kühlung bis zur Unkennt¬
lichkeit maskirt, ſchienen die Hinausgehenden die
Revue paſſiren zu laſſen. „Iſt das nicht Comteß
Laura, Vicomte?“ ſagte der größere und ältere auf
franzöſiſch zum jüngeren, nach der knienden Dame
lorgnirend, die von ihrer Enveloppe und dem Schleier
unförmlich umwallt war. Der Vicomte hatte ſich
ſchon auf den Zehen gehoben: „Pardon, Monſieur,
Comteſſe Laura hat noch zu viele Stationen bis
zur Betſchweſter.“

Die verhüllte Geſtalt, aus ihrer Andacht viel¬
leicht durch die Stille aufgeſchreckt, erhob ſich und
rauſchte an ihnen mit elaſtiſchen Schritten vorüber.
Sie hatte die beiden nicht geſehen, dieſe aber ſie
trotz der Schleier.

„Madame la Princesse!“ rief der Attaché
verwundert.

„Ihre Sünden müſſen ſie ſehr drücken, ſprach
der Geſandte, daß ſie es nicht verſchmäht hat, in
einer lutheriſchen Kirche zu beten.“

„Und gang allein! replicirte der Vicomte. Sie
nimmt gern einen andern mit ins Gebet.“

„Disparaissez!“ rief Laforeſt und winkte ihm,
indem er der Dame nacheilte.

Der Vicomte ging lächelnd ſeiner Wege: „Er
will ſie nicht allein gehen laſſen! Monſieur Laforeſt,
man muß es ihm geſtehen, übt die Humanität bis
zur Outrage. Die Petarde, die ihn in die Luft
ſprengen ſoll, in der Taſche, ſchützt er die Lunte,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0168" n="158"/>
Halsbinden gegen die Kühlung bis zur Unkennt¬<lb/>
lichkeit maskirt, &#x017F;chienen die Hinausgehenden die<lb/>
Revue pa&#x017F;&#x017F;iren zu la&#x017F;&#x017F;en. &#x201E;I&#x017F;t das nicht Comteß<lb/>
Laura, Vicomte?&#x201C; &#x017F;agte der größere und ältere auf<lb/>
franzö&#x017F;i&#x017F;ch zum jüngeren, nach der knienden Dame<lb/>
lorgnirend, die von ihrer Enveloppe und dem Schleier<lb/>
unförmlich umwallt war. Der Vicomte hatte &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;chon auf den Zehen gehoben: &#x201E;Pardon, Mon&#x017F;ieur,<lb/>
Comte&#x017F;&#x017F;e Laura hat noch zu viele Stationen bis<lb/>
zur Bet&#x017F;chwe&#x017F;ter.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die verhüllte Ge&#x017F;talt, aus ihrer Andacht viel¬<lb/>
leicht durch die Stille aufge&#x017F;chreckt, erhob &#x017F;ich und<lb/>
rau&#x017F;chte an ihnen mit ela&#x017F;ti&#x017F;chen Schritten vorüber.<lb/>
Sie hatte die beiden nicht ge&#x017F;ehen, die&#x017F;e aber &#x017F;ie<lb/>
trotz der Schleier.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#aq">&#x201E;Madame la Princesse!&#x201C;</hi> rief der Attach<hi rendition="#aq">é</hi><lb/>
verwundert.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ihre Sünden mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie &#x017F;ehr drücken, &#x017F;prach<lb/>
der Ge&#x017F;andte, daß &#x017F;ie es nicht ver&#x017F;chmäht hat, in<lb/>
einer lutheri&#x017F;chen Kirche zu beten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und gang allein! replicirte der Vicomte. Sie<lb/>
nimmt gern einen andern mit ins Gebet.&#x201C;</p><lb/>
        <p><hi rendition="#aq">&#x201E;Disparaissez!&#x201C;</hi> rief Lafore&#x017F;t und winkte ihm,<lb/>
indem er der Dame nacheilte.</p><lb/>
        <p>Der Vicomte ging lächelnd &#x017F;einer Wege: &#x201E;Er<lb/>
will &#x017F;ie nicht allein gehen la&#x017F;&#x017F;en! Mon&#x017F;ieur Lafore&#x017F;t,<lb/>
man muß es ihm ge&#x017F;tehen, übt die Humanität bis<lb/>
zur Outrage. Die Petarde, die ihn in die Luft<lb/>
&#x017F;prengen &#x017F;oll, in der Ta&#x017F;che, &#x017F;chützt er die Lunte,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[158/0168] Halsbinden gegen die Kühlung bis zur Unkennt¬ lichkeit maskirt, ſchienen die Hinausgehenden die Revue paſſiren zu laſſen. „Iſt das nicht Comteß Laura, Vicomte?“ ſagte der größere und ältere auf franzöſiſch zum jüngeren, nach der knienden Dame lorgnirend, die von ihrer Enveloppe und dem Schleier unförmlich umwallt war. Der Vicomte hatte ſich ſchon auf den Zehen gehoben: „Pardon, Monſieur, Comteſſe Laura hat noch zu viele Stationen bis zur Betſchweſter.“ Die verhüllte Geſtalt, aus ihrer Andacht viel¬ leicht durch die Stille aufgeſchreckt, erhob ſich und rauſchte an ihnen mit elaſtiſchen Schritten vorüber. Sie hatte die beiden nicht geſehen, dieſe aber ſie trotz der Schleier. „Madame la Princesse!“ rief der Attaché verwundert. „Ihre Sünden müſſen ſie ſehr drücken, ſprach der Geſandte, daß ſie es nicht verſchmäht hat, in einer lutheriſchen Kirche zu beten.“ „Und gang allein! replicirte der Vicomte. Sie nimmt gern einen andern mit ins Gebet.“ „Disparaissez!“ rief Laforeſt und winkte ihm, indem er der Dame nacheilte. Der Vicomte ging lächelnd ſeiner Wege: „Er will ſie nicht allein gehen laſſen! Monſieur Laforeſt, man muß es ihm geſtehen, übt die Humanität bis zur Outrage. Die Petarde, die ihn in die Luft ſprengen ſoll, in der Taſche, ſchützt er die Lunte,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/168
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/168>, abgerufen am 26.04.2024.