Als ergebener Diener der öffentlichen Meinung mußte Palmerston freilich, da die Polen und die Juden zur Zeit die verwöhnten Lieblinge der Lon- doner Presse waren, sich an dem nationalen Sport betheiligen und sagte im Parlamente schon im August: wenn die Wiener Verträge an der Weichsel nichts mehr gelten sollen, dann gelten sie auch nichts am Rhein und am Po! Aber zu gleicher Zeit besprach er "als guter Freund" mit Brunnow: was denn aus dieser Krakauer "Fliege" werden solle. Man kam gemüthlich dahin überein, England müsse protestiren sobald die Ein- verleibung erfolgt sei, und der Russe schloß verbindlich: Sie brauchen eine parlamentarische Deckung; wir werden Ihnen seiner Zeit genügendes Ma- terial liefern.*) Tief erbittert durch Guizot's spanische Umtriebe, wollte der Lord die zärtliche Freundschaft der Russen jetzt am wenigsten zurück- weisen. Auch der König von Preußen bemühte sich wieder eifrig, sein England zu den conservativen Mächten hinüberzuziehen und ließ deßhalb durch Leopold Ranke eine Denkschrift ausarbeiten; sein Wunsch war, man sollte sich mit dem Londoner Hofe noch vor der Einverleibung glatt verstän- digen. Ganz so weit kam man doch nicht. Als die Wiener Conferenz ihre Beschlüsse gefaßt hatte, sprach Palmerston (23. Nov.) den Ostmächten sein Bedauern aus über eine Verletzung der Verträge, "die durch keine ge- nügende Nothwendigkeit gerechtfertigt wäre". Die Sanftmuth dieser Vor- würfe stach wunderlich ab von dem groben Tone, welchen der Lord sonst in seinen Protestnoten anzuschlagen liebte. Mit Frankreich zusammen- zugehen kam ihm nicht in den Sinn. Vielmehr rühmte er sich vor Bunsen: "die drei Mächte werden sehen, wie freundschaftlich ich in der Krakauer Sache gehandelt und wie ernst ich die heimtückischen Vorschläge des fran- zösischen Cabinets beantwortet habe."**)
Sogar der alte grimmige Russenfeind Lord Ponsonby sagte zu Met- ternich: man möge nur schnell handeln, durch die vollendete Thatsache der Einverleibung Alles erledigen -- und König Friedrich Wilhelm schrieb vergnügt an den Rand des Berichts: Noel! Noel! Ouf!***) Nach Alle- dem konnte das unvermeidliche parlamentarische Wehgeschrei die Ostmächte nicht mehr beunruhigen. Als die beiden Häuser im Januar 1847 wieder zusammentraten, zeigte Palmerston "seinem theueren Brunnow" den Satz der Thronrede, der von Krakau handelte, und änderte auf Wunsch des Russen einige Worte. Die drei Gesandten fanden jedoch die Stelle, trotz der Milderung, noch ziemlich scharf, und Brunnow schrieb dem Lord in Freundschaft: wir Drei wollen lieber nicht (rather not) zur Eröffnung des Parlaments erscheinen, so vermeiden wir einen peinlichen Depeschen- wechsel.+)
Als ergebener Diener der öffentlichen Meinung mußte Palmerſton freilich, da die Polen und die Juden zur Zeit die verwöhnten Lieblinge der Lon- doner Preſſe waren, ſich an dem nationalen Sport betheiligen und ſagte im Parlamente ſchon im Auguſt: wenn die Wiener Verträge an der Weichſel nichts mehr gelten ſollen, dann gelten ſie auch nichts am Rhein und am Po! Aber zu gleicher Zeit beſprach er „als guter Freund“ mit Brunnow: was denn aus dieſer Krakauer „Fliege“ werden ſolle. Man kam gemüthlich dahin überein, England müſſe proteſtiren ſobald die Ein- verleibung erfolgt ſei, und der Ruſſe ſchloß verbindlich: Sie brauchen eine parlamentariſche Deckung; wir werden Ihnen ſeiner Zeit genügendes Ma- terial liefern.*) Tief erbittert durch Guizot’s ſpaniſche Umtriebe, wollte der Lord die zärtliche Freundſchaft der Ruſſen jetzt am wenigſten zurück- weiſen. Auch der König von Preußen bemühte ſich wieder eifrig, ſein England zu den conſervativen Mächten hinüberzuziehen und ließ deßhalb durch Leopold Ranke eine Denkſchrift ausarbeiten; ſein Wunſch war, man ſollte ſich mit dem Londoner Hofe noch vor der Einverleibung glatt verſtän- digen. Ganz ſo weit kam man doch nicht. Als die Wiener Conferenz ihre Beſchlüſſe gefaßt hatte, ſprach Palmerſton (23. Nov.) den Oſtmächten ſein Bedauern aus über eine Verletzung der Verträge, „die durch keine ge- nügende Nothwendigkeit gerechtfertigt wäre“. Die Sanftmuth dieſer Vor- würfe ſtach wunderlich ab von dem groben Tone, welchen der Lord ſonſt in ſeinen Proteſtnoten anzuſchlagen liebte. Mit Frankreich zuſammen- zugehen kam ihm nicht in den Sinn. Vielmehr rühmte er ſich vor Bunſen: „die drei Mächte werden ſehen, wie freundſchaftlich ich in der Krakauer Sache gehandelt und wie ernſt ich die heimtückiſchen Vorſchläge des fran- zöſiſchen Cabinets beantwortet habe.“**)
Sogar der alte grimmige Ruſſenfeind Lord Ponſonby ſagte zu Met- ternich: man möge nur ſchnell handeln, durch die vollendete Thatſache der Einverleibung Alles erledigen — und König Friedrich Wilhelm ſchrieb vergnügt an den Rand des Berichts: Noël! Noël! Ouf!***) Nach Alle- dem konnte das unvermeidliche parlamentariſche Wehgeſchrei die Oſtmächte nicht mehr beunruhigen. Als die beiden Häuſer im Januar 1847 wieder zuſammentraten, zeigte Palmerſton „ſeinem theueren Brunnow“ den Satz der Thronrede, der von Krakau handelte, und änderte auf Wunſch des Ruſſen einige Worte. Die drei Geſandten fanden jedoch die Stelle, trotz der Milderung, noch ziemlich ſcharf, und Brunnow ſchrieb dem Lord in Freundſchaft: wir Drei wollen lieber nicht (rather not) zur Eröffnung des Parlaments erſcheinen, ſo vermeiden wir einen peinlichen Depeſchen- wechſel.†)
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V. 7. Polen und Schleswigholſtein.
Als ergebener Diener der öffentlichen Meinung mußte Palmerſton freilich,
da die Polen und die Juden zur Zeit die verwöhnten Lieblinge der Lon-
doner Preſſe waren, ſich an dem nationalen Sport betheiligen und ſagte
im Parlamente ſchon im Auguſt: wenn die Wiener Verträge an der
Weichſel nichts mehr gelten ſollen, dann gelten ſie auch nichts am Rhein
und am Po! Aber zu gleicher Zeit beſprach er „als guter Freund“ mit
Brunnow: was denn aus dieſer Krakauer „Fliege“ werden ſolle. Man
kam gemüthlich dahin überein, England müſſe proteſtiren ſobald die Ein-
verleibung erfolgt ſei, und der Ruſſe ſchloß verbindlich: Sie brauchen eine
parlamentariſche Deckung; wir werden Ihnen ſeiner Zeit genügendes Ma-
terial liefern. *) Tief erbittert durch Guizot’s ſpaniſche Umtriebe, wollte
der Lord die zärtliche Freundſchaft der Ruſſen jetzt am wenigſten zurück-
weiſen. Auch der König von Preußen bemühte ſich wieder eifrig, ſein
England zu den conſervativen Mächten hinüberzuziehen und ließ deßhalb
durch Leopold Ranke eine Denkſchrift ausarbeiten; ſein Wunſch war, man
ſollte ſich mit dem Londoner Hofe noch vor der Einverleibung glatt verſtän-
digen. Ganz ſo weit kam man doch nicht. Als die Wiener Conferenz ihre
Beſchlüſſe gefaßt hatte, ſprach Palmerſton (23. Nov.) den Oſtmächten ſein
Bedauern aus über eine Verletzung der Verträge, „die durch keine ge-
nügende Nothwendigkeit gerechtfertigt wäre“. Die Sanftmuth dieſer Vor-
würfe ſtach wunderlich ab von dem groben Tone, welchen der Lord ſonſt
in ſeinen Proteſtnoten anzuſchlagen liebte. Mit Frankreich zuſammen-
zugehen kam ihm nicht in den Sinn. Vielmehr rühmte er ſich vor Bunſen:
„die drei Mächte werden ſehen, wie freundſchaftlich ich in der Krakauer
Sache gehandelt und wie ernſt ich die heimtückiſchen Vorſchläge des fran-
zöſiſchen Cabinets beantwortet habe.“ **)
Sogar der alte grimmige Ruſſenfeind Lord Ponſonby ſagte zu Met-
ternich: man möge nur ſchnell handeln, durch die vollendete Thatſache
der Einverleibung Alles erledigen — und König Friedrich Wilhelm ſchrieb
vergnügt an den Rand des Berichts: Noël! Noël! Ouf! ***) Nach Alle-
dem konnte das unvermeidliche parlamentariſche Wehgeſchrei die Oſtmächte
nicht mehr beunruhigen. Als die beiden Häuſer im Januar 1847 wieder
zuſammentraten, zeigte Palmerſton „ſeinem theueren Brunnow“ den Satz
der Thronrede, der von Krakau handelte, und änderte auf Wunſch des
Ruſſen einige Worte. Die drei Geſandten fanden jedoch die Stelle, trotz
der Milderung, noch ziemlich ſcharf, und Brunnow ſchrieb dem Lord in
Freundſchaft: wir Drei wollen lieber nicht (rather not) zur Eröffnung
des Parlaments erſcheinen, ſo vermeiden wir einen peinlichen Depeſchen-
wechſel. †)
*) Brunnow’s Bericht, 28. Aug. 1846.
**) Palmerſton, Weiſung an Weſtmoreland, 23. Nov. Bunſen’s Bericht, 26. Nov.
***) Arnim’s Bericht, Wien, 9. Nov. 1846.
†) Palmerſton an Brunnow, 18. Jan. Brunnow’s Antwort, 19. Jan. 1847.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 5: Bis zur März-Revolution. Leipzig, 1894, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte05_1894/570>, abgerufen am 28.01.2025.
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