So muß dich denn zuletzt der wilde Nord zerspalten, Da dein Verdienst, wodurch du dich erhalten, Das Beil oft von dir abgekehrt, Weil sonst dein Stand die Durchsicht mir verwehrt? Ob ich nun gleich dadurch bey deinem Scheiden Fast mehr gewonnen, als verloren; So seh' ich dich doch mit betrübten Freuden Jn deinem Lager an. Es hat dich dein Verdienst beschützet: Dieß dein Verdienst begleitet dich Zu der Zeit auch, da grimmiglich Ein Wetter auf dich stürmt und blitzet. Dein längst-geborst'ner Stamm hat eh nicht brechen wollen, Als bis du mir zu guter letzt Das, was ich an dir hoch geschätzt, Die reifen Kirschen, noch hast können zollen. Die Kinder, die sich bis daher Mit aufgeschlag'nem Aug' an deiner Frucht ergetzet, Betrüben sich; doch freuen sie sich mehr, Jndem sie ihren Wunsch, die reifen Kirschen, nun, Wodurch dein Haupt bisher sich pflag zu schmücken, Jtzund, wie sie mit Jauchzen thun, Jn deinen Zweigen selber pflücken. Sie können nunmehr, ohn Gefahr, Auf deinen sonst erhab'nen Gipfel steigen.
Bald
Ein alter umgeweheter Kirſch-Baum.
So muß dich denn zuletzt der wilde Nord zerſpalten, Da dein Verdienſt, wodurch du dich erhalten, Das Beil oft von dir abgekehrt, Weil ſonſt dein Stand die Durchſicht mir verwehrt? Ob ich nun gleich dadurch bey deinem Scheiden Faſt mehr gewonnen, als verloren; So ſeh’ ich dich doch mit betruͤbten Freuden Jn deinem Lager an. Es hat dich dein Verdienſt beſchuͤtzet: Dieß dein Verdienſt begleitet dich Zu der Zeit auch, da grimmiglich Ein Wetter auf dich ſtuͤrmt und blitzet. Dein laͤngſt-geborſt’ner Stamm hat eh nicht brechen wollen, Als bis du mir zu guter letzt Das, was ich an dir hoch geſchaͤtzt, Die reifen Kirſchen, noch haſt koͤnnen zollen. Die Kinder, die ſich bis daher Mit aufgeſchlag’nem Aug’ an deiner Frucht ergetzet, Betruͤben ſich; doch freuen ſie ſich mehr, Jndem ſie ihren Wunſch, die reifen Kirſchen, nun, Wodurch dein Haupt bisher ſich pflag zu ſchmuͤcken, Jtzund, wie ſie mit Jauchzen thun, Jn deinen Zweigen ſelber pfluͤcken. Sie koͤnnen nunmehr, ohn Gefahr, Auf deinen ſonſt erhab’nen Gipfel ſteigen.
Bald
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Ein
alter umgeweheter Kirſch-Baum.
So muß dich denn zuletzt der wilde Nord zerſpalten,
Da dein Verdienſt, wodurch du dich erhalten,
Das Beil oft von dir abgekehrt,
Weil ſonſt dein Stand die Durchſicht mir verwehrt?
Ob ich nun gleich dadurch bey deinem Scheiden
Faſt mehr gewonnen, als verloren;
So ſeh’ ich dich doch mit betruͤbten Freuden
Jn deinem Lager an.
Es hat dich dein Verdienſt beſchuͤtzet:
Dieß dein Verdienſt begleitet dich
Zu der Zeit auch, da grimmiglich
Ein Wetter auf dich ſtuͤrmt und blitzet.
Dein laͤngſt-geborſt’ner Stamm hat eh nicht brechen wollen,
Als bis du mir zu guter letzt
Das, was ich an dir hoch geſchaͤtzt,
Die reifen Kirſchen, noch haſt koͤnnen zollen.
Die Kinder, die ſich bis daher
Mit aufgeſchlag’nem Aug’ an deiner Frucht ergetzet,
Betruͤben ſich; doch freuen ſie ſich mehr,
Jndem ſie ihren Wunſch, die reifen Kirſchen, nun,
Wodurch dein Haupt bisher ſich pflag zu ſchmuͤcken,
Jtzund, wie ſie mit Jauchzen thun,
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Brockes, Barthold Heinrich: Jrdisches Vergnügen in Gott. Bd. 2. Hamburg, 1727, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brockes_vergnuegen02_1727/111>, abgerufen am 29.01.2025.
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