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Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867.

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Dreizehnte Ordnung.
Die Stelzvögel (Grallatores).

Wenn man die reiche Abtheilung unſerer Klaſſe, welche faſt alle Naturforſcher übereinſtimmend
begrenzen und mit dem vorſtehend angegebenen Namen bezeichnen, aufmerkſam betrachtet, will ſich die
Anſicht aufdrängen, daß die verſchiedenartigen Geſtalten, welche wir in der einen Ordnung vereinigen,
gar nicht zuſammen gehören. Es gibt in dieſer Ordnung große und kleine, kräftig gebaute und
ſchlanke, lang- und kurzſchnäbelige, hochbeinige und niedrig geſtellte, ſtumpf- und ſpitzflügelige, dicht-
und dünnbefiederte, bunt- und einfarbige Vögel, und es macht ſich, dieſen Gegenſätzen entſprechend,
eine Verſchiedenartigkeit der Lebensweiſe, der Sitten und Gewohnheiten, des Nahrungserwerbes und
der Nahrung ſelbſt, des Fortpflanzungsgeſchäftes und der Entwicklung, kurz, aller Lebensäußerungen
bemerklich, wie in keiner anderen gleichwerthigen Abtheilung der ganzen Klaſſe. Einige Naturforſcher
haben deshalb die oben ausgeſprochene Anſicht bethätigt und wenigſtens einzelne von den Stelzvögeln
in einer beſonderen Ordnung vereinigt oder ſie anderen Ordnungen zugezählt; die Zergliederung lehrt
aber, daß auch zwiſchen den ſcheinbar verſchiedenartigſten Geſtalten eine erſichtliche Uebereinſtimmung
beſteht, es alſo ſehr ſchwer fallen muß, die Abtheilungen zu begrenzen. Für mich unterliegt es keinem
Zweifel, daß man ſpäter die eine Ordnung in mehrere auflöſen wird, wie man neuerdings, und gewiß
mit vollſtem Rechte, die ſogenannte Ordnung der Schwimmvögel in vier Ordnungen aufgelöſt hat:
einſtweilen aber ſieht man die Stelzvögel noch als eine Geſammtheit an, welche man nicht zerſplittern
darf. Jch füge mich der herrſchenden Anſicht, weil ich der Ueberzeugung bin, daß überhaupt noch
keines der aufgeſtellten Syſteme der Natur wirklich entſpricht, werde aber die Hauptabtheilungen, in
welche die Ordnung meiner Anſicht nach zerfällt, beſonders hervorheben.

Aus vorſtehenden Worten geht zur Genüge hervor, daß eine allgemein giltige Kennzeichnung der
Stelzvögel nicht gegeben werden kann. Ein langer, dürrer Hals und lange, dünne Beine, welche auch
über dem Ferſen- oder Hackengelenk nackt und deren Füße drei- oder vierzehig ſind, dürfen als Merkmale
der Mehrzahl gelten, und ebenſo kann man noch ſagen, daß die Flugwerkzeuge nicht verkümmert, die
Federn wie gewöhnlich gebildet ſind. Der Schnabel iſt ſo verſchieden geſtaltet, daß eine Beſchreibung
deſſelben an dieſer Stelle unthunlich erſcheinen muß, Flügel und Schwanz ändern ebenfalls vielfach
ab und auch das Kleingefieder zeigt durchaus keine Uebereinſtimmung.

Die Wirbelſäule beſteht aus dreizehn bis achtzehn Hals-, ſieben bis zehn Rücken-, dreizehn bis
ſechszehn Becken- und ſieben bis neun Schwanzwirbeln; das Gerüſt der Vorder- und Hinterglieder
iſt ſtets wohl entwickelt, das Bruſtbein an ſeinem Hinterrande oft tief ausgebuchtet. Die Zunge iſt
ſehr verſchieden geſtaltet, meiſt aber kurz und ſtumpf, die Speiſeröhre weit, ohne eigentlichen Kropf,
aber doch oft in ähnlicher Weiſe ausgebuchtet, ſelbſt zu einem Sack erweitert, der Vormagen klein,
der Magen häutig und dehnbar, der Darmſchlauch in der Regel lang.

Wenig andere Geſchöpfe beſitzen die Fähigkeit, ſich in allen Gegenden und Klimaten heimiſch zu
machen, in gleichem Grade wie die Stelzvögel. Sie ſind Weltbürger im eigentlichen Sinne des
Wortes; denn nicht allein die Familien, ſondern auch einzelne Arten verbreiten ſich über alle Erd-
theile und alle Gürtel derſelben. Stelzvögel leben allerorten, nicht blos am Waſſer und demgemäß
mehr in der Tiefe, ſondern hoch oben im Gebirge noch, dicht unter der Schneegrenze, am Fuße der
Gletſcher, nicht blos im oder am Sumpfe, welchen unterſcheidenden Namen er auch haben möge,

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Zitationshilfe: Brehm, Alfred Edmund: Illustrirtes Thierleben. Bd. 4. Hildburghausen, 1867, S. [553]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/brehm_thierleben04_1867/589>, abgerufen am 25.01.2025.