Der Eintritt der Geheimräthin in die Gesell¬ schaft erregte einen allgemeinen Aufstand; es schien ein froher. Man hatte sie nicht mehr erwartet. Die Wirthin und einige Damen embrassirten sich; die ältern Herren bemühten sich ihr die Hand zu küssen: "Nein das ist hübsch und liebenswürdig von Ihnen, uns doch noch zu überraschen!" -- "Es wäre ein halber verlorener Abend gewesen, ohne die Frau Geheim¬ räthin," sagte der Wirth. Ein Dritter: "je später der Abend, so schöner die Gäste." Es war eine an¬ sehnliche, aber etwas bunte Gesellschaft, vielleicht eine, wo die Wirthe auch solche Verwandte und Bekannte ge¬ beten haben, welche sonst sagen könnten: "Zu so etwas werden wir nicht eingeladen!" Die Geheim¬ räthin war von der zuvorkommensten Freundlichkeit. Man konnte auf den ersten Blick annehmen, daß sie, wenn nicht an Stand und Vermögen, doch von Natur und Bildung von feinerer Art, ein Wesen war, was man so gewöhnlich ein höheres nennt, wenn es in
Viertes Kapitel. Hier politiſch,dort poetiſch.
Der Eintritt der Geheimräthin in die Geſell¬ ſchaft erregte einen allgemeinen Aufſtand; es ſchien ein froher. Man hatte ſie nicht mehr erwartet. Die Wirthin und einige Damen embraſſirten ſich; die ältern Herren bemühten ſich ihr die Hand zu küſſen: „Nein das iſt hübſch und liebenswürdig von Ihnen, uns doch noch zu überraſchen!“ — „Es wäre ein halber verlorener Abend geweſen, ohne die Frau Geheim¬ räthin,“ ſagte der Wirth. Ein Dritter: „je ſpäter der Abend, ſo ſchöner die Gäſte.“ Es war eine an¬ ſehnliche, aber etwas bunte Geſellſchaft, vielleicht eine, wo die Wirthe auch ſolche Verwandte und Bekannte ge¬ beten haben, welche ſonſt ſagen könnten: „Zu ſo etwas werden wir nicht eingeladen!“ Die Geheim¬ räthin war von der zuvorkommenſten Freundlichkeit. Man konnte auf den erſten Blick annehmen, daß ſie, wenn nicht an Stand und Vermögen, doch von Natur und Bildung von feinerer Art, ein Weſen war, was man ſo gewöhnlich ein höheres nennt, wenn es in
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[[39]/0053]
Viertes Kapitel.
Hier politiſch , dort poetiſch .
Der Eintritt der Geheimräthin in die Geſell¬
ſchaft erregte einen allgemeinen Aufſtand; es ſchien
ein froher. Man hatte ſie nicht mehr erwartet. Die
Wirthin und einige Damen embraſſirten ſich; die ältern
Herren bemühten ſich ihr die Hand zu küſſen: „Nein
das iſt hübſch und liebenswürdig von Ihnen, uns
doch noch zu überraſchen!“ — „Es wäre ein halber
verlorener Abend geweſen, ohne die Frau Geheim¬
räthin,“ ſagte der Wirth. Ein Dritter: „je ſpäter
der Abend, ſo ſchöner die Gäſte.“ Es war eine an¬
ſehnliche, aber etwas bunte Geſellſchaft, vielleicht eine, wo
die Wirthe auch ſolche Verwandte und Bekannte ge¬
beten haben, welche ſonſt ſagen könnten: „Zu ſo
etwas werden wir nicht eingeladen!“ Die Geheim¬
räthin war von der zuvorkommenſten Freundlichkeit.
Man konnte auf den erſten Blick annehmen, daß ſie,
wenn nicht an Stand und Vermögen, doch von Natur
und Bildung von feinerer Art, ein Weſen war, was
man ſo gewöhnlich ein höheres nennt, wenn es in
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. [39]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/53>, abgerufen am 21.11.2024.
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