Nixe. Jetzt denke ich anders, seit ich aus der Na¬ turgeschichte weiß, daß jene symbolischen Federn von dem dümmsten Vogel herkommen, und daß die Schleppe eines Damenkleides auf sehr natürliche Weise naß werden kann. Hätte ich mit jenen Kna¬ ben-Augen die erwähnte junge Schöne, in erwähnter Stellung, auf dem Brocken gesehen, so würde ich sicher gedacht haben: das ist die Fee des Berges, und sie hat eben den Zauber ausgesprochen, wodurch dort unten Alles so wunderbar erscheint. Ja, in hohem Grade wunderbar erscheint uns Alles bey'm ersten Hinabschauen vom Brocken, alle Seiten un¬ seres Geistes empfangen neue Eindrücke, und diese, meistens verschiedenartig, sogar sich widersprechend, verbinden sich in unserer Seele zu einem großen, noch unentworrenen, unverstandenen Gefühl. Ge¬ lingt es uns, dieses Gefühl in seinem Begriffe zu erfassen, so erkennen wir den Charakter des Ber¬ ges. Dieser Charakter ist ganz deutsch, sowohl in Hinsicht seiner Fehler, als auch seiner Vorzüge. Der Brocken ist ein Deutscher. Mit deutscher
Nixe. Jetzt denke ich anders, ſeit ich aus der Na¬ turgeſchichte weiß, daß jene ſymboliſchen Federn von dem duͤmmſten Vogel herkommen, und daß die Schleppe eines Damenkleides auf ſehr natuͤrliche Weiſe naß werden kann. Haͤtte ich mit jenen Kna¬ ben-Augen die erwaͤhnte junge Schoͤne, in erwaͤhnter Stellung, auf dem Brocken geſehen, ſo wuͤrde ich ſicher gedacht haben: das iſt die Fee des Berges, und ſie hat eben den Zauber ausgeſprochen, wodurch dort unten Alles ſo wunderbar erſcheint. Ja, in hohem Grade wunderbar erſcheint uns Alles bey'm erſten Hinabſchauen vom Brocken, alle Seiten un¬ ſeres Geiſtes empfangen neue Eindruͤcke, und dieſe, meiſtens verſchiedenartig, ſogar ſich widerſprechend, verbinden ſich in unſerer Seele zu einem großen, noch unentworrenen, unverſtandenen Gefuͤhl. Ge¬ lingt es uns, dieſes Gefuͤhl in ſeinem Begriffe zu erfaſſen, ſo erkennen wir den Charakter des Ber¬ ges. Dieſer Charakter iſt ganz deutſch, ſowohl in Hinſicht ſeiner Fehler, als auch ſeiner Vorzuͤge. Der Brocken iſt ein Deutſcher. Mit deutſcher
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[204/0216]
Nixe. Jetzt denke ich anders, ſeit ich aus der Na¬
turgeſchichte weiß, daß jene ſymboliſchen Federn
von dem duͤmmſten Vogel herkommen, und daß die
Schleppe eines Damenkleides auf ſehr natuͤrliche
Weiſe naß werden kann. Haͤtte ich mit jenen Kna¬
ben-Augen die erwaͤhnte junge Schoͤne, in erwaͤhnter
Stellung, auf dem Brocken geſehen, ſo wuͤrde ich
ſicher gedacht haben: das iſt die Fee des Berges,
und ſie hat eben den Zauber ausgeſprochen, wodurch
dort unten Alles ſo wunderbar erſcheint. Ja, in
hohem Grade wunderbar erſcheint uns Alles bey'm
erſten Hinabſchauen vom Brocken, alle Seiten un¬
ſeres Geiſtes empfangen neue Eindruͤcke, und dieſe,
meiſtens verſchiedenartig, ſogar ſich widerſprechend,
verbinden ſich in unſerer Seele zu einem großen,
noch unentworrenen, unverſtandenen Gefuͤhl. Ge¬
lingt es uns, dieſes Gefuͤhl in ſeinem Begriffe zu
erfaſſen, ſo erkennen wir den Charakter des Ber¬
ges. Dieſer Charakter iſt ganz deutſch, ſowohl in
Hinſicht ſeiner Fehler, als auch ſeiner Vorzuͤge.
Der Brocken iſt ein Deutſcher. Mit deutſcher
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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/216>, abgerufen am 27.12.2024.
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